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Exportschlager Frühlingsfest: „Chunjie“ in Barcelona und Madrid

2022-01-27 15:12:00 Source: Author:
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Von Augusto Soto* 

  

In den vergangenen Jahren sah und hörte man immer wieder Staatspräsidenten und Premierminister aus Europa ihre Neujahrswünsche zum traditionellen chinesischen Frühlingsfest (chunjie) übermitteln. Darunter reihten sich auch die letzten beiden Staatspräsidenten Spaniens, meines Heimatlandes, ein. Sie übermittelten jeweils herzliche Grußbotschaften über Social Media. Zur Begrüßung des Jahres des Ochsen im Januar 2021 hielt der Bürgermeister von Sevilla sogar eine Rede im Fernsehen, in der er Chinesisch sprach. Der Bürgermeister von Barcelona – wo ich derzeit lebe – war in den letzten Jahren sichtlich bemüht, aufwendige Frühlingsfestfeierlichkeiten in der Metropole zu organisieren. Auf den Straßen sah man vielerorts bunte Spruchbänder mit chinesischen Schriftzeichen. Solche Veranstaltungen spiegeln eindeutig die große Bedeutung, die die Community ortsansässiger chinesischer Unternehmer und Geschäftsleute heute für Europa hat. Das gilt insbesondere für Spanien, wo momentan schätzungsweise rund 230.000 Chinesinnen und Chinesen leben. Hier in Barcelona und andernorts in Spanien ist das chinesische Frühlingsfest inzwischen für uns eine feste Größe im Festtagskalender.  

 


Viele Chateaus in Bordeaux boten am 5. Januar 2018 vor dem chinesischen Neujahrsfest eine besondere Speisenauswahl für chinesische Gäste an.

  

Von China in die Welt 

  

Ende 1986 wurde mir persönlich erstmals der Stellenwert des chinesischen Neujahrsfestes bewusst. Damals lebte ich im pulsierenden Universitätsviertel Beijings im Bezirk Haidian, wo viele renommierte Spitzenuniversitäten wie die Tsinghua-Universität und die Peking-Universität angesiedelt sind. Ende der 1980er Jahre weilte ich dort zum Studium.  

  

Ich erlebte die Feierlichkeiten zum Start des Jahres des Hasen damals aber in Kunming mit, der Stadt des ewigen Frühlings, kurz bevor ich im Januar 1987 den Emei Shan bestieg. Es war wahrlich eine berauschende Art, ins neue Jahr zu starten. Auch erinnere ich mich noch gut daran, wie ich zwei Jahre später, im Winter 1989, im Kreis einer chinesischen Familie in Hangzhou ins Jahr der Schlange hineinfeierte. 

  

Im Januar 1998 rutschte ich gemeinsam mit angesehenen Wissenschaftlern aus dem pazifischen Raum an der University of California in San Diego ins Jahr des Tigers. Ein Chinese aus der ostchinesischen Provinz Jiangsu hatte mich damals zu einer Party anlässlich des chinesischen Jahreswechsels eingeladen. Wir kochten gemeinsam, eine perfekte Art des Kulturaustausches. Einige Tage später genoss ich auf Einladung einer thailändischen Professorin mit chinesischen Wurzeln in San Franciscos legendärer Chinatown weitere Neujahrsaktivitäten und tauchte erneut ein in die vielen Facetten der chinesischen Kultur. 

  

Mit dem Frühlingsfest verbinde ich, wie Sie sehen, also zahlreiche Erinnerungen, die ich allesamt nicht missen möchte. Eine davon aber ist mir bis heute besonders in Erinnerung geblieben. Das Ganze ereignete sich in Berlin. An einem Tag Ende Januar 2017 verließ ich damals das Berliner Forschungsinstitut für den Dialog der Kulturen, wo ich mich mit Kollegen über die Seidenstraßeninitiative und ihr Potenzial für Europa ausgetauscht hatte. Als ich später am Brandenburger Tor vorbeikam, traf ich auf eine Gruppe frisch gebackener Hochschulabsolventen aus Fujian sowie einige malaysische und indonesische Touristen. Sie unterhielten sich ausgelassen in fließendem Mandarin und stimmten sich gemeinsam auf das Jahr des Hahnes ein. 

  

Spontan posierte ich mit der Gruppe für einen Erinnerungsschnappschuss. Wir wünschten uns, dass die traditionellen Mondkalenderfeste aus China in Zukunft die Menschen in den entfernten Orten des eurasischen Kontinents noch stärker vereinen würden. Ich lud die Gruppe zudem nach Spanien ein – in die Heimat einer der lebendigsten chinesischen Gemeinschaften Europas, wie ich betonte.  

 


Am 10. Februar 2019 beging die chinesische Gemeinde in Mailand das Frühlingsfest mit einer farbenfrohen Golden-Dragon-Parade und chinesischem Löwentanz.

  

Chunjie in Spanien 

  

Bereits sechs Jahre in Folge hat Madrid den Start ins chinesische Neujahr nun schon feierlich begangen. Derzeit laufen die Vorbereitungen für das siebte Mal auf Hochtouren. Hotspot ist dabei der Bezirk Usera. Das Herz der Feierlichkeiten bildet hier der Hauptplatz im Zentrum des Bezirks, der gesäumt ist von Geschäften und Restaurants, Immobilienagenturen und Softwaregeschäften, Fahrschulen, Reisebüros und Friseuren, die alle von Chinesen betrieben werden und geschmückt sind mit farbenfrohen zweisprachigen Schildern. 

  

Doch Chunjie wird nicht nur in der spanischen Hauptstadt gefeiert, sondern auch in anderen großen und kleinen Städten des Landes. In der Regel übermitteln die chinesischen Botschafter und Konsuln nach einigen Worten an die örtlichen Regierungsvertreter den chinesischen und spanischen Feiernden ihre Neujahrsgrüße. Eingerahmt wird das Ganze durch eindrucksvolle Paraden und Aufführungen. Tänzer mit riesigen Drachen- und Löwenmasken wirbeln da zum Beispiel im Rhythmus der Trommeln umher, springen und schlagen Salti, begleitet von Feuerwerkskrachen und Gongschlägen. Organisiert werden die Aufführungen von verschiedenen chinesischen und spanisch-chinesischen Berufsverbänden sowie von der Zivilgesellschaft.   

  

Mit den Jahren sind die Festaktivitäten immer vielfältiger und bunter geworden, Kungfu-, Taichi- und Qigong-Aufführungen im Shaolin-Stil peppen das Rahmenprogramm auf, für kleine und große Naschkatzen gibt es vielerorts kunstvolle Zuckerfiguren nach südwestchinesischer Art. Sie erfreuen an verschiedenen Essensständen Auge und Gaumen. Auch chinesisch-spanische Flamenco-Tanzgruppen geben ihr Können zum Besten, flankiert von den Flaggen und Bannern der chinesischen Sprachakademien beider Länder. Aber die ausgelassene Stimmung geht längst weit über die Straßen hinaus. Dafür muss man wissen, dass heute etwa 50.000 Menschen in Spanien Chinesisch lernen. Wie Beijing bestätigt, ist Spanien bereits seit einigen Jahren Spitzenreiter in Europa, was die Teilnahmezahlen an den offiziellen HSK-Prüfungen angeht. Die Hanyu Shuiping Kaoshi (kurz HSK) ist ein international standardisierter Chinesischtest.  

 


Teil der Feierlichkeiten zum chinesischen Neujahrsfest in Barcelona. (Foto mit freundlicher Genehmigung von Augusto Soto)

  

Unvergessliche Momente 

  

In der spanischen Öffentlichkeit ist das Thema Chunjie allgemein sehr präsent. Der FC Barcelona, für den bekanntlich unter anderem Weltfußballer Lionel Messi spielte, hat in den letzten fünf Jahren jedes Jahr Neujahrsgrüße auf Chinesisch in den sozialen Netzwerken geteilt. Außerdem führte Barcelonas Bürgermeisterin Ada Colau die bisher größte chinesische Neujahrsparade an.  

  

Doch auch privat feiern die Spanier gerne Chunjie. Immer mehr Privatleute lassen sich vom Zauber des Frühlingsfestes anstecken. In dieser Hinsicht erinnere ich mich besonders an den Beginn des Jahres des Drachen im Februar 2000, als ich eine Delegation von Akademikern aus Beijing und der Provinz Sichuan zu einem Austauschbesuch an spanischen Universitäten empfing. Gemeinsam bereiteten wir zu Hause die berühmten chinesischen Maultaschen (Jiaozi) zu und genossen später köstlichen Tofu, süß-saures Schweinefleisch und andere traditionelle chinesische Gerichte. Zu späterer Stunde prosteten wir uns mit Qingdao-Bier, Maotai-Schnaps und Changcheng-Rotwein zu. Wir stießen auf unsere Freundschaft, unsere Familien und unsere Heimatländer an, und natürlich auf den akademischen Austausch und sein weiteres Gedeihen und Wachsen. 

  

Rückblickend betrachtet machten wir diese Trinksprüche vor dem Hintergrund großer historischer Umbrüche: Europa hatte gerade den Euro eingeführt und China stand kurz vor dem Beitritt zur Welthandelsorganisation.  

  

Im Februar 2015 begingen wir den Jahreswechsel zum Jahr der Ziege mit Freunden aus Chile in einem katalanischen Restaurant in der Nähe des Camp Nou (des größten Fußballstadions Europas, unter dessen Schirmherrschaft eine große Gruppe von Unternehmen und chinesischen Auslandsstudenten steht). Bei den Feierlichkeiten zum Jahr des Hundes im Februar 2018 nahm ich mit Verwandten aus Deutschland und Russland an der großen Frühlingsfestparade durch die Innenstadt Barcelonas teil, die zum historischen Arc de Triomphe führte. Ein paar Stunden später krönten wir den Tag mit einem eindrucksvollen mongolischen Hotpot-Essen in einem örtlichen Sichuan-Restaurant. Alle, egal ob Einheimische oder Besucher, gingen nach Hause mit der Erinnerung an ein multikulturelles Barcelona, in dem die chinesische Gemeinschaft eine wesentliche Facette bildet, genau wie in allen anderen Orten Spaniens.  

  

Die diesjährigen Feierlichkeiten werden, wie im vergangenen Jahr, durch die Coronapandemie eingeschränkt, die früher oder später überwunden sein wird. In unserer heutigen Zeit ist es nun wichtig, Dinge aus einer breiteren Perspektive zu analysieren und das chinesische Neujahrsfest und die chinesische Zivilisation als Teil eines größeren Ganzen zu betrachten. 

  

An dieser Stelle sei zum Abschluss noch auf neue Erkenntnisse aus der Geschichtsforschung hingewiesen. Sie besagen, dass die maritime Seidenstraße Westeuropa etwa ein halbes Jahrtausend früher erreicht hat, als ursprünglich angenommen. Chinesische Keramikscherben, die an verschiedenen Orten in Spanien ausgegraben wurden, unter anderem in Saragossa, Almería und Valencia, wurden nämlich der Tang- und Song-Dynastie zugeordnet. Sie sind somit Zeugen der Existenz uralter Handels- und Kulturbeziehungen zwischen China und Westeuropa. Unter dem Eindruck des chinesischen Neujahrsfestes treten diese Verbindungen nun in konkreter, direkter und äußerst lebendiger Form wieder in Erscheinung. 

  

*Augusto Soto ist Direktor des Projekts „Dialog with China“ in Spanien. 

 

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