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„Straße der Ideen“ – Auf den Spuren der alten Seidenstraße in Chinas Nordwesten

2018-09-30 10:25:00 Source:China heute Author:
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Von Verena Menzel


Sie lesen diesen Artikel wohlmöglich gerade in der Printausgabe „China Today“ in Berlin, Paris oder Kairo, während ich beim Schreiben hin und wieder durch die Glasscheibe meines Beijinger Bürofensters blicke. Beides wäre heute so nicht möglich gewesen ohne eine alte Handelsroute, die unsere Welten, Okzident und Orient, vor rund 2000 Jahren einst auf wundersame Weise verband.




Der Yumen-Pass in Gansu: Er war zu Zeiten der Han-Dynastie eine wichtige Durchgangspassage der antiken Seidenstraße. Im zweiten Jahrhundert v. Chr. beauftragte Han-Kaiser Wudi den Gesandten Zhang Qian, im Namen des Kaiserhofes die unerschlossenen Gebiete jenseits des Yumen-Passes auszukundschaften.

 


Die Rede ist von der antiken Seidenstraße, ein Handelsweg, den viel Mystik und Romantik umgibt. Sie denken jetzt vielleicht an Kamelkarawanen im Sonnenuntergang oder quirlige, farbenfrohe Bazare. Dabei war der Warentransport über die holprigen antiken Handelswege oft alles andere als ungefährlich und führte Lasttiere und Kaufleute über lange, unwegsame Strecken bis an die Grenzen ihrer Belastbarkeit.


Doch aus heutiger Sicht wissen wir: die Mühsal hat sich letztlich für Händler und Daheimgebliebene gleichermaßen ausgezahlt, und das bei weitem nicht nur in materieller Hinsicht. Bis heute genießen wir als Nachfahren die Früchte dieser frühen Fernhandelsverbindung, oft ohne es zu wissen.

 

Gansu – Wiege der historischen Seidenstraße

Ich möchte mehr erfahren über die sagenumwobene Handelsroute und mein Ohr auf die Schiene der Geschichte legen, und das geht bekanntlich am besten dort, wo sich bis heute noch viele eindrucksvolle Züge der Vergangenheit finden, zum Beispiel in Chinas Nordwesten, genauer gesagt in der Provinz Gansu.


Ich steuere also als erste Station die bezirksfreie Stadt Jiayuguan an. Mit seinen rund 250.000 Einwohnern ist der Ort für chinesische Verhältnisse eine Kleinstadt. Doch seine besondere geografische Lage hat ihm einen besonderen Platz in der Geschichte beschert.

Jiayuguan liegt in der Nähe des westlichen Endes des Hexi-Korridors, auch Gansu-Korridor genannt. Diese langgestreckte, von Nordwesten nach Südosten führende natürliche Passage ist rund 1000 Kilometer lang, aber nur bis zu 100 Kilometer breit und nach Norden und Süden von hohen Bergen umgeben. Im Süden liegt das für die Region überlebenswichtige Schneegebirge Qilian, ein nördlicher Ausläufer des Qinghai-Tibet-Hochlandes. Seine Schmelzwässer speisen die beiden großen Flüsse Heihe und Shule, die den Hexi-Korridor durchfließen. Sie haben dafür gesorgt, dass sich hier im Tal, zwischen der ansonsten kargen Wüsten- und Halbwüstenlandschaft, zahlreiche grüne Oasen und um sie herum allmählich größere Siedlungen gebildet haben. Eine davon ist das heutige Jiayuguan.


Jiayuguan liegt am westlichsten Zipfel des Hexi-Korridors und bildet damit ein entscheidendes Nadelöhr, durch das sich einst alle Reisenden der antiken Seidenstraße auf ihrem Weg bis ins heutige Xi’an, dem damaligen Ausgangs- bzw. Endpunkt der Handelsroute, einfädeln mussten. Ihren Namen hat die Stadt dem Jiayu-Pass (wörtlich: „Pass zum gepriesenen Tal“) zu verdanken. Hier wurde einst der westlichste Durchgangspunkt der Großen Mauer errichtet. Und es war ebenfalls hier, dass so geschichtsträchtige Reisende aus dem Westen wie Marco Polo erstmals Fuß auf den Weg ins Landesinnere  setzten.


Wie früh und mit welcher Intensität die Händler aus der Fremde und ihre Interaktion mit den Einheimischen das hiesige Leben einst prägten, zeigt sich noch heute eindrucksvoll vor den Toren Jiayuguans. Wir verlassen also das Stadtzentrum und fahren rund 20 Kilometer in Richtung Südwesten.

 

1700 Jahre alte Zeitzeugen

Vor dem Busfenster breitet sich am Fuße der Berge eine karge, unwirtliche Ebene aus. Unter ihr schlummerte über 1700 Jahre unentdeckt ein archäologischer Schatz, der bei seiner Entdeckung die Tür in die Vergangenheit der Seidenstraße einen Spalt breit aufstoßen sollte.


1972 stießen Einheimische hier auf Spuren antiken Mauerwerks. Archäologische Grabungen sollten schließlich das auftun, was heute als „größte unterirdische Gemäldegalerie der Welt“ gefeiert wird. Hier, unter der rauen Steppe, machten die Forscher ein riesiges Gräberfeld mit 1400 antiken Ruhestätten aus, das sie auf die Zeit zwischen der Wei- und Jin-Dynastie (220-419 n. Chr.) datierten. Bisher wurden nur 18 der Gräber behutsam erschlossen, zwei davon, die Gräber Nummer 6 und 7, sind für Touristen zugänglich.




„Größte unterirdische Gemäldegalerie der Welt“: Die Grabziegeln aus der Zeit der Wei- bzw. Jin-Dynastie zeigen auch Händler aus Mittel- und Westasien in ihren traditionellen Gewändern.


Wir tasten uns die schmalen Steinstufen zu Grab Nummer 6 herab, ein Familiengrab, in dem, so glauben die Forscher, einst ein hoher Beamter und dessen Gattin beigesetzt wurden.


Schon an der elf Meter emporragenden Eingangswand aus Stein zeigt sich eindrucksvoll die hohe Handwerkskunst, mit der die Grabstätte um das dritte nachchristliche Jahrhundert einst verziert wurde.


In die roten, ocker- und anthrazitfarbenen Ziegelsteine wurden kunstvolle Fabelwesen sowie Abbildungen von Wolken, Feuer und Wasser geschnitzt. Der eigentliche kulturelle Schatz allerdings schlummert im Innern der Grabstätte.


Hier finden sich auf einer Länge von 20 Metern insgesamt drei hintereinander gereihte, enge Grabkammern, die jeweils nur etwa zwei Meter breit sind. In das Mauerwerk des Gewölbes haben die Baumeister insgesamt 136 mit schwungvollen Linien bemalte Ziegelsteine eingelassen.


Das trockene Klima der Region und die damit verbundene ungewöhnlich langsame Oxydation haben dafür gesorgt, dass die antiken Malereien auch noch rund 1700 Jahre nach ihrer Anfertigung erstaunlich gut erhalten sind. In acht der bisher erschlossenen Gräber fand man solche Malereien, insgesamt wurden bisher 760 Abbildungen entdeckt.


Die minimalistischen und doch vor Vitalität strotzenden Malereien in Rot und Schwarz auf weißem Grund zeigen Szenen aus dem Alltagsleben der Bestatteten. Sie geben Einblick in die Produktions- und Arbeitsbedingungen der damaligen Zeit, zeigen Essgewohnheiten und Alltagshandgriffe, aber auch Freizeitvergnügungen und kulturellen Zerstreuungen. Sie geben damit einen wertvollen Einblick in das Leben der Menschen der damaligen Zeit.


Die Motive erzählen von Saat- und Ernteverfahren, antiker Viehzucht und Jagd, zeigen Kleidungsstile und Fortbewegungsmittel, historische Musikinstrumente und sogar alte Gesellschaftsspiele, aber eben auch kamelberittene Händler aus Mittel- bzw. Westasien in ihrer traditionellen Tracht. Eindrucksvoll belegen sie die starken Einflüsse, die der damals bereits rege Handel über die Seidenstraße auf das gesellschaftliche und kulturelle Leben der Menschen im heutigen Gansu hatte, wie sich Lokales mit Fremdem verwob und die gesamte Region dank des florierendes Handels zu neuer geistig-kultureller Blüte gelangte.

 

Mehr als eine Handelsroute

Tatsächlich, so wissen wir heute, war die alte Seidenstraße bei weitem mehr als eine bloße Handelsverbindung. Den Grundstein für das Routengeflecht, das damals drei der wichtigsten asiatischen Kulturräume, nämlich das Perserreich, Indien und China miteinander verband, legte im zweiten Jahrhundert v. Chr. der Han-Kaiser Wudi, der zuvor den Gesandten Zhang Qian beauftragt hatte, im Namen des Kaiserhofes die unerschlossenen Gebiete jenseits des Yumen-Passes auszukundschaften.


Nachdem die zuvor vereinzelten Handelswege so unter Han-Kaiser Wudi erstmals offiziell erschlossen, gesichert und ausgebaut worden waren, sollten sie im Laufe der folgenden Jahrhunderte zur neuen Pulsader des Austausches zwischen der östlichen und westlichen Welt werden.


Das größte Handelsvolumen entlang der Seidenstraße wurde während der Tang-Dynastie (618-907), insbesondere in deren ersten Hälfte, abgewickelt. China importierte damals hauptsächlich Gold, Edelsteine, Elfenbein, Duft- und Farbstoffe sowie Textilien aus dem Okzident. Die Araber führten unterdessen Pelze und Keramiken, Gewürze, Jade, Bronze, Lackgegenstände, Eisen und Seide aus dem chinesischen Kaiserreich ein. Insbesondere letztere hatte es den Menschen westlich von China angetan und sie konnte teuer abgesetzt werden. Nicht zuletzt deshalb prägte der deutsche Geograph, Kartograph und Forschungsreisende Ferdinand Freiherr von Richthofen in seinen Schriften die Bezeichnung der „Seidenstraße“, ein Name, der sich bis heute durchgesetzt hat.




Die „Geisterstadt“ Yadan stellte zu Zeiten der Seidenstraße eine strategische nördliche Durchgangspassage in die westlichen Gebiete dar. Heute sind die bizarren Felsformationen nahe der Stadt Dunhuang ein Touristenmagnet.

 



Doch mit dem Warenaustausch ging unbeabsichtigt noch etwas anderes einher, das unsere Welt nachhaltig prägen sollte: der Transfer technischer Errungenschaften, kultureller Güter und neuer Ideen.


So gelangten aus Arabien über die Seidenstraße auch vermehrt Glasgüter und deren fortschrittliche Herstellungstechniken in das chinesische Kaiserreich. Von China aus trat derweil die Kunst der Papierherstellung ihren Siegeszug an, zunächst in die arabische Welt und dann bis nach Europa, wo sie die zivilisatorische Entwicklung maßgeblich beflügeln sollte.


Anders als heute reisten in der Vergangenheit die Händler mit ihren Waren, wobei die Handelstreibenden unweigerlich die Lebens- und Alltagsgewohnheiten der Menschen in fremden Ländern intensiv kennenlernten. Das trug zu erster Völkerverständigung bei.

 

Oasenstadt Dunhuang – Perle des Buddhismus

Wie tief geistige Neuerungen aus der Ferne teils in der neuen Welt Wurzeln schlugen, zeigt sich wohl nur an wenigen Orten so eindrucksvoll wie in der Stadt Dunhuang, die am westlichen Ende des Hexi-Korridors kurz vor der Grenze ins Autonome Gebiet Xinjiang der uigurischen Nationalität liegt.


Fast fünf Stunden benötigt unser Reisebus, um die rund 375 Kilometer Landstraße in die alte Oasenstadt zurückzulegen. Die Berge im Südwesten, an die sich nahtlos die Wolkenzipfel heften, falten sich dabei wie staubige Elefantenhaut vor dem Auge der Reisenden. Davor liegt eine garstige Ebene, der nur einige Steppensträucher eine staubige Lebensgrundlage abtrotzen können.


Ursprünglich im Jahr 111 v. Chr. von Han-Kaiser Wudi als Grenzposten zur Verteidigung des chinesischen Kaiserreichs gegen Feinde von außen errichtet, stieg Dunhuang schon bald zu einem der wichtigsten Handelsknotenpunkte der alten Seidenstraße auf, da hier östlich der Taklamakan-Wüste die Nord- und die Südroute der Seidenstraße zusammenliefen. So wurde Dunhuang zum Schmelztiegel verschiedener Kulturen und Religionen und zum Tor, durch das der Buddhismus erstmals seinen Weg nach China fand.


Heute lebt der Ort, der rund 190.000 Einwohner zählt, überwiegend vom Tourismus. Die Besucher aus aller Welt kommen insbesondere, um die weltberühmten Mogao-Grotten, die etwa 25 Kilometer südöstlich der Stadt liegen, zu besichtigen, die seit 1987 auf der Liste des UNESCO-Weltkulturerbes stehen.


Buddhistische Mönche schlugen hier zwischen dem 4. und 12. Jahrhundert n. Chr. etwa 1000 Höhlen in die durchschnittlich 17 Meter hohen Sandsteinfelsen und schmückten sie mit farbenprächtigen buddhistischen Motiven aus, modellierten aus Holz und Lehm riesige Buddha-Statuen und fertigten filigrane Wandmalereien an.


Nach dem Niedergang der alten Seidenstraße, der mit Beginn der Song-Dynastie (960 – 1279 n.Chr.) einsetzte, geriet das Höhlensystem jahrhundertelang in Vergessenheit, bevor es dank der Entdeckung des daoistischen Mönchs Wang Yuanlu wieder ins Rampenlicht der Weltöffentlichkeit zurückkehrte. Er fand im Jahr 1900 rund 50.000 Dokumente aus dem 4. bis 11. Jahrhundert, die Mönche im Jahre 1036 in einer Höhle eingemauert hatten, um sie vor den heranstürmenden Mongolen zu schützen.


492 der Mogao-Grotten, die in ihrer Gesamtheit auch als „Tausend-Buddha-Grotten“ bezeichnet werden, sind bis heute erhalten und zum Teil für Touristen zugänglich.


Die Höhlen dienten einst nicht nur als schmuckvolle Schreine unter anderem zur Aufbewahrung religiöser Schriften. Die äußerst kunstvollen Malereien im Innern waren darauf angelegt, die Meditation zu fördern und dienten als visuelle Repräsentationen der Sutras und damit anschauliche Merkhilfe buddhistischer Geschichten, die auch Analphabeten einen Einstieg in die buddhistische Lehre ermöglichen sollten.

Ein eindrucksvolles Beispiel hierfür bildet die farbenprächtige Grotte Nummer 296, die in der Zeit der Nördlichen Zhou-Dynastie (557 bis 581 n.Chr.) angelegt wurde. Wie viele andere Höhlen bildet sie eine faszinierende Momentaufnahme der Verschmelzung der chinesischen Kultur mit Elementen des Buddhismus Nordindiens.


Anders als in Höhlen aus späteren Jahrhunderten tragen die buddhistischen Statuen dieser Grotte noch deutlichere Züge indischen Einflusses, was sich beispielsweise an den schmalen Gesichtszügen und dem Kleidungsstil der Figuren zeigt. Die Fresken, welche Geschichten von Karma und Wiedergeburt erzählen, zeigen indische Protagonisten in einer Kulisse, die von chinesischer Vegetation und Architektur geprägt ist.


Der Buddhismus Nordindiens stieg neben heimischen Philosophien wie dem Taoismus und dem Konfuzianismus zu einer der drei traditionellen Hauptglaubensrichtungen Chinas auf, was die frühe geistige Offenheit des chinesischen Denkens für fremde Ideen spiegelte.

 

Niedergang und Neugeburt

Der verstärkte chinesische Seehandel, die Entstehung neuer Märkte in Südostasien, steigende Zollforderungen der Araber und versiegende Flüsse rund um die Wüsten Taklamakan und Lop im mittleren Teil der Seidenstraße läuteten schließlich gegen Mitte des zehnten Jahrhunderts den Niedergang der terrestrischen Seidenstraße ein.


Angekommen im 21. Jahrhundert schlägt der Handel heute wesentlich weniger intensive persönliche Brücken als damals. Heute werden Schiffe in China von chinesischen Arbeitern be- und in den USA oder Europa von Einheimischen entladen und umgekehrt. Die Ware reist also ohne ihre Händler und damit auch ohne das früher unumgängliche gegenseitige Eintauchen in die jeweils fremde Kultur.


Doch dafür hat sich in der Moderne ein neues Geschäft aufgetan, das uns die Chance eröffnet, in die Fußstapfen der alten Handelsreisenden zu treten – der internationale Tourismus. Dessen Potenzial haben auch die Verantwortlichen in Jiayuguan und Dunhuang erkannt und in diesem Jahr bereits zum achten Mal ein internationales Tourismusfestival ausgerichtet.


Und auch in Zeiten des Internets lohnt es sich noch immer, sich hin- und wieder auf den Entdeckergeist der alten Handelsreisenden der Seidenstraße zurückzubesinnen und die Reisekilometer in ferne Regionen real zurückzulegen, um vor Ort direkt mit den Einheimischen und ihren Gepflogenheiten in Berührung zu kommen und ihre fremde Kultur persönlich auf uns wirken zu lassen und ihre Gedanken und Gewohnheiten  aufzunehmen. So werden wir einen Teil davon mit uns nach Hause nehmen, und wer weiß, vielleicht entsteht in der Heimat ja etwas ganz Neues daraus.

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