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Bessere Bildung: Der Königsweg zur Überwindung der Armut

2020-09-25 10:29:00 Source:China heute Author:
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In jedem Dorf des Bezirks Liangshan wurde ein Kindergarten errichtet. Hier lernen die Kinder heute schon vor der Grundschule Hochchinesisch. Unser Bild zeigt den Kindergarten im Dorf Jieba Nada.

 

Von Wen Qing*

 

Es ist ein nebliger Augustmorgen hier in Jieba Nada, einem abgelegenen Dörfchen in Sichuan, genauer gesagt im autonomen Bezirk Liangshan. Der Sechsjährige Jineng Xiaofei ist bereits auf den Beinen. Er wäscht sich und frühstückt. Als die Sonne aufgeht und sich der blaue Himmel enthüllt, hält er wie gewöhnlich die Hand seiner Mutter. Gemeinsam gehen sie zum nahegegangen Dorfkindergarten.

 

„Klatsche in die Hände, und wasche sie oft ... “ In Anleitung des Lehrers singen Xiaofei und die anderen Kinder gemeinsam ein Kinderlied. Damit beginnt ein neuer Tag hier im Dorfkindergarten in der Gebirgsregion. 


 

Jineng Xiaofei und seine Mutter vor dem Eingang des Kindergartens

 

Das Dorf Jieba Nada untersteht der Verwaltung des Kreises Zhaojue. Zhaojue ist das größte Siedlungsgebiet der Angehörigen der Yi-Nationalität und gehört zu den wenigen Kreisen Chinas, die sich noch nicht aus der Armut befreien konnten. Aufgrund der geografischen Abgelegenheit ihres Dorfes, der ungünstigen Verkehrslage und des Mangels an Bildungsressourcen hatten die Einheimischen bisher kaum Chancen, ihr Einkommen zu erhöhen, so dass viele bis heute noch immer in Armut leben.

 

Im Zuge der Umsetzung des Plans zur Armutsüberwindung hat die lokale Regierung von Liangshan erkannt, dass sich die Armut letztlich nur durch bessere Bildung langfristig überwinden lässt. Daher hat sie ein Projekt gestartet, bei dem Kinder Hochchinesisch, das sogenannte Putonghua, erlernen, und das schon bevor sie in die Grundschule kommen. Die Beherrschung der chinesischen Standardsprache ist für die Kinder der Yi eine entscheidende Voraussetzung für eine bessere Zukunft.

 

Putonghua schon im Kindergarten

 

„Vor dem Besuch des Kindergartens war Xiaofei des Hochchinesischen kaum mächtig. Aber jetzt spricht er schon sehr gut. Manchmal unterrichtet er mich sogar zu Hause“, sagt seine Mutter Xiaolan und lacht. Xiaolan hieß eigentlich früher Azhi Wuji. Doch als sie vor einigen Jahren als Wanderarbeiterin fern der Heimat arbeitete, merkte sie, dass viele Han-Chinesen Schwierigkeiten hatten, ihren Yi-Namen auszusprechen. „Daher habe ich mir einen Namen der Han-Chinesen zugelegt“, sagt sie.


 

Mit großem Eifer: Dieses Yi-Mädchen aus dem Kreis Zhaojue lernt fleißig im Kindergarten.

 

Im Bezirk Liangshan, wo sich die Angehörigen der Yi konzentrieren, sprechen die Menschen ihre eigene Sprache. Kinder wie Xiaofeis älterer Bruder Jineng Wuha lernten Putonghua früher erst ab der Grundschule. Der Neunjährige Jineng Wuha besucht mittlerweile die zweite Klasse. Als die Mutter über seine schulischen Leistungen spricht, kräuselt sie ihre Lippen. Sie ist nicht wirklich zufrieden mit den Noten ihres ältesten Sprösslings. „Weil Wuha das Hochchinesische beim Schulbeginn weder verstehen noch sprechen konnte, war er erst ab dem zweiten Schuljahr wirklich in der Lage, dem Unterricht zu folgen“, sagt sie. Wuha war also lange abgehängt und brachte von daher kaum Interesse am Lernen mit. Meist bringt er schlechte Zensuren nach Hause. „Ich mache mir schon Sorgen um ihn“, sagt die junge Mutter.

 

Viele Yi-Kinder haben in der Vergangenheit ähnliche Erfahrungen gemacht. Ihre spärlichen Sprachkenntnisse führten dazu, dass sie nicht verstanden, was der Lehrer sagte, so dass sie schulisch zurückblieben. Dies wirkte sich auch negativ auf ihre Berufschancen aus. Xiaolan kennt dieses Problem aus eigener Erfahrung. „Als ich auswärts als Wanderarbeiterin gearbeitet habe, konnte ich oft nicht verstehen, was die anderen sagten. Das hat mich vor große Schwierigkeiten gestellt.“ Aus diesem Grund hofft sie nun, dass ihre Kinder Hochchinesisch lernen.

 

Die vorschulische Erziehung ist zu einem wichtigen Mittel geworden, um die Weitergabe der Armut auf die nächste Generation in Liangshan zu verhindern. Im Mai 2018 wurde ein Pilotprojekt für das Erlernen von Putonghua für Vorschulkinder gestartet. 2724 Kindergärten auf Dorfebene wurden seither errichtet, an denen heute 112.800 Kinder Putonghua lernen. Der kleine Xiaofei ist eines davon.

 

„Wir bringen den Kleinen nicht nur Chinesisch bei, sondern vermitteln ihnen auch gute Lebensgewohnheiten. Dazu gehört zum Beispiel, sich vor jedem Essen gründlich die Hände zu waschen“, sagt Luo Ying, Lehrerin eines Kindergartens. In der Vergangenheit achteten die Angehörigen der Yi meist nur sehr wenig auf Hygiene. Viele lebten gar mit ihren Nutztieren unter einem Dach, was zu vielen gesundheitlichen Problemen führte. „Es ist eine wichtige Aufgabe für uns, den Kindern bei der Entwicklung guter und gesunder Lebensgewohnheiten zu helfen“, sagt Luo.

 

Weil der Bezirk Liangshan zu den Gebieten gehört, die besonders stark von Armut betroffen sind, steht die Lokalregierung unter großem finanziellen Druck, insbesondere im Bildungsbereich. Bei der Armutsüberwindung hat Liangshan dennoch größte Anstrengungen unternommen, um die Bildung der Kinder zu unterstützen. So wurde schrittweise erreicht, dass sich mittlerweile in jedem Dorf ein Kindergarten findet. Die Kindergärten wurden entweder auf dem Gelände örtlicher Grundschulen, in umgebauten Freizeiträumen des Dorfkomitees oder in gemieteten Wohnhäusern der Dorfbewohner eingerichtet.

 

Um mehr Nachwuchs zum Besuch der Einrichtungen zu ermutigen, wurde jedem Kind ein Mittagessenszuschuss in Höhe von 3 Yuan angeboten. „Anfangs schickten viele Eltern ihre Kinder nur in den Kindergarten, um ihnen ein kostenloses Mittagessen zu ermöglichen“, erinnert sich Huang Jing, Leiterin des Büros des Putonghua-Projekts. „Aber allmählich haben sie gemerkt, dass ihre Kinder bei uns viele Fortschritte erzielen. Das hat uns und unserer Arbeit viel Anerkennung eingebracht. Heute schicken die Eltern ihre Kinder gerne in den Kindergarten“, sagt Huang.

 

Laut ihr absolviere der erste Kindergartenjahrgang gerade die Grundschule. „Durch Nachbefragungen haben wir ermittelt, dass sich unsere Kinder besser auf den Unterricht konzentrieren können, als vorherige Jahrgänge. Auch kommunizieren sie gerne mit den Lehrern. Viele der Kleinen zeigen bessere schulische Leistungen“, sagt Huang. 

 

Im November 2019 führte die Communications University of China eine Stichprobenbewertung über das Sprachentwicklungsniveau derjenigen Kinder im ersten Schuljahr im Bezirk Liangshan durch, die den neuen Kindergarten besucht hatten. Man kam zu dem Ergebnis, dass 99,03 Prozent dieser Kinder den schulischen Anforderungen gerecht wurden. Parallel zum Putonghua-Projekt legt der Bezirk aber auch großen Wert darauf, die Sprache der Yi zu lehren und Kurse über die Yi-Kultur zu veranstalten, damit die Kinder die traditionelle Kultur ihrer Ethnie fortsetzen und verbreiten können.

 

Abendschule für Landwirte

 

 

Landwirte des Dorfes Xiaoshan besuchen die Abendschule, um sich Kenntnisse über Tierhaltung und Anbautechniken anzueignen.


Neben der Entwicklung der vorschulischen Erziehung wurden in Liangshan auch Abendschulen für Landwirte gegründet. Hier erhalten die örtlichen Bauern die Möglichkeit, sich neue Fertigkeiten anzueignen, um ihr Leben zu verbessern.

 

Am 24. August fährt der 36-jährige Adi Aqie, ein Landwirt aus dem Dorf Xiaoshan, mit seinem Motorrad zur Abendschule, die im Zentrum des Dorfs liegt. An diesem Tag soll hier ein Agrartechniker der Landwirtschaftsbehörde der Kreisverwaltung einen Vortrag zum Thema „Höhere Kartoffelerträge“ halten. „Ich interessiere mich sehr für dieses Thema. In diesem Jahr wurde unser Dorf mehrmals von Hagelschauern heimgesucht, wodurch viele Kartoffelsetzlinge stark beschädigt wurden. Ich fürchte, dass dies unsere Erträge in diesem Jahr beeinträchtigen wird“, sagt er. 

 

Seinen Vortrag hält der angereiste Agrartechniker in der Sprache der Yi. „Beim Anbau von Kartoffeln ist es ratsam, jeweils drei Samen in eine Mulde zu geben. So steigt die Überlebensrate und der Ertrag wird bestmöglich gesichert“, erklärt er.

 

Das Dorf Xiaoshan befindet sich in der Gemeinde Mianshan im Kreis Xide. Es war einst das einzige Dorf des Kreises, das unter der Armutsgrenze lag. Der Hauptgrund für die Rückständigkeit des Ortes war der Mangel an Produktionstechnologien und -fähigkeiten der dortigen Arbeitskräfte.

 

„Wegen dieses Mangels konnten die Landwirte ihr Potenzial lange nicht voll entfalten“, erklärt uns Bajiu Ertie, der Sekretär der Parteizelle des örtlichen Dorfkomitees. Um das Problem zu verdeutlichen, führt er ein Beispiel an: Im November 2015, kurz vor Wintereinbruch, warf eine Sau seiner Familie mehr als zehn Ferkel. „Weil ich mich aber mit der Aufzucht nicht genug auskannte, erfroren schließlich alle zehn“, sagt er.

 

Um zu verhindern, dass Ähnliches wieder passierte, trommelte der damalige Parteisekretär des Dorfs Wu Xiao eine Gruppe von Landwirten zusammen, um sich gemeinsam Videos über Ferkelzuchttechniken anzuschauen. So lernten die Bauern, wie man Ferkeln hilft, gut durch den Winter zu kommen. Schließlich organsierten die Bauern weiterer solcher Veranstaltungen. Daraus entstand letztlich die Idee für eine Abendschule.

 

„In unserer Abendschule werden die Kurse nicht nur abends abgehalten“, sagt Basha Ertie. „Je nach den Bedürfnissen der Landwirte werden die Vorträge teilweise auch auf den Feldern oder in den Wohnhäusern der Landwirte abgehalten“, so der Parteisekretär. Bei gutem Wetter versammeln sich die Bauern auf dem Dorfplatz, einerseits um landwirtschaftliche Kenntnisse zu erlernen, andererseits auch um die Sonne zu genießen. 

 

Die Abendschule biete pro Monat ein bis zwei Kurse an. Dafür würden Fachleute aus verschiedenen Bereichen eingeladen. „Agrarexperten halten Vorträge über Tierhaltung und Anbautechniken, während Parteisekretäre und Kader, die für eine Zeit lang zur Unterstützung der Armutsüberwindung in der Region sind, zum Beispiel über politische Maßnahmen und Gesetze sprechen. Ziel ist es, alle verfügbaren Ressourcen gut zu nutzten, um das Wissen der Dorfbewohner zu bereichern“, sagt Bajiu Ertie. 

 

Anfang Mai beginne die Hauptsaison zum Seuchenschutz bei Vieh und Geflügel. „In dieser Zeit laden wir Experten vom Büro für Landwirtschaft und Tierhaltung der Kreisverwaltung ins Dorf ein, um die Landwirte über Impfmethoden aufzuklären. Damit sich die Landwirte mit den Kenntnissen besser vertraut machen können, werden die Kurse direkt in Schafställen abgehalten“, sagt Bajiu Ertie.

 

Das Fackelfestival und das traditionelle Neujahrsfest sind die größten Feierlichkeiten der Yi-Nationalität. Die meisten Landwirte, die als Wanderarbeiter in anderen Gebieten Chinas tätig sind, kehren zu dieser Zeit in ihre Heimat zurück. „Das Dorfkomitee nutzt diese Gelegenheit, um Kurse über Arbeitsschiedsgerichtsbarkeit und Arbeitssicherheit zu veranstalten, damit die Landwirte ihre gesetzlichen Rechte kennen lernen und ihre Interessen besser schützen können“, sagt Parteisekretär Bajiu Ertie. Darüber hinaus habe das Dorfkomitee in dieser Zeit auch einige Kurse zur Ausbildung von Schweißern, Baggerführern und Köchen abgehalten.


 

Ein junger Kuhhirt in der Gemeinde Tuojue im Kreis Butuo

 

Laut dem Agrartechniker Lama Wusha bestehe die größte Veränderung für die Dorfbewohner darin, dass sie jetzt an den Nutzen von Wissen und Wissenschaft glaubten. „In der Vergangenheit glaubten viele nicht an den Nutzen von Impfstoffen. Im Unterricht haben wir die Wichtigkeit von Impfungen für die Senkung der Sterblichkeitsrate von Nutztieren betont. Mittlerweile ist das gesamte Vieh in unserem Dorf geimpft“, sagt er. „Darüber hinaus betonen wir auch, dass es wichtig ist, die Ställe sauber zu halten, um chronische Krankheiten oder bakterielle Infektionen der Tiere zu verringern.“

 

Dorfbewohner Adi Aqie sagt, dass er in der Vergangenheit tatsächlich nicht viel von Impfungen gehalten habe und ihren Nutzen in Frage stellte. „Jedes Jahr starben viele meiner Kühe und Schafe an Krankheiten. Nach dem Besuch der Abendschule habe ich dann alle Nutztiere unserer Familie impfen lassen. Nun kommt es nur noch sehr selten zu Krankheiten“, sagt er. „Ich werde auch weiterhin die Abendschule besuchen, um mir noch mehr Kenntnisse anzueignen, damit ich in Zukunft mehr Geld verdienen und unseren kleinen Familienbetrieb modernisieren kann“, sagt er.

 

*Wen Qing ist Reporterin der „Beijing Review“.

 

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