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Tibetische Medizin: Vom Hochplateau in die Praxen der Welt

2021-06-17 11:15:00 Source: Author:
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Von Li Yuan

 

An einem heißen Sommertag verspürte Frau Huang, Bewohnerin der südwestchinesischen Stadt Chongqing, plötzlich eine unerwartete Kälte, die ihren Körper durchströmte. „Ich hatte das Gefühl, dass ich mich erkälten werde“, sagt sie. Sie habe deshalb ein Wellnesszentrum namens „Treasure without Borders“ (Wuyu Baozang) angerufen und einen Termin für ein tibetisches Heilbad vereinbart. Huang und ihre 16-jährige Tochter sind Stammkunden dieses Zentrums, sie schwören auf die heilsame Wirkung tibetischer Medizin. „Ich glaube, dass sich viele Krankheiten durch ein traditionelles tibetisches Heilbad lindern lassen“, sagt Huang.

 

Die tibetische Medizin wird seit mehr als 2000 Jahren auf dem Qinghai-Tibet-Plateau überliefert und gilt als eines der vier wichtigsten Systeme der traditionellen Medizin – neben der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM), Ayurveda aus Indien und der traditionellen westlichen Medizin. Als bewährte Therapie der tibetischen Medizin wurde das tibetische Heilbad 2018 von der UNESCO sogar in die Liste des immateriellen Kulturerbes der Menschheit aufgenommen. Auch heute noch lenkt die Medizin Tibets aufgrund ihres tiefgreifenden kulturellen Erbes und ihrer einzigartigen Heilwirkung große Aufmerksamkeit auf sich. Ihre Bekanntheit steigt und immer mehr Patienten weltweit lassen sich nach ihren Regeln behandeln.



 

Heilpflanze mit besonderer Wirkung: Rhododendren, besonders die Gattung Rhododendron parvifolium,

 landen häufig im tibetischen Kräuterbad.


Die Heilkräutermischung macht‘s

 

Wang Wanlin ist Gründerin des Wellnesszentrums „Treasure without Borders“. Vor zehn Jahren heilte man einst ihre gynäkologischen Beschwerden mithilfe tibetischer Verfahren. Seither ist sie von der Wirksamkeit der tibetischen Medizin beeindruckt. Letztlich entschloss sie sich sogar, ihr eigenes tibetisches Kräuterbad zu eröffnen. „Ich bin sehr optimistisch, was die Perspektiven der alten Heilkunde angeht“, sagt sie.

 

Anfangs habe es kaum Kundschaft gegeben. Aber dann sei das Geschäft kräftig gewachsen. „Wir haben noch nicht einmal Werbung gemacht, alles lief über persönliche Weiterempfehlungen“, sagt sie.

 

Historischen Aufzeichnungen zufolge bildet das tibetische Kräuterbad die Fortsetzung und Vertiefung der traditionellen Bräuche des tibetischen Badefestes. Die Lehre dahinter fußt auf dem Badeerlebnis in natürlichen heißen Quellen, in Kräuterwasser oder Dampfbädern. Das Kräuterwasser wird dabei auf verletzte Körperstellen aufgetragen oder mit entsprechender Temperatur in die Badewanne gegeben. Durch die Hautporen und Akupunkturpunkte gelangt die Essenz der Kräuter in den Körper, was die Durchblutung fördert, Blutstau und innere Kälte beseitigt und den Körper mit Nährstoffen versorgt.

 

Um den therapeutischen Anwendungsbereich der Kräuterbäder zu erweitern, haben Praktiker verschiedene Rezepturen zur Vorbeugung und Behandlung von bestimmten Erkrankungen der Organe, Gelenke sowie von Haut und Nerven entwickelt. Als wichtiger Bestandteil der tibetischen Medizin ist das Kräuterbad in der klinischen Praxis weit verbreitet. Es spielt eine einzigartige Rolle bei der Vorbeugung und Behandlung verschiedenster Malaisen.

 

Heutzutage gibt es in vielen chinesischen Krankenhäusern spezielle Abteilungen für tibetische Kräuterbäder. Solche traditionellen Spas sind in großen und mittelgroßen Städten in ganz China verbreitet. Die tibetischen Heilbäder sind nicht nur bei Chinesen, sondern auch bei Ausländern beliebt. Der ehemalige Ministerpräsident Kasachstans machte einmal eine neuntätige Therapie in Beijing und war tief beeindruckt von der magischen Heilwirkung tibetischer Kräuterbäder.

 

Fortsetzung der tibetischen Medizin

 

Zweimal im Jahr füllt Wang Wanlin ihren Kräutervorrat auf. Um die Qualität der Ware sicherzustellen, hat sie Tsering, einen professionellen Arzt der tibetischen Medizin, mit der Qualitätskontrolle beauftragt. „Die Kräuter, die in den Monaten Juli und August ausgereift sind, haben die beste Qualität“, erklärt dieser. „Je höher die Anbauflächen liegen, desto reiner sind die Kräuter und desto besser ist auch ihre Heilwirkung“, fährt er fort.

 

Neben der Auswahl der Qualitäts-Heilkräuter wirken sich auch das Können der Ärzte und die pharmazeutischen Methoden direkt auf die Heilwirkung der Bäder aus. Tsering hat die tibetische Medizin von einem lebenden Buddha gelernt. Zusätzlich studierte er gründlich die „Vier medizinischen Klassiker“. Bei der Zubereitung jedes Bades fügt er je nach Krankheitsbild andere Kräutermixturen hinzu.

 

Um aus gewöhnlichen Heilpflanzen verkaufsfertige Produkte zu machen, müssen mehrere Verfahren wie Reinigung, Trocknung, Auswahl und Verarbeitung durchlaufen werden, jeder Schritt hat dabei natürlich seine eigenen strengen Anforderungen bzw. Standards. Unter strikter Einhaltung der Verfahren bereitet Tsering jedes Mal nur 25 bis 30 Kilogramm Fertigarzneimittel zu. „Das ist die maximale Menge, die in einer Erntesaison mit Heilkräutern hergestellt werden kann“, sagt er. Das sei auch der Grund, warum die Heilprodukte vieler großer Pharmaunternehmen nur eine schlechte Wirksamkeit aufwiesen.



 

In einem Krankenhaus für tibetische Medizin in der Stadt Shannan in Tibet

 werden Heilkräuter professionell verarbeitet.


Tsering freut sich zwar über die große Nachfrage nach Badetherapien, macht sich jedoch auch Sorgen. „Die tibetischen Ärzte haben seit Jahrtausenden auf dem Qinghai-Tibet-Plateau wilde Heilpflanzen gesammelt, um Arzneimittel nach alten Rezepturen herzustellen. Der Wachstumszyklus medizinischer Heilpflanzen ist lang. Angesichts steigender Nachfrage sehen sich viele wertvolle Pflanzen nun vom Aussterben bedroht“, sagt er.

 

„In der Vergangenheit konnte ich viele Heilpflanzen in einer oder zwei Stunden sammeln, aber jetzt dauert es manchmal Tage, um die gleiche Menge zu finden“, sagt er. „Wir müssen dringend Maßnahmen ergreifen, um die natürlichen medizinischen Ressourcen auf dem Plateau zu schützen.“

 

In der Tat hat die chinesische Regierung in den letzten Jahren eine Reihe von Schritten eingeleitet, um die Entwicklung der tibetischen Medizin zu fördern. Viele Sorten tibetischer Heilpflanzen wurden in großem Umfang angebaut und die Ressourcen wilder Heilpflanzen unter Schutz gestellt. Erfolge gibt es bereits.

 

Auch wenn Tsering seit mehr als 30 Jahren praktiziert, studiert er dennoch täglich die medizinischen Klassiker. „Durch die Lektüre gewinne ich ständig neue Erkenntnisse zur tibetischen Medizin.“ Laut ihm gebe es abertausende Rezepte, überliefert von tibetischen Ärzten, die sehr nützlich für die Behandlung verschiedenster Gegenwartskrankheiten seien. „Die Heilungsrate erreicht 70 bis 80 Prozent, wobei die Wirksamkeit natürlich vom Gesundheitszustand des Patienten abhängt. Unterschiede bezüglich Hautfarbe oder ethnischer Zugehörigkeit gibt es nicht“, sagt der Mediziner. Seiner Ansicht nach ist eine breite Anerkennung in der Gesellschaft der beste Weg für die Weiterentwicklung der tibetischen Medizin.

 

Schon jetzt ein Welterfolg

 

Die tibetische Medizin verbreitete sich bereits im 7. Jahrhundert in Chinas Tibet und in benachbarten Ländern wie Nepal, Bhutan und Indien. Im 18. Jahrhundert gelangte sie nach Europa, wo sie in Wissenschaftskreisen schnell große Aufmerksamkeit fand.

 

In den frühen 1990er Jahren veröffentlichte David M. Eisenberg von der Harvard University einen wissenschaftlichen Beitrag über unkonventionelle Therapien im „New England Journal of Medicine“, was die Naturheilkunde einschließlich der tibetischen Medizin auch einer breiten Öffentlichkeit in den USA bekannt machte.

 

Im November 1998 fand in Washington das erste internationale Symposium über tibetische Medizin statt. Dabei wurden vor allem die Situation und Praxis der traditionellen tibetischen Medizin, ihre klinische Überprüfung, Literaturrecherche, die Anwendung in der Psychotherapie sowie Schutz und Nutzung ihrer Ressourcen diskutiert. Fast 200 Wissenschaftler aus aller Welt nahmen an dem Symposium teil und es wurden mehr als 100 wissenschaftliche Beiträge präsentiert. Im November 2003 fand die Zweitauflage der Veranstaltung ebenfalls in Washington statt, was entscheidend zur Verbreitung der tibetischen Medizinkultur beitrug und die Aufnahme der tibetischen Medizin in die internationale Mainstream-Medizin förderte.

 

Mit der kontinuierlichen Weiterentwicklung und dem Fortschritt der modernen Wissenschaft und Technik ist die tibetische Medizin in eine neue Entwicklungsphase eingetreten. Die Regierung des Autonomen Gebiets Tibet stellt jedes Jahr Sondermittel für den Aufbau infrastruktureller Einrichtungen, die Entwicklung der medizinischen Behandlung, für Bildung, wissenschaftliche Forschung sowie Kultur und verwandte Industrien der tibetischen Medizin bereit.

 

Derzeit gibt es in Tibet 44 öffentliche medizinische Einrichtungen, die Behandlungen nach tibetischer Heilkunde anbieten. In 94,4 bzw. 42,4 Prozent der Kliniken auf Gemeinde- bzw. Dorfebene in Tibet werden traditionelle tibetische Verfahren praktiziert. Darüber hinaus hat die lokale Regierung große Anstrengungen unternommen, um die Servicekapazität der tibetischen Medizinindustrie zu verbessern, etwa indem die Heilkräuterproduktion von kleinen Werkstätten auf standardisierte Produktion im großen Stil verlagert wurde. Ein entsprechendes Industriesystem ist im Wesentlichen bereits aufgebaut.

 

Bis jetzt haben 17 tibetische Pharmahersteller die nationale GMP- Zertifizierung (Good-Manufacturing-Practice-Zertifizierung) erhalten. Die Grundlage für die Vermarktung der tibetischen Heilkräuter wurde weiter gefestigt. Ihre Produktionsleistung hat die Marke von 1,7 Milliarden Yuan überschritten.

 

Nun stellt sich vor allem die Frage, wie die weltweite Verbreitung der Heilkunde gefördert werden kann. Einer, der ständig nach Lösungen für dieses Problem sucht, ist Yangga, Professor an der Universität für Tibetische Medizin. „Tibetische Heilkunde findet weltweit immer stärkere Beachtung. Viele Universitäten und Länder haben Forschungsinstitute eingerichtet, die sich mit ihrer Erforschung beschäftigen“, sagt er. „In Zukunft gilt es nun, noch größeren Wert auf die Digitalisierung und Übersetzung der zugehörigen Fachliteratur zu legen. Darüber hinaus müssen wir die Kommunikation mit der Außenwelt verstärken, um bestehende Vorurteile und Missverständnisse über die tibetische Heilkunde aus der Welt zu schaffen.“

 

Als hervorragender Vertreter der nationalen Kultur ist die tibetische Medizin zu einem Aushängeschild der chinesischen Medizin geworden. Ihre Entwicklung wird nicht nur dazu beitragen, die traditionelle chinesische Kultur wirksam zu schützen und fortzusetzen, sondern auch noch mehr Patienten zugutekommen und so die Welt ein Stück weit besser machen.



 

Yangga, Professor an der Universität für Tibetische Medizin, beantragte mit seinem Team die Aufnahme

 des tibetischen Kräuterbads in die Liste des immateriellen Kulturerbes der UNESCO.

 

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