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Armutsüberwindung in Sichuan: Eine Straße, die alles verändert

2020-09-23 15:34:00 Source:China heute Author:
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Das Dorf Abuluoha liegt in einem abgelegenen Gebiet des Sichuaner Daliang-Gebirges.

 

Von Ma Li

 

Es ist Ende August und damit die Erntesaison für Walnüsse. An diesem Spätsommermorgen des 24. Augusts nieselt es im Dorf Abuluoha, hier tief im Daliang-Gebirge. Qiesha Ci’er und seine Frau bringen eilig die Walnussernte ins Haus, die sie zum Trocknen im Hof ausgelegt haben. Da mittlerweile eine asphaltierte Straße ins Dorf führt, können die Käufer in dieser Erntesaison direkt bis vor ihre Haustür fahren, um die Nüsse abzuholen. Die Walnussernte wird dem Ehepaar das erste Einkommen dieses Jahres bescheren.


 

Reiche Ernte: Die Familie von Qiesha Ci’er baut wie viele Familien im Dorf Walnüsse an.

 

Das Dorf Abuluoha befindet sich im Kreis Butuo des autonomen Bezirks Liangshan der Yi-Nationalität in der südwestchinesischen Provinz Sichuan. Es ist auf drei Seiten von Bergen umsäumt, an der verbleibenden Seite strömt ein Fluss. Bis zu diesem Jahr war das Dorf nur über zwei Passagen zugänglich: Zum einen gab es einen vier Kilometer langen steilen Bergpfad mit einem Gefälle von etwa 1000 Metern, zum anderen ein Gleitkabel, das sich über den Fluss erstreckte. 

 

Aufgrund seiner abgelegenen Lage wurde das Dorf in den Sechzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts als Isolationsdorf zur Behandlung von mehr als 300 Leprakranken ausgewählt, was dem Ort den Namen „Lepradorf“ einbrachte. Dank der schnellen Fortschritte der Medizin konnte China die Krankheit im eigenen Land ausrotten. Das einst arme, isolierte und rückständige Dorf ist heute kaum mehr wiederzuerkennen. Abuluoha ist zu einem modernen kleinen Dörfchen geworden.

 

„Es ist wie ein schöner Traum“ 

 

 

Qiesha Ci’er und seine Frau freuen sich auf die baldige Eheschließung ihres Sohnes.


Am 10. Juli kehrte Qiesha Ci’ers ältester Sohn, der zuvor als Wanderarbeit in der Stadt gearbeitet hatte, mit seiner festen Freundin nach Abuluoha zurück. Die Rückkehr des jungen Paares war ein feierliches Ereignis für das kleine Dörfchen mit seinen nur 253 Einwohnern, die sich über 65 Haushalte verteilen.

 

„Die Freundin meines Sohnes kommt aus einer anderen Region. Gerade bereiten sich die beiden auf ihre Hochzeit vor“, sagt Qiesha Ci’er. Im Dorf herrschten immer noch alte Bräuche vor. Einer davon besage, dass die Familie des Bräutigams der Familie der Braut zur Verlobung Geldgeschenke im Wert von 100.000 bis 200.000 Yuan überreichen müsse. Eine für die Einheimischen enorme Summe, die nicht selten alle Ersparnisse aufzehrt oder die Menschen gar tief in die roten Zahlen stürzt. „Die Freundin meines Sohnes hat dagegen kein Geld von uns verlangt, da diese Sitte in ihrer Heimat nicht üblich ist. Das ist eine große Erleichterung für meine Familie“, sagt Qiesha Ci’er. 

 

Im Oktober letzten Jahres hatte der Sohn das Heimatdorf verlassen, um sich als Wanderarbeiter in der Stadt Yantai in der ostchinesischen Provinz Shandong zu verdingen. Nur etwas mehr als ein halbes Jahr ist seither vergangen, doch das Heimatdorf hat sich in der Zwischenzeit stark verändert. „Als ich mein Heimatdorf damals verließ, war noch ein über vierstündiger Fußmarsch auf einem steilen Bergpfad notwendig, um das nächste Dorf mit Verkehrsanbindung zu erreichen. Bei meiner Rückkehr wurde ich per Minibus bis vor die Haustür gebracht“, sagt der Sohn.


 

Neues Zuhause mit Fernseher, Waschmaschine und fließend Wasser: Familie Qiesha Ci’er vor ihrem neuen Wohnhaus

 

Vor dem Neujahrstag 2020 wurde das einst abgelegene Dörfchen zunächst mithilfe einer modernen Seilbahn an die Außenwelt angeschlossen. Für die Dorfbewohner brach eine neue Ära an, ohne lange Fußmärsche auf beschwerlichen Bergpfaden. Am 26. Juni wurde schließlich auch eine asphaltierte Straße, die direkt zum Dorf führt, dem Verkehr übergeben. Es war ein geschichtsträchtiger Moment: Abuluoha war damit offiziell das letzte Dorf Chinas, das durch eine neue Zugangsstraße verkehrsmäßigen Anschluss an die Außenwelt erhielt. Vier Tage später zogen 33 Familien des Dorfes, darunter auch 29 als arm eingestufte Familien, in neue Wohnhäuser um.

 

„Das wir in diesem Leben noch einmal von unserem alten, dunklen und schäbigen Lehmhaus in ein neues, geräumiges und helles Wohnhaus umziehen würden, hätte ich nie erwartet“, sagt Qiesha Ci’er. „Unser neues Haus ist 80 Quadratmeter groß und hat zwei Stockwerke. Es ist mit einer modernen Spültoilette, Fernseher und Waschmaschine ausgestattet. Wichtig ist vor allem, dass wir dafür keinen Cent bezahlen mussten. Es ist, als ob das alles ein schöner Traum wäre“, sagt der Mann vom Land.

 

Eine Straße, die alles verändert


Diese Straße hat alles verändert: Durch die neue Landstraße wurde Abuluoha an die Außenwelt angeschlossen. 


Im April dieses Jahres hatte die Familie noch eine Schreckensnachricht ereilt. Qiesha Ci’ers Frau war überraschend an Hydronephrose erkrankt, eine Krankheit, die den Harnabfluss blockiert. „Bevor ich sie zur Seilbahn brachte, wählte ich noch rasch den Notruf 120, damit ein Krankenwagen am anderen Ende der Seilbahn auf uns wartete. Dieser brachte uns dann direkt in die Klinik. Die neue Seilbahn sparte in diesem Notfall kostbare Zeit“, erinnert sich Qiesha Ci’er. „In der Vergangenheit dauerte es fünf bis sechs Stunden, das Krankenhaus zu erreichen. Wer krank war, war unterwegs zudem mit zahlreichen Schwierigkeiten konfrontiert“, erzählt er.

 

Vor dem Bau der Seilbahn und der neuen Zugangsstraße war es für die Dorfbewohner ein schwieriges Unterfangen gewesen, Patienten oder Schwangere ins Krankenhaus zu bringen. Die einzige Möglichkeit war, per Pferd auf einem der steilen Bergpfade herunterzureiten. Die lange, holprige Reise war selbst für Menschen in gutem Gesundheitszustand eine Strapatze. „Wegen der schlechten Verkehrsbedingungen gebaren Frauen oft schon unterwegs, bevor sie das Krankenhaus erreichten“, erinnert sich Jilie Ziri, der Sekretär der Parteizelle des Dorfkomitees. Die Verkehrsverbindungen zu verbessern, war für die Dorfbewohner daher ein dringendes Anliegen.


 

Der Parteisekretär Jilie Ziri (rechts im Bild) besucht die Familie eines Dorfbewohners.

 

Die schlechte Verkehrslage Abuluohas rückte in den Fokus der Regierungen auf Provinz-, Stadt- und Kreisebene. Man beschloss, auf der Klippe eine Straße für die Dorfbewohner zu bauen, es sollte eine Lebensader im wahrsten Sinne des Wortes werden. Mit den Bauarbeiten wurde die Sichuan Road and Bridge Group betraut. 

 

Große Höhe, spröde Felsen und Erdrutsche - bei der Durchführung des Bauprojektes mussten viele Herausforderungen bewältigt werden. „Einmal wurde ein Bagger von herabstürzenden Felsbrocken getroffen und in ein tiefes Tal gerissen, so dass die Bauarbeiten zunächst eingestellt werden mussten. Die Angst wirkt bis heute noch nach“, erinnert sich Chen Ju, Mitarbeiterin der Abteilung für Qualitätssicherung des Unternehmens.

 

Im November 2019 kam das Projekt wegen der großen Schwierigkeiten schließlich ganz zum Stillstand. In diesem kritischen Moment bildete die Sichuan Road und Bridge Group ein Expertenteam aus mehr als zehn erfahrenen Ingenieuren, um das Schlüsselproblem zu lösen. Nach gründlichen Untersuchungen wurde schließlich ein neuer Plan ausgearbeitet. Auf einem 1,2 Kilometer langen Abschnitt wurden eine Stahlbrücke und drei Tunnel gebaut. „Das war ein in seiner Komplexität seltener Entwurf für den Bau einer einfachen Dorfzugangsstraße“, sagt Chen Ju.


 

Im November 2019 brachte ein Schwerlasthubschrauber des Typs Mi-26 Materialien für den Straßenbau in das abgelegene Bergdorf. 

 

Nach einem Jahr harter Arbeit konnten die Bauarbeiten für die neue Landstraße schließlich am 26. Juni erfolgreich abgeschlossen werden. Lohnt sich der große Einsatz von Arbeitskräften, Ressourcen und Geldmitteln für den Bau der rund 3,8 Kilometer langen Strecke denn überhaupt? Diese Frage stellten sich viele. Einige Internetnutzer schlugen gar vor, mit den Geldmitteln stattdessen einfach das ganze Dorf an einen anderen Ort zu verlagern und die übrig gebliebenen Gelder direkt an die Dorfbewohner zu verteilen, um diese aus der Armut zu befreien. 

 

„Bei der Beurteilung der Machbarkeit eines Umzugs müssen wir mehrere Faktoren berücksichtigen“, sagt Parteisekretär Jilie Ziri. Hätten wir die Dorfbewohner, die seit Jahrzehnten sehr isoliert gelebt haben, plötzlich einfach in eine neue Umgebung gebracht, hätten sie sicherlich große Schwierigkeiten gehabt, sich der fremden Umgebung anzupassen. Darüber hinaus sind die meisten von ihnen kaum in der Lage, ihren Lebensunterhalt außerhalb der Gebirgsregion zu bestreiten. Nach dem Aufbrauchen des Umsiedlungszuschuss wären sie sehr wahrscheinlich wieder in die Armut zurückgefallen“, so sein Fazit. Kurzfristig gesehen lohne es sich nicht, in den Straßenbau zu investieren, langfristig gesehen werde die neue Infrastruktur jedoch stark zur Entwicklung des Dorfes beitragen, sagt er.

 

Entwicklung mit Nachhaltigkeit

 

„Laut Plan soll bis Ende dieses Jahres die Armut in Chinas gesamtem ländlichen Raum überwunden sein. Für die Erfüllung dieses Zieles scheuen wir keine Anstrengungen“, sagt der Parteisekretär. „Wir haben gerade die Statistik des Pro-Kopf-Einkommens der Dorfbewohner aktualisiert. Zwischen August 2019 und August 2020 lag das Pro-Kopf-Einkommen bei 9000 Yuan und erreichte somit die Ausstiegskriterien für arme Dörfer. Die Überwindung der Armut ist für unser Dorf das größte Glück in diesem Jahr“, sagt er. 

 

Unter Leitung des Parteisekretärs haben die Dorfbewohner im letzten Jahr damit begonnen, moderne Öko-Landwirtschaft zu entwickeln. Neben des bereits bestehenden Anbaus von Wahlnussbäumen und Pfefferpflanzen haben die Menschen begonnen, Orangen und Mango anzubauen, auf einer Anbaufläche von jeweils 50 bzw. 120 Mu (15 Mu = 1 Hektar). „Unser Plan sieht vor, die Anbaufläche für Mangos im nächsten Jahr auf 500 Mu zu erweitern, womit eine wichtige Einnahmequelle für die Dorfbewohner geschaffen wird“, so Jilie Ziri.

 

In diesem Jahr hat das Dorfkomitee spezielle Ausbildungskurse abgehalten, um allen Arbeitskräften des Dorfes die Techniken zum Schnitt von Wahlnusszweigen und Pfeffersträuchern beizubringen, auch einen Baggerführerschein haben viele gemacht. Insbesondere Frauen des Ortes haben von den Fortbildungskursen profitiert.


 

Eine malerische und doch unwegsame Landschaft: Die Große Schlucht des Jinsha-Flusses, die vor dem Dorf Abuluoha liegt.

 

Vom kleinen Platz vor dem Dorfkomitee aus kann man in der Ferne die wunderschöne Große Schlucht des Jinshan-Flusses sehen. Laut Jilie Ziri plane das Dorfkomitee, ausländisches Kapital einzuführen, um mehr als 30 alte Häuser am Jinshan-Fluss in Gästehäuser für Touristen umzubauen. Bald soll so eine neue Reiseroute entlang des Jinsha-Flusses eröffnet werden. „Darüber hinaus wollen wir die Vorteile der neu gebauten Straße nutzen, um touristische Produkte wie Bergsteigen, Abenteueraufenthalte im Freien und Folklore-Erlebnisse anzubieten, so dass unser Dorf sich über den Tourismus nachhaltig entwickeln kann“, erklärt Jilie Ziri.

 

Jilie Ziri erinnert sich noch gut darin, wie Staatspräsident Xi Jinping vor dem chinesischen Frühlingsfest 2018 das von der Yi-Nationalität bewohnte Gebiet des Daliang-Gebirges einst besuchte. Während seines Aufenthalts sagte Xi damals, dass auf dem Weg zu einem besseren Leben keine ethnische Gruppe, keine Familie und kein einzelner Mensch zurückgelassen werden dürften. Die großen Veränderungen in Abuluoha spiegeln letztlich das große Ganze, nämlich die vielen Erfolge, die China im Kampf gegen die Armut im Land erringen konnte.

 

 

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