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Der 1. Oktober 2019 – Gedanken zum 70. Gründungstag der Volksrepublik China

2019-09-29 09:58:00 Source:China heute Author:
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Von Helmut Matt

 

„Das chinesische Volk hat sich erhoben.“ Es war vor 70 Jahren, am 1. Oktober des Jahres 1949, als der Vorsitzende Mao Zedong mit diesen Worten den Sieg der Revolution in China verkündete. Seitdem gilt dieser Tag als Jahrestag der Gründung der Volksrepublik China – ein Tag, an dem für das Reich der Mitte eine neue Zeitrechnung begann.


Hundert Jahre Invasion, Krieg und Bürgerkrieg hatten das einst so blühende Land nahezu vollkommen verwüstet und die Menschen in Not, Elend und Verzweiflung gestürzt. Am Ende des Krieges gegen die japanischen Invasoren und in den darauf folgenden Jahren unter der Kuomintang-Herrschaft galt China als eines der ärmsten Länder der Erde. Unbeschreibliche Armut, bittere Entbehrungen und Hunger waren allgegenwärtig. Die durchschnittliche Lebenserwartung der Chinesen betrug gerade einmal 35 Jahre.


Das war die Situation am Tag der Gründung der Volksrepublik China – ein Land am Abgrund. Die Kommunistische Partei Chinas unter Führung ihres Vorsitzenden Mao Zedong stand gemeinsam mit der siegreichen Volksbefreiungsarmee vor einem gewaltigen Berg von Problemen. Das Land lag in Trümmern, Transport und Verkehr waren weitgehend funktionsunfähig, die Landwirtschaft ruiniert und das Bewässerungssystem insbesondere durch Sprengung der Flussdeiche aufs Schwerste beschädigt. Große Not herrschte auch in vielen Städten des Landes, wo durch Spekulation und korrupte Verwaltung die Lebensmittelversorgung weitgehend zusammengebrochen war und die Menschen regelrecht auf der Straße verhungerten.


Die KP Chinas und die Volksbefreiungsarmee waren die zwei einzigen noch funktionierenden Institutionen im Land. Nach dem Sieg über die japanischen Imperialisten und die Kuomintang-Armee war es die dringlichste Aufgabe, die Trümmer zu beseitigen, die Menschen mit Nahrung und den elementarsten Lebensgrundlagen zu versorgen und die Gesellschaft nach sozialistischen Prinzipien umzubauen. Man könnte sagen, es war die Stunde null, in der die siegreichen Kommunisten die Grundlagen für das neue, moderne China schufen. Trotz Fehlern und Fehlentwicklungen während der ersten Jahre nach der Revolution gelang es der KP Chinas, die Grundfesten des neuen Staates zu stabilisieren und den gezielten Aufbau der Volksrepublik zu gewährleisten.


Dass die Entwicklung der chinesischen Wirtschaft und Gesellschaft einmal zu einer wirklich einzigartigen Erfolgsgeschichte werden sollte, das hat zum damaligen Zeitpunkt sicherlich noch kaum jemand erwartet – schon gar nicht in ihrem tatsächlichen Ausmaß. Nachdem das Land in den ersten Jahren seiner Unabhängigkeit noch mit einer ganzen Reihe von Schwierigkeiten und Rückschlägen zu kämpfen hatte, markierten die im Jahr 1978 durch Deng Xiaoping eingeleiteten Maßnahmen einen entscheidenden Wendepunkt. Die damals zunächst noch überaus vorsichtige Öffnung und erste Reformschritte erwiesen sich, wie man schon im frühen Stadium erkennen konnte, als überaus erfolgreich. Schon nach kurzer Zeit war eine Belebung der Wirtschaft spürbar und nach nur wenigen Jahren setzte eine immer stärker werdende Dynamik ein, die in beeindruckender Weise dafür sorgte, dass China heute unter den bedeutendsten Wirtschaftsmächten der Erde eine führende Rolle einnimmt.


Es waren überaus bewegte Tage, als vom 18. bis zum 22. Dezember des Jahres 1978 in Chinas Hauptstadt Beijing die Delegierten zur dritten Plenartagung des XI. Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Chinas zusammentraten. Was dort in der Großen Halle des Volkes beschlossen wurde, war eine solch fundamentale Neuorientierung, dass Historiker unserer Tage häufig auch von einer „neuen“ oder „zweiten Revolution“ sprechen. Die Rede ist vom Einstieg in die so genannte „Reform- und Öffnungspolitik Chinas“. Themen wie „Demokratie und Befreiung des Denkens“ beherrschten die Tagesordnung. Aus der Nähe betrachtet bezog sich das Paradigma der Reform und Öffnung auf zwei wichtige Politikfelder: Zum einen auf eine Reform im Inneren des Landes und zum anderen auf eine vorsichtige Öffnung nach außen. Durch die inneren Reformen sollten das Wirtschaftssystem und auch andere Parameter, durch welche die Entwicklung der Produktivkraft ausgebremst worden war, fundamental umgestellt werden. Die ersten Reformschritte der neuen Staatsführung führten zur Errichtung von vier Sonderwirtschaftszonen, darunter auch Shenzhen – eine Maßnahme, die sich auch in der weiteren Entwicklung des Landes vielfach bewähren sollte. Die ebenfalls beschlossene Öffnung der Küsten-, Fluss- und Grenzgebiete waren Grundlage für den außenwirtschaftlichen Erfolg und führten letztlich zur vollständigen Teilhabe Chinas an der ökonomischen Globalisierung.


Wenn wir heute über China sprechen, dann reden wir über ein aufstrebendes, dynamisches Land, das sich in großem Tempo entwickelt und dessen Wirtschaftskraft mittlerweile zu einem Weltmaßstab geworden ist. China ist heute eigentlich überall präsent: Chinesische Spitzentechnologie ist längst schon dabei, den Weltmarkt zu erobern, chinesische Konsumartikel sind aus den Einkaufszentren der Welt nicht mehr wegzudenken und auch in den Bereichen Kultur und Wissenschaft setzt das moderne China wesentliche Impulse. Die Entwicklung, die das Land seit Beginn der Politik der Reform und Öffnung genommen hat, ist geradezu atemberaubend – der Weg, den China eingeschlagen hat, ist ebenso einzigartig wie effektiv.


Was heute selbstverständlich erscheint, das war vor nicht allzu langer Zeit noch kaum vorstellbar. Zu meiner ersten persönlichen Begegnung mit einem Menschen aus dem Reich der Mitte gibt es eine Episode aus der Mitte der Achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts, an die ich immer noch gern zurückdenke.


Das damals noch weithin abgekapselte und verschlossene Land hatte gerade erst damit begonnen, sich vorsichtig nach außen zu öffnen und zugleich im Inneren erste Reformschritte einzuleiten. In diesem Zusammenhang durften auch erstmals chinesische Studenten zum Austausch ins Ausland reisen. Li Jie hieß die nette, junge Kommilitonin, die ich damals im Studentenwohnheim kennen lernte. Sie kam nach Deutschland, um die deutsche Sprache zu lernen und um ein Semester lang an der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg zu studieren. Trotz sprachlicher Barrieren gelangen viele gute Gespräche.


Ich erinnere mich noch lebhaft an ihre Überraschung, als ich ihr erzählte, dass ich regelmäßig deutschsprachige Radioprogramme aus China höre. Radio Peking, das heute den Namen „Radio China International“ trägt, war damals schon die wichtigste Quelle für Informationen aus erster Hand. Die täglichen Sendungen aus Beijing hatten mein Interesse für China und meine Faszination für dieses ferne Land geweckt. Es war nun nicht zuletzt unter diesem Aspekt besonders spannend für mich, in direkten Gesprächen vom Leben in China zu erfahren und auch Li Jie war neugierig darauf, herauszufinden, was die Menschen in Deutschland bewegt. Einmal schenkte Li Jie mir ein kleines rotes Döschen mit einer Medizin gegen Erkältung und Schnupfen. Die Medizin ist längst aufgebraucht, den kleinen Behälter habe ich mir aber als Andenken aufgehoben.


Deng Xiaoping sagte einmal: „Wir müssen die Wirtschaftslage unseres Landes, die durch Lin Biao und die ,Viererbande‘ lange Zeit beschädigt wurde, nüchtern erkennen und uns eine einheitliche Meinung darüber bilden.“ Von dieser Wirtschaftslage ist heute nichts mehr übrig geblieben. China hat sich seit Beginn der Reform- und Öffnungspolitik mit großem Schwung aus Armut und innerer Erstarrung befreit und sich zu einer Gesellschaft voller Lebenskraft und Vitalität gewandelt. Wer sich heute auf den Weg durch die Straßen und Plätze chinesischer Städte und Dörfer macht, wird erstaunt sein von der bunten Vielfalt und dem fröhlichen Leben im Alltag der Chinesen. Der Austausch der politischen und ökonomischen Paradigmen vermochte es, die chinesische Zivilisation neu zu beleben und dem Volk durch wachsenden wirtschaftlichen und politischen Erfolg sein Selbstbewusstsein und seinen Stolz zurückzugeben.


China hat sich in vieler Hinsicht gewandelt und heute noch wird mit großer Energie daran gearbeitet, Wirtschaft und Gesellschaft des Landes weiter zu entwickeln und die Lebensqualität des Volkes zu erhöhen. Ein besonders spektakuläres Beispiel aus unseren Tagen ist meines Erachtens die Initiative zur Wiederbelebung der alten Seidenstraße, an der mittlerweile mehr als 70 Staaten und Organisationen beteiligt sind.


„Ein Gürtel und eine Straße“ lautet der Name der Initiative, die Chinas Staatspräsident Xi Jinping bereits im Jahr 2013 während einer Dienstreise durch Mittel- und Südasien aus der Taufe gehoben hat. Ziel dieser Seidenstraßeninitiative war und ist es, die vollzogene Öffnung nach außen zu erweitern, das Zusammenwirken mit anderen Ländern auf der Basis gegenseitigen Nutzens zu intensivieren und damit der nationalen wie internationalen Wirtschaft neue Impulse zu verleihen. Die Seidenstraßeninitiative führt den Weg der Reform- und Öffnung konsequent fort – mit geradezu schwindelerregender Dynamik.


Der Weg, den China eingeschlagen hat, wird dazu beitragen, dass Wirtschaft und Gesellschaft des Landes sich weiter entwickeln, wovon letztlich die ganze Welt profitieren wird. In diesem Jahr feiert die Volksrepublik China den 70. Jahrestag ihrer Gründung. „Das chinesische Volk hat sich erhoben!“ – das war im Jahr 1949. Selbstbewusst blickt man heute zurück auf eine Zeit des Umbruchs, eine Zeit großer Anstrengungen und Entbehrungen, vor allem aber auf eine Zeit großer Leistungen und Erfolge, die weltweit ihresgleichen suchen. Zum Nationalfeiertag am 1. Oktober und zum 70. Gründungsjubiläum gratuliere ich ganz herzlich. Ich wünsche der Volksrepublik China und dem chinesischen Volk Glück und weiterhin Erfolg bei der Fortsetzung des chinesischen Wegs.


* Der Autor Helmut Matt ist deutscher Schriftsteller und China-Wissenschaftler. 

 

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