Von Zhang Hui
Der italienische Sinologe Dr. Michele Ferrero unterrichtet seit zehn Jahren Latein an der Beijing Foreign Studies University (BFSU). Auch für ihn waren die letzten Wochen im Kampf gegen das neuartige Coronavirus teils mit Problemen und Turbulenzen verbunden. „Vor etwa zwei Wochen war ich in Hongkong gestrandet und konnte weder nach Italien noch nach Beijing zurückfliegen. Mithilfe der BFSU bin ich nun endlich wieder in Beijing. Dafür bin ich sehr dankbar“, sagt der Italiener im Interview mit „China heute“.
Der italienische Sinologe Dr. Michele Ferrero lebt seit zehn Jahren in China. In Beijing bringt er chinesischen Studierenden die lateinische Sprache näher.
Die vergangenen zwei Monate seien eine schwierige Zeit für das chinesische Volk gewesen, sagt Ferrero. „Aber ich bin tief bewegt von der Freundschaft meiner chinesischen Kollegen. Während meiner Heimquarantäne haben sie mir sogar Pasta gekauft, so dass ich auch während der Epidemie italienische Gerichte genießen konnte“, erzählt er uns.
Plötzlich vom realen ins virtuelle Klassenzimmer
Das Leben in China geht weiter, auch während der Epidemie. Das gilt auch für Ferreros Lehrtätigkeit in Beijing. Seine Arbeit hat sich kurzerhand vom realen in den virtuellen Hörsaal verlagert. „Meine beiden Assistenten haben mir geholfen, alles für den Live-Streaming-Unterricht vorzubereiten“, sagt der Italiener. „Obwohl Multimedia-Lehrmittel für mich nichts Neues sind, ist es doch eine ganz neue Erfahrung, Unterricht plötzlich nur noch per Live-Streamig zu geben. Diesbezüglich bin ich ein echter Neuling und muss noch vieles dazulernen“, sagt er und lacht.
Michele Ferrero freut sich schon auf die Rückkehr ins reale Klassenzimmer. Er vermisse den direkten Austausch und das direkte Gespräch mit seinen Studierenden.
Ferrero zeigt sich tief beeindruckt von den Maßnahmen, die die Chinesen ergriffen haben, um den Alltag möglichst wieder in normale Bahnen zu lenken und die schwierige Zeit gut zu meistern. „Es ist erstaunlich, wie der Schul- und Lehrbetrieb in ganz China trotz vieler durch das Virus verursachter Schwierigkeiten so schnell erfolgreich online organisiert werden konnte. Das ist eine große Leistung, die Anerkennung verdient, und auch ein gutes Beispiel für die hohe Effizienz der Chinesen angesichts dieses globalen Gesundheitsnotfalls“, sagt der Sinologe.
Auf Dauer aber würde Ferrero natürlich gerne wieder ins echte Klassenzimmer zurückkehren, lässt er durchblicken. Er freue sich schon auf den Tag, an dem seine Studenten wieder auf den Universitätscampus zurückkehren. „Alle meiner Studenten sagen, dass sie es vermissen, auf dem Campus zu sein. Im realen Klassenraum kann der Lehrer zum Beispiel jeden, der eine Frage beantworten möchte, einfach um ein Handzeichen bitten. Außerdem sehe ich als Dozent im Klassenraum direkt die Reaktionen aller Teilnehmer. Die Interaktion der Studierenden ist doch von großer Bedeutung, insbesondere beim Erlernen einer Fremdsprache“, sagt der Italiener. Er vermisse es, sich vor und nach dem Unterricht mit seinen Studenten im direkten Gespräch auszutauschen.
Freundschaft zwischen China und Italien
Nach dem Ausbruch des neuartigen Coronavirus in Italien erreichen Ferrero mittlerweile viele besorgte Nachfragen chinesischer Freunde und Kollegen. „Sie möchten einfach wissen, wie es meiner Familie geht. Ich bin tief berührt von ihrer Fürsorge und ihrem Mitgefühl“, sagt Ferrero.
„Meine Heimat liegt in Cuneo im Nordwesten Italiens, ganz in der Nähe von Turin. Bis jetzt ist die Gegend von der Epidemie nicht schwer betroffen“, erzählt er uns. „Aber natürlich sind alle mittlerweile höchst wachsam. Die Menschen bleiben überwiegend zu Hause und gehen nur noch für die nötigsten Einkäufe vor die Tür.“
Chinas strenge Kontrolle der Mobilität der Menschen hält der langjährige Wahl-Beijinger für sehr effektiv. China sei das erste Land weltweit, das von der Epidemie stark getroffen worden sei und habe bisher große Erfolge bei der Bekämpfung des Virus erzielt. Daher lerne Italien aus den Erfahrungen Chinas. „In Italien wurden im Prinzip die gleichen Maßnahmen wie in China ergriffen. Beispielsweise hat man die Menschen aufgefordert, zu Hause zu bleiben und alle sozialen Kontakte zu verringern. Das ist entscheidend für den Sieg gegen die Epidemie“, sagt Ferrero. Ebenso wie China fahre Italien zudem alle nicht dringend notwendigen medizinischen Behandlungen und Dienstleistungen zurück, um im Hinblick auf Krankenbetten und medizinisches Personal in den Kliniken optimale Kapazitäten für die Behandlung von Covid-19-Patienten bereitzustellen.
Obwohl die Epidemie in China noch nicht ausgestanden sei und es auch in der Volksrepublik noch immer eine große Nachfrage nach medizinischer Prävention und entsprechenden Güter gebe, habe das Land dennoch medizinische Hilfsgüter nach Italien geschickt. „Dies zeigt die enge Freundschaft zwischen China und Italien, die auf eine Geschichte von einigen hundert Jahren zurückblicken kann“, sagt der Sinologe.
Ferrero selbst, der bereits seit zehn Jahren in China lebt, zeigt sich noch immer begeistert von der chinesischen Kultur, die einen ganz besonderen Charme besitze. Das gelte insbesondere für alte Traditionen, die sich nach wie vor im Alltag der Menschen widerspiegelten. „Der Umgang der Menschen hier miteinander verkörpert das traditionelle Gedankengut der chinesischen Kultur, in der der Konfuzianismus eine wichtige Rolle spielt“, sagt er.
In Bezug auf die Frage, warum es ihn auch nach einem Jahrzehnt noch immer nicht zurück in die Heimat zieht und er stattdessen jungen Chinesen an der BFSU die lateinische Sprache näherbringt, erklärt der Linguist: „Im 16. und 17. Jahrhundert wurden fast alle in Europa veröffentlichten Bücher über China auf Lateinisch geschrieben. Die Lektüre dieser Bücher weckte in mir eine unbändige Faszination für dieses Land. Die in diesen Schriften beschriebene chinesische Kultur und Tradition sind bis heute in China lebendig. Dies zeigt, dass China über ein reiches historisch-kulturelles Erbe verfügt, das sich nachhaltig fortsetzt.“
Derzeit arbeitet Ferrero als Direktor des Zentrums für lateinische Sprache und Kultur an der BFSU sowie als Gastprofessor am China Overseas Sinology Research Center. Viele der auf dem chinesischen Markt erhältlichen gängigen Lateinlehrbücher wurden von ihm persönlich zusammengestellt. Für die Zukunft wünscht er sich, dass die Epidemie seine alte und seine neue Heimat noch enger zusammenbringt. „Ich hoffe, dass sich die Freundschaft zwischen China und Italien fortsetzt. Ich selbst werde mein Bestes tun, um den kulturellen Austausch zwischen unseren beiden Ländern weiter zu vertiefen“, verspricht er.