Das Jahr 2025 markiert ein bedeutendes Jubiläum: Seit 50 Jahren bestehen diplomatische Beziehungen zwischen China und der Europäischen Union. Diese Zeit war geprägt von wachsendem Handel, politischem Dialog und kulturellem Austausch. Trotz der gegenwärtigen geopolitischen Spannungen bleibt die gemeinsame Partnerschaft von essenzieller Bedeutung für beide Seiten. Hier soll es aber heute nicht um die große Politik gehen, sondern um die ganz persönlichen Erfahrungen von drei Chinesen mit der deutschen Sprache, Deutschland und Europa.
Cao Sizhuo dieses Jahr in Datong: „Viele Menschen verbinden mit uns Chinesen Eigenschaften wie Fleiß, Pragmatismus und Effizienz, also genau die Dinge, die man früher typischerweise den Deutschen zugeschrieben hat.“ (Foto: Privat)
Cao Sizhuo: Angetan von Kafka, Lebkuchen und deutschen Musicals
Cao Sizhuo las schon während ihrer Schulzeit gerne deutsche Autoren wie Kafka, Hesse, Zweig und Marx – damals allerdings noch auf Chinesisch. Sie hörte auch gerne deutsche Musik. „Deutsch gilt in den Augen vieler Chinesen als eine sehr spannende, wenn auch komplizierte Sprache, fast so, als ob Deutschkenntnisse für eine präzise Logik und herausragende Denkfähigkeit stünden“, sagt die 20-Jährige. „Deshalb wollte ich Deutsch lernen, in der Hoffnung, vielleicht eines Tages Hesses Gedichte im Original lesen oder Lieder von Helene Fischer auf Deutsch singen zu können.“
2019 vor dem Dom zu Helsinki: „Als Germanistik-Studentin kann ich mir Deutschland durchaus als zweite Heimat vorstellen. Ich fand es schon immer bewundernswert, wenn man es schafft, fern der Heimat zu leben – sich an eine andere Kultur anzupassen und das Fremde zum Alltag zu machen.“ (Foto: Privat)
Die Studentin der University of International Business and Economics (UIBE) war bereits in Norwegen, Finnland und Großbritannien, wo sie auch Sommerschulen besucht hat, aber noch nie in Deutschland. „Ich hoffe, während meines Masterstudiums in Deutschland studieren zu können. In den kommenden Winterferien will ich eine Reise nach Deutschland machen, um das Land besser kennenzulernen“, erzählt die Beijingerin. Deutschland habe eine vielfältige Kultur, „sowohl was die Geschichte als auch die moderne Gesellschaft betrifft“, sagt sie. In China gölten die Deutschen als klug und sie habe bisher auch nur nette Zeitgenossen aus der Bundesrepublik kennengelernt.
Sie liebe Lebkuchen – wegen des intensiv-würzigen Geschmacks, verrät sie. Auch das deutsche Sprichwort „Einmal ist keinmal“ habe tiefen Eindruck bei ihr hinterlassen. „Ich bin in einem Roman von Milan Kundera auf diese Redewendung gestoßen. Darin argumentiert er, dass ein einmaliges Leben so sei, als hätte man gar nicht gelebt.“ Den Spruch „Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen“ findet sie ebenfalls interessant: „Diese Worte scheinen in China besonders bekannt zu sein. Viele meiner Freunde haben sie zu ihrem Lebensmotto gemacht. Und auf chinesischen Einkaufsplattformen sieht man häufig Schlüsselanhänger mit diesem Spruch.“
Auch die Figuren im deutschen Roman „Lebensansichten des Katers Murr“ gefallen ihr gut, weil sie „so unverwechselbar und lebendig“ seien, sagt Cao Sizhuo, die gerne die Ansichten ihres eigenen Katers kennen würde und den vielseitigen Schauspieler Lars Eidinger mag.
Die 20-Jährige schätzt den interkulturellen Austausch und Musicals als Brückenbauer: „Viele meiner Freunde hören sehr gerne deutsche Musicals, nicht nur Germanistik-Studierende. Manche hat die Musical-Leidenschaft gar dazu gebracht, Deutsch zu lernen. Berlin sehen sie als modischste Metropole und sie mögen auch deutsche Modemarken.“
Chinesen legten immer noch besonderen Wert auf die Großfamilie und den Kollektivismus, sagt sie. Zudem seien ihre Landsleute relativ konservativ. „Deutschen hingegen ist ihr persönlicher Raum wichtig, was wir Chinesen nicht immer so ganz nachvollziehen können.“ In Deutschland lege man außerdem viel Wert auf Planung, Qualität und klare Regeln. Die Chinesen glaubten dagegen an das Schicksal und seien sehr anpassungsfähig, findet sie. Ihrer Meinung nach könnten ihre Landsleute in Sachen Umweltbewusstsein, Tierschutz, Feminismus und Work-Life-Balance von Europa lernen. „Andererseits können Europäer vom Fleiß und von der Flexibilität der Chinesen lernen.“
China habe während seines Modernisierungsprozesses viel von Europa und Deutschland gelernt. Viele chinesische Produkte erfreuten sich daher heute bei den Europäern großer Beliebtheit. „Ich denke, diese freundschaftliche Beziehung sollte weitergeführt werden“, sagt Cao. „Besonders in einer Zeit, in der viele US-Amerikaner etwas arrogant auf Europa und China herabsehen.“
Alex Zhu: Wollte eigentlich in Deutschland eine Familie gründen
Yingnan „Alex“ Zhu unterrichtet seit 19 Jahren Deutsch an der School of International Relations (SIR) an der UIBE. „Wer in Deutschland studieren will, kann bei uns innerhalb von zwei Semestern richtig Deutsch lernen“, sagt er. Die jungen Erwachsenen würden aber auch in Mathe, Physik und anderen Fächern auf ihr künftiges Studium vorbereitet, erzählt der beliebte Lehrer.
Liebt seinen Beruf sowie Schokolade von Lindt und Milka: Alex Zhu vor seiner Klasse. (Foto: Privat)
Auf die Frage, warum er Germanistik studiert habe, antwortet er sehr ehrlich: „Damals hatte man als Student gar keine Ahnung, was man studieren sollte. Die Eltern hatten auch keine brauchbaren Vorschläge parat.“ Seine Mutter habe ihm angesichts des harten Wettbewerbs pragmatisch geraten: „Man muss nehmen, was man bekommt.“
Als Deutschlehrer freue es ihn, wenn alle in der Klasse gut mitkämen, aber das Erlernen einer Fremdsprache bedeute eben für viele harte Arbeit. So könnten sich die meisten nie 100 Prozent auf das Unterrichtsmaterial konzentrieren. „Manchmal lässt einen das wirklich verzweifeln, aber man muss das verstehen und Nachsicht walten lassen“, sagt er.
Macht sonst keine Selfies: Yingnan „Alex“ Zhu in seiner heimischen Küche. (Foto: Privat)
Mit 19 hatte er im Rahmen eines Austauschprogramms ein Germanistikstudium an der Universität Osnabrück begonnen. „Ich hatte Glück, da mitmachen zu dürfen. Die Stadt war zwar nicht so modern, aber ganz gemütlich. Die Leute, die ich dort getroffen habe, waren sehr nett und hilfsbereit.“ Er erinnere sich gerne an diese Zeit zurück – mit einer Einschränkung: „Leider waren die Prüfungen ein echter Albtraum für mich. Aber im Rückblick war diese Erfahrung ein großes Geschenk in meinem Leben, weil sie mich stark gemacht hat.“
Er habe damals bald erkannt, dass Deutsche zwar oft „äußerlich kühl erscheinen, doch in ihrem Inneren von großer Herzlichkeit erfüllt sind“. Eigentlich habe er in Deutschland eine Familie gründen und Karriere machen wollen, so erzählt er. „Aber als Student der Germanistik war es sehr schwer, in Deutschland beruflich Fuß zu fassen. Zum Glück war es ganz anders in China. Deshalb bin ich wieder zurück, was zugleich das Signal für das Ende meiner wundervollen Jugendjahre war.“ Seine Zeit in Osnabrück habe ihn sicher ein Stück deutscher gemacht, aber inzwischen sei er wieder „sinisiert“, sagt Zhu und lacht.
Deutschland sei ein sehr schönes Land, in dem auch Ausländer mit Freundlichkeit und Respekt behandelt würden, sagt Zhu, der Berliner Weiße und Krombacher Pils mag, Kölsch dagegen nicht ausstehen kann. „Ich habe auch eine Schwäche für alle möglichen Wurstsorten und habe schon viele probiert. Aber bisher ist es mir noch nicht gelungen, sie alle durchzutesten.“
Zu den Beziehungen zwischen China und der EU lautet sein Ratschlag: „Wir müssen Brücken bauen statt Mauern.“
Hai Ruohan: Sieht Deutsch als Karrieresprungbrett
Hai Ruohan teilt mit seinen Kommilitonen das große Interesse an Sprachen. Warum aber gerade Deutsch? „Deutschland ist industriell weit fortgeschritten“, sagt er. „Hier hat China viel von Deutschland gelernt. Deshalb glaube ich, dass das Erlernen der deutschen Sprache für meine persönliche Entwicklung und die kollektive Entwicklung des Landes von Vorteil sein wird“, erklärt der zielstrebige 21-Jährige aus der Provinz Henan.
Keine Scheu vor großen Bühnen: Hai Ruohan arbeitet ehrenamtlich beim China-Afrika-Forum. (Foto: Privat)
Er sei leider noch nie in Deutschland gewesen, lese aber sehr viel über das Land. „Ich habe gehört, dass es an deutschen Universitäten Blockkurse gibt, die fünf Stunden dauern und sogar über die Mittagszeit hinausgehen – in China undenkbar und für mich ein großer Kulturschock. Wir Chinesen brauchen unsere Mittagspause mit einer heißen Mahlzeit“, sagt der Germanistikstudent lächelnd.
Er habe dennoch vor, einige Zeit in Deutschland zu verbringen. „Ich freue mich auf das Essen, weil die deutsche und die chinesische Küche sich grundlegend unterscheiden.“ Für seine chinesischen Altersgenossen seien vor allem Filme und Musik prägende Einflussfaktoren. „Aber Deutschland sticht in diesen Aspekten nicht so sehr hervor. Deutschlands Visitenkarten sind immer noch Automarken und berühmte Dichter. Und diese haben keinen großen Einfluss auf mich“, sagt Hai. Er selbst habe zuletzt den Film „Good Bye, Lenin!“ gesehen.
Die beiden Länder verbänden Handel und kultureller Austausch sowie bekannte gemeinsame Aktionen wie zum Beispiel die Veranstaltungsreihe „Deutschland und China – Gemeinsam in Bewegung“ (德中同行). „Trennendes mag nach wie vor von den unterschiedlichen politischen Systemen kommen“, vermutet er. „Und einige deutsche Medienberichte über China sind nicht objektiv, wenn nicht gar völlig falsch.“
Auch Hai denkt, dass die Deutschen sich eine Scheibe vom Fleiß der Chinesen abschneiden können. Er selbst sei mit der Zeit ein wenig deutscher geworden: „Ich achte mehr und mehr auf Pünktlichkeit“, sagt er. Auch wenn China seine einzige Heimat sei, sieht er Deutschland doch als Ort, „der viele Erinnerungen und Emotionen“ wecken dürfte, vor allem in Zukunft.
*Nils Bergemann ist studierter Journalist mit langjähriger Erfahrung als Redakteur und Kommunikationsexperte bei Verlagen und anderen Unternehmen. Zuletzt arbeitete er fünf Jahre für die China Media Group. Weiterhin in Beijing lebend unterrichtet er seit 2023 Deutsch, Sprachwissenschaften und Wirtschaft an der University of International Business and Economics.
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