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COVID-19: Immer noch eine Frage von Leben und Tod

2023-01-16 19:24:00 Source:german.chinatoday.com.cn Author:Robert Walker
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Campus-Impfaktion: Studierende und Lehrende der Pädagogischen Universität Ostchina in Shanghai werden am 28. März 2021 im Minhang-Campusstadion gegen Corona geimpft. (Foto: Xinhua) 


Es ist eine traurige Bilanz: Rund 6,7 Millionen Menschenleben hat die Pandemie in 224 Ländern und Regionen bisher weltweit gefordert. Und das sind nur die bestätigten Fälle. Experten gehen davon aus, dass es noch zahlreiche weitere Todesopfer gibt, bei denen die Coronadiagnose ausblieb. Hinzu kommen Menschen, denen aufgrund überfüllter Krankenhäuser die lebensnotwendige Behandlung verwehrt blieb. Die Zahl der bestätigten Coronafälle wird weltweit auf 653 Millionen beziffert. 

 

Und die globale Pandemie ist noch nicht vorbei. Während Statistiker immer noch eine hohe Zahl von Todesfällen zählen, scheinen vielerorts Öffentlichkeit und Politiker die Augen zu verschließen. Weltweit starben bis zum 12. Dezember 2022 jeden Tag 1636 Menschen an COVID-19. In den USA fielen der Krankheit pro Woche 2826 Menschen zum Opfer, 370 mehr als in 20 Jahren Krieg in Afghanistan. 

 

Auch der Weltwirtschaft hat das Virus nachhaltig Schaden zugefügt. Das weltweite Bruttoinlandsprodukt ist 2020 um 3,4 Prozent eingebrochen – das entspricht einem Verlust von 385 US-Dollar pro Erwachsenem und Kind. 

 

Da sich das neuartige Coronavirus zunächst vor allem in den reichen Ländern ausbreitete, begann sich die globale Einkommensschere anfangs tendenziell geringfügig zu schließen. Letztlich stieg die Ungleichheit jedoch wieder an, nämlich bis Ende 2021 um 1,2 Prozent. Vor der Pandemie war eigentlich ein Rückgang um 2,6 Prozent erwartet worden.  

 

Die Ungleichheiten haben sich also fortgesetzt. Und: sie dürften in Zukunft noch weiter zunehmen. 2020 stieg die weltweite Verschuldung um 28 Prozentpunkte des BIP, der stärkste Anstieg seit über 50 Jahren. Die steigende Inflation in den USA, die indirekt durch die Pandemie verursacht wurde, veranlasste die US-Notenbank, ihre Zinssätze zu erhöhen. Und das führte wiederum zu einer 20-prozentigen Aufwertung des US-Dollars. Das Ergebnis war ein massiver Anstieg der Kosten für den Schuldendienst, der zu dem beitrug, was der IWF zuvor als „Schuldenpandemie“ unter den Entwicklungsländern bezeichnet hatte. 

 

Da die Weltwirtschaft durch die Pandemie ins Stocken geriet, war die Zunahme der Armut nur eine Frage der Zeit. Allein im Jahr 2021 stieg die Zahl der Armen weltweit um 115 Millionen. Die Pandemie hat auch die Zahl der armtusgefährdeten Menschen um 107 Millionen in die Höhe getrieben. 

 

So düster diese Statistiken auch sein mögen, ohne Chinas konsequente Coronapolitik wären sie wohl noch deutlich schlimmer ausgefallen. Während das weltweite BIP im Jahr 2020 zurückging, wuchs Chinas Wirtschaft, wenn auch nur verhalten, um 2,2 Prozent. Bis 2021 kletterte Chinas Wachstumsrate wieder auf 8,1 Prozent. Der Effekt: die globale Rezession fiel letztlich kürzer und weniger gravierend aus als zunächst befürchtet. Schließlich ist China die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt und daher von großem Einfluss.  

 

Da es China gelang, die Ausbreitung des Virus im Inland effektiv zu kontrollieren, war man in der Lage, die weltweite Nachfrage nach persönlicher Schutzausrüstung (PSA) zu decken. Als Reaktion auf die Pandemie leitete China seine PSA-Produktion zunächst um. Ziel war es, vorrangig den Inlandsbedarf zu decken. Doch ab April 2020 weitete das Land seine Ausfuhren für den Rest des Jahres rasch aus. Der Export von Schutzkleidung nach Europa und in die USA stieg im weiteren Verlauf des Jahres 2020 um 272 Prozent, die Masken-Ausfuhren zogen um 130 Prozent an. 

 

Tang Ziqi und seine Kollegen von der Universität für Handel und Außenwirtschaft in Beijing führten diese rasante Produktionsausweitung kürzlich auf Chinas einzigartige Fähigkeit zurück, die Marktkräfte zu umgehen, die die externen Effekte von Privatgütern nicht ohne Weiteres berücksichtigen können – nämlich die Tatsache, dass Masken nicht nur die Träger selbst schützen, sondern auch alle Mitmenschen. Ironischerweise waren ausgerechnet die USA schlecht auf die Pandemie vorbereitet, da sie es nach dem Beginn ihres Handelskriegs gegen China versäumt hatten, Chinas PSA-Einfuhren durch Importe aus anderen Ländern zu ersetzen.  

 

Der bedauerliche Zustand der geopolitischen Beziehungen führte jedoch dazu, dass Chinas Erfolge in Sachen Coronapolitik wiederholt heruntergespielt wurden. Die anfänglichen lokalen Lockdowns wurden als „drakonisch“ gescholten, obwohl bis Mai 2020 80 Prozent der Länder irgendeine Form der obligatorischen Abriegelung eingeführt hatten, so etwa Italien, Großbritannien und Frankreich. Ebenso wurde das Beharren auf Gesichtsmasken belächelt, obwohl wissenschaftliche Beweise ihren Wert auch dann noch belegen, wenn Impfraten von 90 Prozent erreicht werden. Chinas Einsatz von Kontaktverfolgungs-Apps – die von mindestens 47 Ländern eingesetzt wurden bzw. werden – wird immer noch als „Technologie zur sozialen Kontrolle“ gebrandmarkt. 

 

Die meisten westlichen Regierungen waren nicht in der Lage, Kontrollmaßnahmen nach chinesischem Vorbild durchzuhalten. Denn liberale Demokratien stellen die Forderungen des Einzelnen über die Bedürfnisse der Gemeinschaft. Italien, das erste europäische Land, das die Ausläufer der Pandemie zu spüren bekam, verhängte einen neunwöchigen landesweiten Lockdown. Es folgte eine hitzige Debatte zwischen der Ärzteschaft, die Menschleben klar über Lebensqualität stellte, und der Geschäftswelt, die die Notwendigkeit des Schutzes von Produktion und Handel betonte. Professor Enzo Colombo von der Universität Mailand kritisierte die mangelnde soziale Perspektive des Diskurses. Man scheitere daran, Würde und Menschenrechte als Kompass für Interventionen heranzuziehen, so der Gelehrte.  

 

Großbritannien zog zunächst in Erwägung, sich auf die Herdenimmunität zu verlassen und Infektionen ohne Berücksichtigung der Todesfälle freien Lauf zu lassen. Beschränkungen kamen letztlich zu spät und wurden dann auch noch zu früh wieder aufgehoben. In den USA spalteten sich die Regierungen der Bundesstaaten je nach Parteizugehörigkeit. Die Republikaner – die individuelle Freiheitsrechte traditionell als höchstes Gut betrachten – tendierten zu schwachen Beschränkungen. Hohe Impfraten blieben aus. Dies hat, wie Dr. Anthony Fauci, medizinischer Chefberater des US-Präsidenten, kürzlich zugab, zahlreiche Menschenleben gekostet. Das Ergebnis: Die Corona-Todesraten in den USA, Großbritannien und Italien liegen fast tausendmal höher als die in China. 

 

Dem Reich der Mitte kam bei der Kontrolle der Pandemie zweifellos seine kollektivistische Kultur zugute, genauso wie anderen Ländern mit konfuzianischem Erbe übrigens. Die Todesraten in Japan, Vietnam und Südkorea liegen bei weniger als einem Fünftel derjenigen der USA. Was aber den Ausschlag gab, war am Ende doch die Politik. Dies zeigt die traurige Tatsache, dass die coronabedingten Todesraten in Japan 118-mal so hoch liegen wie in China. In Südkorea sind sie sogar 163-mal so hoch. 

 

Chinas neue dynamische Null-COVID-Politik wurde im August 2021 eingeführt, um die Delta-Variante einzudämmen. Man nutzte Nukleinsäure-Screenings und Big-Data-Analysen zur schnellen Identifizierung infizierter Personen und setzte dann auf Quarantäne und gezielte Verwaltungsmaßnahmen, um die Übertragung auf null zu reduzieren. Mit dem Ziel, die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Kosten zu minimieren, konnte sogar der Omikron-Ausbruch im März bzw. April 2022 erfolgreich eingedämmt werden. Damals wurden in China 500.000 Infektionen gemeldet, 93 Prozent davon allein in Shanghai. 

 

Die Rettung von Menschenleben ist nicht billig. Die wirtschaftliche Belastung durch die Eindämmung von Omikron in Shanghai könnte das Zehnfache der 1,7 Billionen Yuan betragen haben, die bei der anfänglichen Abriegelung von Wuhan im Januar 2020 anfielen. Da im Oktober 2022 etwa 28 Städte mehr oder weniger stark im Lockdown waren, stufte der IWF Chinas Wirtschaftswachstumsrate für 2022 auf 3,2 Prozent herab. Die Arbeitslosigkeit ging im dritten Quartal 2022 zwar zurück, sie liegt aber noch immer über dem Niveau von 2021. 

 

China hat nun mit dem Übergang von der pandemischen zur endemischen Phase begonnen. Ausländische Medien griffen die Pressekonferenz der Nationalen Gesundheitskommission am 7. Dezember als Übergangspunkt auf, stellten sie aber vereinfachend als verspätete Reaktion auf starken öffentlichen Druck dar. Fakt ist, dass der Tag einen wichtigen Moment markierte. Denn es wurden der reduzierte Einsatz von Gesundheitscodes und weniger COVID-Testkontrollen verkündet. Hinzu kamen die Möglichkeit der häuslichen Isolierung und die Ankündigung der vorrangigen Impfung älterer Menschen. 

 

Nach Aufhebung der Beschränkungen im Spätsommer 2020 verdoppelte sich die Sterblichkeitsrate in Großbritannien innerhalb von drei Monaten auf 2 pro 1000 Infizierten – damals die höchste Rate in der entwickelten Welt. Zwei nationale Lockdowns waren im Anschluss erforderlich, um die Infektionen im Vereinigten Königreich einzudämmen. Im Sommer 2021 wiegten sich die USA dank ihres Impfstoffes in Selbstzufriedenheit und vermeintlicher Sicherheit, was die Infektionszahlen rasch wieder in die Höhe trieb. In der Folge verzeichnete das Land im Februar 2022 die höchste Todesrate unter den Ländern mit hohem Einkommen. 

 

China hat sich hingegen vorbereitet. Zwei antivirale Behandlungen wurden im Mai 2022 zugelassen. Ein einzigartiger inhalierbarer Impfstoff kommt heute zum Einsatz und auch ein eigener mRNA-Impfstoff wird wahrscheinlich bald verfügbar sein. Die Lockerungen der Eindämmungsmaßnahmen in Hongkong und anderen Städten boten zudem die Möglichkeit, Kontrollstrategien zu erproben. 

 

Doch paradoxerweise erschweren genau Chinas bisherige Erfolge den Übergang. Da die chinesische Bevölkerung in den vergangenen Jahren quasi ohne Corona gelebt hat und sich der weltweiten Todesraten kaum bewusst ist, konzentriert sie sich zunehmend auf persönliche Unannehmlichkeiten und vermeintliche politische Versäumnisse. Auch fehlt es den Menschen in China an Erfahrung in der Interpretation von Krankheitssymptomen und der Selbstmedikation. 

 

Darüber hinaus mangelt es der Volkrepublik im Vergleich zum Rest der Welt an natürlicher Immunität. Bis April 2022 hatten sich bereits 71 Prozent der britischen Bevölkerung mit COVID-19 infiziert. Bis zum 7. Dezember waren in den USA mit ihren 336 Millionen Einwohnern 99 Millionen Fälle bestätigt worden, mehr als eine Million Menschen waren gestorben. 

 

Hätten die coronabedingten Todesraten in China Anfang Dezember 2022 auf dem Niveau der USA gelegen, wäre jede Woche mit über 10.000 Toten zu rechnen gewesen. Doch die am stärksten gefährdeten Bevölkerungsgruppen kamen in China vergleichsweise gut durch die aktuelle Welle. Zwar haben 90 Prozent der über Sechzigjährigen in China eine Erstimpfung erhalten. Die Rate der vollständig geimpften liegt jedoch deutlich niedriger. Ausgehend von den Daten nach der Impfkampagne im März 2022 haben Professor Cai Jun und seine Kollegen von der Fudan-Universität prognostiziert, dass der medizinische Bedarf an Intensivpflege die bestehenden Kapazitäten um das 15,6-Fache übersteigen könnte. Cais Team schlug daher vor, die Impfkampagne zu forcieren und verschiedene Formen nicht-pharmazeutischer Maßnahmen beizubehalten, um eine Überlastung des Gesundheitssystems zu vermeiden. 

 

Die Rückkehr zur Normalität ist zwangsläufig mit realen Gefahren verbunden. Chinas Umgang mit der aktuellen Pandemie hat jedoch eindrucksvoll gezeigt, dass die chinesische Regierung dem Recht auf Leben einen höheren Stellenwert einräumt als die westlichen Staatsführungen. Es sind die Einstellungen und Denkweisen, die letztlich den Unterschied machen. In anderen Teilen der Welt hat die Freiheit zur Maximierung des privaten Profits nachweislich Millionen Menschenleben gekostet. Das ist Fakt. 

  

*Robert Walker ist Professor an der Chinesischen Akademie für Sozialmanagement / Institut für Soziologie an der Pädagogischen Universität Beijing und emeritierter Professor sowie emeritierter Fellow des Green Templeton College der University of Oxford. Außerdem ist Walker Fellow der Royal Society of Arts und der Academy of Social Sciences in Großbritannien.   

 

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