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Immaterielles Kulturerbe: Chinas alte Handwerkskünste entdecken das Potenzial des Internets

2020-09-14 15:28:00 Source:China heute Author:
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Alte Handwerkskunst: Zum immateriellen Kulturerbe der Volksrepublik gehören auch diese handgefertigten Tonkaninchen aus Beijing.


Von Zhang Xiao

 

„Alles, wofür man noch Tickets bekommt, werde ich mir ansehen“, sagt Frau Liu, eine Besucherin der Ausstellung über die Errungenschaften des immateriellen Kulturerbes Chinas. Nach langer Corona-Pause freut sich die Chinesin nun endlich wieder an einer Offline-Veranstaltung in der Hauptstadt teilnehmen zu können. Gestern sei sie bereits mit einer Freundin hier gewesen, erzählt sie, heute sei sie erneut gekommen, diesmal für den Holztrommeltanz und das Tangshan-Schattenspiel.

 

Der Startschuss für die Kulturerbe-Ausstellungsreihe in Beijing fiel am 11. Juni 2020 - und sie sollte zum Besuchermagneten werden. Schauplatz der verschiedenen Events war der Kinosaal der Beijinger Nationalbibliothek. Laut eines Mitarbeiters war bisher jede Veranstaltung der Reihe restlos ausverkauft.

 

Das Thema des diesjährigen Tages des Kultur- und Naturerbes, der am 13. Juni gefeiert wurde, lautete „Kulturrelikte für eine farbenfrohe Gesellschaft“. Dieses Motto steht letztlich auch in enger Übereinstimmung mit Chinas Gesamtziel, eine Gesellschaft mit bescheidenem Wohlstand aufzubauen. In den letzten Jahren hat das alte Kultur- und Naturerbe des Landes nicht nur das Leben der Menschen bereichert und ihnen geistige Freuden beschert, sondern auch wichtige Beiträge für die Vollendung des umfassenden Aufbaus einer Gesellschaft mit bescheidenem Wohlstand geleistet.

 

Immaterielles Kulturerbe unterstützt die gesellschaftliche Entwicklung

 

Das Kulturerbe spielt eine zentrale Rolle für die Entwicklung einer Gesellschaft, denn es stärkt das kulturelle Selbstvertrauen der Bevölkerung, fördert den Aufbau von Kulturstädten und den Aufschwung des ländlichen Raums und trägt nicht zuletzt auch entscheidend zur Armutsüberwindung bei.

 

Auf dem 18. Parteitag im November 2012 forderte Chinas Staatspräsident Xi Jinping deshalb, dem Schutz des kulturellen Erbes mehr Bedeutung beizumessen. Er unterstrich diese Forderung in den folgenden Jahren durch zahlreiche persönliche Besuche kulturell bedeutender Stätten. Seit 2014 besichtigte Xi unter anderem den Yu-Fluss in Beijing, das Stadtmuseum Xi’an, das Bacha-Dorf der Hezhe-Volksgruppe in der Stadt Tongjiang (Provinz Heilongjiang), Yongqingfang in der historischen Straße Xiguan von Guangzhou, das Chifeng-Museum, die Mogao-Grotten, die antike Stadt Heshun und die berühmten Yungang-Grotten.

 

Xis Besuche spiegeln nicht nur die große Bedeutung, die China im neuen Zeitalter dem Schutz und der Fortsetzung seines Kulturerbes beimisst, sie kurbeln auch den Verbrauch von Kulturprodukten an, was dem alten Erbe neues Leben einhaucht.

 

Der Besuch des Stoffschuhgeschäfts Tangchang im Dorf Zhanqi im Westen Sichuans ist ein Muss für viele Touristen. Kurz vor dem Frühlingsfest 2018 steuerte auch Xi Jinping das Dorf an und besuchte die Stoffschuhmanufaktur der Handwerkmeisterin Lai Shufang. Sie kann sich noch gut an die Begegnung mit Xi erinnern: „Ich habe dem Staatspräsidenten gesagt, dass ich ihm als Zeichen unserer Dankbarkeit gerne ein Paar Stoffschuhe schenken würde. Doch er bestand letztlich darauf, sie zu bezahlen.“

 

Lais Vater führte sie schon im Kindesalter in die alte Kunst der Stoffschuhfertigung ein. Mittlerweile führt sie selbst das alte Familienhandwerk fort, und das bereits seit 40 Jahren. Neben einem Ladengeschäft hat ihr Sohn Ai Peng auch einen Onlineshop auf Taobao eröffnet und das alte Gewerbe damit ins Internetzeitalter geführt. Er hat dafür das Design der traditionellen Produkte mit moderner Kreativität aufgepeppt, dabei aber auch die alten Elemente des immateriellen Kulturerbes wie die Palmenweberei und Stickereien im Sichuan-Stil beibehalten. Die so entstandenen Kulturprodukte kommen an bei den Käufern im ganzen Land. 2019 wechselten mehr als 10.000 Paar Stoffschuhe ihren Besitzer. Der Familie hat das Gewinne von über 300.000 Yuan beschert. 

 

Im Vorfeld des diesjährigen Kultur- und Naturerbetages Mitte Juni hat sich Ai wie viele andere für die Teilnahme am Shopping-Festival des immateriellen Kulturerbes der E-Commerce-Giganten Alibaba und JD.com angemeldet. Seine Produkte waren so heiß begehrt, dass es sogar zu Lieferengpässen kam. Tatsächlich hat die Familie in den letzten zwei Jahren mehr als zehn junge Auszubildende eingestellt und ihnen das Handwerk der Stoffschuhherstellung beigebracht. Auch die Lokalregierung organisierte mehrere Fortbildungskurse in der traditionellen Handwerkskunst, um die alte Fingerfertigkeit an mehr Menschen weiterzugeben. Frau Lai wurde oft eingeladen, um Unterricht zu geben. Das alte Kunsthandwerk ist für die Gegend zu einem wichtigen Weg aus der Armut geworden. Viele der Kursteilnehmer bestreiten heute erfolgreich ihren Lebensunterhalt mit der Stoffschuhherstellung.

 

Der Schutz des immateriellen Kulturerbes geht in China heute also längst über die bloße Weitergabe alter Fertigkeiten hinaus. Die Regierung hat in verschiedensten Landesteilen eine Reihe von speziellen Workshops zur Armutsbekämpfung initiiert, um arme Menschen beim Erwerb traditioneller Fertigkeiten zu unterstützen. So sollen die Betroffenen ihre Einkommen steigern und sich aus eigener Kraft erfolgreich aus der Armut befreien.

 

Shopping-Festival wird zum Kassenerfolg

 

Angesicht der Coronakrise wurden in diesem Jahr alle Aktivitäten zum Kultur- und Naturerbetag in den virtuellen Raum verlegt. Ein Highlight unter allen Veranstaltungen war dabei ohne Frage das erste Shopping-Festival für immaterielles Kulturerbe.

 

Die bekannten CCTV-Moderatoren Neghmat Rakhman und Wang Ning moderierten gemeinsam mit Taobao-Promi Li Jiaqi ein spezielles Live-Streaming-Event, bei dem für den Kauf heimischer Kulturerbeprodukte geworben wurde. Während der Onlineveranstaltung wurden mehr als 20 Arten von Snacks und lokalen Spezialitäten sowie auch zahlreiche kunsthandwerkliche Produkte und Kreationen rund um das immaterielle Kulturerbe angeboten. Li Jiaqi und Neghmat Rakhman testeten die Leckereinen live und beschrieben ausführlich deren Geschmack, was die Absatzzahlen der Produkte in die Höhe schnellen ließ. Viele Artikel waren schon nach kurzer Zeit vergriffen. Insgesamt verfolgten mehr als 10 Millionen Netizens das Live-Programm an den Bildschirmen. Letztlich gingen Produkte im Wert von über 12,61 Millionen Yuan über die digitale Ladentheke.

 

Neben den CCTV-Moderatoren nahmen auch die Erben vieler altehrwürdiger Marken an den Live-Streaming-Veranstaltungen teil, etwa um dem Publikum die Zubereitung lokaler Delikatessen zu zeigen. Beispielsweise bereitete Wang Yongzhong, der Erbe der beliebten Regan-Nudeln der Marke Cailinji, eine dampfend-frische Schüssel Nudeln live im Stream zu, und das lediglich auf Grundlage eines Instand-Gewürzbeutels. Mit denkbar einfachen Grundzutaten zauberte er ein Nudelgericht mit dem authentischen Geschmack des Meisterkochs. Durch Streaming-Events wie dieses wurde nicht nur in unterhaltsamer Weise die traditionelle chinesische Kultur verbreitet, sondern auch der Verkauf entsprechender Produkte merklich gefördert.

 

Neben Delikatessen wurden bei dem Online-Shopping-Festival auch zahlreiche Kunsthandwerksprodukte angeboten. Einer der Verkaufsschlager auf JD.com waren dabei die Faltfächer der Marke Wangxingji, die auf eine Geschichte von 145 Jahren zurückblicken. Am 13. Juni stieg das Verkaufsvolumen der Fächer um 900 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Das Marketingkonzept ging also auf - und das chinesische Traditionsprodukt gewann zahlreiche neue Fans hinzu.

 

Tuschsteine aus Taoyan, bestickte Stoffbeutel aus Qingyang, Tailenmesser der Bao’an-Volksgruppe, Scherenschnitte aus Shandan und Stickereien aus Longxi - all diese Produkte sind repräsentativ für das immaterielle Kulturerbe der westchinesischen Provinz Gansu. Zum Shopping-Festival schlossen sich Kunsthandwerksbetriebe der Provinz der lokalen Erbengruppe auf der E-Business-Plattform Taobao an. Es wurden 48 neue Kulturerbe-Werkstätten auf Provinzebene und aufwärts sowie 67 neue Onlineshops auf verschiedenen E-Commerce-Plattformen des Landes eröffnet, um durch altes Kunsthandwerk zur Armutsbekämpfung und Beschäftigungsförderung beizutragen.

 

Auch Ji’nan, die Hauptstadt der ostchinesischen Provinz Shandong, stieß zahlreiche On- und Offline-Aktivitäten an, um den Absatz heimischer Kulturprodukte anzukurbeln. Promotet wurden etwa Gelatine aus Eselshaut, Puppen des Ji’nan-Schattenspiels und traditionelle Zhangqiu-Eisentöpfe. Durch zeitgemäßes Shoppingvergnügen, so der Plan, soll das immaterielle Kulturerbe stärker in den Fokus der Öffentlichkeit rücken, um so einen Beitrag zum Schutz und zur Wiederbelebung des heimischen Kulturerbes zu leisten.

 

Auch die Provinz Hebei mischte kräftig mit. So boten lokale Hersteller auf besagtem Shopping-Festival handgewebte Stoffe, Delikatessen altehrwürdiger Marken, traditionelle Stickereien und Keramikprodukte an. 354 Onlineshops wurden auf verschiedenen E-Commerce-Plattformen eröffnet und mehr als 3800 Arten von alten Kulturprodukten angeboten. 289 alte Handwerksmeister, die das immaterielle Kulturerbe ihrer Vorfahren fortführen, profitierten nach Angaben der Provinz von der diesjährigen Veranstaltung.

 

Statistiken zufolge fanden während des Einkaufsfestivals landesweit mehr als 3700 Promo- und Ausstellungsaktivitäten statt, an denen sich fast 6500 Geschäfte beteiligten. Mehr als 80.000 Arten von Produkten des immateriellen Kulturerbes wurden angeboten. Allein am 13. Juni stieg der Umsatz auf der E-Commerce-Plattform JD.com durch das Event um 260 Prozent gegenüber dem Vorjahr.

 

Produkte des immateriellen Kulturerbes sind mittlerweile bei Verbrauchern aus allen Gesellschaftsschichten beliebt. Und das neue Einkaufsfestival bietet eine bequeme Möglichkeit, die Produkte online zu erwerben. Darüber hinaus schlagen Livestream-Events eine direkte Brücke zwischen Verbrauchern und den Erben der alten Handwerkskünste.       

 

Die Rolle der Jugend

 

Auch jüngere Chinesen spielen eine wichtige Rolle beim Erhalt der alten Handwerksfertigkeiten. Sie eignen sich nicht nur Herstellungstechniken an, sondern entschließen sich auch oft, Onlineshops zu eröffnen, um die heimischen Kulturprodukte über das Internet zu vertreiben.

 

Einer dieser jungen Menschen ist Diao Kuan, ein Vertreter der Post-1990er-Generation, der aus einem ländlichen Gebiet der Provinz Anhui stammt. Von Kindesbeinen an trägt Diao eine Behinderung an seiner rechten Hand. Die Menschen in seinem Umfeld zweifelten deshalb daran, dass er in der Lage sein würde, die alte Kunst des Bambuswebens zu erlernen. Doch Diao ließ sich nicht entmutigen. Vor kurzem eröffnete er einen Taobao-Shop, um die von ihm handgefertigten Bambusprodukte zu verkaufen. „Damit verdiene ich nun monatlich mehr als 10.000 Yuan“, erzählt er stolz. „Im Vergleich zu meinen früheren Gelegenheitsjobs ist das Leben jetzt viel besser und ich bin sehr zufrieden“, sagt er. Außerdem erhalte er viel Zuspruch und Ermutigung von seinen Kunden. „Sie schätzen meine Produkte, was mir viel Selbstvertrauen gegeben hat“, sagt er.

 

Xiao Lu wurde in den späten 1980ern in Chengdu in Sichuan geboren. Ihre Mutter ist nationale Erbin zur Herstellung von Silberfiligranprodukten. „Ich habe dieses Handwerk schon früh von ihr erlernt“, erzählt sie. „Es sind mehr als 100 Arbeitsschritte erforderlich, um die dicken Silberbarren in die haarartigen, filigranen Silberfäden zu verwandeln, aus denen dann Schmuck, Wandbilder und andere kunsthandwerkliche Produkte hergestellt werden“, erklärt Xiao Lu. Fast sei das alte Kunsthandwerk zunächst in Vergessenheit geraten, aber mittlerweile sei es bei jungen Menschen wieder sehr beliebt, sagt sie. „Ich jedenfalls habe meine Wahl getroffen. Und ich denke, solange es einen Markt gibt, wird diese Fertigkeit auch nicht verlorengehen.“

 

Um alte Kulturprodukte für die Jugend attraktiv zu machen, gelte es vor allem, diese neu und zeitgemäß zu gestalten, sagt Chen Shaofeng, Vizedirektor des Forschungsinstituts für Kulturwirtschaft der Peking-Universität. „Durch die Aufnahme von Elementen des immateriellen Kulturerbes in den Tourismus wird die Reisebranche kulturell bereichert, wodurch dann letztlich auch das immaterielle Kulturerbe besser fortgesetzt wird“, ist er zuversichtlich.

 

Laut Angaben von Alibaba haben im vergangenen Jahr Millionen Internetnutzer Produkte des immateriellen Kulturerbes auf Plattformen wie Taobao und Tmall erstanden. Allein auf Taobao wurden demnach mehr als 25.000 Geschäfte für kunsthandwerkliche Produkte des immateriellen Kulturerbes eröffnet, deren Jahresumsatz beinahe drei Milliarden Yuan erreicht. 2019 wurden zudem allein auf Taobao mehr als zwei Millionen Live-Streaming-Events organisiert, was einen neuen Weg für das schnelle Wachstum vor allem kleiner Kunsthandwerksbetriebe geebnet hat. 

 

Chinas online-affine Jugend scheint also nicht nur einen Faible für neuste Mode, sondern auch ein Herz für die traditionelle chinesische Kultur zu haben. Zwei Drittel der Käufer der Kulturprodukte gehören der jüngeren Generation an, wurden also in den 1980ern und 1990ern geboren. Auch Bühnenkünste wie die Pekingoper und andere lokale Opern sowie auch Tee-Kunst und Schnitzereien erfreuen sich bei Chinas Jugend wieder zunehmender Beliebtheit.

 

Zhao Ying, Vizepräsidentin der Alibaba Group, sagt, letztlich sei Innovation das beste Erbe. „Alibaba wird den Schutz des immateriellen Kulturerbes weiter unterstützen. Wir hoffen, mit unserer Online-Plattform dem Schutz, der kreativen Weiterentwicklung und dem Verbrauch von Produkten des immateriellen Kulturerbes neue Triebkraft einzuflößen“, sagt sie. In Zusammenarbeit mit Chinas Ministerium für Kultur und Tourismus habe Alibaba am 13. Juni das Shopping-Festival des immateriellen Kulturerbes eröffnet. In Zukunft wolle man weitere derartige Veranstaltungen organisieren, um Chinas Verbrauchern noch mehr Handwerker und Produkte des immateriellen Kulturerbes näher zu bringen, sagt sie.

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