China meistert die Komplexität des Verhältnisses von Ökonomie und Ökologie! Die Sache, die so nötig, aber schwer zu machen ist. Da müssen alle staatlichen Fachministerien und Agenturen aller politischen Ebenen (Kommunen und Landkreise, Provinzen und Zentralregierung) dauerhaft Hand in Hand arbeiten, zusammen mit der Industrie (den Unternehmen), den Energieversorgern, der Wissenschaft, und, ja, den Menschen.
Sieht nicht nur gut aus: Diese Gebäudegruppe in der Stadt Sanya der Inselprovinz Hainan ist nicht nur ein Hingucker, sondern auch besonders umweltfreundlich. (Foto: 24. Oktober 2021)
Die grüne Wende kommt im Westen nur schleppend voran
Wir sehen bei uns, wie kompliziert das plötzlich alles erscheint: Die Energiewende- und Emissionziele 2030/35 werden in der EU und in Deutschland schon heute erkennbar weit verfehlt. Der Verkauf von Elektromobilen (EVs) zum Beispiel bleibt weit hinter dem dafür Notwendigen zurück, die Förderpolitik erscheint inkonsistent, vieles läuft unkoordiniert, asynchron bis widersprüchlich. Plötzlich entdeckt man, dass für eine EV-Offensive die Ladeinfrastruktur nicht ausreicht, da laufen Atomenergie-Politik, Kohle-, Gas- und Öl-Politik, Windenergie-, Solar- oder Wärmepumpen-Förderpolitiken unabgestimmt neben- und zum Teil gegeneinander, zeitlich uneinheitlich und oft keinem erkennbaren Langfristkonzept folgend. Da sind die Hochspannungsstromnetze nicht mitgebaut worden, um etwa den Windenergiestrom von Norddeutschland nach Süddeutschland zu den industriellen Verbrauchern zu transportieren. Deutsche Unternehmen beschweren sich über schwankende Stromspannungen und -flüsse, die zum Teil teure Produktionsunterbrechungen verursachen. Bei Wasserstoff kommen wir nicht richtig in Gang, die Industrie ächzt und der industrielle Mittelstand leidet. Die Automobilindustrie investiert inzwischen mehr im Ausland (USA, China) als im Inland. In vielen Industrien wandern die Neuinvestitionen ab. Und die privaten Verbraucher sind stimmungsmäßig nur noch schwer bei der Stange einer aktiven Klima- und Erneuerbare-Energien-(EE)-Politik zu halten. Skepsis und Missstimmung verbreiten sich. Das Schicksal der deutschen und EU-Solar- und Windkraftindustrien ist noch lebhaft in Erinnerung, da geht auch schon der EU-weit einzige neue Batteriehersteller Northvolt Pleite.
Pressefoto anlässlich des 70. Jahrestags der Eröffnung der Qinghai-Xizang-Straße am 8. Dezember 2024. Im Bild: das staatliche Demonstrationsprojekt für komplementäre Multi-Energie-Systeme der Luneng Group in Golmud im Autonomen Bezirk Haixi der Mongolen und Xizanger in der Provinz Qinghai.
Chinas ökologische Fortschritte sind einer ganzheitlichen ökologischen Zivilisation zu verdanken
In China wird Klima- und Umweltpolitik seit langem unter der Zielstellung einer ganzheitlichen ökologischen Zivilisation vorangetrieben, die sich genau dieser Komplexität und Multidimensionalität der Probleme bewusst ist und diesen „Tiger“ immer professioneller und strategisch intelligenter reitet. Langfristige multidisziplinäre Strategien umfassen nationale Langfristziele, Industriepolitik, Infrastrukturpolitik, Forschungs-, Informations-, Patent- und Innovationspolitik, Fachkräftepolitik, Bank- und Kreditpolitik, Geld- und Fiskalpolitik, Material-, Produkt- und Verbraucherpolitik, Landwirtschafts- und Forstpolitik sowie öffentliche Debatten des umfassenden Alltagsverhaltens. Klare Rahmenbedingungen und starke Standardsetzungen ja, ansonsten aber für alle mehr Chancen als Kontrolle.
Die Strategie ist zunächst eingebettet in den Fokus auf das elementare Faktum der Menschheit, die eine Welt, die nur eine gemeinsame Zukunft der Menschheit erlaubt – oder keine. Die Menschheit ist eine Schicksalsgemeinschaft angesichts der kumulierenden ökologischen und anderen globalen Krisen, die einen globalen Kollaps näherbringen. China hat in diesem Rahmen unter anderem seine Globalen Initiativen zur Entwicklung, zur Zivilisation, zur Sicherheit eingebracht. Es geht um das, was auch hierzulande seit den 1970ern globale Gemeinschaftsgüter (Global Commons) genannt wird. Die Globalen Initiativen, die umfassenden Netze im Rahmen der Neuen Seidenstraße (BRI), die regionalen Programme, Projekte sowie Energie-, Öko- oder Diversitäts-Fonds mit Afrika, Lateinamerika und der Karibik, mit Zentralasien sowie Südostasien und der gesamte Süd-Süd-Dialog im Rahmen der UNO bringen heute regelmäßig 100 bis 150 Staaten der Welt in Arbeitszusammenhänge, mit multipolaren Kooperationen, die internationale Arbeitsteilungen und Handelsströme ändern und eine neuartige ökologische Re-Globalisierung entwickeln.
China selbst hat sich innerhalb weniger Jahrzehnte zur ersten ökologischen Weltmacht entwickelt. Zielsetzung, Motivation und systemische Handlungsfähigkeit gehen hier Hand in Hand, und das Bewusstsein einer geteilten Zukunft allen Lebens auf der Erde ist in der chinesischen Gesellschaft tagesaktuell angekommen. Der „grüne Lebensstil für alle Bürgerinnen“ ist nicht nur bekannte Regierungs-Roadmap, sondern Alltagsverhalten geworden. Chinesische Konsumentinnen zum Beispiel sind weltweit führend im Ökobewusstsein und -verhalten: Nachhaltiger Verpackung zum Beispiel wird hier im internationalen Vergleich die höchste Bedeutung zugemessen, und es besteht dafür in China die höchste Zahlungsbereitschaft. Bei der Umstiegsbereitschaft auf Mini-EVs (1- bis 2-Sitzer, 3- oder 4-rädrig) sind Chinesinnen führend. Und Hunderte von Millionen Nutzer tragen in China durch ihr ökologisches Alltagsverhalten mit Hilfe der Ant-Forest App zum massenhaften Pflanzen von Bäumen bei.
China hat in den letzten Jahren nach Aussagen der UNO/UNEP auch am meisten für Erhalt und Ausbau der Biodiversität getan, und zwar nicht nur bei den letzten UNO-Diversitätskonferenzen (COP15, 2021 Kunming, 2022 Montreal), die es geleitet hat. Chinas Biodiversitätsstrategie ist dabei eingebettet in das größte und spektakulärste Aufforstungsprogramm der Menschheit, mit gigantischen Flächen an Wäldern, Nationalparks sowie jeweils spezialisierten Naturschutzgebieten und Biodiversitätszonen, eine Strategie, die hochqualifizierte, multidisziplinäre Längstfrist-Maßnahmen verlangt, die Wüsten zurückgedrängt, neue Wasserkreisläufe und regionale Klimaverbesserungen, neue Anbauoptionen für früher arme Bauern und neue Tourismusoptionen geschaffen hat und die, einmalig in der Welt, rechnerisch bereits 90 Prozent der nationalen Kohlenstoffemissionen wieder aus der Luft herausholt. Allein im 14. Fünfjahresplan ist die Waldfläche auf 25 Prozent der Gesamtfläche Chinas gesteigert worden, das waren über zwölf Millionen Hektar neue Wälder. Eine solche aktive Kohlenstoffreduktionsstrategie kann kein anderes Land vorweisen. Zahlreiche internationale Forschungsinstitute sind an Chinas Aufforstungsprogrammen beteiligt, um zu lernen. Allein die 3000 Kilometer lange Grüne Mauer rund um die Taklamakan-Wüste, insgesamt 30 Millionen Hektar Bäume, wurde 2024 nach 46 Jahren Aufforstungsarbeit fertiggestellt.
Baumgürtel und geschütztes Grün überall auch in den sauberen, leisen und lebenswerten chinesischen Multimillionenstädten, wie auch entlang der Autobahnen. Und die Luft in den Millionenstädten hat in den letzten zwei bis drei Jahrzehnten eine hervorragende Qualität erreicht.
Bei Solarmodulen, Windkraftanlagen, aber auch bei Fahrzeugen mit neuen Antrieben (EVs, Wasserstoff, Induktion auf Solarplattenautobahnen usw.), die New Energy Vehicles (NEVs), bei fortgeschrittensten Speichertechnologien (von EV-Batterien bis zu Großspeichern) oder intelligentem Fahren produziert und innoviert China in der Regel mehr als alle westlichen Industrieländer zusammen. Und der organisierte Fortschritt schließt ein, dass Öko-Energie (EE-Strom) in China inzwischen billiger ist als fossile. Auch so kann Marktwirtschaft auch gestaltet werden.
Der technische Fortschritt wird in China so vorangetrieben, dass Produktivitätssteigerungen es erlauben, die gleiche Produktionsmenge mit immer weniger Ressourcen zu produzieren und die gleiche Ressourcenmenge mit immer weniger CO2-Ausstoß einzusetzen (Ökoeffizienz). Schon im 13. Fünfjahresplan wurden 5,7 Prozent BIP-Wachstum p.a. mit nur 2,8 Prozent Energiewachstum p.a. erzielt. Die Planzahlen des 14. Fünfjahresplans (2021-2025): Energieverbrauch/BIP-Einheit -13,5 Prozent, CO2-Emission/BIP-Einheit -18 Prozent, sind schon längst erreicht. Die CO2-Effizienz pro Energieeinheit steigt damit in fünf Jahren um ein Drittel. Der Energieverbrauch pro Kopf in den USA ist übrigens mehr als doppelt so hoch wie der Chinas, mit steigender Tendenz.
China International Import Expo: Im November 2024 stellte die Bayer Group im Ausstellungsbereich für Medizintechnik und Gesundheit ihre Zukunftsvision für eine regenerative Agrarwirtschaft vor.
Die globale Klimawende braucht globale Zusammenarbeit
Der Kollektivwesten nennt Chinas ökologische Transformation, die Stilllegung von Kohleminen, Kohlekraftwerken und anderer alter Industriekapazitäten (Stahl zum Beispiel) und den Aufbau ökologischer Energien, Technologien und Produkte, „Überkapazitäten“, die die „Weltmärkte überschwemmen“. Fakt ist, dass Chinas ökologischer Fortschritt mit einem effektiven tatsächlichen, auch preislichen Wettbewerb, der Erschließung eines großen, kaufkräftigen und wachsenden Binnenmarktes (Skalenvorteile!), mit vollständigen und leistungsfähigen Wertschöpfungsketten, besten und günstigen Infrastrukturen, massenhaften Fachkräften sowie mit viel geringeren, weil zum Teil gedeckelten Kapital- und Profitkosten einhergehen. Das ermöglicht Ökotechnologien und -produkte zu günstigen, auch für Privathaushalte erschwinglichen Preisen. Der Durchschnittspreis eines neuen Autos liegt in China bei 18.000 US-Dollar, in der EU bei 49.000 US-Dollar.
Während China auf fast allen Gebieten die große Mehrheit der Ökotechnologien und -produkte entwickelt und herstellt, tut es dies eben überwiegend nicht als „Exportweltmeister“. Es produziert zunächst ganz überwiegend für die eigene Binnenwirtschaft. Und gerade in den Westblock gehen nur noch sinkende Anteile der chinesischen Produktion. China ermöglicht damit aber zugleich erstmals eine ökologisch-nachhaltige Industrialisierung des Globalen Südens. Auch mit einem Klimafonds, dem Kunming Diversitätsfonds, dem Shanghai-Modell des Schuldenerlasses gegen Umweltinvestitionen und vielen anderen Finanzhilfen im Rahmen der UNO oder der BRI. Die Grüne Seidenstraße ist heute das mit Abstand größte zusammenhängende Ökoprojekt der Welt, zugleich der größte Öko-Finanzierungsrahmen und der wichtigste Motor der globalen Klimawende. Und Chinas Anstrengungen haben nach Berechnungen bereits dazu beigetragen, dass auch die globalen CO2-Emissionen bereits sinken.
Aber selbst die großen chinesischen Öko-Investitionen im Globalen Süden sind für die globale Klimawende noch unzureichend. Die Internationale Energie-Agentur berechnet, dass das globale Ausbautempo der EE verdreifacht werden müsste, dass sich der Absatz von NEVs global auf das 4,5-Fache von 2022 erhöhen und der PV-Module-Einsatz verzehnfachen müsste, um die globalen Klimaziele für 2030/35 zu erreichen. China ist zwar heute die „grüne und nachhaltige Fabrik der Welt“, aber die globale Klimawende wird trotz dieser Anstrengungen, angesichts des weitgehenden Ausfalls des Kollektivwestens, kaum zu erreichen sein.
Großer Andrang bei der Guangdong-Hongkong-Macao Greater Bay Area International Auto Show 2024 im Shenzhen World Exhibition & Convention Center
Wir könnten fortfahren mit der Dynamik ökologischer Forschung, Entwicklung und Anwendungen in China, von der praktischen Anwendbarkeit der Fusionsenergie über neuartige salzbasierte Thorium-Atom-Reaktoren, neueste Speichertechnologien und Ultrahochspannungsnetze, intelligente Biomaterialien und organische Dioden, oder neueste Bahn- und Mobilitätstechnologien, Agrar-, Nahrungsmittel- und Gesundheitspolitik, bis hin zu recyclingfähigen Alltagsmaterialien, grünen und emissionsfreien Unternehmen, Industrieparks, Rechenzentren und ganzen Städten. Und täglich erreichen uns dazu neue spektakuläre Informationen.
China ist so mit großem Abstand zum ökologischen Motor der Welt geworden. Und immer mehr Länder gesellen sich zu diesem Entwicklungsmodell.
China bereitet zurzeit den 15. Fünfjahresplan (2026-2030) vor, mit dem Ziel, den Wohlstand weiter auszubauen, ohne in die „Falle des mittleren Einkommens“ zu geraten. Das bedeutet, die Produktivität weiter zu steigern und die Produktivkräfte und Produktionen weiter zu qualifizieren. China hat den kritischen Punkt längst überwunden, wo Ökonomie und Ökologie in Widerspruch stehen und die Ökologie die Ökonomie belastet. Im Gegenteil: die ökologische Transformation wird auch im nächsten Fünfjahresplan einer der wichtigsten Treiber des ökonomischen und sozialen Fortschritts sein, und die Klimaziele 2030 werden in den nächsten fünf Jahren weit überschritten werden.
Wenn Deutschland es mit der Klimawende ernst meint, hätte es alle Möglichkeiten, mit China zum gegenseitigen Vorteil zu kooperieren. Die Türen stehen weit offen, aber in dieser dynamischen Welt wartet niemand mehr auf Deutschland.
*Wolfram Elsner ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Bremen, langjähriger China-Kenner und Autor zahlreicher China-Publikationen.
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