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Kommentar: Erwartungen an den BRICS-Gipfel 2019 in Brasilien

2019-10-28 09:18:00 Source:China heute Author:
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Von Evandro Menezes de Carvalho*

 

Das erste Jahrzehnt der BRICS geht in einem völlig anderen internationalen Umfeld zu Ende, als die Staatengruppe es in ihren Anfangsjahren kannte. Zu Beginn ihrer ersten Dekade hatten die BRICS-Staaten noch hohe Wachstumsraten zu verzeichnen und verfügten über größere politische und gesellschaftliche Stabilität. Die internationale Finanzkrise 2008, deren Epizentrum die USA waren, machte damals eine stärkere Beteiligung der Schwellenländer an der Kurssetzung der Weltwirtschaft nötig. Heute, zehn Jahre nach dem ersten BRICS-Gipfel, sehen sich die fünf Mitgliedsstaaten mit veränderten nationalen Gegebenheiten und einem wenig günstigen internationalen Umfeld konfrontiert.



Gruppenbild der Außenminister der BRICS-Staaten bei ihrem offiziellen Treffen am 26. Juli 2019 in Rio de Janeiro. 


Angesichts zunehmender protektionistischer Tendenzen steht die Weltwirtschaft dem Risiko einer neuen Krise gegenüber. In einem Bericht der Weltbank heißt es, dass sich das Weltwirtschaftswachstum wegen schwächelnden Handels und verringerter Investitionen 2019 voraussichtlich verlangsamen und nur noch 2,9 Prozent betragen wird. Die protektionistische und unilateralistische US-Außenpolitik unter Präsident Donald Trump, die dem Prinzip „America first“ folgt, gepaart mit den politischen Spannungen zwischen den USA und Russland sowie dem US-Handelskrieg gegen China, bringen noch mehr Unwägbarkeiten mit sich, nicht nur für die Zukunft der Weltwirtschaft, sondern auch für die gesamte internationale Ordnung. Was die inländischen Volkswirtschaften der BRICS-Staaten anbetrifft, halten nur China und Indien ein hohes BIP-Wachstum aufrecht, auch verglichen mit den entwickelten Volkswirtschaften. Außerdem sehen sich alle fünf BRICS-Staaten nationalen Problemen verschiedener Natur gegenüber. Was können wir also vor diesem Hintergrund vom anstehenden BRICS-Gipfel in Brasilien erwarten?

 

Der diesjährige Gipfel ist die erste große internationale Veranstaltung für den neu gewählten brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro, der im ersten Jahr seiner Amtszeit steht. Spekuliert wird deshalb über die Frage, wie das zukünftige Niveau des Engagements Brasiliens innerhalb des BRICS-Mechanismus aussehen wird, sprich: ob sich das südamerikanische Land in Zukunft noch aktiver in der Staatengruppe engagieren oder sein Engagement zurückschrauben wird. Einige Anzeichen der Außenpolitik der neuen brasilianischen Regierung rechtfertigen diese Frage. So statte Bolsonaro gleich in den ersten Monaten seiner Präsidentschaft den Vereinigten Staaten einen Staatsbesuch ab und bat dabei um die Unterstützung Trumps für Brasiliens Beitritt in die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), die als Club der Reichen gilt. Und kürzlich bezeichneten die USA Brasilien als bevorzugten militärischen Verbündeten außerhalb der NATO. Diese beiden Fakten lassen die Interpretation zu, dass sich Brasiliens außenpolitische Wahl eher am Westen als am Osten orientiert und mehr gen Atlantik denn gen Pazifik gerichtet ist.

 

Solche Schlussfolgerungen scheinen allerdings verfrüht. Laut Daten des brasilianischen Wirtschaftsministeriums betrug Brasiliens Handel mit den USA zwischen Januar und August 2019 39,7 Milliarden US-Dollar, während der bilaterale Handel mit China im gleichen Zeitraum 65,2 Milliarden US-Dollar erreichte. In der Handelsbilanz mit den USA hatte Brasilien außerdem ein Defizit von 351,5 Millionen US-Dollar zu verbuchen, im Handel mit China erwirtschaftete das südamerikanische Land hingegen einen Überschuss von 17,7 Milliarden US-Dollar. Die Diskrepanz ist groß.



In enger Abstimmung: Chinesische und einheimische Ingenieure arbeiten im Rahmen der zweiten Bauphase des brasilianischen Großwasserkraftprojekts Belo Monte Hydropower UHV Transmission Project” Hand in Hand. 


Unter den BRICS-Staaten erzielte Brasilien im Handel mit Südafrika einen Überschuss von 281,9 Millionen US-Dollar. Gegenüber Indien und Russland verbuchte das Land in seiner Außenhandelsbilanz ein Defizit von jeweils 805,5 Millionen bzw. 1,3 Milliarden US-Dollar. Das Gewicht des brasilianischen Handels mit China steht im Gegensatz zu den eher niedrigen  Handelsvolumina mit anderen BRICS-Staaten. Dieses Muster zeigt sich auch, wenn man einen Blick auf den Gesamtaußenhandel zwischen den BRICS-Staaten wirft: China ist hier insgesamt der wichtigste Handelspartner aller anderen Länder der Staatengruppe.

 

Brasilien exportiert seine Produkte hauptsächlich in die Pazifikregion. Da China Brasiliens wichtigster Handelspartner ist, ist es nur vernünftig anzunehmen, dass die brasilianische Regierung den politischen Plattformen des Dialogs und der Initiativen, die das Land in Verbindung mit China unterhält, gebührende Bedeutung beimessen sollte. In diesem Zusammenhang bildet der BRICS-Gipfel fraglos die entscheidende Plattform, nicht nur wegen seiner wirtschaftlichen Dimension, sondern auch hinsichtlich seiner strategischen Bedeutung. Und hierfür gibt es folgende Gründe:

 

Asien ist zu der Region mit den besten Zukunftsaussichten für die Weltwirtschaft gereift. Als Mitglied der BRICS, Mitgründer der Neuen Entwicklungsbank (NDB) und Gründungsmitglied der Asiatischen Infrastrukturinvestmentbank (AIIB) hat Brasilien auf dem asiatischen Kontinent eine Diplomatie entwickelt, die weit über den bilateralen Ansatz hinausgeht. Dies gibt Brasilien nicht nur die Möglichkeit, seinen Handel auszubauen, sondern auch sein diplomatisches und geschäftliches Know-how über die asiatischen Länder und ihre Geschäftskulturen zu erweitern, die für die Zukunft des Landes entscheidend sein könnten.

 

Darüber hinaus ist die AIIB ein Paradebeispiel für die Anziehungskraft Asiens. Die Investmentbank zählt unter anderem bereits Deutschland, Kanada, Belgien, Frankreich, Italien, Portugal, Spanien und Großbritannien zu seinen Mitgliedern. Einer der Hauptbeitrittsgründe für diese Staaten ist, dass die Bank Infrastrukturprojekte finanzieren wird, die sich auf die Seidenstraßeninitiative beziehen, welche Chinas Staatspräsident Xi Jinping im Jahr 2013 vorstellte. Die Seidenstraßeninitiative erreicht über Duisburg Deutschland und über Rotterdam die Niederlande und erstreckt sich letztlich über den gesamten europäischen Kontinent. Über den BRICS-Mechanismus könnte Brasilien zukünftig eine noch größere Rolle dabei spielen, die Vorteile dieser Initiative zu verstehen und ihre Chancen zu ergreifen.

 

Aus strategischer Sicht könnte Brasilien angesichts der von den USA entfesselten Handels- und Technologiestreitigkeiten mit China in Zukunft eine Rolle als Vermittler zwischen den beiden Ländern spielen, weil es als Mitglied der BRICS eine günstige Position besitzt.

 

Doch trotz der genannten Vorteile und Chancen wird Brasilien sein Engagement in bestimmten Bereichen der BRICS-Agenda wahrscheinlich verringern, insbesondere in politischen Bereichen mit Bezug auf die Reformen des Internationalen Währungsfonds, der Weltbank und vor allem der Vereinten Nationen. Wegen der heimischen Wirtschaftsflaute wird Brasilien dem ökonomischen Aspekt seiner Agenda und der Einweihung des regionalen Hauptquartiers der NDB in São Paulo Priorität geben.

 

An dieser Stelle ist auch zu erwähnen, dass die verschiedenen Sektoren der brasilianischen Gesellschaft, die von den Handelsbeziehungen mit China profitieren, Brasiliens Regierung unter einen gewissen Druck setzen, eine pragmatische und flexible Außenpolitik zu praktizieren und ideologische Voreingenommenheiten, die die Logik des Kalten Krieges zugunsten der USA und zum Nachteil der Beziehungen zu China bzw. den anderen BRICS-Staaten wiederherstellen, aufzugeben.

 

In einem Interview mit BBC News Brazil wurde der Ökonom Jim O'Neill, der Schöpfer des BRICS-Begriffs, gefragt, ob es sich um eine kluge Strategie für Brasilien handele, sich für eine Allianz mit den USA zu entscheiden, anstatt die Beziehungen zu China zu vertiefen. O'Neills Antwort fiel eindeutig negativ aus. Er sagte: „Wenn ein Land wirklich vor die Wahl gestellt würde, wäre es aus ökonomischer Sicht für viele sicherlich verrückt, sich nicht für China zu entscheiden, und ich denke, das gilt auch für Brasilien."  

 

Die genannten Handelszahlen scheinen Jim O'Neill Recht zu geben. Doch letztlich stellt sich nicht die Frage der Wahl zwischen China und den USA, BRICS oder OECD, sondern die Frage, ob es gelingt, eine kohärente Außenpolitik zur Verteidigung des Multilateralismus und zum Wohlergehen der Bevölkerung zu gestalten.

 

Im Jahr 2019, dem Jahr, in dem die BRICS in ihre zweite Dekade gehen, ist es ohne Frage ein Beweis guter Außenpolitik, dieser Staatengruppe besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Und gute Außenpolitik setzt auf Dialog, verzichtet auf den Einsatz von Gewalt als Verhandlungsinstrument, respektiert Unterschiede und fördert allen voran die Entwicklung der Völker der Welt.

 

*Der Autor Evandro Menezes de Carvalho ist Chefredakteur der portugiesischen Ausgabe von „China Today“, Professor für Völkerrecht und Leiter des Center for Brazil-China Studies an der Law School der Getulio-Vargas-Stiftung (FGV) in Rio de Janeiro.

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