Grünes China: Mensch und Natur im Gleichgewicht

Im August 2024 veröffentlichte China ein eigenes Positionspapier mit Blick auf die Beschleunigung der umfassenden grünen Transformation der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung. Es war das erste Mal, dass die Zentralregierung einen derart umfassenden Plan zum Thema vorlegte. Auf den diesjährigen „Zwei Tagungen“ dem Nationalen Volkskongress (NVK) und der Politischen Konsultativkonferenz des chinesischen Volkes (PKKCV)kündigte die Regierung zudem an, man wolle in koordinierter Weise die Kohlenstoffemissionen im Land senken, die Umweltverschmutzung weiter gezielt eindämmen, die grüne Entwicklung zusätzlich ausweiten und das Wachstum der Wirtschaft sowie die Beschleunigung der umfassenden grünen Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft fördern. All diese Punkte fanden entsprechend Eingang in den aktuellen Regierungsbericht für das Jahr 2025. Der Fahrplan für die umfassende grüne Transformation nimmt damit mehr und mehr Gestalt an.

Wir haben für „Dialog China-Deutschland“ am Rande des jährlichen Politgipfels in der Hauptstadt mit Mitgliedern der PKKCV über das Thema gesprochen. Viele bestätigten uns, dass sich Chinas Ökosysteme durch die kontinuierlichen Anstrengungen zur Schaffung einer ökologischen Zivilisation in den letzten Jahren grundlegend verbessert hätten. Der hochgradige Schutz der Ökosysteme sei zu einer wichtigen Stütze für die qualitätsvolle Entwicklung der chinesischen Wirtschaft und Gesellschaft gereift.


Vor Ort: Im August 2024 inspiziert Huang Miansong (links) ein Projekt zur Stärkung der umfassenden Prävention und Kontrolle der Wüstenbildung. (Foto mit freundlicher Genehmigung des Interviewten)

Aus Grün wird Gold

Im Rahmen der „Zwei Tagungen“ präsentierte Chinas Umweltminister Huang Runqiu den anwesenden Medienvertretern zwei Filtermembranen einer Luftüberwachungsanlage der Hauptstadt. Einer der Aufsätze vom PM2,5-Feinstaub gräulich-schwarz gefärbtstammte aus dem Jahr 2015, der andere aus dem Jahr 2024er war hellgrau bis weiß. Die Schwarz-Weiß-Transformation der Filtermembranen in den letzten zehn Jahren ist ein anschauliches Beispiel für Chinas bemerkenswerte Erfolge beim Umweltschutz. 

In den Augen von Huang Miansong, PKKCV-Mitglied und Generaldirektor der Abteilung für intelligenten Umweltschutz der Capital Eco-Pro Group, bedeutet die nachhaltige Verbesserung der Ökosysteme nicht nur, dass die Menschen frei atmen können. „Die Verbesserungen sorgen auch dafür, dass die Umweltschutzbranche floriert und die Menschen so am Ende mehr im Geldbeutel haben. Kurzum: Umweltschutz bringt den Menschen Zuversicht“, sagt das PKKCV-Mitglied.

„Meine Heimat liegt im nordwestchinesischen Autonomen Gebiet Ningxia, wo ich viele Jahre im Wassermanagement gearbeitet und die einschneidenden Veränderungen so hautnah miterlebt habe“, erzählt uns Huang. Als Beispiel nennt er den Fluss Qingshui, dessen Name auf Deutsch „klares Wasser“ bedeutet. Es handelt sich um die Lebensader der Stadt Guyuan. In der Vergangenheit habe der Fluss seinem Namen allerdings keine große Ehre gemacht. Durch direkte Abwassereinleitung habe sich das Wasser entlang der Ufer schwarz verfärbt. Überall habe es übel gerochen, erinnert sich Huang. Heute, dank Jahren konsequenter Umweltarbeit, wird der Qingshui seinem Namen nun endlich doch gerecht. Dank der allgemeinen Verbesserung der Ökosysteme wurde Guyuan gar auf der 16. UN-Konferenz über die biologische Vielfalt (COP16) 2024 mit dem Titel „Naturstadt“ geehrt.

In ihrem diesjährigen Tätigkeitsbericht hat Chinas Regierung angekündigt, den Kompensationsmechanismus für den Schutz von Ökosystemen sowie den Mechanismus zur Realisierung des Wertes ökologischer Güter weiter zu vervollständigen. So will man den gestiegenen Erwartungen der Bevölkerung an eine gute Umwelt kontinuierlich gerecht werden.

Wie genau aber lässt sich der Wert der ökologischen Güter des Landes realisieren, wie lassen sich die Erwartungen der Bevölkerung besser erfüllen? Auch hier kann Huang aus eigener Erfahrung berichten. Guyuan habe seine ökologischen Vorzüge gut genutzt, um im großen Stil Agrarerzeugnisse wie Pilze und einige kälteliebende Gemüsesorten anzubauen, die heute unter anderem in das Großbuchtgebiet Guangdong-Hongkong-Macao exportiert würden. Darüber hinaus hätten Landwirte am östlichen Fuß des Helan-Gebirges begonnen, Wein anzubauen. Die örtlichen Voraussetzungen hierfür seien nämlich ausgesprochen gut, so das PKKCV-Mitglied. Durch den Anbau hätten sich fast 270.000 Hektar Wüste in Grünland und Weinberge verwandelt. Die Anbauflächen, auf denen heute Wein sprieße, machten knapp 40 Prozent der Anbauflächen des ganzen Landes aus. Die Weinindustrie habe sich damit zur ersten unter den sechs Industrien mit lokalen Besonderheiten Ningxias entwickelt. „Dank neuer lokaler Branchen wie dieser haben fast 130.000 Öko-Migranten, die zuvor in unwirtlichen Gegenden gelebt haben, den Sprung aus der Armut geschafft, ja gar bescheidenen Wohlstand erreicht“, sagt Huang. „Das ist eine Win-win-Situation für den Umweltschutz und die industrielle Entwicklung.“

Ihm zufolge erreichte die Zahl der Beschäftigten in Chinas Umweltschutz-Branche bis Ende 2024 über 3,4 Millionen, während der Betriebsertrag zwei Billionen Yuan überstieg, was einer Vervierfachung im Vergleich zu vor gut einem Jahrzehnt entspricht. Damit ist die Branche zu einem wichtigen Träger der grünen Produktivität avanciert.

Grün bringt vorwärts

Obwohl der Frühling gerade erst sachte seine Fühler ausstreckt, herrscht im Hafen von Rizhao an der Küste des Gelben Meeres bereits reges Treiben wie in der Hochsaison. Gerade hat ein Kohlefrachter am Liegeplatz angelegt. Zehntausend Tonnen Kohle werden über ein ausgeklügeltes Abfertigungssystem vom Lager zum automatisierten Schiffsbelader transportiert, von wo aus sie zielsicher und effizient in den Laderaum des Schiffes gelangen.

Wir befinden uns im jüngsten Hafen der Welt mit einer Kapazität von 500 Millionen Tonnen, dessen jährlicher Frachtumschlag an siebter Stelle weltweit rangiert. Was nach einer Erfolgsgeschichte klingt, war nicht immer eine. Einst stand der Port vor einem Dilemma: entweder das alte Entwicklungsmodell mit hohem Energieverbrauch und hoher Umweltverschmutzung fortführen oder auf einen grünen, kohlenstoffarmen Ansatz umschwenken.

Im Februar dieses Jahres, als die „Zwei Tagungen“ näher rückten, inspizierte Bai Wenhui, PKKCV-Mitglied und Vorstandsvorsitzender der Firma Shandong Huaxin Industry, den Hafen, um vor Ort Nachforschungen anzustellen. „Mein Hauptaugenmerk lag auf den Fortschritten beim Aufbau eines intelligenten und umweltfreundlichen Hafens“, erzählt er uns. Der Hafen von Rizhao sei der globale Knotenpunkt für die Versorgung unter anderem mit Massenrohstoffen, Energie und Lebensmitteln, sagt Bai, wobei trockene Massengüter wie Kohle und Eisenerz die Hälfte des Hafenumschlags ausmachten. Im herkömmlichen Hafenbetrieb würden Trockenmassengüter mit Frachtschiffen zum Hafen transportiert, dort mithilfe von Portalkränen und ähnlichem Gerät entladen, bevor sie auf der Straße zum Hinterhof transportiert würden. Dies ginge allerdings mit erheblicher Umweltverschmutzung wie Staub und Auspuffemissionen einher.

Wie aber das Dilemma lösen? „Grüne Transformation und gezielte Modernisierung stellen die grundlegende Lösung zur Förderung einer nachhaltigen Entwicklung des Hafens von Rizhao dar“, sagt Bai. In den letzten Jahren habe sich der Hafen darauf konzentriert, die traditionelle industrielle Entwicklung durch wissenschaftliche und technologische Innovationen zu stärken. In diesem Zusammenhang habe man kontinuierliche Anstrengungen in den Bereichen digitale Produktion, kohlenstoffarme Energienutzung, Umweltfreundlichkeit sowie saubere Sammlung und Verteilung sowie sauberer Transport unternommen – mit großem Erfolg.

Am 27. Dezember 2024 wurde die erste Bauphase des landesweit ersten intelligenten grünen Demonstrationshafens für Trockenmassengut im Hafen von Rizhao abgeschlossen und in Betrieb genommen. Das Projekt leistete Pionierarbeit mit einem System, das für alle Ladungskategorien anwendbar, in allen Prozessen interoperabel und in allen Schritten intelligent ist. Es sorgt nicht nur für mehr Be- und Entladeeffizienz, sondern reduziert auch die Schadstoffemissionen erheblich, was einen neuen, replizierbaren und förderungswürdigen Lösungsansatz zur intelligenten und grünen Umgestaltung von Trockenmassenguthäfen geschaffen hat.


Intelligente und grüne Transformation: Bai Wenhui (Zweiter von rechts) bei einem Besuch des Hafen Rizhao im Februar 2025. (Foto mit freundlicher Genehmigung des Interviewten)

Modell zur Kohlenstoffreduzierung

In diesem Jahr jährt sich die Einführung von Chinas dualen Kohlenstoffzielen (CO₂-Emissions-Höhepunkt bis 2030 und Kohlenstoffneutralität ab 2060) zum fünften Mal. Am 15. November 2024 stellte Wen Hua, stellvertretender Direktor der Abteilung für Umwelt und Ressourcen der Staatlichen Kommission für Entwicklung und Reform, während der COP29-Konferenz die Bilanz von Chinas Arbeit im Hinblick auf die Erreichung dieser Ziele vor. Und die kann sich sehen lassen: China hat mittlerweile das weltweit größte und vollständigste Industriesystem für neue Energien aufgebaut. Es gelang zudem, die Kosten für Solarstromerzeugung um 80 Prozent zu senken. Aus China exportierter Wind- und Solarstrom sowie entsprechende Produkte haben allein im Jahr 2023 anderen Ländern dabei geholfen, ihre Kohlenstoffemissionen um 810 Millionen Tonnen zu reduzieren. Die Liste der Erfolge ließe sich noch fortsetzen.

Aber werden sich Chinas duale Kohlenstoffziele auch wie geplant erreichen lassen? Shi Bi, Mitglied des Ständigen Ausschusses der PKKCV sowie der Chinesischen Akademie der Ingenieurwissenschaften, ist zuversichtlich. „In Sachen grüne und kohlenstoffarme Entwicklung ist China heute weltweit führend und hat einen großen Beitrag zur globalen Reduzierung der Kohlenstoffemissionen sowie zur grünen Transformation geleistet“, sagt er. Alle Lebensbereiche, einschließlich der traditionellen Industrien, hätten ihre Anstrengungen gebündelt und positive Maßnahmen ergriffen, um zur Erreichung des CO₂-Emissionszenits und der Klimaneutralität beizutragen. „Mein Labor befasst sich mit der Behandlung herkömmlicher Schadstoffe“, erklärt das PKKCV-Mitglied. Shi Bi, der auch Direktor des Nationalen Ingenieurlabors für saubere Ledertechnologie an der Sichuan-Universität ist, sagt, dass sein Labor an einer synergetischen Behandlung von Wasser-, Feststoff-, Gas- und komplexen Schadstoffen in Industrieparks arbeite, um eine grüne und kohlenstoffarme Entwicklung der Industrie zu fördern.

Der diesjährige Tätigkeitsbericht der Regierung führt nicht nur die letztjährige Forderung nach „aktiver und besonnener Förderung der Erreichung des CO₂-Emissionszenits und der Kohlenstoffneutralität“ fort, sondern schlägt auch neue Maßnahmen vor, etwa ein aktives Vorgehen gegen grüne Handelsbarrieren.

Shi zufolge gehe es bei den dualen Kohlenstoffzielen nicht nur um die Umwelt, sondern auch um die Wirtschaft, da diese Ziele auch ökonomisch von entscheidender Bedeutung seien. „Man muss wissen, dass Chinas Exportprodukte aufgrund unterschiedlicher länderspezifischer Methoden und wissenschaftlicher Grundlagen zur Erfassung der Kohlenstoffemissionen mit unterschiedlichen Konformitätsanforderungen konfrontiert sind und dadurch auf grüne Handelsbarrieren stoßen können.“ Aus diesem Grund hält er sein Team dazu an, sich aktiv an der internationalen Zusammenarbeit zu beteiligen, um gemeinsam Programme und Standards für die Bilanzierung von Kohlendioxidemissionen und CO₂-Fußabdrücken zu erarbeiten, die chinesischen Produkten dabei helfen sollen, grüne Handelsbarrieren zu überwinden und die Wettbewerbsfähigkeit beim Export zu verbessern.