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Zweitgrößtes Wasserkraftwerk der Welt: Drei persönliche Geschichten hinter dem Großprojekt Baihetan

2021-09-15 11:51:00 Source: Author:
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Von Ma Li

 

Die Sonne des Frühsommers glitzert auf der Oberfläche des Jinsha-Flusses, einem Nebenfluss des Jangtse. Jeden Morgen, nachdem sie ihren jüngsten Spross zur Schule gebracht hat, fährt die 38-jährige Xu Guocong mit dem Motorrad zur Arbeit. Sie ist als Reinigungskraft im Wasserkraftwerk Baihetan angestellt, genauer gesagt bei einer Projektstelle dort, die von der China Energy Group finanziert wird. Auch ihr Mann hat seinen Job diesem Projekt zu verdanken. Er ist als Wachmann tätig. Der Arbeitsplatz des Paares liegt in der Nähe ihres Wohnortes im Bezirk Liangshan in der südwestchinesischen Provinz Sichuan und er sichert ihnen jeden Monat ein stabiles Einkommen.

 

Die Xus sind eine der Familien, die aus der südwestchinesischen Provinz Yunnan hier in die Gegend eingewandert sind, genauer gesagt aus der kleinen Gemeinde Dazhai im dortigen Kreis Qiaojia. Der Ort liegt ganz in der Nähe des Kraftwerkes, das an der Grenze zwischen den beiden Provinzen Yunnan und Sichuan im Südwesten Chinas liegt. Dank gezielter Unterstützungsmaßnahmen – vor allem im Rahmen von Chinas gezielter Armutsbekämpfung – und dank des Aufbaus des Wasserkraftwerks Baihetan hatte das Paar die Chance, die alte Heimat samt ihres alten Hauses am Jinsha-Fluss zu verlassen und stattdessen ein neues großes Haus mit 300 Quadratmetern Wohnfläche in einem neu errichteten Dorf zu beziehen. Xu zeigt sich glücklich mit der Entscheidung. „Wir haben ein besseres Haus und alles in allem ein besseres Leben“, sagt sie. „Ich kann mein Glück gar nicht richtig fassen. Es ist wie im Traum.“



 

Großprojekt der Superlative: Der Generatorraum des Wasserkraftwerkes Baihetan 


Auf der Suche nach einem besseren Leben

 

Früher lebten Frau Xu, ihr Mann und die gemeinsamen Kinder am Hang eines Berges. Der Weg auf den Markt oder zur örtlichen Schule führte über unwegsame Bergpfade und nahm zwei bis drei Stunden in Anspruch. All die Jahre träumte die junge Frau davon, einmal ein eigenes Haus für ihre Familie in der Stadt zu besitzen.

 

Vor mehr als einem Jahrzehnt, als ihre Großeltern noch lebten, erfuhr Frau Xu erstmals vom geplanten Bau eines Dammes und des zugehörigen Wasserkraftwerks am Jinsha-Fluss. Ihre Großeltern hofften bis zuletzt, den fertigen Damm zu Lebzeiten zu Gesicht zu bekommen. „Opa und Oma haben mir immer erzählt, dass sich unser Leben nur mit diesem Damm und dem Kraftwerk verbessern wird. Ich war damals noch jung und konnte nicht wirklich verstehen, warum das alles so wichtig sein sollte“, erzählt die junge Mutter.

 

Im August 2017 war es dann soweit: Der Spatenstich für den Bau des Baihetan-Wasserkraftwerks, des zweitgrößten im Bau befindlichen Wasserkraftwerks der Welt, wurde gesetzt. Xu und ihre Familie verfolgten die Nachricht gespannt auf dem Fernsehbildschirm: „Nach mehr als zehn Jahren Forschung, Analyse und Planung sowie mehr als sechs Jahren der Vorbereitung ist der Bau der zwei Wasserkraftwerke Baihetan und Wudongde nun in vollem Gange. Die installierte Gesamtleistung wird mehr als zehn Millionen Kilowattstunden betragen“, verkündeten die Nachrichtensprecher von CCTV. „Leider haben Opa und Oma das alles nicht mehr miterlebt“, sagt Xu etwas wehmütig.

 

Nach Beginn der Bauarbeiten habe die Gemeinde Dazhai einem Ameisenhaufen geglichen, erinnert sich Xu. „Es war so voll wie sonst nur während der Neujahrszeit“, sagt sie und lacht. „Neue Straßen wurden gebaut, es kamen mehr Autos von außerhalb und man konnte mehr neue Gesichter und neue Dinge in der Stadt sehen“, erzählt sie. Das Bauprojekt hat die Wirtschaft der Region kräftig angekurbelt und den Menschen bescheidenen Wohlstand beschert.

 

„Auch für uns gab es nach und nach gute Veränderungen: Zuerst wechselten wir das Haus, dann bekamen mein Mann und ich eine Stelle in der Projektabteilung des Kraftwerks, sodass auch ich jetzt über ein stabiles Einkommen verfüge“, berichtet Xu. Nie hätte sie sich erträumen lassen, sagt sie, wie rasch und einschneidend sich ihr Leben und das ihrer Familie in nur wenigen Jahren durch den Bau des Kraftwerks verändern würde. „Jetzt müssen wir uns um unser Auskommen wirklich keine Sorgen mehr machen. Die Kinder brauchen auch nur zehn Minuten zu Fuß in die Schule. Wir sind schon jetzt ziemlich zufrieden mit allem. Trotzdem glauben wir natürlich, dass es in Zukunft sogar noch besser wird, wenn wir nur weiter hart arbeiten“, sagt die junge Mutter.

 

Der große Stolz der eigenen Tochter

 

Am Muttertag, gleich nach dem Aufwachen, erhielt Zhang Dongmei über die Social-Media-App WeChat eine Nachricht von ihrer Tochter: „Liebe Mama, heute ist Muttertag! Gönn dir eine Auszeit und achte auf deine Gesundheit. Wir werden immer stolz auf dich sein!“ Zhang hatte Tränen in den Augen.

 

Zhang Dongmei ist stellvertretende Sekretärin des Parteikomitees des Elektromechanikprojekts des Baihetan-Wasserkraftwerks. Auch ihre Eltern haben einst ihr ganzes Leben in einem Wasserkraftwerk gearbeitet. Geprägt von ihnen setzt Zhang bis heute ihre Arbeit immer sehr weit oben auf ihre Prioritätenliste. Kommt die Sprache auf ihre Familie und die Kinder, mischen sich nicht selten Schuldgefühle in ihre Worte. Der berufliche Ehrgeiz habe manchmal eben auch seinen Preis, sagt sie und seufzt.

 

Ihre Familie habe sie all die Jahre nach Kräften unterstützt, obwohl sie kaum Zeit für Familienzusammenkünfte hatte. „So konnte ich mich stets auf die Arbeit konzentrieren, egal wie weit die Baustelle auch von der Heimat entfernt war“, sagt sie.

 

Angesprochen auf die technischen Details der Kraftwerkanlage, fangen Zhangs Augen sofort an zu glitzern. „Der riesige Wasserturbinen-Generatorsatz mit einer Leistung von einer Million Kilowatt wurde zu 100 Prozent in China entworfen, hergestellt und montiert. Er verfügt über die weltweit größte Stromerzeugungskapazität. Ich fühle mich wirklich geehrt, Teil dieses Projekts zu sein“, sagt sie stolz. Für ihr überdurchschnittliches berufliches Engagement und ihre Erfolge wurde Zhang in diesem Jahr mit dem nationalen Ehrenpreis für vorbildliche Arbeiterinnen ausgezeichnet.

 

„Bisher war ich an der Installation von 35 Großgeneratoren beteiligt“, erzählt sie uns. „Dabei hatte ich über die Jahre die Ehre, den gesamten Entwicklungsprozess und alle Fortschritte mitzuerleben – vom Import bis zur vollständigen inländischen Herstellung der riesigen Stromaggregate“, sagt sie. Am 1. Juli dieses Jahres, pünktlich zum 100-jährigen Bestehen der KP Chinas, wurde der Millionen-kW-Generatorsatz feierlich in Betrieb genommen. „Das war einer der aufregendsten Momente in meinem Leben“, sagt Zhang.

 

Das ganze Jahr über in Schutzhelm und Overall auf verschiedenen Baustellen im Einsatz zu sein, ist für Zhang Alltag. Dass sie durch die langjährige harte Arbeit zum Stolz ihrer Tochter wurde, ist für sie Ansporn und Anerkennung genug.

 

Glanzpunkt der chinesischen Wasserkraftindustrie

 

Anfang September 2020 erhielt Mei Lin, Brückenkranführerin beim Aufbau des Baihetan-Kraftwerks, den Auftrag, den Rotor des ersten Stromaggregats im Millionen-kW-Maßstab in Position zu heben. „Als ich das hörte, machte sich bei mir eine Mischung aus Nervosität und Vorfreude breit. Ich sollte schließlich den Rotor des Generators mit der größten Einzelmaschinenkapazität der Welt hochziehen. Das macht man nicht alle Tage“, erinnert sich Mei Lin an diesen Moment zurück. Dass man ihr diese Aufgabe zugeteilt habe, empfinde sie als große Anerkennung ihrer bisherigen Arbeitsleistung, betont sie.

 

Der Rotor, von dem hier die Rede ist, war für die Kernposition des Generators bestimmt. Es war ein sperriger Koloss von 2300 Tonnen mit 16,5 Metern Außendurchmesser und vier Metern Höhe. Zwei 1300-Tonnen-Laufkräne wurden eigens nebeneinander gestellt, um das sperrige Bauelement fachmännisch in die Höhe zu hieven.

 

„Der Spielraum zwischen Rotor und Stator betrug trotz der so beachtlichen Abmessungen nur 42 Millimeter. Die erforderliche Präzision beim Heben des Rotors war ebenfalls denkbar hoch. Nur mit äußerstem Fingerspitzengefühl bei der Steuerung konnten ein stabiles Einsetzen gewährleistet und Berührungen mit dem Stator vermieden werden. Das war eine echte Herausforderung“, sagt die Kranführerin im Nachhinein. Um einen reibungslosen Hebevorgang sicherzustellen, war Mei an der Konzeption des Rotorhebeprojekts beteiligt und leitete das Team bei der gründlichen Sicherung des Laufkrans, um dessen ordnungsgemäße Funktion sicherzustellen

 

Am Tag des historischen Hebevorgangs gelang es Mei, unter der aufmerksamen Mitarbeit des mit ihr kooperierenden Kranmelders, die Arbeit tipp topp zu vollenden. Ruhig hob sie den riesigen Gegenstand mit ihrem Lastenkran zunächst auf eine Höhe von zehn Metern an und führte ihn dann über fünf Maschinengruben, wobei der Koloss horizontal eine Strecke von 257 Metern zurücklegte. Schließlich wurde das Bauteil planmäßig in der Maschinengrube Nr. 14 abgelegt.

 

„Der Rotor benötigte eine weitere Feinabstimmung, nachdem er mit bloßem Auge mit etwa einem Millimeter Abweichung in die Maschinengrube eingesetzt worden war“, erzählt Mei weiter. Während des Betriebsvorgangs habe sie auch genau auf das Geräusch hören müssen, das beim Öffnen der Bremse entstand. „Als ich das Geräusch vernahm, musste ich die Betätigungsstange sofort in die Ausgangsposition zurückziehen, um sicherzustellen, dass die Bewegungsstrecke des 2300 Tonnen schweren Rotors innerhalb der Toleranz von einem Millimeter lag.“ Diese präzise Kontrolltechnik war letztlich das Ergebnis ihrer jahrelangen Trainingserfahrung am Laufkran.

 

Es dauerte am Schluss über eine Stunde, den Rotor erfolgreich in Position zu bringen. Als es geschafft war, hörte Mei Lin sofort den Applaus ihrer Kollegen außerhalb des Krans. „Es wird mir ein Leben lang als große Ehre in Erinnerung bleiben, den Rotor dieses weltweit leistungsstärksten Generators ,Made in China‘ erfolgreich in Position gebracht zu haben. Das war das bisherige Highlight im Bereich der chinesischen Wasserkraft!“, resümiert sie.

 

In ihrer langjährigen Tätigkeit habe sie insgesamt 16 Rotoren hochgehoben und platziert. „Ich bin der lebende Beweis für das Motto, dass man nur eine einzige Sache im Leben tun muss, solange man sie wirklich gut macht“, sagt sie und lacht.

 

Nach der Inbetriebnahme wird das Kraftwerk Baihetan das zweitgrößte Wasserkraftwerk der Welt sein, nur kleiner als der berühmte Drei-Schluchten-Staudamm. Die erste Charge von Aggregaten hat bereits im Juli ersten Strom erzeugt. Und zur gleichen Zeit im nächsten Jahr sollen alle 16 Stromaggregate in Betrieb sein. Bis dahin soll das Kraftwerk auch mit seinen Schwesterwerken Wudongde am Oberlauf des Jinshan sowie Xiluodu und Xiangjiaba am Unterlauf verbunden sein. Gemeinsam werden die Kraftwerke die weltweit größte Basis zur Erzeugung sauberer Energie bilden und fast 200 Milliarden Kilowattstunden Strom pro Jahr in die Netze speisen.

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