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Chinas Privatmuseen im Aufwind: Florierende Museumslandschaft bezeugt den Weg zum Wohlstand

2021-01-26 10:57:00 Source: Author:
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Von Jiang Haofeng*

 

Große staatliche Museen mögen zwar durch ihre umfangreichen Sammlungen beeindrucken, den gesellschaftlichen Wandel allerdings spiegeln sie meist weniger gut wider. Hier lohnt sich ein Blick auf die kleineren Privat- und Industriemuseen. Und bei diesen waren in China in den vergangenen Jahren deutliche Veränderungen zu beobachten. Die enorme Steigerung der chinesischen Produktionskapazitäten und der große materielle Aufschwung reflektieren die großen Fortschritte, die die Chinesen auf ihrem Weg zu einer moderat wohlhabenden Gesellschaft gemacht haben.




Blau-weißer Hingucker: Der Emailleboden am Eingang des Guanfu-Museums in Beijing
 


Von Antiquitäten zu zeitgenössischen Werken

 

Wu Shaohua, Gründungsvorsitzender der Shanghai Collectors Association, ist heute über 70 Jahre alt. Er wuchs im Süden der Shanghaier Altstadt auf, wo viele Einwohner eine Sammelleidenschaft für Antiquitäten und alte Produkte haben.

 

Die Shanghai Collection Appreciation Society, der Vorgänger der Shanghai Collectors Association, wurde im Jahr 1986 gegründet. „Damals zählte der Verein gerade einmal 20 Mitglieder, und diese sammelten größtenteils Antiquitäten“, erinnert sich Wu. „Zu den kleinen Privatmuseen, die nach und nach ins Licht einer breiteren Öffentlichkeit rückten, zählten schon früh das Museum für Zeitmesser und Uhren von Wang Anjian, das Abakusmuseum von Chen Baoding, das Essstäbchenmuseum von Lan Xiang und das Zigarettenmuseum von Feng Yiyou“, erzählt er uns. Dank der schnellen Entwicklung der letzten Jahrzehnte zähle der Verein mittlerweile schon über 6000 Mitglieder, so der 70-Jährige.

 

Schon seit der späten Qing-Dynastie (1644 – 1911) ist Shanghai als Sammlerparadies bekannt. Viele angesehene Sammler schwärmen noch heute von ihren Streifzügen durch die staatlichen Second-Hand-Läden an der Huaihai-Straße in den 1960ern und 1970ern, wo sie viele antiquarische Schätze aufstöberten.

 

In Wus Erinnerung sammelten die Besitzer privater Museen in den 1980er Jahren hauptsächlich alte Gegenstände wie Tickets, Bonbonpapier, Jahreskalender, Monatsbusfahrscheine, alte Zeitungen, Zigarettenetiketten und Streichholzschachteln. Mit der Vertiefung der Reform und Öffnung und dem steigenden Lebensstandards stieg in China dann nicht nur die Zahl der privaten Sammler, auch die gesammelten Gegenstände wurden vielfältiger und künstlersicher. „Orientalischer Jaspisquarz, Keramikteekannen, buddhistische Thangka-Rollbilder sowie zeitgenössische Gemälde und Kalligraphien sind faszinierend für Sammler“, sagt Wu. Die heutige Vielfalt der Sammlungen spiegelt für ihn in gewissem Maße die Verbesserung des Lebens der Menschen wider. „Einige Sammler sind von ihren Sammlungen regelrecht besessen. Wang Anjian beispielsweise unternahm große Anstrengungen, um Zeitmesser vom 18. bis zum frühen 20. Jahrhundert zusammenzutragen. Besonders lobenswert sind seine Reparaturkünste. Viele seiner Sammlerstücke hat er eigenhändig repariert“, erzählt Wu. Zudem halte die Kunst Einzug in den Alltag von immer mehr Chinesen. „Die Menschen kaufen kalligraphische Werke, Malereien und sogar Jadewaren zur Verschönerung der eigenen vier Wände. Dies hat zu einem großen Bedarf an mehr Kategorien und mehr Sammlungen auf dem Markt geführt“, erzählt der Senior.

 

Einige erfahrene Sammler in Shanghai trügen zudem mittlerweile nicht mehr nur Antiquitäten sondern auch zeitgenössische Werke zusammen. Das Zidongge Art Museum im Shanghaier Stadtbezirk Pudong ist spezialisiert auf Rotholz-Möbel im Shanghai-Stil. „In diesem Museum werden nicht nur alte Möbelstücke gezeigt, sondern auch zeitgenössische Werke, einschließlich zeitgenössischer Vintage-Werke“, sagt Wu.

 

Laut ihm konzentrierten sich heute viele Sammler auf zeitgenössische Werke, da diese wesentlich einfacher zu identifizieren seien als Antiquitäten. Doch das ist nur einer der Gründe. „In dieser friedlichen Zeit genießen die privaten Museumbesitzer von heute einerseits das kulturelle Erbe ihrer Vorgänger, andererseits sehen sie sich auch in der Pflicht, etwas für zukünftige Generationen zu hinterlassen“, sagt er.

 

Diversifizierter Betrieb

 

Im Jahr 2014 erstanden die berühmten Besitzer des Long-Museums, Liu Yiqian und seine Ehefrau Wang Wei, auf einer Versteigerung eine Schale aus der Ming-Dynastie (1368-1644) für 280 Millionen HKD und einen kaiserlichen gestickten Thangka aus der Regierungszeit des Ming-Kaisers Yongle für 348,4 Millionen HKD. Das Ehepaar betreibt zwei private Museen an den beiden Ufern des Huangpu.

 

Zwar gibt es in Shanghai bereits ein Museum für zeitgenössische Kunst, das Shanghai Museum of Contemporary Art, und auch die Shanghai Biennale gewinnt zunehmend an Aufmerksamkeit, dennoch findet man im Allgemeinen nur wenige Sammlungen und Ausstellungen zeitgenössischer Kunst. In dieser Hinsicht bildet das private Museum des Sammlerehepaars eine gute Ergänzung für die örtliche Museumslandschaft.

 

2011 zählte China insgesamt 456 Privatmuseen. Vier Jahre später, also im Jahr 2015, wurden dann neue Museumbestimmungen eingeführt, wodurch die Zahl der Privatmuseen auf mehr als 1000 in die Höhe schnellte. In der Periode des 13. Fünfjahresplans (2016-2020) wurde im Schnitt alle zwei Tage ein neues Museum in China eröffnet. Die Museumsdichte pro Kopf liegt heute bei einem Museum pro 250.000 Einwohner. Nach Angaben der Nationalen Kulturerbeverwaltung wurden bis Ende 2019 landesweit 5535 Museen registriert, ein Anstieg um 181 gegenüber 2018. Unter ihnen finden sich insgesamt 1710 nichtstaatliche Museen.

 

Besagtes Long-Museum sowie auch das Yuz Museum, eröffnet von dem indonesischen Sammler chinesischer Abstammung Budi Tek, sind derzeit die Spitzenreiter unter den Privatmuseen in Shanghai. „Die Welt hat einen gewissen Konsens über die Standards städtischen Zusammenlebens erzielt, und dazu gehört eben auch die Zahl an Kunstsammlungen. Wir freuen uns zu sehen, dass die Zahl der Museen in Shanghai ständig zunimmt. Neben staatlichen Kunstgalerien sind auch verschiedene andere Arten von Kunstsammlungen zu finden, etwa Aktien- und Privatmuseen“, sagt Experte Wu.

 

Hat ein Land oder eine Volkswirtschaft erst einmal ein bestimmtes Entwicklungsstadium erreicht, zeigen Einzelpersonen und Unternehmen größeres Interesse, in den Museumbereich zu investieren. Dies kann die stattlichen oder öffentlichen Kunstgalerien ergänzen und so das Niveau des städtischen Lebens verbessern. Da sich die chinesische Gesellschaft nun anschickt, moderaten Wohlstand zu erreichen, glaubt Wu, dass neben privaten Kunstgalerien und Museen auch stiftungsbasierte Museen entstehen werden.

 

„Der Sammlerboom der letzten Jahre hat bewirkt, dass immer mehr Menschen in diesen Bereich investieren, anstatt selbst Gegenstände zu sammeln“, sagt Wu. Einige TV-Programme zur Identifikation antiker Gegenstände seien beim Publikum sehr gefragt, doch die so genannte „nationale Schatzkultur“ konzentriere sich hauptsächlich darauf, Vermögen anzuhäufen. „Dass einige private Sammler Museen eröffneten und Kunstwerke zu himmelhohen Preisen bei Auktionen erstanden haben, hat die Sammler und Kunstinvestoren aufgescheucht“, sagt Wu. Seiner Ansicht nach seien stiftungsbasierte Museen ein besseres Modell, um Unternehmer beim Investieren anzuleiten und durch Investitionen in Kunstwerke der Gesellschaft etwas zurückzugeben.

 

Der sammelnde Landwirt

 

Nach Abschluss der Oberstufe der Mittelschule verrichtete Wang Jijia nicht nur Feldarbeit, sondern trieb sich in seiner Freizeit auch gerne auf dem Gelände von Recyclingstationen und in alten Buchhandlungen herum, um Antiquitäten aufzustöbern. Er hatte die Hochschulaufnahmeprüfung nicht bestanden und musste hart arbeiten, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Vor mehr als 30 Jahren sah es in seiner Heimat im Kreis Zhuanglang in der Provinz Gansu wie in vielen ländlichen Gebieten Westchinas aus. Die alten Gegenstände, die er sammeln konnte, waren nichts weiter als Tintenpatronen, Messingschlösser und alte Lehrbücher.

 

Im Laufe der Jahre hat der heute 53-Jährige 4000 Artefakte der Volkskultur, 15.000 Bücher und 3000 Archivalien gesammelt. Im September 2019, als sein Jiahe-Museum eröffnet wurde, bezeichnete er sich noch immer als waschechten Bauern. Dabei hatten sich sein Leben und seine Heimat über die Jahre längst stark verändert. Im ersten Jahr seit Gründung zählte Wangs Museum mehr als 16.000 Besucher. Seinem Heimatkreis Zhuanglang, der im Jahr 1998 mit dem Bau von Terrassen begonnen hatte, gelang im März 2020 nach Jahren harter Anstrengungen endlich der Sprung aus der Armut.

 

2017 nahm Wang einen Bankkredit auf, um seine Sammlerstücke zu systematisieren und in Themenbereiche zu untergliedern. Im September 2019 wurde im zweiten Stockwerk seines Wohnhauses ein 500 Quadratmeter großes Museum eingerichtet. Es verfügt unter anderem über ein eigenes Glasgewächshaus. Die ausgestellten Gegenstände sind in 14 Themenbereiche gegliedert. Der sammelnde Landwirt, der noch immer ein sparsames Leben führt und eine behelfsmäßig mit Klebeband reparierte Brille trägt, entschied sich, sein Museum der Öffentlichkeit kostenlos zugänglich zu machen. Darüber hinaus bietet er freiwillige Privatführungen an, in denen er Interessierten die ausgestellten Gegenstände erklärt. Li Fenlin, stellvertretende Kuratorin der Provinzbibliothek Gansu, hinterließ im Gästebuch folgenden Eintrag: „Ein Sparziergang durch das Jiahe-Museum ist wie eine Reise durch den Flur der chinesischen Geschichte. Das Museum hat mich wirklich verblüfft, tief beeindruckt und bewegt.“

 

Mit der Vertiefung der Reform und Öffnung und der Verbesserung des Lebensstandards der Chinesen gibt es allerdings immer weniger private Familienmuseen. Immer mehr private Museen haben ihre Sammlungen und Ausstellungsbereiche erheblich aufgewertet. Der bekannte Emaille-Sammler Xie Dangwei beispielsweise hat seine fast 3000 Sammelstücke mittlerweile im Kunstmuseum Bafenyuan platziert. Das Museum im Shanghaier Bezirk Jiading umfasst einen Garten, eine Kunstgalerie, ein Restaurant, eine Teestube und eine Bibliothek. Xie Dangweis Emaille-Waren sind heute Teil der Dauerausstellung des Museums.

 

Bis zum Frühjahr 2014 hatte Xie all seine Sammlerstücke noch in einem Apartment eines gewerblichen Wohnkomplexes im Bezirk Hongkou untergebracht. „Obwohl die Privatsphäre gut geschützt und die Wohnung auch gut eingerichtet war, ist sie doch eher zum Leben geeignet“, sagt er heute. Er habe noch immer genug Material für weitere Ausstellungen, aber bisher keinen geeigneten Platz gefunden, um diese zu zeigen.

 

Während der Sommerferien in den letzten Jahren organisierten viele Schulen und Wohnviertel Besuche von Jugendlichen im Kunstmuseum Bafenyuan. In den vier Jahren seit seiner Eröffnung wurden in der Kunsthalle jedes Jahr fast 100 Veranstaltungen abgehalten. Den Schülern bieten die Besuche nicht nur die Chance, sich mit der jahrhundertealten Geschichte chinesischer Emaille-Waren vertraut zu machen, sondern diese auch selbst in Handarbeit herzustellen.

 

Laut Senior Wu haben Museen vier wichtige Funktionen: Ausstellung, Sammlung, Forschung und Bildung. Zu Beginn der Reform und Öffnung hatten viele Chinesen nur begrenzten Wohn- und Lagerraum zur Verfügung. „Allein bei der Sammlung stieß man deshalb auf zahlreiche Schwierigkeiten wie die Kontrolle von Umgebungstemperatur und -luftfeuchtigkeit, ganz zu schweigen von der Entfaltung der Forschungs- und Bildungsfunktion der Sammlerstücke“, sagt Wu. Aber mittlerweile habe sich die Situation geändert. „Es gibt immer weniger Sammler, die mit dem Sammeln nur reines Geld machen wollen. Viele junge Menschen betrachten sowohl Schmuck als auch Dekorationsgegenstände für zu Hause als Präsentation ihres Kunstgeschmacks“, erklärt Wu. Das habe auch die Sammelleidenschaft verändert. „Einige Menschen, die in den 1980er Jahren geboren wurden, sammeln heute gerne alte Spielzeuge, Automodelle und Kassetten. Obwohl diese Gegenstände nicht teuer sind, spiegeln sie doch die Geschichte und Kultur einer bestimmten Zeit. Sie sind wie ein von den Großeltern geerbter Gegenstand, der viele Erinnerungen hervorruft“, erklärt Wu.

 

Bei der Vernissage der Solo-Ausstellung der Shanghaier Fotografin He Zhaoya am 7. August 2020 in der italienischen Möbelboutique Natuzzi Italia spürten viele Gäste die einzigartige Wärme menschlicher Freundschaft. Laut He zeigten die meisten ihrer ausgestellten Werke vor allem Laub in den Gassen, das sie während der COVID-19-Epidemie fotografiert oder gemalt habe.

 

„Im Vergleich zu den neuen grünen Blättern im Frühjahr zeigen die herabgefallenen Blätter unter Hes Linse und Pinsel eine Spur von Leben“, kommentierte der Radiomoderator Ye Sha die Ausstellung. „Dies beschäftigt auch die Menschen der Gegenwart. Wie können wir die schönen Momente in unserem Leben erkennen, erleben und daran wachsen? Und wie können wir uns einen schönen kleinen Raum bauen? Der beste Weg ist das Sammeln“, erklärt er.

 

Durch Hes Ausstellung schien sich die Möbelboutique in ein Museum zu verwandeln. Laut Wu schenkten junge Menschen ihren geistigen Bedürfnissen heute immer größere Aufmerksamkeit, was auch das Sammeln wieder zum Trend mache. Dies zeigt, dass sich die Sehnsucht der Menschen nach einem besseren Leben von der Befriedigung der Grundbedürfnisse in Bezug auf Nahrung, Kleidung, Wohnung und Verkehr zur Befriedigung der geistigen Bedürfnisse verschiebt, wenn die Menschen in einer Gesellschaft von bescheidenem Wohlstand leben. „Chinas florierende Museumslandschaft ist ein gutes Zeugnis dafür“, so Wus Fazit.

 

*Jiang Haofeng ist Reporter der „Xinmin Weekly“.

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