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Onlineunterricht an Chinas Universitäten: Corona offenbart Vorteile des virtuellen Lernens

2020-06-28 14:29:00 Source:China heute Author:
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Von Su Yan*

 

Als Tang Lan, Studentin im zweiten Studienjahr der Duke Kunshan University (DKU), sich vor Beginn des Sommersemesters für den Kurs „Biology 110“ einschrieb, hätte sie nicht gedacht, dass sie den Laborteil zu Hause abschließen würde. Normalerweise dauert es 24 Stunden oder noch länger, einen Transformationstest für Kolibakterien abzuschließen, den sie für das Bestehen der Lehrveranstaltung durchführen musste. Dank einer von ihrem Professor empfohlenen neuen Simulationssoftware konnte Tang das Prozedere virtuell in nur zehn Minuten abwickeln. „Zwar wurde der Test in einem virtuellen Labor durchgeführt, doch die Lernerfahrung bleibt die gleiche. Ich muss nun noch einen experimentellen Bericht schreiben, genau wie in traditionellen Lehrveranstaltungen im Fach Biologie“, sagt sie.

 

Der Wechsel von Off- zu Online-Veranstaltungen im Hochschullehrbetrieb ist vor allem der Coronakrise geschuldet. Ab dem 24. Februar startete die DKU wie viele andere chinesische Hochschulen und Universitäten als Reaktion auf die Epidemie ihren Onlineunterricht und stellte den Studierenden über die Plattform MOOC (Massive Open Online Courses) 3500 Onlinekurse kostenlos zur Verfügung.



Campus der Xi’an Jiaotong-Liverpool University in Suzhou: Seit Februar finden die Lehrveranstaltungen der Universität online statt.

 

Einen ähnlichen Vorstoß machte auch die Xi'an Jiaotong-Liverpool University(XJTLU), deren Unterrichtsräume im Industriepark von Suzhou in der ostchinesischen Provinz Jiangsu angesiedelt sind. Auch sie begann am 24. Februar mit dem Onlineunterricht. Über die internationale Onlinelehrplattform der Universität haben seither mehr als 700 chinesische und ausländische Dozenten 456 Kurse für mehr als 10.000 Studenten auf der ganzen Welt abgehalten.

 

Gemeinsam ist den beiden Bildungseinrichtungen, dass es sich um chinesisch-ausländische Kooperationsprojekte handelt. Beide haben bereits angekündigt, den Onlineunterricht mindestens bis zum Ende des Sommersemesters fortsetzen zu wollen. Dazu sagt Xi Youmin, geschäftsführender Präsident der XJTLU: „Uns bleibt keine andere Wahl, als auf online umzuschwenken, wenn wir die Gesundheit unserer Studierenden in dieser besonderen Zeit gewährleisten wollen. Aber es ist keineswegs ein provisorischer Schritt oder eine bloße Alternative zum Offlineunterricht.“

 

In der Praxis der vergangenen Monate haben Chinas Lehrende und Lernende festgestellt, dass der Unterricht im virtuellen Klassenzimmer auch viele Vorteile mit sich bringt. Probleme gibt es natürlich trotzdem, etwa was die Interaktion im Unterricht angeht. Doch der momentane Wechsel ins Digitale unterstreicht letztlich die Aufgabe der Universitäten. So bilden diese nämlich nicht nur einen Ort, an dem Wissen vermittelt wird, sondern auch einen Ort, der es Studierenden ermöglichen soll, Wandel und Wachstum zu erreichen. Onlineunterricht wird damit zu einem nützlichen Versuchsfeld für lebenslanges Lernen in der Gesellschaft. 

 

Hohes Maß an Lehrer-Schüler-Interaktion als Schlüssel

 

Der Schlüssel für guten Onlineunterricht liegt letztlich darin, ein hohes Maß an Lehrer-Schüler-Interaktion zu erreichen. Damit dies gelingt, ermöglichen die Lehrenden der DKU ihren Studierenden zusätzlich zu den Lehrvideos eine aktive Teilnahme am Unterrichtsgeschehen und vertiefende Diskussionen des Stoffes. Hierfür nutzen sie spezielle Livestreaming-Plattformen, die die Bildung von virtuellen Arbeitsgruppen durch gesonderte Chaträume ermöglichen.

 

Dr. Zhu Qian, Assistenzprofessorin für Geschichte an der DKU, ermutigt alle Studierenden außerdem, ihre Kameras einzuschalten, damit das Gefühl der persönlichen Beteiligung wächst. „Meine Studenten leben in verschiedenen Zeitzonen. Zur Teilnahme am Onlinekurs müssen einige von ihnen um vier Uhr in der Frühe aufstehen. Aber sie machen alle einen fitten und engagierten Eindruck, wenn ich sie durch die Kamera sehe“, sagt Zhu. 

 

Mathew Rascoff ist an der DKU für digitale Bildung zuständig. Technologie werde im Allgemeinen oft noch immer als unpersönlich angesehen, sagt er. „Während der Coronakrise wollen wir jedoch unsere akademische Gemeinschaft mithilfe von Technologie wieder aufbauen, so dass Lehrer und Studenten sich aktiv einbringen können“, erklärt Rascoff.

 

Caroline Palmer, eine Studienanfängerin der DKU aus Connecticut, erzählt: „Eigentlich hatte ich befürchtet, dass der Onlineunterricht die Interaktion zwischen den Studierenden verringern könnte, aber das Gegenteil war der Fall. Die Arbeitsgruppenfunktion der Live-Unterrichtsplattformen erleichtert die Echtzeitkommunikation sogar.“ 

 

Lindsay Mahon Rathnam, Assistenzprofessorin für politische Theorie an der DKU, konnte durch die monatelange Onlineunterrichtspraxis einen besonderen Vorteil dieser Unterrichtform erkennen. Sie glaubt, dass die traditionellen Unterrichtsdiskussionen im offenen Klassenraum besonders den extrovertierten Studenten entgegenkommen, die ihre Meinungen besser vor Publikum äußern können. „Introvertierte Teilnehmer haben dagegen häufig Bedenken, ihre Positionen öffentlich kundzutun“, sagt sie. „Die Onlinediskussionen sind viel integrativer, so dass alle Teilnehmer Zeit zum Nachdenken haben und sich letztlich in die Diskussion einbringen können“, sagt sie.

 

Zhao Chun, Dozent an der Fakultät für Elektrotechnik und Elektronik der XJTLU, ist der Ansicht, dass das Feedback der Studierenden online offener ist als offline. „Über das Chat-Fenster kann ich sofort nachvollziehen, zu welchen Inhalten die Teilnehmer noch Fragen haben und welche Punkte noch näher erläutert werden müssen“, sagt er. Nach jeder Vorlesung nimmt Zhao sich in der Regel noch etwas Zeit, um die Fragen seiner Studenten zu beantworten.

 

Die Rolle des Lehrers neu gedacht

 

„Die meisten Dozenten an Hochschulen und Universitäten sehen sich noch immer als Wissensvermittler. Nur wenige geben und erhalten bisher zeitnahes Feedback “, sagt Yu Hao, Physik-Dozent an der XJTLU. „Ich persönlich denke, dass wir die Lehrmethode der einseitigen Wissensvermittlung in Zukunft überdenken sollten. Lehrer müssen heute ihre Energie darauf verwenden, ihre Studierenden zu inspirieren. Und das gelingt eben am besten, indem sie die jungen Menschen gut anleiten, ihre Lernfortschritte beaufsichtigen und zeitnahes Feedback geben“, sagt er.



Über Laptop, Tablet oder Smartphone: Studierende der Xi’an Jiaotong-Liverpool University lernen seit Februar corona-bedingt im virtuellen Klassenzimmer. Unser Bild zeigt eine Unterführung auf dem Campus der Universität.

 

Einige Lehrer halten eine Kombination von Online- und Offlineunterricht in Zukunft für eine gute Lösung. „Der Onlineunterricht stellt höhere Anforderungen an das selbstgesteuerte Lernen der Studierenden“, sagt Roberto Donà, Professor an der International Business School der XJTLU. „Vor dem Onlineunterricht müssen die Teilnehmer meinen Lehrstoff, einschließlich Texte und Videos, sorgfältig lesen, um sich gut auf die Onlinediskussion vorzubereiten. Online beantworte ich dann die Fragen der Teilnehmer.“

 

Donà sagt: „Ich benutze die Onlineplattform also nicht, um die Kursinhalte zu  vermitteln, sondern um mit meinen Studenten über den im Selbststudium erarbeiteten Stoff zu diskutieren. Ich kombiniere also Online- und Offlinemethoden, um letztlich bessere Lerneffekte zu erzielen.“

 

Lindsay Mahon Rathnam von der DKU findet, die Lehrer sollten ihre Studierenden besser anleiten, um Initiative und innere Motivation zu stimulieren. „Bei den Diskussionen im Unterricht müssen die Studierenden ihre Ansichten nach intensivem Lernen und Denken in überlegter Weise artikulieren, anstatt fragmentierte, zufällige und oberflächliche Meinungen zu äußern“, sagt sie. „Ich werde mit Sicherheit auch in Zukunft die Online-Diskussionsplattform als Ergänzung des traditionellen Unterrichts nutzen“, sagt die Professorin. 

 

Darüber hinaus macht sich Rathnam auch ständig Gedanken darüber, wie sie die Lehrmethoden im Unterricht verbessern kann, um die Lernerfahrung der Studierenden zu optimieren. Sie hat bemerkt, dass Körpersprache, Mimik und Tonfall der Lehrer eine äußerst wichtige Rolle im traditionellen Unterricht spielen. Online werde dagegen plötzlich die Stimme zum Hauptkommunikationsmedium, sagt sie. „Aus diesem Grund verlangsame ich manchmal meine Sprache angemessen, damit die Kursteilnehmer gedanklich Schritt halten können“, erklärt sie. „Ich hoffe, dass die Studenten durch meine Sprechpausen und die Intonation meiner Stimme die inhaltlichen Schwerpunkt des Kurses auch im virtuellen Klassenzimmer gut erfassen können“, sagt sie. 

 

Aufbau einer neuen, innovativen akademischen Gemeinschaft

 

Die XJTLU legt also großen Wert darauf, ihre Studierenden beim Lernen zu unterstützen. Angesichts der Veränderung der Nachfrage nach qualifizierten Fachkräften im digitalen Zeitalter hat die Universität einen integrierten Bildungsansatz entwickelt. Ziel ist es, qualifizierte Fachkräfte mit starker Integrations- und Innovationsfähigkeit auszubilden, um den Anforderungen zukünftiger aufstrebender Branchen gerecht zu werden.

 

Die Corona-Epidemie hat für die XJTLU nun die Entwicklung des Onlineunterrichts beschleunigt. Die Universität hat seit Ende Februar größte Anstrengungen unternommen, um den Bereich der Onlinebildung zu fördern und auszubauen. Der ohnehin bereits geplante „Lernsupermarkt“ als Symbol für die Verbesserung der Onlinebildung wird nun früher als geplant gestartet. Das Projekt zielt darauf ab, neue Formen zukünftiger Universitäten zu erforschen, indem die vorhandenen Online-Bildungsressourcen und Forschungsergebnisse aus der ganzen Welt mit den Eigenschaften und Vorzügen der XJTLU integriert werden.

 

Auch die DKU legt großen Wert darauf, ein neues Bildungsmodell für das digitale Zeitalter zu entwickeln. Scott MacEachern, Vizepräsident der DKU und zuständig für akademische Angelegenheiten, sagt, dass schon heute Studierende in verschiedenen Ländern durch die Schaffung einer Onlineuniversität virtuelle Gespräche mit Professoren und Studienkollegen führten. „Dies ist auch eine einzigartige Möglichkeit, Wurzeln in einer globalisierten Welt zu schlagen“, sagt er. „In Zukunft wird unsere Universität die Erfahrungen aus dem Onlinebereich auch in den Offlineunterricht einfließen lassen. Wir werden uns ständig innovieren, um unsere Universität weiter zu öffnen und unsere Fähigkeit zur Integration von Ressourcen zu verbessern. Ziel ist es, zum Aufbau einer akademischen Gemeinschaft für lebenslanges Lernen und Innovation beizutragen“, sagt er.


 

*Su Yan ist Journalist der Zeitung Guangming Ribao.

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