Von Dang Xiaofei
Draußen ist es zu kalt, um ins Restaurant zu gehen? Keine Lust, Schlange zu stehen und auf einen Platz im Restaurant zu warten? Für Problemchen wie diese gibt es in China eine denkbar einfache Lösung: Smartphone zur Hand und einfach Essen direkt nach Hause oder ins Büro bestellen. Innerhalb von 30 Minuten kommen so dampfender Kaffee, saftige Sahnetorte oder eine warme Mahlzeit direkt an die Haustür. Internet, KI, Big Data und Co. machen es möglich. Dank modernster Technik sind Lieferdienste längst ein fester Bestandteil des täglichen Lebens vieler Chinesen geworden. Für die Kunden heißt das: genießen ohne das Haus zu verlassen, per bequemer Bestellung mit ein paar Smartphone-Klicks.
Laut Statistiken hatten bis Ende 2019 bereits die Hälfte der 900 Millionen chinesischen Internetnutzer
schon einmal über Essensliefer-Apps wie Meituan oder Ele.me bestellt.
Die neue Bequemlichkeit in Chinas Großstädten
Bai Lin arbeitet im Finanzsektor im Beijinger Central Business District und hat jeden Tag alle Hände voll zu tun. Für ihn ist es ein Luxus, in einem nahe gelegenen Restaurant zu Mittag zu essen. Die Essenlieferdienste haben sein Zeitproblem erfolgreich gelöst. Jeden Tag gegen zwölf Uhr bestellt er seine Lieblingsgerichte per Lieferapp direkt ins Büro. Knapp eine halbe Stunde später steht das dampfende Essen auf dem Bürotisch.
Der Kundenkreis der Gastro-Apps wächst in China mit jedem Jahr rasant. Laut Angaben von iResearch gab es Ende 2019 bereits 900 Millionen Internetnutzer in China, von denen rund 460 Millionen Mahlzeiten online bestellten. Das war ein Anstieg um 12,7 Prozent gegenüber dem Vorjahr. 2019 erreichte der Umsatz der chinesischen Catering-Branche 653,6 Milliarden Yuan und stieg damit gegenüber 2018 um 39,3 Prozent.
Die Corona-Pandemie hat diesen Trend nur weiter befeuert. Frau Wang Fang, die im Weststadtbezirk von Beijing lebt, begann während der Pandemie, Nahrungsmittel online zu bestellen. Sie ist eine von Millionen Chinesen, die aus Sicherheitsgründen ihre Essgewohnheiten geändert haben. Im dritten Quartal 2020 verzeichnete der Catering-Riese Meituan ein Geschäftsvolumen von 152,2 Milliarden Yuan, ein Anstieg um 36 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Im Durchschnitt gingen bei Meituan jeden Tag 34,9 Millionen Bestellungen ein, 30,1 Prozent mehr als noch 2019. Auch die Nutzerzahl kletterte in besagtem Quartal auf einen neuen Rekordwert.
Frau Wang klickt bei ihrer Bestellung immer die Taste „kontaktlose Lieferung“. Auf diese Weise werden die Nahrungsmittel an einem von ihr angegebenen Ort deponiert, um direkte Kontakte zu vermeiden und das Risiko einer Infektion zu minimieren. „In der beigefügten Karte sind dann der Name des Zustellers und dessen Körpertemperatur vermerkt. Darüber hinaus liegen der Lieferung in der Regel auch einige Desinfektionstücher als Geschenk bei, so dass ich mich wohl und sicher fühle“, sagt die Beijingerin.
Die Bequemlichkeit des Lieferservices spiegelt sich auch in den Details wider. Die Lieferplattformen bieten mittlerweile auch Menüs für eine Person an, um einerseits den Preis zu senken und andererseits Verschwendung zu vorzubeugen. „Ich muss mir keine Sorgen mehr machen, dass die Portionen zu groß sind. Darüber hinaus kann ich durch die neuen Single-Menüs noch mehr leckere Gerichte ausprobieren“, sagt Du Yuxing, der alleine lebt.
Längst lassen sich nicht mehr nur Mahlzeiten, sondern auch Obst, Gemüse, Blumen, Medikamente und andere Artikel für den täglichen Bedarf über die Apps bestellen. Der Lieferservice reagiert damit auf die verschiedenen Bedürfnisse der Verbraucher.
Umsatz der Restaurants fördern
Den meisten Restaurants haben die Lieferplattformen neue Einnahmequellen beschert. Yunhaiyao, eine Catering-Marke mit über 100 Filialen in ganz China, hat sich 2018 Lieferplattformen wie Meituan und Ele.me angeschlossen. Seitdem erhält allein die Ganjiakou-Filiale in Beijing monatlich mehr als 2000 Bestellungen. Ihr Manager Pei Xiaohui sagt: „Unser Restaurant arbeitet mit vielen Lieferplattformen zusammen. Mittlerweile macht das Liefergeschäft ein Drittel unseres Gesamtumsatzes aus. Und während der Pandemie erreichte dieser Anteil sogar 50 Prozent.“
Pei sagt: „Durch die Lieferplattformen haben immer mehr Kunden unser Restaurant für sich entdeckt. 70 Prozent dieser Kunden kommen irgendwann auch direkt ins Restaurant, um hier zu speisen.“ So zum Beispiel auch Kunde Wu Xiaolong. „Ich habe von Yunhaiyao erstmals über eine Lieferplattform erfahren. Aber ich esse lieber direkt im Restaurant, da ich so Ambiente und Service genießen kann. Vor Ort kann ich die warmen Gerichte direkt frisch probieren und außerdem das Essen als soziales Erlebnis zum Beispiel mit Freunden zelebrieren“, sagt er.
„Dank der neuen Plattformen können wir nun auch bequem direktes Kundefeedback einholen“, sagt Restaurantmanger Pei. „Dies hilft uns nicht nur dabei, unsere Gerichte und Dienstleistungen zu verbessern, sondern auch einzuschätzen, wie viel Essen wir einplanen müssen. So wird weniger verschwendet“, sagt er.
Auch in China wurde die Gastronomiebranche im vergangenen Jahr von der Corona-Pandemie schwer getroffen. Restaurants, die Mahlzeiten zum Mitnehmen anbieten, konnten die Krise jedoch als Chance nutzen, um ihre Geschäfte zu erweitern. Der Big-Data-Bericht über die Unternehmensentwicklung in den ersten drei Quartalen 2020 zeigt, dass sich im ersten Quartal des vergangenen Jahres rund 8000 Catering-Unternehmen im Bereich Essenszulieferung neu registrierten. Das war ein Anstieg um 120,8 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Im zweiten Quartal betrug die Zahl der Neuregistrierungen 26.800, ein Plus von 311,9 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Und im dritten Quartal kamen noch einmal 49.000 Unternehmen hinzu, ein Anstieg um 514,8 Prozent im Vergleich zu 2019. Derzeit gibt es in China 118.000 Catering-Unternehmen, die Lieferservice bieten. 71,6 Prozent der Restaurants arbeiten auf Selbstständigenbasis.
Informationstechnologie beflügelt die Entwicklung
Auf den ersten Blick scheint das Liefergeschäft vor allem arbeitsintensiv, tatsächlich ist es aber eine technologieintensive Branche. Denn seine Entwicklung basiert auf künstlicher Intelligenz, Big Data, Cloud Computing, dem Internet der Dinge und anderen Hochtechnologien.
An erster Stelle steht das Serviceerlebnis der Nutzer. Früher wurden die Bestellungen von Restaurants über die Lieferplattform selbst an die Zusteller verteilt. Mittlerweile kommt stattdessen ein intelligentes System zum Einsatz, das die Effizienz der Lieferungen erheblich erhöht hat.
Die drei Giganten des Sektors, Meituan, Ele.me und Baidu, haben ihre eigenen intelligenten Auftragsverteilungssysteme entwickelt. Mithilfe dieser Systeme werden die Daten jeder Bestellung automatisch analysiert, anschließend wird der beste Weg für die Auslieferung berechnet. Bei extremen Wetterbedingungen wie starkem Regen und Schnee wird mehr Zeit eingeplant, damit die Gefahr von Verkehrsunfällen für die Zusteller verringert und eine sichere Lieferung gewährleistet wird. Das intelligente System von Ele.me deckt heute bereits mehr als 2000 Städte und Kreise landesweit ab. Die durchschnittliche Lieferzeit pro Bestellung ist auf 28 Minuten gesunken.
Neben dem intelligenten Auftragsverteilungssystem hat Meituan auch ein neues intelligentes Ausrüstungssystem entwickelt, das intelligente Elektrofahrzeuge, intelligente Schutzhelme, intelligente Lebensmittelboxen, Sprachassistenten und Basisstationen für die Positionierung in Innenräumen umfasst. Mithilfe dieser fünf neuen Ausrüstungen wird die Arbeitseffizienz der Zusteller deutlich verbessert. Es wird geschätzt, dass das neue System dabei hilft, fast 80 Prozent der Kommunikationsvorgänge während des gesamten Lieferprozesses zu vereinfachen und die Geschwindigkeit, mit der die Bestellungen eingehen, um 50 Prozent zu steigern.
Darüber hinaus erstellen die Lieferplattformen mithilfe von Big Data virtuelle Porträts ihrer Kunden, um deren Vorlieben in Bezug auf Gerichte, Preise, Dienstleistungen und Umgebung zu analysieren. Diese Informationen sind für Catering-Unternehmen sehr nützlich, um bessere Marketingstrategien zu entwickeln und den Benutzern maßgeschneiderte Angebote zu empfehlen.
Automatisierte Lieferung ist eine weitere wichtige Entwicklungsrichtung für Chinas Lieferplattformen. Bereits 2016 begann Meituan mit ersten robotergestützten Lieferungen zu experimentieren. Wang Xing, Mitbegründer und CEO von Meituan, sagt: „Im Bereich automatisierter Fahrzeuge und Drohnen haben wir mehrere Phasen der Forschung und Entwicklung durchgeführt und in diesem Bereich bereits mehr als 60 Patente angemeldet.“ Seiner Ansicht nach liegt der Schlüssel zum Erfolg in der boomenden Lieferwirtschaft in einer technologiebasierten Steigerung der allgemeinen Produktivität.