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Zhou Youguang – Der Vater des chinesischen Pinyin

2019-09-24 13:52:00 Source: Author:
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Von Dang Xiaofei

 

Jeder Ausländer, der Chinesisch lernt, weiß, dass es zuerst gilt, das Pinyin zu beherrschen. Erst durch den Erwerb dieser speziellen Lautumschrift wird man als Nichtmuttersprachler in der Lage sein, die chinesische Aussprache zu meistern und sich Grundkenntnisse in der chinesischen Sprache und Kultur anzueignen. Die chinesischen Schriftzeichen dagegen erscheinen anfangs wie Hieroglyphen, da sie fast keinen Hinweis auf die Aussprache geben. Woher aber kommt die Lautumschrift Pinyin, die sowohl von den Chinesen selbst als auch von der internationalen Gemeinschaft zum Spracherwerb und im digitalen Alltag für die Eingabe am Computer verwendet wird?

 

Bei Gründung der Volksrepublik China im Jahr 1949 herrschte ein Klanggewirr: Die 56 ethnischen Gruppen im ganzen Land sprachen Dutzende verschiedener Dialekte, was zu Schwierigkeiten bei der Kommunikation untereinander führte. Hinzu kam, dass zum damaligen Zeitpunkt über 80 Prozent der chinesischen Bevölkerung Analphabeten waren. Diese Situation lag nicht nur in den Kriegswirren begründet, sondern auch im langjährigen Mangel an einheitlichen phonetischen Symbolen. Um dies zu ändern, war es dringend nötig, einen einheitlichen Plan zur Lautumschrift der chinesischen Sprache zu formulieren. Zu diesem Zweck setzte Chinas Regierung die Reform des Schriftsystems weit oben auf ihre nationale Arbeitsagenda. Viele Experten und Wissenschaftler aus dem ganzen Land wurden eingeladen, sich an diesem Pionierprojekt zu beteiligen. Zhou Youguang, ein berühmter chinesischer Linguist und Philologe, war einer von ihnen.

 

Zhou Youguang wird als „Vater des chinesischen Pinyin“ verehrt.

 

Ein neuer Beruf

 

Zhou Youguang wurde 1906 in Changzhou in der ostchinesischen Provinz Jiangsu geboren. 1923 wurde er an die St. John's University in Shanghai aufgenommen. Obwohl er im Hauptfach Wirtschaftswissenschaft studierte, interessierte er sich stark für Linguistik. Er besuchte oft Sprachkurse und las in seiner Freizeit viele sprachwissenschaftliche Bücher.

 

Nach seinem Studienabschluss war Zhou in der Finanzbranche tätig. Doch auch in dieser Zeit pflegte er seine Vorliebe für Linguistik und veröffentlichte in Fachzeitschriften immer wieder Artikel über die Reform des chinesischen Schriftsystems. 1946 wurde er von der Xinhua Bank nach New York versetzt. Als die Volksrepublik im Jahre 1949 gegründet wurde, gab er entschlossen seine guten Lebensbedingungen im Ausland auf und kehrte nach China zurück, um eine Stelle als Wirtschaftsprofessor an der Fudan-Universität in Shanghai anzutreten.

 

1955 wurde Zhou zur Teilnahme an einer von der Zentralregierung in Beijing abgehaltenen nationalen Konferenz zur Reform der chinesischen Schriftzeichen eingeladen. Zu diesem Zeitpunkt war er bereits Spezialist für Chinesisch, Englisch, Französisch und Japanisch und hatte umfangreiche Untersuchungen zur Reform des Schriftsystems durchgeführt.

 

Als sich Zhou nach der Konferenz anschickte, nach Shanghai zurückzukehren, wurde er von Wu Yuzhang, dem Direktor des Komitees für die Reform der chinesischen Schriftzeichen, zum Bleiben überredet. Wu hoffte, Zhou könne seinem Team beitreten. Doch dieser zögerte zunächst und sagte: „Ich bin nur ein Amateur in Linguistik und Philologie. Es wäre unangemessen für mich, zu bleiben.“ Darauf antwortete Wu: „Wir wollen hier etwas Innovatives schaffen. In dieser Hinsicht sind wir also alle Amateure.“ Später schlug auch Chen Wangdao, der Präsident der Fudan-Universität, Zhou vor, seinen Karriereweg zu überdenken und auf den Forschungsbereich der chinesischen Schriftzeichen umzuschwenken. Selbst der damalige chinesische Ministerpräsident Zhou Enlai griff höchstpersönlich zum Telefon, um Zhou zur Teilnahme an dieser Arbeit einzuladen.

 

Nach reiflicher Überlegung nahm Zhou die Einladung schließlich an und zog mit seiner Familie nach Beijing. Das Komitee für die Reform der chinesischen Schriftzeichen war damals zuständig für die Reform des nationalen Schriftsystems und bestand aus zwei Forschungsbüros: einem Forschungsbüro für die Formulierung des chinesischen Pinyin und einem Forschungsbüro für die Vereinfachung der traditionellen chinesischen Schriftzeichen. Im Forschungsbüro für Pinyin gab es 15 Linguisten aus verschiedenen Universitäten. Die meisten von ihnen nahmen jedoch hauptsächlich an Diskussionstreffen teil, wo sie ihre Meinungen zu den vorgeschlagenen Regeln äußerten. „Die spezifische Arbeit zur Pinyin-Formulierung wurde von drei Personen durchgeführt: Ye Laishi, Lu Zhiwei und mir“, erklärte Zhou Youguang in einem Interview. „Als Generalsekretär des Komitees war Ye Laishi sehr beschäftigt, während Lu Zhiwei gleichzeitig seine Arbeit als Dozent und Forscher an einem Sprachinstitut ausüben musste. Nur ich hatte also, nachdem ich Shanghai verlassen hatte, Zeit und Muße, mich dieser innovativen Arbeit mit ganzen Kräften zu widmen“, erinnerte sich Zhou Youguang.

 

Als er sich dem 50. Lebensjahr näherte, gab Zhou sein Studienfach Wirtschaftswissenschaft schließlich ganz auf und widmete sich fortan voll der Sprachwissenschaft.

 

1923 wurde Zhou Youguang an die St. John's University in Shanghai aufgenommen. Zwar studierte er Wirtschaftswissenschaften

 im Hauptfach, doch sein Herz schlug für die Linguistik.

 

Durchbruch innerhalb von nur drei Jahren

 

Nach seinem Amtsantritt stand Zhou anfangs vor einer ganzen Reihe von Problemen: Sollten die Buchstaben der chinesischen Lautschrift eine völlige Neuschöpfung sein, oder sollte man die gebräuchlichen Buchstaben des lateinischen Alphabets übernehmen? Und welche Buchstaben sollten im letzteren Fall gewählt werden, um die Laute des Chinesischen gut widerzuspiegeln? Sollte die Aussprache der Buchstaben geändert werden oder gleich bleiben? Und welche Methoden sollten eingeführt werden, um Rechtschreibregeln für alle gebräuchlichen chinesischen Schriftzeichen zu formulieren? Hinzu kommt, dass Chinesisch eine Tonsprache ist. Wie ließen sich die Töne des Chinesischen mit geschriebenen Buchstaben ausdrücken?

 

Tatsächlich hatte die Beiyang-Regierung in Peking (1912–1928) bereits im Jahre 1918 ein Schema eines phonetischen Alphabets mit 39 Buchstaben entwickelt. Die meisten dieser 39 Buchstaben wurden aus Fragmenten der antiken  chinesischen Schriftzeichen oder Hieroglyphen modifiziert und hatten fünf Töne. Jedoch fand dieses System in der internationalen Gemeinschaft keine breite Anerkennung. Auch die Kuomintang-Regierung in Nanjing führte 1928 ein Pinyin-System basierend auf dem lateinischen Alphabet ein. Bei diesem System wurden die 26 vorhandenen lateinischen Buchstaben verwendet. Es basierte auf der Aussprache des Pekinger Dialekts, wobei auch die internationalen Rechtsschreibgewohnheiten berücksichtigt wurden. Aber wegen der Komplexität der Töne war es schwierig, dieses System landesweit zu verbreiten.

 

Nachdem Zhou Youguang die Schriftsysteme vieler Sprachen in der Welt studiert hatte, war er der Ansicht, dass das lateinische Alphabet am besten geeignet war, um die chinesische Aussprache abzubilden. Zum einen verfügte es über zahlreiche technische Vorteile, und zum anderen besaß es die stärkste Verbreitung und den umfangreichsten Einfluss. Schließlich entschied er sich für 21 der 26 lateinischen Buchstaben und fügte weitere fünf Sonderbuchstaben aus anderen Sprachen hinzu. Die chinesische Sprache zählt vier Töne. Zur Erkennung des zweiten, dritten und vierten Tons verwendete Zhou Vokale mit verschiedenen steigenden bzw. fallenden Betonungszeichen darüber, wie sie zum Beispiel auch im Französischen vorkommen. Für den ersten Ton lieh sich Zhou das Minuszeichen in der Mathematik aus und setzte es über bestimmte Vokale. Dadurch wurde das Problem der phonetischen Lautschrift gelöst.

 

Derweil versuchten einige Linguisten der ehemaligen Sowjetunion, China zu überreden, das russische und das slawische Alphabet statt dem lateinischen zu verwenden. Dieser Vorschlag wurde von dem damaligen Vize-Ministerpräsidenten Chen Yi abgelehnt, mit der Begründung, dass China Beziehungen mit den Ländern Südostasiens aufbauen wolle. Da nur wenige Menschen in Südostasien des russischen Alphabetes mächtig waren, sei die Einführung des lateinischen Alphabets besser dazu geeignet, die Verbreitung der chinesischen Sprache zu fördern, argumentierte er.

 

„Vize-Ministerpräsident Chen Yi hat eine sinnvolle Entscheidung getroffen“, sagte Zhou Youguang. „Wenn wir damals das russische Alphabet übernommen hätten, hätte es heute mehr Probleme gegeben. Der Mechanismus müsste abgeschafft und neu ausgearbeitet werden.“

 

Es dauerte drei Jahre, bis Zhou Youguang mit der Erstellung des Plans für die Lautumschrift des Chinesischen fertig war. Im Februar 1958 wurde der Plan für die Lautumschrift des Chinesischen vom Nationalen Volkskongress angenommen. Noch im selben Jahr wurde Pinyin als Pflichtkurs für Grundschüler im ganzen Land eingeführt.

 

Durch die Verbreitung des chinesischen Pinyin erzielte auch die nationale Arbeit gegen Analphabetismus große Fortschritte. Experten waren der Ansicht, dass die Einführung des Pinyin nicht nur der 5000 Jahre alten chinesischen Sprache eine einheitliche und standardisierte Aussprache verlieh, sondern es auch Schulkindern ermöglichte, zwei Jahre früher mit dem Lesen von Meisterwerken zu beginnen. Eine Studie unter Bauern im Kreis Wanxian im Süden der Provinz Shanxi ergab, dass diese die chinesische Pinyin-Umschrift schon nach dem Besuch eines 15 bis 20 stündigen Kurses beherrschten. Und nach etwa 100 Unterrichtsstunden waren sie in der Lage, 1500 chinesische Schriftzeichen zu lesen und zu schreiben.

 

Seit mehr als 60 Jahren spielt das chinesische Pinyin eine wichtige Rolle bei der Popularisierung der Bildung und der wissenschaftlichen und kulturellen Entwicklung. Es hat auch die Verbreitung der Informationstechnologie erleichtert und Chinas Öffnung nach außen beschleunigt.

 

 

Zhou Youguang verfasste bzw. bearbeitete Zeit seines Lebens mehr als 40 Bücher

 und war an einer Vielzahl bedeutender nationaler Kulturförderungsprojekte beteiligt.

 Ein internationaler Standard

 

Ab den 1960er Jahren reisten Zhou und seine Kollegen in viele Länder, um an internationalen Konferenzen teilzunehmen und sich um die internationale Anerkennung der Pinyin-Lautschrift zu bemühen.

 

„Es war sehr wichtig, Pinyin zum internationalen Standard zu machen“, sagte Zhou. „Nehmen wir die Luftfahrt als Beispiel. Gäbe es keine einheitlichen phonetischen Schreibregeln für Chinas Fluginformationen, würde das leicht zu Problemen führen. Was passiert, wenn zwei Flugzeuge deshalb am Himmel kollidieren?“, fragte Zhou.

 

Auf der Konferenz über Dokumentationstechnologie, die 1974 von der Internationalen Organisation für Normung (ISO) in Warschau abgehalten wurde, hielt Zhou Youguang im Namen der Volksrepublik eine wichtige Rede. Darin schlug er vor, den Plan für die Lautumschrift des Chinesischen als internationalen Standard für die Lautschrift chinesischer Schriftzeichen zu verwenden. 1982 stimmte die ISO durch Abstimmung zu, besagten Plan als internationalen Standard für die Lautschrift chinesischer Schriftzeichen festzulegen. „Viele meinen, wir hätten diesen Plan in nur drei Jahren formuliert, aber das stimmt nicht. Von der Formulierung bis zu seiner internationalen Anerkennung dauerte es 14 Jahre. Blickt man noch weiter in die Vergangenheit zurück, ist dies letztlich die Errungenschaft der hundertjährigen Anstrengungen der chinesischen Nation“, sagte Zhou.

 

Die Anerkennung des Plans für die Lautumschrift des Chinesischen als internationaler Standard hat der chinesischen Kultur einen neuen Weg zur Welt eröffnet. Anlässlich des 40. Jahrestages der Veröffentlichung dieses Plans beschloss die US-amerikanische Kongressbibliothek 1998, alle ihre 70 Kataloge chinesischer Bücher von der alten Schreibweise in die chinesische Pinyin-Umschrift umzuändern.

 

Durch die Einführung der Pinyin-Umschrift wurde eine Brücke zwischen der Aussprache und Schrift des Chinesischen geschaffen. Sie hat dazu beigetragen, die Zahl der Analphabeten in China deutlich zu senken und die Schwierigkeiten von Ausländern beim Erlernen der chinesischen Sprache zu lindern. Zhou Youguang wird deshalb als „Vater des chinesischen Pinyin“ verehrt, auch wenn er selbst diese Ehre stets zurückwies. „Die Formulierung der chinesischen Pinyin-Umschrift hat einhundert Jahre gedauert. Ich bin nur eine der wenigen Personen, die sich an der endgültigen Entwicklung des Plans beteiligt haben. Daher bin ich dieses Ehrentitels nicht würdig“, wird er zitiert.

 

Die Linguistik als Leidenschaft begleitete Zhou Youguang sein Leben lang. Er verfasste bzw. bearbeitete Zeit seines Lebens mehr als 40 Bücher und beteiligte sich an einer Vielzahl bedeutender nationaler Projekte zur Kulturförderung. 2017 verstarb er im hohen Alter von 112 Jahren. Doch für seine großen Beiträge zur Förderung der Umsetzung der nationalen Sprachplanung sowie der Vereinheitlichung der chinesischen Aussprache und Schrift wird er Chinesen und auch vielen anderen Menschen in aller Welt für immer in Erinnerung bleiben.

 

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