Von Verena Menzel
Rasante Wirtschaftsentwicklung, globalisierte Unternehmenstätigkeiten und eine rasch voranschreitende Urbanisierung auf der eine Seite, Umwelt- und Klimaschutz, nachhaltige Entwicklung und die Schaffung und Wahrung einer grünen Lebensumwelt auf der anderen – dieser Gegensatz wird in der Erzählung unserer Zeit, in den Medien und in der öffentlichen Wahrnehmung, oft thematisiert.
Dass das Bedürfnis nach gesellschaftlichem und wirtschaftlichem Fortschritt und die grüne Entwicklung jedoch nicht zwangsläufig Gegenpole bilden müssen, sondern auch Hand in Hand gehen können, ja dass letztlich auch Nachhaltigkeit und Umweltschutz viele Geschäftschancen und wirtschaftliches Entwicklungspotential bieten, wenn die nötigen politischen Weichen gestellt werden, das wird derzeit auf der Internationalen Gartenbau-Expo in Beijing deutlich, die noch bis einschließlich 7. Oktober läuft. Unter dem Motto „Live Green, Live Better“ präsentieren hier 110 Länder und internationale Organisationen auf einer Ausstellungsfläche von mehr als 500 Hektar ihre Ideen und Visionen für grünes Stadtleben.
Nachhaltigkeit als Passion und berufliche Perspektive
Existenzgründer zwischen den Kulturen: Der Niederländer Bert Dautzenberg lebt und arbeitet seit rund zehn Jahren in China.
Einer, der schon heute mit dem Thema Nachhaltigkeit in China sein Brot verdient, ist der Niederländer Bert Dautzenberg. Der Landschaftsarchitekt, der bereits seit zehn Jahren in China lebt, hat ein eigenes Patent auf ökologische Dach- und Wandfilterverkleidungen nach dem Prinzip der sogenannten „sponge cities“ entwickelt. Diese hängenden Wassertanks, die man sich wie Pflanzenteppiche vorstellen kann, sind in der Lage, wie ein Schwamm Wasser aufzunehmen und begegnen Problemen wie städtischer Wasserknappheit und Luftverschmutzung oder dem hohen Energiebedarf für die Klimatisierung von urbanen Gebäuden – Herausforderungen, mit denen auch die Expo-Gastgeberstadt Beijing zu kämpfen hat. Kein Zufall also, dass Dautzenbergs denkbar simple und doch hocheffektive Lösungen zur cleveren Nutzung von Regenwasser auf der Präsentationsfläche des holländischen Gartens einen eigenen Ausstellungsbereich einnehmen.
Holland ist ein weltweites Schwergewicht in Sachen Gartenbau, vor allem was den internationalen Blumenhandel angeht, und entsprechend mit einem eigenen Pavillon auf der Beijinger Expo vertreten. 2018 exportierte das Land weltweit Schnittblumen im Wert von 3,7 Milliarden Euro. Doch wer bei Holland nur an Tulpen denkt, liegt falsch.
Hollands Gartenbau kann mehr als Tulpen: In China konzentrieren sich die Niederlande bei ihren Kooperationen auf den Bereich Hightech-Gartenbau und Gewächshausproduktion.
„In China konzentrieren wir uns auf den Bereich der Gewächshausproduktion, ein besonderer Schwerpunkt liegt auf dem Hightech-Gartenbau“, sagt Wouter Verhey, Agrarberater der Niederländischen Botschaft in Beijing. „Wir realisieren hier in China vielerorts moderne Großprojekte mit hohen Investitionen und neuester Technologie.“ Das Besondere am chinesischen Markt sei dessen Dynamik, so Verhey, und dass die Chinesen große Begeisterung und Offenheit für neue Technologien mitbrächten. „Die Menschen hier sind äußerst lernbegierig, was dazu beiträgt, dass wir im Bereich des Gartenbaus in China gemeinsam rasche Fortschritte erzielen“, sagt der Agrar- und Gartenbauexperte.
Landschaftsarchitekt und Existenzgründer Dautzenberg hat über die Jahre selbst miterlebt, wie der Sektor sich in China entwickelt hat. „Früher ging es oft nur darum, Städte in möglichst kurzer Zeit zu begrünen. Das Optische stand im Vordergrund. Mittlerweile lässt sich deutlich eine Entwicklung in Richtung Qualität erkennen“, sagt er. Auch die Politik habe die Weichen für noch mehr Nachhaltigkeit gestellt. „Chinas Staatspräsident Xi Jinping hat die Wichtigkeit der ökologischen Entwicklung immer wieder betont. Ich denke, dass unter seiner Regierung gute Chancen bestehen, in Sachen grüner Entwicklung vieles zu bewegen“, sagt der Wahl-Beijinger.
Für Dautzenberg ist nachhaltiges Stadtleben nicht nur Passion, sondern auch berufliche Perspektive. Er hat sich mit seiner Firma Hanging Water Tank in China selbstständig gemacht und seine grünen Gebäudeverkleidungen schon in Pilotprojekten in klimatisch unterschiedlichen chinesischen Metropolen wie Dalian, Shenzhen und auch Beijing erfolgreich getestet. Nun hofft er auf eine Anwendung in der Fläche. Die Expo in Beijing sieht er als Chance, die Wichtigkeit von städtischem Grün in das Bewusstsein der Menschen zu rücken.
Produkte mit Mut zur Vision
Unter dem Motto "Seeding the Future" zeigt der Deutsche Pavillon den Beitrag des modernen Gartenbaus und der Spitzentechnologie zur nachhaltigen Stadtentwicklung auf.
Nur ein paar Schritte vom holländischen Garten entfernt, befindet sich der Pavillon der Bundesrepublik Deutschland. Er sticht schon von weitem durch seine markante Holzkonstruktion ins Auge. Kommt man näher, erkennt man nicht nur, dass in den aufsteigenden Holzstreben der Außenfassade Töpfe mit Zierpflanzen, Obst und Gemüse angebracht sind, sondern auch, dass Teile der Außenfassade rotieren und ihre Position ändern können. Es handele sich um ein intelligentes, computergesteuertes Balkonsystem, wie uns Hans-Joachim Fuchtel, Parlamentarischer Staatssekretär am Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft und Mitglied des Bundestages, erklärt. Er ist eigens für die Weltgartenbauausstellung in die chinesische Hauptstadt gereist.
„Uns Menschen wird es langfristig nicht gelingen, die Produktion von Obst und Gemüse nur in der Fläche zu bewerkstelligen. Urban farming ist von daher einer der Ansatzpunkte, die wir hier im deutschen Expo-Pavillon aufgreifen möchten“, sagt Fuchtel. Die von deutschen Ingenieuren entwickelte intelligente Balkonkonstruktion ermögliche es, Obst und Gemüse an Gebäudewänden anzupflanzen und zu ernten. „Wir wollen hier in Beijing alternative Anbauideen aufzeigen, die für ein Land wie China, wo es im städtischen Raum viele Hochhäuser gibt, von großer Relevanz sind.“
Der smart balcony ist nur eine der nachhaltigen Produktideen, die im deutschen Pavillon verblüffen. Im Innern warten noch weitere grüne Visionen deutscher Warendesigner, die für mehr Nachhaltigkeit im Einkaufswagen sorgen sollen. Zu sehen sind hier Gummistiefel aus Mais, garantiert wasserdicht, stylische Treter im Naturlook aus Baumpilzen und für Latte-Macchiato-Hipster Kaffee-Sneaker, die nicht nur optisch etwas hermachen, sondern auch noch nach Kaffee duften. Hergestellt wurde das Bioschuhwerk von der kleinen Kreativfirma K&T GmbH aus Garching in der Nähe von München.
Wie können innovative nachhaltige Produkte den Weg in eine grünere Zukunft weisen? Erste Schritte in diese Richtung lassen sich zum Beispiel mit diesen Gummistiefeln aus Mais gehen. Absolut wasserdicht, verspricht der Hersteller.
Noch nicht ausgeflippt genug? Dann wären da noch Autoreifen aus Löwenzahn-Gummi (von Continental Reifen Deutschland GmbH aus Hannover), kompostierbare Pflanzentöpfe und Kaffeebecher aus Sonnenblumenschalen (von Golden Compound aus Ladbergen in Nordrhein-Westfalen) oder sehr vitaminreiche Brillenetuis aus Orangenschale von der Düsseldorfer Designerin Elise Esser.
Sicherlich ist die Massenherstellung solcher Waren noch Zukunftsmusik, doch den deutschen Organisatoren gelingt es damit aufzuzeigen, was alles machbar ist, wenn man den nötigen Mut zur Vision mitbringt.
Machen nicht nur optisch etwas her, sondern duften auch noch nach Kaffee: Diese nachhaltigen Kaffee-Sneaker wurden von einer kleinen Kreativfirma in der Nähe von München entworfen.
Smarter Ackerbau bietet Kooperationschancen
Ein Bereich, wo Produkte „Made in Germany“ schon heute Leben und Arbeiten grüner und nachhaltiger machen, ist der Ackerbau, auch für China ein wichtiger Wirtschaftssektor.
In Deutschland setzt schon heute jeder zehnte Landwirt Drohnen zur Optimierung der Feldarbeit ein, wie im Expo-Pavillon erklärt wird. Dadurch werden nicht nur Tiere vor dem Mähtod geschützt. Durch Farbanalysen aus der Luft lassen sich zum Beispiel Rückschlüsse auf die Notwendigkeit von Düngung und Bewässerung und über den richtigen Erntezeitpunkt ziehen. Moderne Hightech-Drohnen ermöglichen so schon heute ein noch nachhaltigeres landwirtschaftliches Arbeiten und sorgen für eine tier- und pflanzengerechtere Bewirtschaftung unter Verwendung von weniger Düngemitteln. Nicht zuletzt bieten technische Neuerungen wie diese Deutschland und China neue Chancen der industriellen Zusammenarbeit.
„Auch China ist schon sehr weit, was die Drohnenentwicklung angeht. Hier gibt es enge Kooperationen zwischen unseren beiden Ländern, die ganz klar auf Gegenseitigkeit beruhen“, sagt Bundestagsabgeordneter Fuchtel.
Die Expo in Beijing sieht Fuchtel als wichtige Plattform zum Ideenaustausch. „Wir wollen unter anderem betonen, dass auch IT dem Ziel der Nachhaltigkeit dienen kann und muss. Eine Expo wie hier in Beijing hilft zweifelsohne dabei, neue Ideen zu wecken“, so der Politiker.
Auch für deutsche Unternehmer sei die Weltgartenbau-Expo ein wichtiges Event. „Der deutsche Landwirtschaftsbereich als solcher produziert derzeit ein Drittel seiner Produkte für den Export. Und da ist auch China ein wichtiges Zielland.“
Insgesamt zeigt sich der Parlamentarier optimistisch, dass die grüne Zusammenarbeit zwischen Deutschland und China auch in Zukunft in eine gemeinsame Richtung weisen wird. „Ich war erfreut, dass Xi Jinping in seiner jüngsten Rede auf dem Internationalen Seidenstraßenforum die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung in den Mittelpunkt seiner Rede gestellt hat. Ich kann ihm nur zustimmen, dass wir ein noch stärkeres Bewusstsein schaffen müssen, um den sich stellenden Herausforderungen gerecht zu werden und mehr Nachhaltigkeit in unser Leben zu bringen“, so Fuchtel. „Hier auf der Expo in Beijing ist quasi die ganze Welt präsent, was gute Voraussetzungen dafür bietet, ins Gespräch zu kommen und Fragen der Nachhaltigkeit zu besprechen.“
Pflanzen: Grüner Rohstoff und Träger ideeller Werte
“Lebendige Wand” im Britischen Pavillon: Hier erfahren die Expo-Besucher unter anderem, wie sie Pflanzen selbst anbauen und im Alltag besser nutzen können.
Auch im britischen Pavillon, der nur wenige Gehminuten nördlich der deutschen Ausstellungsfläche liegt, bewertet man die Expo als Chance, den gegenseitigen Austausch zu verstärken.
Sara Everett, britische Generalkommissarin des Ministeriums für internationalen Handel und Projektleiterin des Expo-Auftritts des Vereinigten Königreichs in Beijing, erklärt: „Wir wollen diese Expo als Plattform nutzen, um britische und chinesische Fachleute zusammenzubringen und unseren chinesischen Partnern zu zeigen, was wir in Großbritannien tun und umgekehrt, um eine stärkere Beziehung aufzubauen. Deshalb organisieren wir im britischen Pavillon in den kommenden Monaten eine ganze Reihe von Veranstaltungen rund um das Thema grüne Stadtentwicklung, das Motto der diesjährigen Expo.“
Everett hat den britischen Expo-Garten konzipiert und dabei auf eine Mischung unterschiedlichster Pflanzenarten gesetzt. Rosen, Lavendel, Jasmin und verschiedenste Kräuter - in den Beten sprießen verschiedenste Gewächse, die dem Leben der Großstädter gleich doppelt zuträglich sind, wie die Projektleiterin erklärt. „Einerseits möchten wir den Menschen zeigen, wie sie die Pflanzen, die hier im Expo-Garten zu sehen sind, selbst anbauen können, zum Beispiel auf brachliegenden Freiflächen in der eigenen Community“, sagt sie. Andererseits wolle man verdeutlichen, wie sich die Gewächse noch aktiver in Lebensmitteln und anderen Naturprodukten für ein gesünderes Leben einsetzen ließen.
Pflanzen verkörpern dabei also nicht nur einen greifbaren Marktwert und den Rohstoff grüner Produkte, sondern auch einen ideellen Wert für den einzelnen und das menschliche Zusammenleben, wie die Britin betont. Insbesondere stressgeplagte Großstädter könnten von der Heilkraft des Grüns profitieren. „Ein gut angelegter Garten vermag es, die körperliche und seelische Gesundheit des Menschen zu unterstützen – dieses gesundheitsfördernde Potenzial von Gartenanlagen, zum Beispiel außerhalb von Krankenhäusern, wurde bereits in verschiedenen medizinischen und anderen wissenschaftlichen Studien nachgewiesen“, erklärt Everett.
Gerade was die gesundheitsfördernde Kraft der Pflanzenwelt angeht, sieht die Gartenexpertin großes Potential für die bilaterale Zusammenarbeit – im wissenschaftlichen wie auch im wirtschaftlichen Sinne. Das gelte etwa für den Bereich der Traditionellen Chinesischen Medizin. „Die Idee, Naturheilmittel gegen Krankheiten einzusetzen, ist in Großbritannien ein wachsender Trend. Wir haben diesbezüglich eine große Nachfrage und viel Potential, von China zu lernen“, sagt sie.
Der entscheidende Dünger für gute Kooperation
Wouter Verhey, Hans-Joachim Fuchtel, Sara Everett – sie alle bestätigen, dass die Bande zu China im Bereich des Gartenbaus immer enger werden, sowohl im wissenschaftlichen als auch im ökonomischen Bereich.
Der entscheidende Dünger für gute Kooperation allerdings, das weiß Bert Dautzenberg, Landschaftsarchitekt und Existenzgründer zwischen den Kulturen, ist letztlich ein freundschaftlicher Umgang miteinander und gegenseitiges Vertrauen. Diese Mischung bildet den optimalen Nährboden, um gemeinsam zu wachsen und Antworten auf die großen Fragen der Nachhaltigkeit unserer Zeit zu finden, die letztlich alle Länder betreffen.
„Aus meiner eigenen, langjährigen Erfahrung, weiß ich: Wo menschliche Kontakte und Freundschaften entstehen, da bewegt sich etwas. Und um etwas zu bekommen, muss man stets auch etwas geben“, sagt der Niederländer.
„Die Menschen hier sind äußerst lernbegierig, was dazu beiträgt, dass wir im Bereich des Gartenbaus in China gemeinsam rasche Fortschritte erzielen“, sagt Wouter Verhey, Agrarberater der Niederländischen Botschaft in Beijing.
Und manchmal zeigt sich durch Begegnung und bei genauerem Hinsehen sogar, dass weitentfernte Staaten wie China und Holland in manchen Aspekten gar nicht so unterschiedlich sind, wie man vielleicht vermuten mag. „Die landwirtschaftliche Fläche pro Kopf ist in den Niederlanden fast die gleiche wie in China“, sagt Wouter Verhey. „In Bezug auf die Pro-Kopf-Belastung haben wir in Holland letztlich also den gleichen Druck auf die landwirtschaftlichen Flächen wie hier in China zu bewältigen und stehen damit auch teils vor ähnlichen Problemen.“
Auch Sara Everett vom britischen Pavillon pflichtet bei, das die Expo vor allem eine Plattform der Begegnung ist: „Das Großartige an dieser Gartenbau-Expo ist, dass wir alle physisch zusammenkommen, uns treffen, diskutieren und einander Dinge zeigen können“, sagt sie. Wir dürfen also gespannt sein, welche Saat gemeinsam ausgesät wird im direkten Dialog in Beijing und welche Kooperationspflanzen nach dem Ende der Veranstaltung daraus erwachsen.