Von Wang Yue*
Ein unscheinbares Glashäuschen am Eingang einer Wohngemeinde im südwestchinesischen Chengdu ist in den letzten Monaten zu einer kleinen lokalen Attraktion geworden. Das Gebäude ist Teil des Projekts „Recyceln und doppelt verdienen“ und soll für das Thema Recycling sensibilisieren. Wer hier recycelbare Stoffe vorbeibringt, bekommt dafür nicht nur Bares, sondern auch Bonuspunkte gutgeschrieben, die sich später wiederum in Geld ummünzen lassen. Ganz wie es das Projektmotto besagt, verdienen Recyclingwillige hier also doppelt. Das Geld dient als Anerkennung dafür, dass die Menschen zum Recycling hier in der Hauptstadt Sichuans beitragen und auf diese Weise gleichzeitig ihre persönlichen Kohlenstofffußstapfen verkleinern.
Grüner Verkehr: Die Stadt Chengdu vergibt Bonuspunkte für das Umsteigen auf umweltfreundliche Verkehrsmittel. Unser Bild zeigt eine mit Efeu bewachsene Überführung entlang der zweiten Ringstraße der Metropole. Es entstand am 22. April 2021.
Wiegen, umwandeln, verdienen
Das gläserne Häuschen wurde im Januar dieses Jahres in Gebrauch genommen. Im Inneren können Besucher nachverfolgen, wie der eingehende Abfall automatisch in fünf Kategorien sortiert wird: Textilien, Glaswaren, Kunststoff, Metall und Altpapier. Das Personal vor Ort hilft Unschlüssigen dabei, die Wertstoffe in die richtige Tonne einzusortieren. Zunächst aber werden die Reststoffe erst einmal gewogen, und zwar mit einer digitalen Waage. Danach erscheint ein QR-Code auf dem Bildschirm, den der Abfallentsorger nun nur noch per Smartphone einscannen muss. Der Computer berechnet dann den auszuzahlenden Gegenwert. Sekunden später klingelt das Geld schon im digitalen WeChat-Geldbeutel. Der schnelle und unkomplizierte Prozess – wiegen, umwandeln, verdienen – macht das Glashaus zu einer beliebten Anlaufstelle.
Neben dieser Zahlung wird ein weiterer Bonus von 100 Yuan (umgerechnet rund 13 Euro) gewährt, wenn die Menge des mitgebrachten recycelbaren Abfalls eine Tonne erreicht. Doch die Verantwortlichen betonen: Jeder noch so kleiner Recyclingbeitrag mache einen Unterschied und trage zum Gelingen der nationale Umwelt- und Klimaschutzkampagne bei. Mit dieser und weiteren Innovationen bereitet sich Chengdu darauf vor, zur klimaneutralen Pilotstadt des Landes aufzusteigen.
Panda wirbt für Umweltschutz
Eine weitere Innovation ist die Einführung der Plattform „Kohlenstoffarmes Chengdu“, ein Portal für grünes Gemeinwohl, das online sowie per App aufgerufen werden kann. Es verfügt außerdem über ein offizielles Konto auf Chinas beliebter Social-Media-, Kommunikations- und Online-Zahlungsplattform WeChat. Auf „Kohlenstoffarmes Chengdu“ kann man ebenfalls Punkte sammeln, zum Beispiel indem man von einem traditionellen PKW auf ein Elektrofahrzeug umsteigt, sich aufs Sharing-Bike schwingt oder Fälle von Umweltverschmutzung per Foto oder Video dokumentiert und meldet.
Öffnet man die App, wird man von einem kleinen Panda begrüßt. Es handelt sich um Tantan, das Maskottchen des kohlenstoffarmen Chengdus der Zukunft. Der knuffige Gefährte interagiert mit den Nutzern und informiert über Biodiversität, die Reduzierung der Kohlenstoffemissionen und andere Aspekte des Umweltschutzes. Außerdem ermutigt er die User, einen kohlenstoffarmen Lebensstil zu verfolgen.
2020 begann die Stadtregierung von Chengdu, eine Politik der „doppelten Ermutigung“ zur Reduzierung von Kohlenstoffemissionen zu fördern. Doppelt in dem Sinne, dass diese Politik sowohl auf den Einzelnen als auch auf Unternehmen setzt. Die Einheimischen werden gezielt ermutigt, ihre Kohlenstofffußspuren zu reduzieren, indem sie sich mehr zu Fuß bewegen, Elektrofahrzeuge nutzen oder bevorzugt umweltfreundliche Supermärkte, Hotels oder andere Serviceeinrichtungen ansteuern. Wer auf diese Weise Punkte sammelt, erhält Gutscheine für grüne Waren und Dienstleistungen, die in ausgewählten Onlineshops eingetauscht werden können.
Unternehmen können ihr Punktekonto aufbessern, indem sie auf energiesparende Technologien umrüsten, mehr Kohlenstoffemissionen in ihren Produktionsprozessen einsparen und in die Erforschung und Entwicklung neuer Energien investieren. Auch werden Firmen dazu ermutigt, saubere Energie und energiesparende Renovierungen zu nutzen, die Aufforstung zu fördern und sich für den Schutz der Wälder zu engagieren. Ihre so gesammelten Punkte können die Betriebe dann darauf verwenden, Klimaschutztransaktionen auf Online-Handelsplattformen durchzuführen.
Durch die Kampagne „Kohlenstoffarmes Chengdu“ sollen die Kohlenstoffemissionen der Metropole um mindestens 40.000 Tonnen reduziert werden. Viele Großunternehmen haben sich dem Programm bereits angeschlossen, etwa so bekannte Namen wie FAW Toyota oder die China Industrial Bank.
Ein Infohäuschen zum Thema Umweltschutz in einem Wohnviertel der Stadt. Einzelpersonen und Unternehmen werden in Chengdu gleichermaßen in das Projekt grüner Entwicklung miteinbezogen.
Grünes Bauen
Da die Bauindustrie einen der größten kohlenstoffemittierenden Sektoren sowie einen der größten Energieverbraucher darstellt, ist grünes Bauen eine wichtige Maßnahme, um den Kohlendioxidausstoß maximal zu senken und auf dem Weg zur Klimaneutralität voranzukommen. Chengdu fördert deshalb gezielt die Umweltfreundlichkeit bei allen Bauprojekten. Bis Juni 2021 wurden in der Stadt auf über 200 Millionen Quadratmetern grüne Bauprojekte verwirklicht, 264 davon erhielten das Green-Building-Label, ein nationaler Standard für grüne Gebäude. Sie haben damit nachweislich dem Ziel der Einsparung von Energie, Land und Wasser sowie der Verringerung der Umweltverschmutzung und des Umweltschutzes entsprochen.
Auch Chengdus neuer Flughafen, der Tianfu International Airport, der im Juni in Betrieb ging, verfügt über ein Drei-Sterne-Green-Building-Label und erreicht damit die höchste Umweltnote. Qiu Xiaoyong, Chefarchitekt des China Southwest Architectural Design and Research Institute und Chefdesigner des Flughafens, sagt, dass die beiden Terminals mit riesigen Glasfenstern ausgestattet seien, um die Nutzung des natürlichen Lichts zu maximieren. Im Frühjahr und Herbst sei auf diese Weise keine zusätzliche Klimatisierung nötig, wodurch mehr Energie gespart werde.
Neben den neuen umweltfreundlichen Projekten renoviert Chengdu außerdem Altbauten, um diese umwelttauglich zu machen. So wurde zum Beispiel 2018 die Hall of Science am Sichuan Institute of Building Research, Baujahr 1985, komplett saniert. Sie wurde zum ersten Altbau der Stadt, das einen Drei-Sterne-Preis für umweltfreundliche Sanierung erhalten hat.
Bei dem Projekt kamen neue Technologien wie die Passivhausbauweise zum Einsatz. Dabei handelt es sich um Gebäude, die wenig Energie zum Heizen oder Kühlen benötigen und auf Solarenergie sowie intelligente Beleuchtung und Klimatisierung setzen. Durch die Umbauarbeiten hat sich der Energieverbrauch der Halle im Vergleich zu ähnlichen Gebäuden halbiert. Der jährliche Kohlendioxidausstoß konnte um rund 4600 Tonnen gesenkt werden.
E-Ladesäulen sind in vielen Wohnvierteln Chengdus mittlerweile Standard.
Neuer Trend zur Aufforstung
2018 veranstaltete Chengdu zwei Großveranstaltungen, das Second High-Level International Forum on Sustainable Urban Development, das vom UN-Programm für menschliche Siedlungen und dem China Center for Urban Development organisiert wurde, sowie das Cybersecurity Technology Summit Forum. Wie international heute üblich, wurde vorab berechnet, wie viele Emissionen die Veranstaltung der Events jeweils verursachen würde. Entsprechend wurden als Ausgleich Bäume gepflanzt. So entstand in Chengdu ein 47 Hektar großer Wald in der Shanquan Town, um die fast 1400 Tonnen Emissionen auszugleichen, die die Ausrichtung der Großevents schätzungsweise verursachen würde. Dieser „Konferenzwald“ für mehr Klimaneutralität ist der erste seiner Art in China.
Laut einem Bericht des China Quality Certification Center gedeihen bisher 95 Prozent der Bäume des Wald bestens, darunter hauptsächlich Kampfer, Liguster, Gingko und Osmanthusbäume. Der Forst ist für die Öffentlichkeit zugänglich und zeigt eindrucksvoll, wie Chengdu in Richtung des Ziels der kohlenstoffarmen Pilotstadt weiter voranschreitet.
Die Kohlenstoffbindung in Wäldern gilt weltweit als effektive und wirtschaftliche Möglichkeit zur Absorption von Emissionen. Im August 2021 veröffentlichte Chengdus Bureau of Park City Construction and Management den Bericht über die Waldressourcen und die Forstindustrie der Stadt im Jahr 2020. Darin heißt es, dass Chengdus Waldfläche zwischen 2016 und 2020 um 27.000 Hektar gewachsen ist. Derzeit sind über 40 Prozent der Stadtfläche begrünt, es kommen 46 Bäume auf jeden Einwohner. Die Wälder und Grünflächen der Metropole haben im Jahr 2020 zwei Millionen Tonnen Kohlendioxid gebunden und über vier Millionen Tonnen Sauerstoff produziert.
He Kebin, Professor an der School of Environment der Tsinghua University und Forscher der Chinese Academy of Engineering, fasst die Erfolge der letzten Jahre so zusammen: Chengdu sei zu einer umweltfreundlichen und noch lebenswerteren Metropole geworden, in der Natur und Mensch in Harmonie koexistierten, sagt er. Die Lebensqualität der Einheimischen habe sich spürbar verbessert und die Kohlenstoffemissionen konnten erfolgreich verringert werden. Die Zeichen für die Zukunft stehen also gut.
*Wang Yue ist Reporter bei „Chengdu Culture“.