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Neue Kaffee-Metropole Shanghai: Bohnenkultur im Land der Teetrinker

2021-05-17 12:41:00 Source: Author:
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Von Jin Ji und Ke Ke*

 

Zwar ist Tee noch immer Heißgetränkewahl Nummer 1 in China, doch die Kaffeekultur ist auf dem Vormarsch. Gestiegener Lebensstandard, wachsendes Konsumbewusstsein sowie auch die enorme demografische Dividende haben den Inlandsverbrauch im Reich der Mitte in den letzten Jahren kräftig angekurbelt. Davon haben auch geröstete Bohnen und das daraus gebrühte Traditionsgetränk profitiert. Der Kaffeekonsum in China ist in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen.

 

Während die durchschnittliche Wachstumsrate des weltweiten Kaffeekonsums bei zwei Prozent liegt und Marktsättigung fast erreicht ist, verbucht der Markt des koffeinhaltigen Trendgetränks in China ein bemerkenswertes Wachstum von jährlich rund 15 Prozent. Laut Angaben der International Coffee Organization dürfte Chinas Kaffeeindustrie 2025 ein Marktvolumen von einer Billion Yuan erreichen. Chinas Kaffeemarkt erlebt also eine rasante Entwicklung, was auch die Entstehung zahlreicher neuer Marken fördert.

 

Am 6. Januar 2021 erwiderte Xi Jinping einen Brief von Howard Schultz, Ehrenvorsitzender des Verwaltungsrates der Starbucks Corporation. Darin ermutigte Chinas Staatspräsident Schultz und seine Firma in Sachen China-Geschäft und sprach sich auch ausdrücklich dafür aus, dass Starbucks auch weiterhin eine aktive Rolle bei der Förderung der chinesisch-amerikanischen Wirtschafts- und Handelszusammenarbeit sowie der Entwicklung der Beziehungen beider Länder spielen möge.




China-Premiere von Tim Hortons: Die weltberühmte Kaffeemarke aus Kanada eröffnete

 am 25. Februar 2019 am Shanghaier Volksplatz ihre erste China-Filiale.

 

Kaffee aus dem Ausland

 

Der so genannte Starbucks-Index gilt als Indikator für die wirtschaftliche Vitalität und das Innovationsumfeld einer Region. Je mehr Filialen des Kaffeeriesen sich an einem Ort tummeln, als desto dynamischer gilt die Wirtschaft der Region. Seit dem Eintritt in den chinesischen Markt 1999 hat Starbucks annähernd 4700 Geschäfte in fast 190 chinesischen Städten eröffnet. Die Kette gehörte zu den ersten internationalen Kaffeemarken auf dem chinesischen Markt. Gewissermaßen diente sie auch als Brücke der kulturellen Integration.

 

1989 entwickelte der amerikanische Stadtsoziologe Ray Oldenburg in seinem Buch „The Great Good Place“ die Idee des „dritten Platzes“ (third place), an dem die Menschen neben ihrem Zuhause (first place) und dem Büro (second place) eine gute Zeit verbringen können. Dieses Konzept wurde von Schultz zum Eckpfeifer der Starbucks-Kultur entwickelt, und auch in China nehmen es die Menschen an. Für eine wachsende Zahl von jungen Chinesen und Chinesinnen gehört es mittlerweile zum Alltag, im Café als „drittem Ort“ zu arbeiten und hier soziale Kontakte zu pflegen bzw. neue zu knüpfen.

 

Auch an Starbucks geht die Corona-Pandemie nicht spurlos vorbei. Die Eröffnung neuer Filialen in China, wo die Epidemie schnell unter Kontrolle gebracht werden konnte, ist zu einem Rettungsanker für die amerikanische Kaffeekette geworden. Während in den USA und Kanada im vergangenen Jahr zahlreiche Filialen dichtmachen mussten, beschleunigte Starbucks die Eröffnung neuer Ladengeschäfte im Reich der Mitte. 2020 wurden in der Volksrepublik knapp 260 neue Geschäfte eröffnet, ein neuer Rekord im China-Geschäft von Starbucks. Für das laufende Geschäftsjahr setzt sich die Firma gar noch ehrgeizigere Ziele: 2021 sollen weltweit 2150 neue Ladengeschäfte und 1100 Onlineläden eröffnen, mehr als die Hälfte davon ist in China geplant, dem Land der Teetrinker.

 

Doch nicht nur traditionelle Kaffeeketten erhoffen sich ein Stück vom boomenden chinesischen Kaffeemarkt. Auch McDonald's blickt optimistisch in Chinas Kaffee-Zukunft und hat 2020 seine Marke McCafé weiter in Position gebracht. In den nächsten drei Jahren wolle man 2,5 Milliarden Yuan in den Betrieb von mehr als 4000 Geschäften auf dem chinesischen Festland investieren, hieß es seitens des Unternehmens. McCafé trat 2009 mit der Eröffnung seiner ersten Filiale in Pudong in den chinesischen Markt ein. Die Erfolge von Starbucks ließen den Catering-Riesen die Geschäftsmöglichkeiten für frisch gebrühten Kaffee wittern. Mittlerweile ist Shanghai für McCafé zur umsatzstärksten chinesischen Stadt avanciert. Derzeit finden sich dort mehr als 230 McCafés. Das Unternehmen optimierte über die Jahre kontinuierlich seine Produktpalette, mit Erfolg. 2020 hat sich die durchschnittliche Anzahl der verkauften Tassen pro Tag und Filiale im Großen und Ganzen verdoppelt.

 

Auch KFC will mitmischen im vielversprechenden neuen Kaffeemarkt Chinas. 2014 ging das US-Unternehmen mit seiner Marke K Coffee für frisch gemahlenen Bohnenkaffee an den Start. 2020 wurden die Produkte weiter verfeinert und an den chinesischen Markt angepasst, von den Rohstoffen, über die Zubereitungsformeln und -prozesse bis hin zur Verpackung. Darüber hinaus hat KFC auch K Coffee Image Stores für junge Menschen eröffnet, die sich mit online beliebten Cafés messen können.

 

Minimarkt-Betreiber Lawson wartete 2020 bereits in 85 Prozent seiner Convenience-Stores in Jiangsu, Zhejiang und Shanghai mit seiner Marke L-Café auf und liefert sich derzeit einen direkten Wettbewerb mit dem ParCafé des Konkurrenten Family Mart. Der Markt für Convenience-Stores in Shanghai ist bereits gut entwickelt und verschiedene Anbieter liefern sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen um die urbane Kundschaft. Der Verkauf von frisch gemahlenem Bohnenkaffee lockt nicht nur Büroangestellte an, sondern füllt auch die Kassen der Einzelfilialen unterm Strich merklich. Laut Lawson sei mittlerweile in 1550 Filialen in Jiangsu, Zhejiang und Shanghai frisch gemahlener Kaffee im Angebot. Das Umsatzvolumen erreiche eine Million Tassen pro Monat, so das Unternehmen.

 

Trotz der großen Umsatzsprünge scheint aber selbst der Shanghaier Markt – der größte Verbrauchermarkt für frisch gemahlenen Kaffee auf dem chinesischen Festland – noch längst nicht gesättigt, weshalb noch immer zahlreiche große Marken auf den Markt drängen. Öffnung ist damit zu einem Inbegriff des Shanghaier Kaffeemarktes sowie der Metropole insgesamt geworden.

 

Ein Teil der in der Lujiazui Financial City angebotenen Kaffeeprodukte stammt von der China International Import Expo (CIIE). Seit der Expo-Premiere im Jahr 2018 tummeln sich hier jährlich Aussteller aus fast 30 Kaffeenationen, darunter Äthiopien, Jamaika, Malaysia, Mexiko, Indonesien, Thailand, Italien und Japan, die ihre Kaffeeprodukte präsentieren. In den letzten Jahren ist der Bekanntheitsgrad dieser Produkte im Reich der Mitte reichlich gestiegen. Bohnenkaffee aus aller Welt duftet heute aus den Tassen und Bechern in den Cafés und Straßen ganz Shanghais.

 

Kaffee ist nicht nur eine aufstrebende Industrie, deren Wert auf mindestens 100 Milliarden Yuan geschätzt wird, sondern repräsentiert auch das kulturelle Gen der Stadt Shanghai.



 

Starbucks trifft chinesische Kultur: Ein Starbucks Store in der historischen

 Kulturstraße Dongguan in Yangzhou, Provinz Jiangsu.


Neue Geschichten auf dem Kaffeemarkt

 

Auch die Pandemie schreckt Unternehmen – einheimische wie ausländische –nicht, in Chinas Kaffeegeschäft einzusteigen. Selbst Sinopec hat mittlerweile eine eigene Café-Marke ins Rennen geschickt. Und auch das altehrwürdige TCM-Unternehmen Tongrentang bietet der Kundschaft in einigen seiner Filialen heute gesundheitsfördernden Kaffee mit TCM-Ingredienzien an.

 

Mit der wachsenden Zahl junger chinesischer Verbraucher, die auf den Kaffeegeschmack gekommen sind, haben sich in den letzten Jahren neue Kaffeeprodukte und Verkaufsformen in Stellung gebracht. Den Daten zufolge erzielte Tims China 80 Prozent seines Umsatzes über die WeChat-App. Chinas erstes Café zum Thema E-Sport, das gemeinsam von Tims und Tencent im November 2020 in Shanghai eröffnet wurde, punktet bei den Verbrauchern sehr erfolgreich mit einem neuen „E-Sport plus Kaffee“-Erlebnis. Laut Lu Yongchen, CEO von Tims China, sei Tims Coffee in China insgesamt rentabel. „Gegenwärtig beträgt die Zahl unserer Mitglieder fast zwei Millionen und die monatliche Rückkaufrate erreicht 40 Prozent“, so sagt er.

 

Chinas lokale High-End-Kaffeekettenmarke M Stand hat kürzlich eine Finanzierung von mehr als 100 Millionen Yuan erhalten, die von der CMC Capital Group angeführt und von Challenjers mitinvestiert wurde. Dank der kreativen Produkte und des trendigen Umfelds wird der Wert dieser Marke auf 700 Millionen Yuan geschätzt.

 

Laut Wei Choy Lee, Partner und Chief Operating Officer der CMC Capital Group, werden die Produkte der Marke M Stand mit ihrer guten Qualität den Bedürfnissen chinesischer Verbraucher mittleren und hohen Einkommens und damit den gestiegenen Anforderungen des relativ ausgereiften Kaffeemarktes gerecht. „Als Qualitätsmarke und Anbieter von Offline-Lifestyle-Räumen für junge Menschen erfüllt das Design von M Stand die Nachfrage nach hochwertigen Erlebnissen in Gewerbeflächen und weist eine klare Wertschöpfung auf“, erklärt er.

 

Eine weitere Shanghaier Kaffeemarke, die sich 2020 im Aufwind befand, ist Manner. Im vergangenen Jahr eröffnete der Anbieter 22 neue Geschäfte in der Metropole. Allein in Shanghai schwoll die Zahl der Manner-Filialen damit auf 80 an. Das Unternehmen ist heute im Wesentlichen in allen wichtigen Geschäftsvierteln der Stadt präsent.

 

Kaffee vermittelt Wärme

 

Doch die Kaffeekultur gedeiht in Shanghai nicht nur in Geschäftsvierteln und Industrieparks, sondern auch in den Wohnvierteln. Laut Xiong Jing, Forscher am China Institute of Urban Governance der Shanghai Jiaotong University, gestalten insbesondere diese kleineren Cafés nicht nur den sozialen, kulturellen und psychologischen Raum um, sondern trügen auch dazu bei, neue zwischenmenschliche Beziehungen aufzubauen und soziale Kontakte zu knüpfen. „Cafés sind nicht nur ein sozialer Raum, sondern auch ein Ort der Begegnung. Sie dienen damit letztlich in gewisser Weise auch als Träger für die Verwaltung der Stadt“, sagt er.

 

Seit Dezember 2020 boomt das Geschäft von HINICHIJOU in der Shanghaier Yongkang-Straße. Flauschige Bärentatzen reichen den Kaffee aus einer kleinen Luke an der Vorderseite des Ladens an die Kundschaft, von Zeit zu Zeit gibt es ein bisschen Smalltalk. Der Ladenbesitzer ist ein taubstummer Barista, der Mitarbeiter, der den Kunden den Kaffee mit Bärentatzen überreicht, ist seit einer Gesichtsverbrennung gezeichnet. Die Gründung des Ladens zielt darauf ab, Menschen mit Behinderungen bei der Arbeitssuche zu unterstützen.

 

In Shanghai gibt es viele Cafés, die entweder Beschäftigungsmöglichkeiten für Behinderte schaffen oder sich für wohltätige Zwecke engagieren. Sie sind ein Sinnbild der Wärme der Stadt und geben behinderten Menschen die Möglichkeit, im Berufsleben Fuß zu fassen.

 

Für Behinderte bietet der Job als Barista relativ große Sicherheit (anders als etwa die Arbeit in einer Restaurantküche, wo mit Messern und heißem Öl hantiert wird). Und auch das Arbeitsumfeld ist weniger stressig, weil Cafés sich oft in Innenstädten oder in ruhigen Wohnvierteln befinden.

 

Das Mental Health Center des Bezirks Changning ist wahrscheinlich das erste Café seiner Art in Shanghai. Hier finden Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen durch die Arbeit im Servicebereich einen Weg zurück in einen geregelten Arbeitsalltag. Seit der Eröffnung des Xinyiba-Cafés in der Ambulanz im Jahr 2014 konnten alle Servicemitarbeiter erfolgreich wieder in den Alltag eingegliedert werden. Bei der Arbeit haben sie allmählich ihr Selbstvertrauen zurückgewonnen und versuchen ständig, sich noch besser in die Gesellschaft zu integrieren.

 

Laut Xu Junjie, Sozialarbeiter des Zentrums, würden zehn Prozent der psychisch Kranken in die Klinik eingeliefert. Der Rest erhole sich im Wohnviertel. „Berufliche Tätigkeiten wie Kaffee- und Getränkezubereitung sind für jüngere Patienten eine geeignete Methode, um psychisch zu gesunden“, sagt er. Aus dieser Idee wurde das Xinyiba-Café geboren.

 

Jede Tasse, die im Xinyiba-Café ausgeschenkt wird, ist das Ergebnis eines monate- wenn nicht sogar jahrelangen Lern- und Anpassungsprozesses von rehabilitierten Menschen. Ärzte beurteilen regelmäßig den Genesungszustand der Patienten, und auch die Sozialarbeiter stehen jederzeit mit Rat und Tat zur Seite.

 

In den sieben Jahren seit der Eröffnung beschränkte sich der Kundenkreis jedoch auf das medizinische Personal des Mental Health Center des Bezirks Changning. „Aus Sicherheitsgründen, immerhin handelt es sich um ein Rehabilitationsprojekt und nicht um eine Kaffeebar im eigentlichen Sinne“, erklärt Xu Junjie. Ende 2020 wurde die vollautomatische Kaffeemaschine durch eine halbautomatische ersetzt, was zwar die Komplexität des Betriebs erhöht, aber den Kaffeegeschmack merklich aufgewertet hat. Die Kaffeekreationen können heute anderen Cafés der Stadt durchaus das Wasser reichen.

 

In Shanghai ist Kaffee also längst nicht nur Konsumprodukt, sondern zu einem Träger geworden, der nicht nur Wärme vermittelt, sondern auch den inklusiven Charakter der Stadt zeigt.



   

Kaffee auf der CIIE: Kaffeeprodukte aus Brasilien wurden am 5. November 2018

 auf der ersten China International Import Expo in Shanghai ausgestellt.


*Jin Ji ist Reporter der „Xinmin Weekly“, Ke Ke ist Autor des WeChat-Accounts TideSight.

 

 

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