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Skisport plus Armutsüberwindung: Wie Olympia 2022 für Chinas Dörfer zum Sprungbrett aus der Armut wird

2019-12-27 13:48:00 Source:China heute Author:
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Von Zuo Lin* und Ma Li



Im Trend: Junge chinesische Eltern und ihre Kinder entdecken das Skilaufen für sich. 


Chongli – diesen Namen dürften Sie in Zukunft noch häufiger hören, zumindest wenn es um die anstehende Winterolympiade in Beijing geht. In diesem Bezirk der Stadt Zhangjiakou nämlich (ehemals ein Kreis) in der nordchinesischen Provinz Hebei werden im Jahr 2022 zahlreiche Disziplinen der Olympischen Winterspiele ausgetragen. „Auch ohne das Großevent würde sich der Bezirk Chongli natürlich entwickeln“, sagt Wang Sizhou, Vizesekretär des Parteikomitees des Bezirks, „aber längst nicht so rasant wie wir es derzeit erleben.“

 

Tatsächlich hat der Bezirk im Beijinger Umland in den letzten paar Jahren stark vom Infrastrukturaufbau rund um die Olympiavorbereitung profitiert, unter anderem wurden zahlreiche Straßenbauprojekte realisiert. Chongli hat seinen Aufschwung aber auch gezielten Regierungsmaßnahmen zur Armutsüberwindung sowie der Beteiligung privater Unternehmen am infrastrukturellen Aufbau zu verdanken.

 

Straßenbau ebnet Weg für mehr Wirtschaftsentwicklung

 

Meng Guofeng arbeitet auf dem Skisportplatz, der vom Forlong Snow Park betrieben wird. Der Entwicklungsauftrieb durch die anstehende Olympiade ist für ihn unübersehbar. „Das zeigt sich besonders beim Straßenverkehr. Die Fahrtzeit nach Beijing hat sich mehr als halbiert“, sagt er. Vor fünf Jahren sei er von Beijing nach Chongli versetzt worden. Auch seine Frau zog mit. „Damals war das Autobahnnetz noch nicht so dicht. Man erreichte die Gegend nur über kurvige Bergstraßen, das dauerte fünf bis sechs Stunden“, erinnert er sich.

 

Dann kam der Olympiazuschlag und mit ihm der rasante Ausbau des örtlichen Straßennetzes. In der Bezirksstadt Chongli wurden die alten Lehmwege asphaltiert. Heute verbindet Beijings siebte Ringstraße den Ort mit dem Stadtgebiet. Innerhalb von drei Stunden gelangt man so mittlerweile von der Beijinger Kernstadt in die Bezirksstadt Chongli, für Beijinger Verhältnisse ein Katzensprung. Wenn erst einmal die Hochgeschwindigkeitsbahn Beijing – Zhangjiakou und der Eisenbahnanschluss der Stadt fertig sind, wird der Ort für Hauptstädter innerhalb von einer Stunde erreichbar sein.



Auf den Spuren der alten Seidenstraße: Die Ortschaft Chongli lag in alter Zeit an einer traditionsträchtigen Handelsroute, die als nördliche Seidenstraße bekannt war. 


Das frisch ausgebaute Verkehrsnetz ist Chonglis neue Lebensader. Durch die aufgewertete Infrastruktur, die Nutzung bestehender Standortvorteile im Wirtschaftskreis der Hauptstadt und die günstigen Wintersportvoraussetzungen dürfte es in Zukunft viele Hobby-Skiläufer nach Chongli ziehen, nicht nur aus Beijing. Und dafür will man gerüstet sein. Um das Skisport-Angebot weiter zu verbessern, sollen die Wintersportanlagen ausgebaut und qualitativ aufgewertet werden. Die Wahl zum Austragungsort der Olympiade ist allein schon eine gute Werbung für den örtlichen Tourismus. Schon heute kommen immer mehr Reisende nach Chongli, um Urlaub zu machen oder Ferienwohnungen zu kaufen. Das hat hier viele neue Jobs geschaffen.

 

Laut Statistiken der Bezirksverwaltung sind die lokalen Gesamtfinanzeinnahmen von Chongli jedes Jahr um 200 Millionen Yuan gestiegen, nachdem Beijing die Bewerbung um die Ausrichtung der Winterolympiade 2022 gewonnen hatte. 2015 lagen sie bei 440 Millionen Yuan, 2018 waren es schon 1,015 Milliarden Yuan, womit Chongli in Sachen Einnahmen erstmals die Milliarden-Marke knacken konnte. Auch die öffentlichen Haushaltseinnahmen kletterten auf über 500 Millionen Yuan. Der Zugeffekt der Winterolympiade trägt zudem zu einer Optimierung der lokalen Wirtschaftsstruktur bei und kurbelt neben auch das Wirtschaftswachstum nachhaltig an.

 

Wandel des Wohnraums

 

Die Winterolympiade ist eine wichtige, längst aber nicht die einzige Triebkraft, die dem lange unterentwickelten Gebiet aus der Armut hilft. 2017 setzte sich die Bezirksverwaltung von Chongli ein neues Entwicklungsziel: Demnach sollten alle historischen Dörfer des Bezirks, die teils auf eine jahrhundertealte Tradition zurückblicken, nach internationalen Baunormen fachmännisch restauriert werden. Außerdem sah der Plan vor, moderne Industrien aufzubauen sowie den besonderen kulturellen Charme der Region noch besser zur Geltung zu bringen. Um die Modernisierung in Stadt und Land gleichermaßen zu realisieren, wird die Standortverteilung derzeit gezielt optimiert, 57 Dörfer werden komplett um- bzw. neugebaut.

 

Ein gutes Beispiel für diesen Wandel ist das Dorf Shangwopu. Es liegt rund zehn Kilometer von der Bezirksverwaltung entfernt. Die meisten jungen Leute sind angesichts der örtlichen Armut und bisher mangelnder Perspektiven zum Geldverdienen in die Städte abgewandert. Ursprünglich zählte das Dorf einmal 130 Haushalte mit 306 Bewohnern. Gerade einmal 63 Haushalte mit 119 Bewohnern blieben. 2017 begann man, das im Verfall begriffene Dorf unter Federführung des Unternehmens Forlong von Grund auf zu erneuern und aufwendig zu modernisieren. Heute verfügt es über komplette Anlagen und ein vollständiges Dienstleistungsangebot.

 

Dorfbewohner Gao Junsheng betreibt hier seit Mai 2019 ein kleines Geschäft. Alle paar Tage muss er in die Bezirksstadt, um Warennachschub zu besorgen. „Ich bin dieses Jahr sechzig geworden“, erzählt er. „Als ich noch jung war, habe auch ich mein Brot als Wanderarbeiter verdient. Heute wohne ich in einem neuen Haus und mein Leben wird von Tag zu Tag besser. Vor diesem Hintergrund haben sich meine Frau und ich entschieden, dieses Geschäft zu eröffnen.“ Während er mit uns spricht, hat seine Frau im Laden alle Hände voll zu tun. Das kleine Geschäft liegt mitten im Dorf und hat einen großen Kundenstamm. Längst übersteigen die Einkünfte den Lohn, den Gao einst als Wanderarbeiter verdiente. Seine Frau Shi Xiuqin freut sich unterdessen, dass die beiden heute gemeinsam Seite an Seite im Geschäft anpacken können.



Neuanfang dank Tourismusentwicklung: Dorfbewohner Gao Junsheng und seine Familie 


„Heute Vormittag ist meine jüngere Tochter mit unserem Enkelsohn aus der Kreisstadt zu Besuch gekommen. Früher war es mir fast unangenehm, sie bei uns übernachten zu lassen“, erzählt uns Frau Shi. Seit das Ehepaar im März dieses Jahres aus seinem alten baufälligen Wohnhaus in eine neue Bleibe gezogen ist, hat sich die Situation von Grund auf geändert. „In unserem alten Haus war das Gemäuer undicht und es gab auch keine Heizung. Die drei Wintermonate waren wirklich hart. Heute sieht alles ganz anders aus“, erzählt sie uns. Das neue Zuhause verfüge über Heizung und Warmwasser, Baden und Duschen seien kein Problem mehr.

 

Frau Shi hat 1981 aus einem Nachbardorf ins Dorf Shangwopu eingeheiratet. In den ersten Ehejahren wohnte das Paar noch in einer Art Höhlenwohnung am Berghang. „Da die Äcker recht unfruchtbar waren, deckte die Ernte kaum unseren Nahrungsbedarf. Wir mussten uns stets den Kopf zerbrechen, wie wir die nächste Mahlzeit auf den Tisch bekommen sollten“, erinnert sich Shi an diese schwierigen Jahre. Später habe das Ehepaar große Anstrengungen auf sich genommen, um die Wohnbedingungen zu verbessern. Mit eigenen Händen bauten sie ein neues Wohnhaus aus Ziegelsteinen. „Es war im Grunde ein Lehmhaus, lediglich umkleidet mit Ziegelsteinen. Die bittere Winterkälte konnte es nicht abhalten“, schildert Shi. „Ich schuftete das ganze Jahr über auf dem Acker, während mein Mann sich als Wanderarbeiter verdingte. Irgendwie musste der Schulbesuch unserer beiden Töchter schließlich finanziert werden.“ Das Leben sei hart gewesen, sagt sie.

 

Dass es dem Ehepaar heute deutlich besser geht, ist vor allem den staatlichen Maßnahmen zur Armutsüberwindung, aber auch dem positiven Auftrieb durch die bevorstehende Winterolympiade zu verdanken, wofür das Ehepaar sehr dankbar ist. „Sonst könnten wir uns ein solches Wohnhaus nicht leisten und hätten auch keine Einnahmequelle durch unser Geschäft“, sagt Shi. „Jetzt hat unser Leben eine gute Perspektive.“

 

Wang Yongfeng, Betriebsmanager des Unternehmens Forlong, erklärt uns: „Wir sind für die Implementierung der Maßnahmen zur Armutsüberwindung vor Ort zuständig. Ziel ist es, dass die Menschen hier auf dem Lande wie etwa in Shangwopu den gleichen Lebensstandard genießen können wie Chinas Städter.“ Die neuen Wohnhäuser verfügten deshalb über getrennte Wohn- und Schlafräume, fließend Wasser, Heizungsanlagen und Warmwasseraufbereitung. „Hinzu kommen Solarenergieanlagen und Anschlüsse für Kabelfernsehen. Das entspricht grundsätzlich dem Standard städtischer Eigentumswohnungen“, so der Manager.

 

Dorfbewohner Hou Guibing, 66, sagt uns, auch er plane im kommenden Jahr in ein neues Zuhause zu ziehen. Die neuen Reihenhäuser mit ihren grauen Dachziegeln seien sehr ansehnlich und stünden im krassen Kontrast zu den alten Lehmbauten, findet er. Dank den Regierungssubventionen können alle Dorfbewohner, auch Hou, gratis neue vier Wände beziehen. Als zusätzliche Beihilfe werden außerdem die Stromkosten halbiert.

 

Veränderung des Entwicklungsmodells

 


Die Armut hinter sich gelassen: Das Dorf Shangwopu erstrahlt heute in neuem Antlitz.


Wang Sizhou als leitender Funktionär vor Ort erklärt, dass die verbesserten Wohnbedingungen letztlich nur einen Aspekt unter vielen im Kampf gegen die örtliche Armut bildeten. Das Maßnahmenpaket, das die Regierung geschnürt habe, sei breitgefächert. Allen Funktionären der Kreis- und Bezirksverwaltung seien konkrete Aufgaben zugeteilt worden. So sei jeder Funktionär für fünf arme Haushalte zuständig. „Vorrangiges Ziel ist es, den Armutsursachen auf den Grund zu gehen“, sagt Wang. Die Regierung biete je nach Ausgangssituation verschiedene Fördermöglichkeiten, um die absolute Armut der Menschen zu überwinden. Denjenigen armen Haushalten, denen es zum Beispiel an Geldmitteln mangelt, gewähre die Lokalregierung Mikrokredite; Menschen ohne Beschäftigung werde eine Arbeitsstelle vermittelt; wem aufgrund mangelnder Bildung eine Anstellung verwehrt bleibe, dem werde ebenfalls gezielt unter die Arme gegriffen und etwa eine Position als Waldschützer oder Reinigungskraft angeboten, so Wang. Arbeitsunfähige Arme kämen derweil in den Genuss des Existenzminimums. Wer aufgrund von Krankheit in Armut geraten sei, werde in die erweiterte Krankenversicherung aufgenommen. „Mit diesen Maßnahmen wird die Armut gezielt angegangen“, so der Funktionär.

 

„Unsere größte Stärke bei der Armutsüberwindung liegt letztlich darin, mit konzentrierten Kräften große Aufgaben zu vollenden. Alle behalten das gemeinsame Ziel im Kopf und streben diesem zu“, betont Wang.

 

Wangs Idee scheint im Bewusstsein der Menschen Shangwopus Wurzeln geschlagen zu haben. Um finanzielle Engpässe zu beheben, beteiligt sich die Bezirksverwaltung von Chongli an der gesellschaftlichen Finanzierung zur Armutsüberwindung. So ist ein großes Maßnahmenpaket entstanden, in dessen Rahmen der Kampf gegen die Armut durch Regierung, Markt und gesellschaftliche Kräfte koordiniert und mit vereinten Kräften vorangetrieben wird.

 

Guo Meihong, geschäftsführende Vizegeneraldirektorin des Unternehmens Forlong, sagt: „Es reicht bei Weitem nicht aus, nur die Wohnbedingungen zu verbessern. Es müssen auch Industrien herausgebildet werden, die die Armutsüberwindung langfristig unterstützen. Nur so lässt sich ländlicher Aufschwung verwirklichen, nur so steigen die Einnahmen der Dorfbewohner und junge Menschen sind bereit, aus den Städten in die Heimat zurückzukehren.“  

 

Aus Guos Sicht sollten auf Grundlage der verbesserten Unterkünfte neue, verlässliche Einnahmequellen erschlossen werden, um die Wirtschaftsentwicklung nachhaltig zu fördern. Dies sei eine der dringlichsten Aufgaben.

 

Wie dies zu erreichen ist, auch dafür hat Unternehmerin Guo schon eine eigene große Vision: „Die Stadt Zhangjiakou war einst Ausgangspunkt der nördlichen Seidenstraße, die von dort bis nach Kulun in der Mongolei reichte. Chongli liegt ebenfalls an dieser wichtigen Handelsroute. Durch die Entfaltung des kulturellen Potentials der alten Handelsstraße lässt sich meiner Meinung nach auch die moderne Wirtschaft ankurbeln. Auf diese Weise lässt sich die ländliche Wirtschaftsentwicklung in Chongli vorantreiben“, ist die Managerin überzeugt. Die traditionelle Kultur sei letztlich ein guter Hebel, um wirtschaftlichen Aufschwung zu erreichen, sagt sie.

 

Guo erklärt: „Es gibt hier viele traditionelle Manufakturen, die beispielsweise hausgemachten Tofu, Speiseöl, Nudeln oder Weizenmehl herstellen. Sie schöpfen teils aus einer tausendjährigen Tradition. Wir sollten dieses Handwerkserbe Shangwopus wieder zur Geltung bringen, damit die Bauern ihre traditionellen Manufakturen wiederbeleben können.“ Einerseits gelte es, die alten Traditionen zu erhalten, andererseits neuen Wert aus diesen zu schöpfen. Damit dies gelinge, bedürfe es einer modernen technischen Aufsicht, fachlicher Verpackung, eines professionellen Vertriebs und eines guten Kundenservices, sprich einer erfolgreichen Integration von Produktion und Vertrieb. Durch die neuen Gewerbebetriebe lasse sich nicht nur die örtliche Beschäftigung ausbauen, auch könnten die Einnahmen gesteigert und die ländliche Wirtschaftsentwicklung gefördert werden, betont Gao.

 

Die Bezirksverwaltung von Chongli unterstützt die Privatwirtschaft in ihrem Vorstoß zur Armutsüberwindung tatkräftig. Es ist gelungen, ein vertrauensvolles Verhältnis zwischen Regierung und örtlichen Unternehmen aufzubauen. Gemeinsames Gewinnen verwirklichen, so lautet die Losung. „Unser Ziel ist es, durch die Entfaltung der Unternehmensstärken etwa in Bereichen wie Kundenbetreuung und Management die Fertigkeiten der Bauern in echte Produktivkräfte umzuwandeln. Das Dorf Shangwopu besitzt eine lange Geschichte und hat das Potential, zu einem Touristenort mit besonderem kulturellen Flair zu reifen, der Besuchern beste Angebote in den Bereichen Übernachtung, Sehenswürdigkeiten, Unternehmungen und Kulinarik bietet.“

 

Wenn es gelinge, die lokale ländliche Kultur mit dem Skisport zu verbinden, bekämen Touristen in Chongli die Chance, eine in jeder Hinsicht unvergessliche Zeit zu verbringen, ist sich Managerin Guo sicher.

 

*Koautorin Zuo Lin ist Journalistin von „China Report“.

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