Von Peng Chuyun
Professorin Yang Guiping
China ist ein Vielvölkerstaat, in dem auch eine große Gruppe von Muslimen lebt. Sie haben verschiedene ethnische Hintergründe, gehören unter anderem Volksgruppen wie den Uiguren, den Hui, den Salar oder den Kasachen an. Anlässlich des Internationalen Frauentags am 8. März haben wir Professorin Yang Guiping, selbst Muslimin der Volksgruppe der Hui, interviewt. Yang ist Expertin für Religions- und Kulturwissenschaft und befasst sich schwerpunktmäßig mit der Erforschung muslimischer Minderheiten in China. Anlässlich des Weltfrauentags werfen wir gemeinsam mit ihr einen Blick auf eine besondere Gruppe – muslimische Frauen in China. Welche Chancen und Herausforderungen begegnen ihnen auf ihrem Weg zum nationalen Ziel des gemeinsamen Wohlstands?
China heute: Frau Yang, zunächst einmal herzlichen Dank, dass Sie sich Zeit genommen haben. Könnten Sie unseren Lesern zum Einstieg zunächst ein bisschen mehr über Ihre eigene Person und Ihre Arbeit an der Minzu University of China erzählen?
Yang: Natürlich! Es ist mir eine Freude, den deutschsprachigen Lesern mich und unsere Universität etwas näher vorzustellen. Zunächst zu meiner Person: Ich wurde in einer traditionellen Hui-Gemeinde im Nordwesten Chinas geboren, wo alle Menschen wie in einer großen Familie zusammenleben. Meine Heimatstadt Wuzhong liegt im Zentrum von Ningxia, das ist ein Autonomes Gebiet im Nordwesten der Volksrepublik. Wuzhong ist überregional bekannt als „Oase jenseits der Großen Mauer“, dank des Gelben Flusses, der den Ort immerzu mit ausreichend Wasser versorgt. Staatspräsident Xi Jinping war während seines Ningxia-Besuchs im Jahr 2020 sehr beeindruckt von der Entwicklung und Harmonie meiner Heimatstadt. Vor allem lobte er die ehrenamtliche Wohltätigkeitsarbeit der Hui-Frauen.
Ich nahm 1987 mein Studium an der heutigen Minzu University of China auf und arbeite seit meinem Studienabschluss dort. Zu meinen Unterrichtsfächern zählen unter anderem Islamische Religionswissenschaft, Ethnische Religionswissenschaft und Arabische Philosophie. Mein Forschungsgebiet umfasst das islamische Denken, die aktuelle Situation des Islam und anderer Religionen in China, das Verhältnis von Ethnizitäten und Religionen im Land sowie den kulturellen Dialog zwischen China und der arabischen Welt.
Was die Minzu University of China betrifft, so wurde sie im Jahr 1941 gegründet. Ihr Ziel ist es, das Verständnis und die Verständigung zwischen Chinas Ethnien zu fördern und Beamte aus ethnischen Minderheiten, die sich in Zukunft mit Fragen der ethnischen Minderheiten befassen werden, auf ihre Arbeit vorzubereiten.
China heute: Wir haben gerade den Internationalen Frauentag begangen. Wie bewerten Sie – als Expertin in chinesisch-arabischen Studien und als Hui-Muslimin – die Situation weiblicher Muslime in China?
Yang: Ich habe sowohl in islamisch geprägten Gebieten in China studiert und gewohnt als auch zahlreiche Auslandsreisen unternommen, zum Beispiel zur Teilnahme an akademischen Konferenzen. Ich war etwa in den Golfstaaten, der Türkei, Indonesien und Malaysia. Was ich in muslimisch geprägten Regionen in China wie auch im Ausland gesehen und erlebt habe, gibt mir die Zuversicht zu sagen, dass China in mehreren Bereichen enorme Erfolge in Bezug auf das Leben und die Integration von Muslimen und Musliminnen erzielt hat. Zu nennen sind hier etwa Bildung, Beschäftigung, gesellschaftliche Dienstleistungen und die Beteiligung an der Entscheidungsfindung in Verwaltungsfragen.
Während meiner Jahre als Professorin habe ich chinesische Musliminnen aus verschiedenen Gesellschaftsbereichen getroffen und zu Studienzwecken befragt, darunter Studentinnen, Bildungsarbeiterinnen, Beamtinnen, weibliche Achunde – so nennt man die islamischen Geistlichen in China – und Pilgerinnen, um nur einige zu nennen. Nicht wenige meiner ehemaligen Studentinnen stammen aus Xinjiang, sind uigurischer oder kasachischer Herkunft. Nach der Ausbildung sind viele zum Arbeiten in die Heimat zurückgekehrt. Die Menschen vor Ort schätzen ihre Arbeit sehr, wegen der großen Expertise, die sie mitbringen, und auch wegen ihres religiösen Bewusstseins.
Eine bemerkenswerte Hui-Frau, die mich sehr beeindruckt hat, ist Ding Xiuhua. Sie arbeitet als Büroleiterin für religiöse Angelegenheiten in meiner Heimatstadt. Wuzhong hat eine Hui-Bevölkerung von etwa 500.000 Menschen verschiedener Konfessionen, darunter finden sich Muslime, Buddhisten, Taoisten, Protestanten und Katholiken. Allein die Muslime gehören verschiedenen Glaubensschulen an. Trotz dieser Komplexität gelang es Ding Xiuhua, gegenseitiges Verständnis unter den Hui zu erreichen, so dass alle heute die Möglichkeit haben, sich frei zu entfalten und persönlich weiterzuentwickeln.
Muslime in China kommen übrigens aus insgesamt zehn Ethnien. Es handelt sich zum Beispiel um Hui, Uiguren oder Kasachen. Doch eines stellt sicher, dass sie die gleichen Chancen haben, wie jeder andere im Land – nämlich Bildung. Dank einer gut umgesetzten Politik der Gleichberechtigung genießen Frauen kleinerer Ethnien in China genau die gleichen Bildungschancen und sind so in der Lage, ihren Lebensunterhalt selbst zu bestreiten. Wie wird das erreicht? Sowohl muslimische als auch nicht-muslimische Freiwillige haben viel hierzu beigetragen. Basierend auf den Lehren des Koran förderten sie die Bedeutung der Bildung, nicht nur für die männlichen Gläubigen, sondern auch für die Frauen. Da manche Menschen in unterentwickelten Regionen aus komplizierten wirtschaftlichen Gründen lange zögerten, ihre Töchter zur Schule zu schicken, sammelten die muslimischen Freiwilligen Geld und gründeten spezielle Mädchenschulen, um sicherzustellen, dass die Mädchen genauso wie ihre männlichen Altersgenossen zur Schule gehen konnten.
Unterstützt wurden diese Freiwilligen dabei von lokalen Behörden und der Zentralregierung und zwar auf Registrierungs-, Verwaltungs- und Organisationsebene. Ergebnis dieser Synergien ist es, dass Musliminnen heute in allen Teilen der modernen chinesischen Gesellschaft ihre Träume leben können.
China heute: Was halten Sie von Schulen speziell für muslimische Mädchen bzw. einer Bildung speziell ausgerichtet auf muslimische Mädchen?
Yang: Ich habe mehrere Moscheen für Frauen in verschiedenen Teilen Chinas besucht, vom Norden des Landes bis tief in den Süden, um weibliche Achunde – so nennt man die Leiterin einer Moschee in China, sie sind vergleichbar mit Imamen – zu interviewen. Wie Sie in meinem Buch über islamische Kunst in China nachlesen können, sind Phänomene wie Frauenmoscheen oder muslimische Mädchenschulen Ausdruck der kulturellen Harmonie und ein Ergebnis der Akzeptanz der chinesischen Realität durch den Islam. Erstens bieten Frauenmoscheen und Mädchenschulen Musliminnen einen unabhängigen Raum für Gebet und Studium. Prototypen gab es schon im späten 19. Jahrhundert und zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Damals gründeten die Achunde und Vorstandsmitglieder Frauenmoscheen, um den Bedürfnissen der Religionsausübung von Musliminnen gerecht zu werden. Am Anfang waren sie in der Mitte und im Süden Chinas zu finden, später nach und nach in einem Großteil der chinesischen Provinzen.
Normalerweise befinden sich solche Frauenmoscheen in einem Hof in der Nähe einer gewöhnlichen Moschee, das gilt zum Beispiel auch für die Frauenmoschee der Beijinger Ox Street Moschee. Sie verfügt über eine eigene Gebetshalle, Wasch- und Arbeitsräume. Im Vergleich zu einer normalen Moschee sind Frauenmoscheen jedoch meist kleiner und haben weniger Abteilungen. Auch fehlen ihnen eigene Minarette. In der Haupthalle gibt es auch keinen Mihrab (die islamische Gebetsnische in Moscheen) und keine Minbar (die Kanzel, auf der der Chatib die Freitagspredigt hält). Die Frauenmoscheen sind meist an eine große Moschee angeschlossen und finanziell von ihr abhängig. Eine Frauenmoschee hat einen weiblichen Achund, dessen Hauptaufgabe es ist, die Gottesdienste zu leiten, den weiblichen Gläubigen liturgisches und religiöses Wissen zu vermitteln und die Beisetzung von Musliminnen zu vollziehen. Während des Gottesdienstes stehen weibliche Achunde in der ersten Reihe, während männliche Achunde vor den Gläubigen stehen. Das Einkommen eines weiblichen Achunds und der Einfluss innerhalb der Gemeinschaft sind beide etwas niedriger als das ihres männlichen Pendants.
Frauenmoscheen ermöglichen es Chinas Musliminnen, einen besseren Zugang zu einem breiten Raum gesellschaftlicher Aktivitäten zu erhalten, darunter Bildung und die Verwaltung religiöser Angelegenheiten. Die besseren Kenntnisse und das bessere Verständnis für den Islam stärken darüber hinaus ihre Position in der Familie. Manche begeben sich als erstes Familienmitglied überhaupt auf Pilgerfahrt nach Mekka. Im Zuge des gesellschaftlichen Wandels sind Frauenmoscheen heute völlig unabhängig. Auch das Aufgabenfeld der weiblichen Achunde hat sich deutlich erweitert. Diese Entwicklung hat sich bei den sozialen Diensten und der Solidaritätsförderung sowie auch in vielen anderen gesellschaftlichen Bereichen als positiv und konstruktiv erwiesen.
China heute: Seit dem Opiumkrieg im Jahr 1840 wirken muslimische Frauen intensiv am sozialen Fortschritt und Aufbau Chinas mit. Können Sie uns hier einige herausragende Beispiele nennen?
Yang: Natürlich! Seit dem Opiumkrieg verschrieben sich auch unzählige Musliminnen dem Ziel, China zu einem unabhängigen und besseren Land zu machen. Was ich hier vorstellen kann, ist sicher nur die Spitze des Eisbergs.
Eine der ersten Vorkämpferinnen für Chinas Unabhängigkeit in der Zeit der Revolution war Liu Qingyang. Sie trat 1921 in die Kommunistische Partei Chinas ein und ermutigte, organisierte und unterstützte als Aktivistin Menschen im antijapanischen Krieg. Nach Gründung der Volksrepublik wirkte sie dann aktiv beim Aufbau des Neuen China mit.
Und es gibt noch weitere Vorkämpferinnen. Wang Shiwen zum Beispiel ist Mitglied der Chinesischen Akademie der Wissenschaften und der Chinesischen Akademie für Ingenieurwissenschaften. In Chinas Arbeitswelt gibt es Zehntausende von ausgezeichneten weiblichen muslimischen Fachkräften, in so unterschiedlichen Feldern wie Finanzen, Technologie, Medizin oder Bildung. Sie sind unterschiedlicher ethnischer Herkunft, gehören zu den Hui, Uiguren, Kasachen, Dongxiang, Salar oder anderen ethnischen Gruppen. Hai Xia, eine Hui-Frau aus der Provinz Henan, die als Moderatorin bei CCTV arbeitet, ist einem breiten Publikum bekannt. Und dann wäre da noch Pan Yulian, sie ist ein talentierter Polyglott, der sehr gut Mandarin, Uigurisch, Kasachisch und Russisch spricht. Seit Jahrzehnten gibt sie Kindern kostenlosen Sprachunterricht. Die Menschen in Shule in Xinjiang, wo sie tätig ist, nennen sie liebevoll „Oma Pan“.
Und – last but not least – bereichern Musliminnen auch die chinesische Literatur. Huo Da zum Beispiel hat der Welt einen epischen Roman geschenkt, Muslim Funeral, der eine spirituelle Reise des Zusammenlebens der Han und der Muslime durch die Zeit darstellt und seine Leser tief beeindruckt und nachdenklich gemacht hat. Ma Jinlian repräsentiert die jüngere Generation muslimischer Schriftstellerinnen. Sie ist vor allem für ihre Kurzgeschichten und Romane bekannt. Einige ihrer Werke werden als empfohlenes Lesematerial für Studenten der chinesischen Sprache ausgewählt und wurden sogar ins Englische sowie in weitere Fremdsprachen übersetzt.
Im Verlauf der Geschichte haben Musliminnen, genauso wie die nicht-muslimischen Frauen Chinas übrigens, von der breiten Akzeptanz der Geschlechtergleichstellung profitiert. Sie genießen eine immer bessere Bildung, sind zunehmend unabhängiger geworden und leisten in zahlreichen Bereichen immer größere Beiträge zum gesellschaftlichen Fortschritt.
China heute: Frau Yang, wir danken Ihnen für dieses Gespräch!