Im Shop des berühmten Palastmuseums in Beijing, dem ehemaligen Kaiserpalast Chinas, rangieren Souvenirs aus recycelten Materialien ganz oben unter den Verkaufsschlagern. Besonders beliebt: eine Handytasche mit Drachenmotiv, die bereits während des China-Afrika-Kooperationsforums im vergangenen Jahr auf Weibo, dem chinesischen Pendant zu X, viral ging. Viele Ausländer und Fashion-Influencer zeigten sich damals begeistert: Täuschendechtes Leder-Feeling – und das aus Apfelschalen? Verblüffend!
Woher die Idee?
„Das vergangene Jahr stand in China im Tierkreiszeichen des Drachen, ein Fabeltier mit einzigartigem Symbolcharakter in der chinesischen Kultur. Passend zum Tierkreiszeichenjahr haben wir uns dafür entschieden, ein Drachenmotiv aus den Ausstellungsstücken des Palastmuseums für unser Design auszuwählen“, erklärt uns Liu Xuesong, Gründerin des Start-up BOTTLOOP, das die Tasche im Auftrag des Palastmuseums entworfen hat. Letztlich ließ sich das Unternehmen von einer antiken Vase inspirieren, auf der ein rot-goldener Drache durch die Lüfte gleitet.
Drache auf Apfelschale: Diese Handytasche verbindet traditionelle Kultur mit Umweltschutz.
„Die Vase, die uns als Vorlage diente, ist ein künstlerisches Meisterwerk. Die einzigartige Form des Drachens auf dem Porzellan spiegelt das technische Können und die Ästhetik der Regierungszeit von Kaiser Kangxi (1661-1722)“, erklärt uns die Unternehmensgründerin. „Mit dem Kauf des von uns designten Souvenirs nehmen Besucher etwas von der kulturellen Essenz des Palastmuseums und der Kraft des Drachens mit nach Hause.“
Wie der englische Name schon andeutet, steht Lius Unternehmen für den Recyclingkreislauf von Flaschen. Die chinesische Version des Firmennamens 抱朴再生 ist dem Daodejing des Philosophen Laozi entlehnt und bedeutet „Einfachheit umarmen“. Und diese Idee formt das Herzstück des Unternehmens: ein umweltfreundlicher Lebensstil, der zu den Ursprüngen zurückkehrt, sich der Einfachheit verschreibt und nach kontinuierlicher Weiterentwicklung strebt.
Liu hat in den 1990er Jahren Soziologie in Japan studiert. Nach dem Masterabschluss arbeitete sie 15 Jahre lang in der japanischen Mode- und Lifestyle-Branche. Danach kehrte sie in die Heimat zurück und heuerte bei INCOM Recycle an, einem in Beijing ansässigen Unternehmen, das auf den Bau und Betrieb intelligenter Recyclinganlagen spezialisiert ist. Dessen Werk zur Rückgewinnung von lebensmitteltauglichen PET-Rezyklaten verarbeitet jährlich rund 50.000 Tonnen Plastikflaschen. Umgerechnet spart das rund zehneinhalb Tonnen Kohlendioxid-Emissionen pro Jahr. Liu widmete sich also über zehn Jahre dem Recycling von Kunststoffabfällen, einer besonders herausfordernden Branche. 2019 gründete die Idealistin dann mit Unterstützung ihres Arbeitgebers BOTTLOOP. Seither wirkt sie darauf hin, chinesische Umweltschutzphilosophie mit populärer Jugendkultur zu verbinden.
Die Einbindung kultureller Elemente sieht Liu als Schlüssel für die Entwicklung ihres Unternehmens: „Wir müssen in unserer traditionellen Kultur Wurzeln schlagen. Je tiefer wir verwurzelt sind, desto mehr Quellen können wir anzapfen, die uns nähren“, betont die Gründerin. „Gleichzeitig ist es essentiell, disruptive Innovationen hervorzubringen, durch Technologie und moderne Ästhetik einen neuen Lifestyle zu kreieren, der bei der jungen Generation einen Nerv trifft.“
Die Handytasche aus veganem Leder ist genau aus dieser Idee heraus entstanden. Sie besteht aus einem biobasierten Material, das aus Trester, festen Fruchtrückständen aus der Saftherstellung und Abfällen aus der kandierten Fruchtindustrie gewonnen wird. „Ein innovativer Ersatz für tierisches Leder“, schwärmt Liu. Die Erfolgsrezeptur ist einfach: Schalen und Fruchtfleischreste, die bei der Apfelsaftherstellung anfallen, werden zu Zellstoff verarbeitet, der dann mit organischen Lösungsmitteln und Polyurethan gemischt und auf Textilien aufgebracht wird. Das Ergebnis sind lederähnliche Materialien, bekannt auch als veganes Leder.
„Leder aus Apfelschalen ist tierischem Leder in vielerlei Hinsicht ähnlich“, erklärt Liu. Der eigentliche Clou aber sei: „Der gesamte Produktionsprozess ist umweltfreundlich und es kommen keine Tiere zu Schaden.“ Der Gerbprozess von tierischem Leder schädige die Umwelt, während Kunstleder wiederum, das zu 100 Prozent aus Kunststoff bestehe, nur schwer natürlich abbaubar sei und dadurch ebenfalls Umweltschäden anrichte. „Pflanzenleder hingegen ist eine clevere Lösung, da es nicht nur eine ähnliche Struktur, Farbe und Haptik wie tierisches Leder aufweist, sondern bei der Herstellung auch deutlich weniger Abwasser und Abgase freisetzt. Unter bestimmten Bedingungen kann es sich zudem auf natürliche Weise zersetzen, was die Umweltbelastung deutlich reduziert“, so Liu weiter.
„In der chinesischen Kultur gibt es die Prinzipien der Harmonie zwischen Himmel und Mensch und des Lebens im Einklang mit den Gesetzen der Natur, beides einzigartige fernöstliche Weisheiten. Am Ende der westlichen industriellen Revolution sollten wir uns daher fragen, wie der Mensch auf der Erde leben und wie sich die menschliche Gesellschaft weiterentwickeln sollte. In der fernöstlichen Philosophie lassen sich hier wertvolle Antworten und Anregungen finden“, ist die Umweltschützerin überzeugt.
„Zero-Waste-Museum“
Seit 2023 ist BOTTLOOP Partner der Initiative „Zero-Waste-Museum“, die vom Palastmuseum und der gemeinnützigen Spendenorganisation Vanke Foundation ins Leben gerufen wurde. Die Vision: die Deponierung und Verbrennung von Abfall auf nahezu Null zu reduzieren. Im Rahmen dieses Projekts hat das Palastmuseum gemeinsam mit seinen Partnern damit begonnen, innovative Lösungen zur Abfallvermeidung auszuloten.
Mittlerweile bietet die Verbotene Stadt immer mehr umweltfreundliche Souvenirs an, die den Gedanken der CO2-Reduzierung, der Erneuerbarkeit und des Recyclings folgen. Neben Apfelschalen-Handytaschen sind hier auch Armbänder aus fermentierten Blättern sowie Augenmasken, Regencapes, UV-Schutzkleidung, Handtaschen, Schals und vieles mehr aus recycelten Plastikflaschen aus der Verbotenen Stadt zu finden. „Diese Merchandising-Artikel führen den Menschen ganz plastisch vor Augen, dass sich selbst aus Müll modische Artikel mit chinesischer Note herstellen lassen. Mit dem Kauf trägt man dazu bei, Kohlenstoffemissionen und Plastikverbrauch zu senken und ein umweltfreundliches Leben zu führen“, sagt Liu.
Blick hinter die Kulissen: Hier in der BOTTLOOP-Recyclingwerkstatt werden auch lebensmitteltaugliche Produkte hergestellt.
„Jede vegane Handytasche aus Apfelschale reduziert den Kohlenstoffausstoß um 78 Gramm“, erklärt Liu. Im Rahmen des Zero-Waste-Programms der Verbotenen Stadt verwenden die Designer Etiketten, um Verbraucher für den Umweltschutz zu sensibilisieren. Ein weiteres Beispiel aus der Zero-Waste-Produktpalette sind die ebenfalls hier erhältlichen Handtaschen mit dem Motiv eines glücklichen Fabeltiers. Sie sind aus Seide gefertigt, die aus genau acht PET-Plastikflaschen gewonnen wird. Die Idee des Null-Abfall-Projekts ist zudem deutlich auf der Tasche zu lesen. So wissen die Verbraucher, dass der Müll, den sie ordnungsgemäß getrennt und im Palastmuseum entsorgt haben, sich in derart elegante und innovative Produkte verwandeln lässt. Das soll zu einem grünen Lifestyle im Alltag motivieren. Nach Angaben der Website des Palastmuseums wurden allein zwischen Juni 2021 und Januar 2024 rund 60.000 Plastikflaschen in umweltfreundliche Mitbringsel umgewandelt, was 1,72 Tonnen CO2-Äquivalente eingespart hat.
Nachhaltiger Lebensstil mit Coolnessfaktor
Um mehr junge Menschen für einen nachhaltigen Lebensstil zu gewinnen, müsse man vor allem auf das Bedürfnis der Jugend nach sozialer Interaktion eingehen, meint Liu. 2018 hat Lius Team daher erstmals ein T-Shirt aus acht Getränkeflaschen mit aufgedrucktem QR-Code hergestellt. Wer diesen scannt, kann online die eingesparten CO₂-Emissionen im Vergleich zu petrochemischen Rohstoffen einsehen – ein eindrucksvoller Beleg dafür, wie dieses Produkt direkt zum Klimaschutz beiträgt. „Viele junge Leute teilen das gerne miteinander, motivieren sich gegenseitig und fühlen sich dabei richtig gut“, berichtet die Gründerin. „Für die Jugend hat es einen echten Coolnessfaktor, sich für einen nachhaltigen Lebensstil einzusetzen.“
Während der Fußball-Weltmeisterschaft 2018 in Russland lud der Veranstalter 450 Freiwillige ein, das Öko-T-Shirt zu tragen, um der Vision einer grünen WM mehr Sichtbarkeit zu verschaffen. 2019 setzte sich das Team um Liu während des UN-Jugendklimagipfels auf den Straßen New Yorks in Szene – auch diesmal umweltfreundlich mit T-Shirts und Taschen aus recycelten Flaschen. Die Aktion erntete große Anerkennung unter dortigen Trendsettern.
Die Begeisterung für den Umweltschutz begründet die Unternehmerin, selbst Mutter, so: „Die Erde ist nicht etwas, das wir von unseren Vorfahren geerbt haben, sondern etwas, das wir von unseren Kindern geliehen haben. Um unsere Liebe zu unseren Kindern zu zeigen, sollten wir ihnen nicht nur das Beste an materiellen Gütern und Bildung bieten, sondern ihnen auch einen schönen Planeten und eine nachhaltige Umwelt hinterlassen.“