Gao Shiqing aus Beijing besucht derzeit die zehnte Klasse der Mittelschule. Einen Namen hat er sich als einer von Chinas jungen Leopardensuchern gemacht. Für viele Gleichaltrige hat der junge Artenschützer eine Vorbildfunktion. Seine Leidenschaft für die Wildkatzen entdeckte der Jugendliche bereits vor sechs Jahren. Seither prägt die Passion sein Leben maßgeblich.
Mit Technik und Kennerblick: Zehntklässler Gao Shiqing auf den Spuren der Wildleoparden in den Bergregionen rund um Beijing
Nur die wenigsten wissen, dass es vor den Toren der chinesischen Hauptstadt einst wilde Leoparden gab, genauer gesagt den Nordchinesischen Leoparden. Die Tierart war ursprünglich in den Bergregionen westlich und nördlich von Beijing beheimatet. Doch um das Jahr 2005 verschwanden die Tiere aufgrund der Zerstörung ihres natürlichen Habitats, womit Beijing um einen tierischen Star ärmer wurde. Seit 2017 hat es sich die Chinese Felid Conservation Alliance (CFCA), die Chinesische Allianz zum Schutz von Raubkatzen, zur Aufgabe gemacht, die Biodiversität in den Bergen Nordchinas zu bewerten. Ihr Ziel ist es, die Leopardenpopulation hier wiederherzustellen. Wiederherstellung bedeutet dabei allerdings nicht, dass hier einfach Leoparden wieder ausgesetzt würden. Vielmehr geht es den Umweltschützern darum, die Nahrungskette in der Region zu evaluieren, die Kontinuität der ökologischen Korridore im Taihang-Gebirge sicherzustellen und Jagdaktivitäten durch den Menschen zu unterbinden, damit die Tierart auf natürliche Weise in ihren ursprünglichen Lebensraum zurückkehren kann.
Gao Shiqing stieß im zarten Alter von neun Jahren, also 2018, als Freiwilliger zur CFCA. Über die Jahre beteiligte er sich aktiv an der Suche nach Wildleoparden sowie der Auslotung von Möglichkeiten zur Rückkehr der Tiere und zur Wiederherstellung ihres Lebensraums. Mit Erfolg? Sind die Leoparden tatsächlich nach Beijing zurückgekehrt? Bevor Gao uns diese Frage beantwortet, erklärt er zunächst, wo die nächsten Leoparden in der Nähe der Hauptstadt aktuell überhaupt zu finden sind.
Schwindender Abstand: Von 400 auf 300, dann auf 200 Kilometer
2016 sichteten Einwohner der Gemeinde Mafang in Shanxi, genauer gesagt im Kreis Heshun, etwa 400 Kilometer von Beijing entfernt, eine Gruppe von etwa 40 wildlebenden Leoparden. Es war damals die nächstgelegene wilde Leopardenpopulation in der Umgebung der Hauptstadt. Vier Jahre später, im Jahr 2020, wies Gaos Team im Nationalen Naturreservat Tuoliang im nordchinesischen Hebei die Existenz eines Leoparden nach. Damit war die Distanz zur Metropole Beijing auf 300 Kilometer geschrumpft. Die Entdeckung, die während der 15. Konferenz der Vertragsparteien des Übereinkommens über die biologische Vielfalt (COP15) bekanntgegeben wurde, war eine kleine Sensation. Schüler Gao rückte mit einem Mal in den Fokus der medialen Öffentlichkeit, die ihm den Spitznamen „Chinas junger Leopardenspäher“ gab. Der jüngste Erfolg folgte dann 2023, als ein Leopard in der Gemeinde Chengnanzhuang in Baoding, ebenfalls Provinz Hebei, gesichtet wurde – nur noch 200 Kilometer vor den Türen der Hauptstadt.
„Von 400 auf 300 und dann auf 200 Kilometer – man hört fast schon die Schritte der Leoparden, die sich Beijing wieder nähern“, sagt Gao begeistert und seine Augen glänzen. „In den Bergen rund um Beijing lassen sich aber leider immer noch keine Spuren der Tierart finden“, räumt er ein. 2024 habe er sich auf eine Suchexpedition durch das Taihang- und das Yanshan-Gebirge im Beijinger Umland begeben, leider erfolglos, wie der Heranwachsende sagt, der sich gleichzeitig als Jugendumweltbotschafter für die All-China Environment Federation (ACEF) engagiert, also den chinesischen Umweltverband.
Überraschende Beobachtungen
Die Arbeit des Zehntklässlers beschränkt sich dabei längst nicht nur auf das Aufspüren von Leoparden. Sie umfasst auch eingehende Untersuchungen darüber, ob das Taihang-Gebirge und die Bergwälder Beijings derzeit für die Tierart überhaupt lebenswert sind und ob die Nahrungskette intakt ist. Dazu haben die Umweltschützer eigens Infrarotkameras in den Bergen vor der Hauptstadt installiert. Die Kameras werden in regelmäßigen Abständen eingesammelt, um die Aktivitätshäufigkeit der Leoparden zu berechnen. Gaos Team hat zwei Beobachtungsstandorte ausgewählt: einen in der Nähe der Schlucht des Baihe-Flusses im Bezirk Yanqing und einen weiteren in den Bergregionen der Gemeinde Changshaoying im Bezirk Huairou. „Der erste liegt nahe an hohen Bergen und einem großen Fluss und zeichnet sich durch seine vertikale ökologische Vielfalt entlang des Gebirges aus. Der zweite Spot befindet sich in einem Mischwald aus Nadel- und Laubbäumen und besitzt somit eine horizontale ökologische Vielfalt aus Berg- und Grasland“, erklärt der junge Naturschützer in einem Vortrag an der Keystone Academy in Beijing. „Die beiden Standorte ergänzen einander und können deswegen umfassende Informationen liefern“, fährt er fort.
Der erste Beobachtungspunkt bilde ein ursprüngliches natürliches Habitat der Leopardenkatzen. Ihr Kot habe sich hier einst überall auf den umliegenden Hügeln finden lassen, was laut Gao auf eine blühende Population hindeutete. Mithilfe der Mustererkennung von Infrarotkameraaufnahmen fand Gaos Team heraus, dass hier heute auf einer Fläche von 1000 Quadratkilometern wieder etwa 20 Leoparden leben. „In den letzten Jahren waren die Lebensbedingungen für die Raubkatzen in den nördlichen Bergen Beijings außergewöhnlich gut, weshalb wir die Tiere häufig mit der Kamera einfangen konnten. Noch vor einem Jahrzehnt war es dagegen eine Seltenheit, auch nur einen einzigen Leoparden hier zu sichten“, sagt Gao. „Bemerkenswert ist auch die große Zahl anderer Tierarten, die auf dem kleinen Hügel in der Nähe des ersten Beobachtungsstandortes gesichtet wurden. Dies spiegelt die große Artenvielfalt der Region wider.“
Gaos zweiter Beobachtungspunkt liegt am einzigen Ort am Rande der Millionenmetropole, der noch als urwüchsiger Wald bezeichnet werden kann. Der hiesige Nadel- und Laubmischwald bildet einen markanten Kontrast zu den monotonen, oft künstlich angelegten Wäldern von heute. Hier wachsen große Eichenbestände aus der Familie der Buchengewächse. Im Gegensatz zu vielen anderen Baumarten sind Eichenblätter nicht von einer Wachsschicht überzogen, was ihren natürlichen Zersetzungsprozess deutlich beschleunigt. Im Herbst tragen die Bäume zudem Eicheln, die für viele Tieren in den nordchinesischen Wäldern eine ideale Nahrung darstellen. Laut Gao habe man hier viele mittelgroße Wildtiere fotografieren können. So etwa Dachse, die in der Regel etwa zehn Kilogramm auf die Waage brächten, sowie Rehe, die etwa 30 Kilogramm wögen. Aber auch größere Arten wie Gorale (etwa 50 Kilogramm) und ausgewachsene Wildschweine (meist über 100 Kilogramm) gebe es. Die wachsende Zahl dieser Wildtiere sei sehr ermutigend, weil sie eine reiche Nahrungsquelle für die Leoparden darstelle, erklärt der Mittelschüler.
Eine besonders erfreuliche Entdeckung sei, dass hier erstmals auch Rotfüchse nachgewiesen worden seien. Die mittelgroßen Raubtiere seien schon seit mehr als zwei Jahrzehnten nicht mehr in Beijings Umland gesichtet worden, so Gao. „Vor drei Jahren dann hat man die Tierart im Lingshan-Gebirge westlich von Beijing fotografiert, und jetzt auch in den nördlichen Bergen von Huairou, wahrscheinlich zum ersten Mal in dieser Region“, sagt der Zehntklässler. Obwohl die Rückkehr großer Raubtiere nach Beijing noch in weiter Ferne liege, sei die Rückkehr von Rotfüchsen wirklich eine Überraschung. Allerdings räumt der junge Umweltbeobachter auch ein, dass es noch unklar sei, ob es sich dabei um Nachkommen einer verbliebenen Population aus Beijing handle oder ob die Füchse aus der Nachbarprovinz Hebei eingewandert seien. „In den letzten sechs Jahren habe ich den Eindruck gewonnen, dass die Nahrungskette der Leoparden in den Bergregionen Beijings allmählich vielfältiger geworden ist. Aber in Bezug auf Anzahl und Kontinuität gilt es noch abzuwarten“, zeigt sich der junge Naturschützer zurückhaltend.
„Junger Umweltbotschafter“: Li Ruidong, stellvertretender Generalsekretär des Allchinesischen Umweltverbands, überreicht Gao Shiqing seine Urkunde.
Ein Mittel zum Zweck
Nach sechs Jahren sind die Leoparden also noch immer nicht nach Beijing zurückgekehrt. Für Gao allerdings kein Grund, die Flinte ins Korn zu werfen. „Niemand weiß letztlich, wann die Tiere zurückkehren werden. Schließlich sind die Wege der Natur oft unergründlich. Am Ende könnten die Tiere auf einem Weg vorstoßen, an den wir heute noch gar nicht denken.“
Für Gao Shiqing ist die Suche nach den Leoparden ohnehin nicht das ultimative Ziel. Sie sei vielmehr Mittel zum Zweck, erklärt er. „Es kommt nicht darauf an, wann die Tiere zurückkehren, sondern was wir tun, um unsere Ökosysteme zu schützen. Alles, was wir tun können, ist, einen kohlenstoffarmen Lebensstil zu führen, die Ökosysteme wiederherzustellen, den Weg für die Rückkehr der Raubkatzen zu ebnen und geduldig zu warten“, sagt er.
Der junge Umweltschützer zeigt sich davon überzeugt, dass Ökosysteme mit einer großen biologischen Vielfalt die wertvollsten Verbündeten der Menschheit im Kampf gegen die Klimakrise seien. „Durch den Schutz und die Wiederherstellung dieser Ökosysteme schützen wir nicht nur eine Vielzahl von Arten, sondern erschließen auch das Potenzial der Natur, Kohlenstoff zu binden und zu speichern, womit wir die Widerstandsfähigkeit der Ökosysteme unseres Planeten stärken“, sagt er. „Unser Aktionsplan zielt darauf ab, diese Synergien zu fördern, die Erhaltung der biologischen Vielfalt zu unterstützen und die Folgen des Klimawandels abzumildern.“
Mit eindringlichen Worten richtet Gao einen Appell an alle: „Angesichts des Klimawandels, der Tiere, die ihren Lebensraum verlassen müssen, und der vom Aussterben bedrohten Arten müssen wir aktiv handeln, und das heute!“