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Reform- und Öffnungspolitik in China - Gedanken zum 40. Jahrestag

2018-11-26 11:13:00 Source:China heute Author:
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Von Helmut Matt*


„Seidenstraßeninitiative“, „Welt als Schicksalsgemeinschaft“: Das China von heute wird immer mehr zum zentralen und lenkenden Faktor der internationalen Politik – nicht nur im Bereich der Wirtschaft.


Auf der zentralen Arbeitskonferenz für auswärtige Angelegenheiten, die vom 22. bis zum 23. Juni dieses Jahres in Beijing stattfand, hat Chinas Staatspräsident Xi Jinping in seiner Grundsatzrede gefordert, Chinas Position und Funktion im Wandel des Gefüges der Welt neu zu bewerten. Chinas Außenpolitik, so der Staatspräsident, solle den Aufbau der Schicksalsgemeinschaft der Menschheit als Banner vorantragen und das globale Regieren in Richtung größerer Gerechtigkeit und Vernunft vorantreiben". Zugleich betonte Xi Jinping den friedlichen und freundschaftlichen Charakter der chinesischen Politik und machte deutlich, dass China daran festhalten werde, auf der Grundlage gegenseitigen Respekts und gemeinsamen Gewinnens den Weg der friedlichen Entwicklung zu beschreiten. Zudem solle man die Solidarität und Zusammenarbeit mit den Entwicklungsländern intensivieren.




Seidenstraße per Schiene und per Luft: Dieser Stand auf der China International Import Expo (CIIE) in Shanghai informiert über die Verkehrsverbindungen im Rahmen der Seidenstraßeninitiative  

 


China als bedeutender Faktor für die Weltwirtschaft und die Weltpolitik? Wer hätte sich vor gerade einmal 40 Jahren so eine Entwicklung vorzustellen gewagt? Was der heutige chinesische Staatspräsident Xi so konsequent wie nie zuvor vorantreibt, das ist die Weiterentwicklung einer ebenso mutigen wie visionären politischen Entscheidung aus dem Jahr 1978, einer Entscheidung, die nicht nur dem Schicksal Chinas eine neue Richtung gewiesen hat. Die Rede ist von den Reformen, die Chinas damaliger bedeutendster Politiker Deng Xiaoping eingeleitet hat.


Deng Xiaoping – Chefarchitekt der Reform und Öffnung


Wenn man heute von der Politik der Reform und Öffnung Chinas spricht, dann denkt man sogleich an den Namen jenes Staatsmannes, der die Wende von der strikten Plan- und Kommandowirtschaft hin zu einem freieren Staats- und Wirtschaftssystem eingeleitet hat. Deng Xiaoping ist nicht nur der Vater der Reform- und Öffnungspolitik. Seine Maßnahmen waren zugleich die Grundlage für einen schier atemberaubenden wirtschaftlichen Erfolg seines Landes.


Es ist kaum zu fassen, wie sich China in gerade einmal vier Jahrzehnten von einem in großen Teilen rückständigen Dritte-Welt-Land zu einer der führenden Wirtschaftsnationen der Welt entwickelt hat. Ein Beispiel: Bereits im Jahr 2008, also noch vor dem 30. Jahrestag der eingeleiteten Reform und Öffnung, wurde Deutschland im Hinblick auf die Wirtschaftskraft von China überflügelt. Nicht nur quantitativ, sondern auch auf qualitativer Ebene strebt China längst schon an die Weltspitze. So hat die Volksrepublik inzwischen auch in vielen High-Tech-Segmenten einen führenden Rang in der Welt eingenommen.


Die Innovationskraft chinesischer Ingenieure ist in der Tat beeindruckend. Ein besonders anschauliches Beispiel für die Veränderungen, die aus Dengs Öffnungs- und Reformpolitik resultieren, ist die Firma Haier in Qingdao, bei der ich im Jahr 2008 im Rahmen einer Chinareise zu Gast sein durfte. Dort ist aus einem einst defizitären, von staatlichen Subventionen abhängigen Staatsbetrieb mittlerweile ein weltweit führender Konzern erwachsen – von der praktischen Küchenmaschine bis hin zu hochintegrierten Halbleitern ist in der Produktpalette der Firma Haier fast alles vertreten – in unbestrittener Spitzenqualität. Gern erinnere ich mich auch jetzt noch an die beeindruckende futuristische Architektur des Verwaltungsgebäudes und an die schönen Gartenanlagen auf dem Firmengelände.


Ohne Deng Xiaopings Reform- und Öffnungspolitik hätte es vermutlich auch keine Fortschritte im politischen und gesellschaftlichen Bereich gegeben. China ist inzwischen zu einer weltoffenen Gesellschaft geworden. Gewiss haben auch der rasche Ausbau des Internets und anderer neuer Kommunikationsformen dafür gesorgt, dass die Menschen im Land sich weltoffen zeigen und durchaus gut über die globale politische und wirtschaftliche Entwicklung Bescheid wissen. Dass dies auch zu einer recht offenen und lebendigen Gesprächskultur geführt hat, steht außer Zweifel. Bei all meinen Reisen in das Reich der Mitte war ich sehr positiv von der gut entwickelten Gesprächs- und Diskussionskultur angetan. Viele auch kontroverse Themen habe ich mit unterschiedlichen Gesprächspartnern diskutiert – und dabei auch so manches hinzugelernt. Wichtig ist, dass man seinen chinesischen Gesprächspartnern möglichst offen begegnet und zum Zuhören bereit ist.


Die Öffnung bringt neue Ideen ins Land


Wie wir gesehen haben, haben mit der Öffnung des Landes nach außen zwangsläufig auch neues Gedankengut und neue Ideen den Weg nach China gefunden. Zugleich ist das Land aber auch stark daran interessiert, die eigene Kunst, Kultur und Sprache der Welt zu präsentieren. Konfuzius-Institute in vielen Ländern der Erde, weltweiter Studenten- und Schüleraustausch, Freundschaftsvereine, Partnerstädte – es gibt mittlerweile eine große Vielfalt gegenseitigen, weltweiten Austauschs. Dass sich dabei immer auch die Menschen direkt begegnen, miteinander in Kontakt treten, sich Ihre Gedanken vermitteln und gegenseitig voneinander lernen, ergibt sich dabei von selbst. Zu dieser Entwicklung gehört meines Erachtens auch die Öffnung für den Tourismus – nach innen und außen. Chinesische Reisende erobern heute die sehenswerten Plätze dieser Erde und Menschen aus aller Welt sind begeistert von der Schönheit Chinas und der Gastfreundschaft seiner Bewohner.


Auf kultureller Ebene findet man im heutigen China eine vor einigen Jahren noch unvorstellbare Blüte und Mannigfaltigkeit: Von der Pekingoper zum experimentellen Theater, vom traditionellen Volkslied über klassische chinesische und europäische Musik bis hin zu Techno und Rap ist im Musiksektor fast alles vertreten. Ähnlich bunt sieht es in der darstellenden Kunst oder im schriftstellerischen Bereich aus. Im Jahr 2009 war China als Ehrengast auf der Frankfurter Buchmesse vertreten. Ich selbst konnte damals mit meinem Roman „Im Zauber der weißen Schlange" einen kleinen Beitrag zum breit gefächerten Spektrum der chinesischen Bücherlandschaft leisten. Das Buch wurde vom Beijinger Fremdsprachenverlag FLTRP in einer deutsch-chinesischen und zwei Jahre danach in einer englisch-chinesischen Edition herausgegeben.


Chinas Westen holt auf


In den chinesischen Provinzen finden sich auch heute noch teilweise deutliche wirtschaftliche und soziale Ungleichheiten. Noch immer hebt sich der gut entwickelte und prosperierende Osten vom deutlich schwächer entwickelten Westen ab. Immer wieder aufflammende Einwände vor allem westlicher Medien, China würde seine ärmeren Provinzen zugunsten des reichen Ostens vernachlässigen, sind wenig differenziert und werden der Realität kaum gerecht. Den in der Entwicklung zurückliegenden Gebieten im Westen werden schon seit vielen Jahren Steuervergünstigungen und Entwicklungshilfe gewährt, damit diese die Chance nutzen, den Anschluss an die reicheren Provinzen im Osten zu halten und auszubauen. Bereits im Jahr 2007 wurde beispielsweise in Nordostchina das Mehrwertsteuersystem reformiert, um ausgeglichene regionale Einnahmen zu erreichen und die wirtschaftliche Entwicklung in den unterentwickelten Gebieten zu fördern.


In ähnlichem Maße reagiert die chinesische Regierung auf das Gefälle zwischen Stadt und Land: Der Staat unterstützt die Bauern beim Kauf von Landmaschinen oder bei der Beschaffung von hochwertigem Saatgut, das Bildungswesen im ländlichen Raum wird gefördert und entwickelt. Neben der kostenlosen Bildung gemäß der allgemeinen Schulpflicht in Städten und ländlichen Gebieten sind Kinder ärmerer Bauern vollständig von den Schulkosten befreit.


Ohne die wirtschaftliche Blüte in den erfolgreichen Regionen wäre die umfassende Entwicklung und Förderung der weniger entwickelten Gebiete, wie sie die chinesische Regierung heute praktiziert, gar nicht möglich. Es gibt nur wenige Länder der Erde, in denen die Staatsführung so große Anstrengungen unternimmt, Entwicklungsdifferenzen in den verschiedenen Sektoren zu nivellieren und soziale Ungerechtigkeiten auszugleichen, wie in China. Natürlich kann man nicht übersehen, dass es auch in China eine wachsende Kluft zwischen Arm und Reich gibt. Im Gegensatz zu westlichen Ländern sucht die chinesische Staatsregierung aber kontinuierlich nach Ideen und Konzepten zur Abmilderung der Widersprüche.


Einseitige westliche Berichterstattung


Einseitig sind oft Berichte in westlichen Medien, die sich mit der Menschenrechtslage in China befassen. Sicher, es gibt im heutigen China – wie in jedem anderen Land auch – noch Dinge, die der Verbesserung bedürfen. Die Situation im Land aber auf das Bild eines Staates zu reduzieren, der die Freiheitsrechte seiner Bürger nicht genügend respektiert, wie das in westlichen Medien immer wieder behauptet wird, ist ebenso ungerecht und unwahr, wie kränkend für China.


Über die offene Gesprächskultur habe ich bereits geschrieben. Besonders beeindruckt hat mich in diesen Zusammenhang der Ehrengastauftritt Chinas auf der Frankfurter Buchmesse in Jahr 2009. Ich habe damals an mehreren spannenden und lehrreichen Diskussionsrunden teilgenommen und so manches über die vielfältige Bücherlandschaft in China gelernt – auch dass in vielen zeitgenössischen chinesischen Publikationen an Sozial- und Gesellschaftskritik nicht gespart wird.


Von alledem hat die deutsche Öffentlichkeit offensichtlich nicht genug wahrgenommen. Jedenfalls wurde in deutschen Zeitungen kaum darüber berichtet. Es ist wohl so, dass unsere Medienvertreter es sich oft sehr einfach machen. Einer schreibt beim Anderen ab, anstatt sich selbst ein Bild vom tatsächlichen China zu machen. „Einmal sehen ist besser als hundert Mal hören“, sagt man in China. Ich kann dies nur bestätigen und jedem, der es sich zur Aufgabe macht, über China zu schreiben, den Rat geben, sich selbst einmal mit eigenen Augen von der Wirklichkeit im Land zu überzeugen.


Und in der Tat: Wer fordert, in einem so großen, multiethnischen Staatswesen von heute auf morgen alle Schranken fallen zu lassen, ist entweder naiv oder weltfremd. Dass der kontinuierliche Reformprozess von Verwaltung und Justiz die Menschenrechtslage ganz erheblich verbessert hat, ist ganz offensichtlich. Aus Gesprächen mit deutschen Professoren und Fachleuten weiß ich, dass auch Rechtsexperten aus Deutschland beratend an den chinesischen Reformen u. a. im Bereich der Justiz mitwirken und dass sogar Gedanken aus dem deutschen Rechtskodex Eingang in die chinesischen Reformvorhaben gefunden haben. Auch Freiburger Professoren waren beratend an der Kodifizierung und der Reform des chinesischen Rechtswesens beteiligt.


Gemeinsam gewinnen




Großes Feuerspektakel zur Eröffnung des APEC-Gipfels: Drachenboote auf dem Huangpu begrüßten am 20. Oktober 2001 das politische Großereignis.

 


Es sind längst nicht mehr nur die Chinesen, die von der erfolgreichen Reform- und Öffnungspolitik Deng Xiaopings profitieren. China hat sich während der vergangenen Jahre und Jahrzehnte zu einem der wichtigsten Motoren der Weltökonomie entwickelt. Während die Menschen in westlichen Ländern von ebenso preiswerten, wie hochwertigen Produkten profitieren, bietet sich China als einer der größten und profitabelsten Absatzmärkte der Welt an. China ist mittlerweile führend in vielen Bereichen der Hochtechnologie.


Ein Beispiel: Auf dem Dach meines Hauses ist eine Photovoltaikanlage aus chinesischer Produktion montiert. Für mich hatte die Entscheidung für einen starken, erfahrenen und verlässlichen Hersteller oberste Priorität bei der Auswahl der Solarmodule.

Ich denke, man kann auch das verantwortungsvolle Engagement Chinas im Zusammenhang mit der europäischen Finanzkrise nicht hoch genug schätzen. Hier hat sich einmal mehr gezeigt, wie wichtig die chinesische Partnerschaft und Freundschaft ist. Das hohe Maß an Wohlstand, das wir heute in unserer Welt genießen, wäre ohne die chinesische Wirtschaftskraft überhaupt nicht möglich.


Mit neuen Ideen und Initiativen reicht Chinas heutiger Staatspräsident allen Staaten die Hand zur Zusammenarbeit in einer Schicksalsgemeinschaft der Menschheit. Nur im harmonischen Miteinander aller Länder kann es gelingen, die großen politischen, wirtschaftlichen und ideologischen Themen dieser Tage zu bewältigen und neu geschaffene Gräben zu überbrücken.


Seidenstraßeninitiative als wertvoller Schritt für China und die Welt


Beeindruckendes Beispiel des chinesischen Strebens, die ganze Welt an der Entwicklung und dem großen ökonomischen Willen Chinas zu beteiligen, ist die Seidenstraßeninitiative, die Staatspräsident Xi Jinping entwickelt hat und die mittlerweile schon eine beachtliche Dynamik aufweist. Inzwischen sind mehr als 70 Staaten und internationale Organisationen aktiv am Aufbau der Seidenstraßeninitiative beteiligt. China hat bereits mit zahlreichen Ländern Vereinbarungen über eine Zusammenarbeit im Produktionssektor getroffen und viele Kooperationszonen in den Anrainerstaaten geschaffen.


Es ist beeindruckend, mit welcher Konsequenz und Tatkraft die chinesische Regierung diese groß angelegte Sache vorantreibt. Kein Zweifel, die Seidenstraße ist bereits im Begriff, neu zu erstehen. Ein wertvoller Schritt für China und die Welt.


Zum 40. Jahrestag der Einleitung der Öffnung und Reform Chinas durch Deng Xiaoping gratuliere ich sehr herzlich. Ich wünsche dem Land und seinen Menschen auch für die Zukunft nur das Beste und hoffe, dass die neuen, visionären Ideen des heutigen Staatspräsidenten Xi Jinping erfolgreich umgesetzt werden können – zum Wohle Chinas und der Welt.



* Der Autor Helmut Matt ist deutscher Schriftsteller und China-Wissenschaftler.

 

 

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