Von Li Zhengxiang
Das Jahr 2022 ist ein Jubiläumsjahr für China und Griechenland. In diesem Jahr nämlich jährt sich die Aufnahme der diplomatischen Beziehungen der beiden Länder zum 50. Mal. Im Juni 1972 nahm man wieder offizielle Kontakte auf. Schon vor dem Jubiläumsjahr fand in beiden Ländern eine Reihe von Veranstaltungen statt, um die Werte der chinesischen und griechischen Zivilisation – zwei der ältesten Zivilisationen der Welt – sowie ihre gemeinsamen Kulturmerkmale und die Solidarität zwischen beiden Ländern in der Neuzeit zu unterstreichen.
Im November 2021 veröffentlichte die chinesische Zeitschrift „Civilization Magazine” gemeinsam mit einer NGO, der Capital Civilizational Development Foundation, ein Sonderheft. Es ist eine Hommage an die Olympischen Winterspiele 2022 in Beijing, die am 4. Februar eröffnet werden. Das Vorwort der Sonderausgabe mit dem Titel „The Olympic Manifesto – The Beautiful Olympic Cultural Scroll III“ stammt aus der Feder der griechischen Staatspräsidentin Katerina Sakellaropoulou. In ihrer Grußbotschaft erklärte die Präsidentin, dass Beijing 2022 neue Möglichkeiten zur Vertiefung der chinesisch-griechischen Beziehungen biete, insbesondere – aber nicht nur – im Bereich des sportlichen Austauschs.
Pünktlich zum Geburtstag von Pierre de Coubertin: Am 1. Januar 2022 fand in Beijing das Symposium „Zivilisation, Frieden und Freundschaft: Dialog zwischen dem alten China und dem antiken Griechenland“ statt.
Gemeinsame kulturelle Bestrebungen
Sakellaropoulou ging in ihrem Beitrag außerdem auf die alte Tradition des Olympischen Friedens ein. So hätten die Länder in der Geschichte alle Feindseligkeiten zeitweilig beiseite gestellt, um gemeinsam an den Olympischen Spielen teilzunehmen. An die Stelle von Krieg sei freundschaftlicher Wettbewerb im sportlichen Sinne getreten, so Sakellaropoulou. „Diese Tradition sollte heute wiederbelebt werden, um Dialog, gegenseitiges Verständnis und Versöhnung zwischen all denjenigen Ländern und Organisationen, die in Konflikt miteinander stehen, zu ermöglichen”, so der Appell der griechischen Präsidentin.
Die Staatschefs Chinas und Griechenlands haben in der Vergangenheit an verschiedenen Stellen die lange Geschichte beider Nationen als große Zivilisationen unterstrichen. Während seines Griechenlandbesuchs im Jahr 2019 schrieb Chinas Staatspräsident Xi Jinping in einem Beitrag, beide Völker hätten in der Vergangenheit vor enormen Herausforderungen gestanden, beide hätten dennoch ihren Weg gefunden.
In diesen Tenor stimmten auch die Redner auf einer akademischen Konferenz ein, die am Neujahrstag 2022 in Beijing stattfand und auf der die Verbindungen und Ähnlichkeiten zwischen beiden Kulturen erörtern wurden. Veranstaltet wurde die Konferenz zum Thema „Zivilisation, Frieden und Freundschaft: Dialog zwischen dem alten China und dem antiken Griechenland“ vom Fachbereich für Literatur und Geschichte der Chinese Academy of Governance und dem „Civilization Magazine”, dem Center for Classical Civilization der Renmin-Universität und der Sportuniversität Beijing. Ihr Zeitpunkt – der 1. Januar – war mit bedacht gewählt. Denn auf dieses Datum fällt der Geburtstag von Pierre de Coubertin, der die Olympischen Spiele einst in die Neuzeit führte. Der Olympische Frieden und der olympische Geist gehörten entsprechend zu den dominierenden Themen auf der Konferenz.
Euthymios Athanasiadis, Verantwortlicher für Presse und Kommunikation der griechischen Botschaft in China, sagte in einer Videobotschaft, dass Solidarität der Eckpfeiler der Spiele sei. Das Wichtigste sei nicht, einander zu übertreffen, so Athanasiadis, sondern selbst zu wachsen sowie über sich hinauszuwachsen, und zwar durch einen Wettbewerb, der nach festen, fairen Regeln erfolge. Das heutige olympische Motto „schneller, höher, weiter, vereinter“ wäre bedeutungslos, ohne den Aspekt des Vereintseiens, so Athanasiadis.
Professor Fang Xu vom Chongqing Institute of Public Administration wies in ihrem Vortrag darauf hin, dass es seit den ersten Olympischen Spielen eine Tradition für alle Staaten sei, den Olympischen Frieden zu unterzeichnen. Durch die Spiele trete der friedliche Wettbewerb an die Stelle des Krieges, so Fang.
Feng Qing, Forscher am Center for Classical Civilisation der Renmin-Universität, erklärte, dass diese Tradition im Mittelalter zwar unterbrochen worden sei, doch habe Coubertin den olympischen Geist wiederentdeckt und den Geist des klassischen Heldentums in die Moderne überführt, um der wachsenden Entfremdung der Menschen durch den Kapitalismus etwas entgegenzusetzen.
Wie die Griechen hätten auch die alten Chinesen Frieden durch Sport gesucht, wie Cao Weidong, Parteisekretär der Beijinger Sportuniversität, erläuterte. Er ging in seiner Rede darauf ein, wie der Sport im alten China einst aus dem alten aristokratischen Bildungssystem hervorgegangen ist und sich dann zu einer ganzheitlichen Schule entwickelt habe, die Medizin, Gesundheitswesen und Moral umfasste. „Die chinesischen Werte des Friedens und der Mäßigung ähneln den olympischen Werten der Solidarität und Freundschaft”, erklärte er.
Sowohl die alten Chinesen als auch die alten Griechen schätzten Musik und Bildung. Professor Li Wentang vom Fachbereich für Literatur und Geschichte der Chinese Academy of Governance sagte auf der Konferenz, Konfuzius und Platon, Inbegriffe der Weisheit im alten China bzw. antiken Griechenland, erachteten beide musikalische Bildung als essentiell, um Bürger und Aristokraten mit hoher Moral und spiritueller Ausgeglichenheit hervorzubringen. Eine zentrale Lehre des Konfuzianismus sei die Tugend des „Ren” gewesen – der Liebe und des Wohlwollens. Sie zeige Ähnlichkeiten zur griechischen Philosophie des Stoizismus und auch zu den christlichen Moralvorstellungen, so Li. Sie alle fänden ihre Wurzeln letztlich in einer Tradition der Mitmenschlichkeit.
Musikkultur und Rituale seien ebenfalls Stränge, die den alten Chinesen und den alten Griechen gemein gewesen seien, so Xie Maosong, Forscher am China Institut für Innovations- und Entwicklungsstrategie. Xie sagte, die Ritual- und Musikkultur beider Zivilisationen spiegelten ein gemeinsames Streben: nämlich nach Tugend, innerem Frieden und Harmonie.
Chen Rongnü, Professorin an der Beijing Language and Culture University, verglich das Bogenschießen in China mit dem Leistungssport im antiken Griechenland. Ersteres habe seine Ursprünge in der Welt der frühen Jäger und Sammler gefunden, sei über die Jahrhunderte allerdings zu einer Art der Ausbildung und einem Schulungsinstrument für den menschlichen Charakter weiterentwickelt worden, das körperliche und moralische Perfektion lehrte – ganz wie der Leistungssport im antiken Griechenland, so Chen. Auch dieser diente letztlich dazu, ideale Bürger mit einem „gesunden Geist in einem gesunden Körper“ hervorzubringen.