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Wenn Bauern zu Songtextern werden: Kreative Kunst- und Kulturprojekte auf dem Land

2024-04-25 17:20:00 Source:german.chinatoday.com.cn Author:Wang Ruying
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„Auf allen Feldern ist das Getreide ausgesät, die Ernte wird gut und reichlich ausfallen, den König freut es, den Bauern spornt es an.“ So beschrieben einst die antiken Chinesen ihre Utopie einer idealen Gesellschaft. In einer anderen alten Schrift heißt es: „Nur wenn die Kornkammern voll sind, befolgen die Menschen die Verhaltensregeln; erst wenn es genug zu essen und anzuziehen gibt, scheren sich die Menschen um Ehre und Schande.“ Dieser berühmte Ausspruch unterstreicht den Zusammenhang zwischen Landwirtschaft und sozialer Ordnung. Und Tao Yuanming, ein Dichter der östlichen Jin-Dynastie (317-420), stilisiert das ideale Leben mit folgenden Worten: „Während ich unter dem östlichen Zaun Astern pflücke, weilt mein Blick auf dem Südberg.“ All diesen Aussprüchen ist gemein: Sie zeigen, wie der Stand der Landwirtschaft und des ländlichen Raums in China seine Gesellschaftsordnung und die Grundstimmung seit jeher geprägt hat.

 

In der heutigen hochentwickelten Zivilisation mit ihrem Fokus auf dem urbanen Lebensstil steht China allerdings vor der Frage, wie es die ländliche Kultur effektiv bewahren und dem ländlichen Raum durch Kunst neues Leben einhauchen kann. Vor diesem Hintergrund fand vom 15. bis 18. März die 15. Konferenz für solidarische Landwirtschaft im Bezirk Shunyi in Beijing statt, auf der Menschen verschiedener Gesellschaftskreise ihre Ansichten über diese Frage austauschten.

 

Kreative Produkte bereichern den ländlichen Raum


Schauen wir gemeinsam in den Kreis Pingnan. Er liegt inmitten des Jiufeng-Gebirges in der Provinz Fujian, war lange weitgehend abgeschnitten von der Außenwelt, was ihn arm und rückständig machte. Gleichzeitig aber hat die schlechte Verkehrsanbindung dafür gesorgt, dass die Zeit lange stillzustehen schien in dem kleinen Kreis, er vor den negativen Aspekten des städtischen Lebens weitestgehend abgeschirmt blieb. So wurde die alte dörfliche Kultur hier konserviert.

 

Zhou Fenfang, Vizedirektorin des Forschungsinstituts für ländlichen Aufschwung in Pingnan, erklärt uns, dass der Landkreis seit Jahren große Anstrengungen unternehme, um traditionelle Dörfer im Kreis zu schützen – mit Erfolg. Gleichzeitig aber seien viele Dörfer noch vergleichsweise rückständig. Das sei die Kehrseite der Medaille, so Zhou. Ziel der Anstrengungen sei es, durch die Schutzmaßnahmen Zukunftsressourcen für den ländlichen Aufschwung zu schaffen. Dies ist der engagierten Frau ein wichtiges Anliegen.

 

Das Jahr 2015 sollte für Pingnan einen entscheidenden Wendepunkt markieren. Mithilfe der Gruppe von Lin Zhenglu, die mit der kreativen Entwicklung von Kultur experimentiert, fiel der Startschuss für eine örtliche Kultur- und Kreativindustrie im Dorf Jixia. Über das ehrenamtliche Projekt „Jeder ist ein Künstler“ haben die Menschen hier heute die Chance, kostenlos Ölmalerei zu erlernen und so die Schönheit ihrer Heimat mit dem eigenen Pinsel einzufangen.




Ein neuer Blick auf das scheinbar Altvertraute: Teilnehmerinnen des Projekts „Jeder ist ein Künstler“. (Foto zur Verfügung gestellt von Zhou Fenfang)

 

Das besagte Kunstprojekt ist ein großer Erfolg und erfreut sich einer regen Teilnahme. Vielen Einheimischen bieten die neu erlernten Fähigkeiten zudem die Chance, sich langfristig ein finanzielles Zusatzbrot zu sichern. Parteikomitee + Künstler + alte Dörfer + Internet – auf diese neue Mischung setze der Kreis beim Ankurbeln der örtlichen Kultur- und Kreativindustrie, wie uns Zhou erklärt.

 

Und das Konzept geht auf. Mithilfe des Internets habe sich für den Kreis ein neuer Kanal zur Außenwelt geöffnet. Gemälde der Einheimischen erreichten mittlerweile über Social-Media-Plattformen wie WeChat eine große Reichweite. Auf diese Weise fänden sich immer mehr Abnehmer für die Kunst aus dem Dorf, was der lokalen Wirtschaft zugutekomme. Ein positiver Nebeneffekt: Durch die Gemälde, die die Dorfidylle zeigen, zieht es vermehrt Touristen aus dem ganzen Land nach Pingnan, zur Erholung und zur Ölmalerei. Der Charme des Kreises ist der Nährboden für die Kunst und die Kunst wiederum fördert die weitere Entwicklung des Kreises.




Junge Hobbykünstler: Pingnan hat ein Atelier für die Jugend eingerichtet, um das außerschulische Freizeitangebot zu bereichern. (Foto zur Verfügung gestellt von Zhou Fenfang)

 

Der Erfolg des Dorfes Jiaxia hat nicht nur einen neuen Weg zum Wohlstand geebnet, sondern auch der Kultur- und Kreativindustrie in den umliegenden Dörfern Auftrieb gegeben. Heute gibt es immer mehr Kultur- und Kreativprojekte in Pingnan: die Librairie Avant-Garde, eine berühmte Nanjinger Buchhandlung, hat eine neue Filiale in einem traditionellen alten Haus im Dorf Xiadi eröffnet; die Antai Art City ist zu einer berühmten kulturellen Visitenkarte der Gemeinde Shuangxi geworden und die China Academy of Art richtete eine Zweigstelle im Dorf Qianfenxi ein.

 

Durch den Aufwind der Kultur- und Kreativbranche hat sich Pingnan, einst einer der 23 Schlüsselkreise für Amtsbekämpfung der Provinz Fujian, heute zu einem offiziellen Demonstrationskreis für Kultur- und Kreativindustrie aufgeschwungen. Es ist dem Kreis also gelungen, den Kulturschutz in einen wirtschaftlichen Wachstumsmotor umzumünzen. Kunst dient damit als Schlüssel, um den alten Dörfern der Region neues Leben einzuhauchen und sie behutsam ins neue Jahrhundert zu führen. „Die erfolgreichen Erfahrungen in unserem Kreis haben bewiesen, dass die Entwicklung der Kultur- und Kreativindustrie traditionelle Dörfer schützen und wiederbeleben kann. Früher war Pingnan ein Sorgenkind, kämpfte ums Überleben im modernen Industriezeitalter. Aber durch den Aufschwung neuer Industrien ist es dem Kreis gelungen, zu einem Musterschüler der ökologischen Zivilisation aufzusteigen“, gibt Zhou stolz zu Protokoll.

 

Der Beitrag von Design zum ländlichen Aufschwung


Chen Rujie ist die Begründerin der Initiative „Painting Township Plan“. Das Projekt sei aus ihrem unternehmerischen Engagement schon zu Studienzeiten entstanden, erzählt sie. Damals motivierte die junge Frau der Generation Z einige Kommilitonen, mit ihr gemeinsam Designlösungen für einige ländliche Projekte auf einer Internetplattform anzubieten.

 

„Es gab viele Zweifler an den Erfolgsaussichten des Projekts“, erinnert sich Chen. „Die Leute sagten zu mir, der ländliche Raum sei arm und brauche Geld, keine Designs. Aber ich fragte mich: Braucht das Land wirklich kein Design?“ Um eine Antwort zu finden, organisierte Chen eine Abschlussreise der besonderen Art für sich selbst, nämlich aufs Land, um persönlich mit dem ländlichen Raum auf Tuchfühlung zu gehen.

 

Vor Ort wurde ihr schnell klar: das Land braucht eben doch Design. Chen fasst den ländlichen Aufschwung in drei Entwicklungsstufen zusammen: Die erste Stufe bildeten demnach rückständige Dörfer, denen es selbst an grundlegender Infrastruktur mangele und die daher professioneller Planung und architektonischer Entwürfe bedürften. Die zweite Stufe seien Dörfer, die sich im Entwicklungsprozess befänden. In solchen Dörfern sei Infrastruktur wie Wasser- und Stromversorgung bereits vorhanden, aber die Industrien sei noch in der Entwicklung begriffen. Insbesondere die Nachfrage nach Hotel- und Gastronomiedesign sei hier sehr hoch, sagt sie. Die dritte Stufe seien fortschrittliche Dörfer, in denen es eine stadtähnliche Industrie gebe. Einige dieser Dörfer würden in dieser Phase sogar Museen bauen oder wollten Animationen für Kulturdenkmäler entwerfen, sagt Chen. Daraus ergäben sich natürlich höhere Anforderungen an das Design.




Campingtrend: Dieser hippe Ort zum Entspannen und zum Austausch wurde von Chens Gruppe designt. (Foto zur Verfügung gestellt von Chen Rujie)

 

Im Rahmen der Strategie zum ländlichen Aufschwung hat Chen ihre Überzeugungen weiter gefestigt. Für sie steht fest: verschiedene Landstriche durchlaufen verschiedene Entwicklungsphasen, woraus sich variierende Anforderungen an das Design ergeben. Gleichzeitig ist sich die junge Designerin bewusst, dass das kulturelle Potenzial des ländlichen Raums nur dann ausgeschöpft werden kann, wenn sich mehr junge Menschen bei der ländlichen Entwicklung einbringen.

 

Im Jahr 2020 entschied sich Chen daher, die erste Basis von „Painting Township Plan“ in der Gemeinde Bairuopu im neuen Bezirk Xiangjiang in der Provinz Hunan zu gründen und sich am Betrieb des örtlichen Unternehmerzentrums „Licht von Bairuo“ zu beteiligen. Dank der Werbung durch Chens Gruppe kamen letztlich viele Studierende aus verschiedenen Universitäten nach Bairuo, um hier ein Praktikum zu machen, Design-Workshops auf die Beine zu stellen, Kinder zu unterrichten, Kurzvideowettbewerbe zu veranstalten und kreative Werke zu schaffen.

 

„Der ländliche Raum hat enormes Entwicklungspotenzial und junge Menschen können mit ihren Fachkenntnissen zum örtlichen Aufschwung beitragen. Jeder kann hier seine Träume verwirklichen“, ist sich Chen sicher.




Fotos, Fotos, Fotos: Darum dreht sich das von Chens Gruppe ins Leben gerufene Blumenmeerfest in der Gemeinde Chating, das jedes Jahr viele Touristen anzieht. (Foto zur Verfügung gestellt von Chen Rujie)

 

Dorflieder erzählen von Dorfgeschichten


Auch der Künstler Sun Heng engagiert sich rund um die ländliche Entwicklung. Vor sechs Jahren rief er das „Dorflied-Projekt“ ins Leben. Dafür gehen er und sein Team direkt in die Dörfer, teilen ihren Alltag mit den Dorfbewohnern, indem sie dort für einige Zeit gemeinsam mit ihnen leben, und schreiben in dieser Zeit für sie Dorflieder. Bis heute hat Sun auf diese Weise schon in 58 Dörfern gelebt. Der passionierte Künstler erklärt uns: „Unser Traum ist es, dass jeder singen kann. Deshalb denken wir ständig darüber nach, wie wir die Menschen auf dem Land ermutigen können, selbst zu singen und nicht wir für sie.“

 

Um die Landbevölkerung dazu zu motivieren, sich aktiv am Schreiben von eigenen Songs zu beteiligen, setzt Sun auf gemeinsame Schreibwerkstätte, in denen die Einheimischen gemeinsam texten. Bis ein neues Lied im Kasten ist, braucht es drei Schritte: Zuerst besucht Suns Team die Dörfer, um die lokale Kultur und die örtlichen Traditionen kennenzulernen. Dann laden er und sein Team die Dorfbewohner zu einem dreitägigen Workshop ein, bei dem sich die Menschen über kulturelle und historische Ereignisse in ihren Heimatdörfern austauschen und auf Grundlage dessen schließlich gemeinsam Dorflieder schreiben. Abschließend bearbeiten Sun und sein Team die so entstandenen Songs mit professionellem Equipment und erstellen die endgültige Version.




Eine neue Erfahrung: Diese Menschen vom Land schlüpfen in Schreibwerkstätten in die Rolle von Songtextern. (Foto zur Verfügung gestellt von Sun Heng)

 

Sun ist der Meinung, dass Dorflieder nicht dem Ausdruck individueller Gefühle dienen sollten, sondern bei der Mehrheit der Menschen Resonanz finden müssten. Sie sollten in der Sprache der einfachen Leute verfasst sein und ihren Erfahrungshorizont spiegeln, findet er. „Dorflieder sollten eine Art Volks- und Massenkunst sein. Sie sind ein Loblied auf die Lebensgeschichten der Menschen, und das ist es auch, was sie so bewegend macht.“ Das einzige Maß für die Qualität eines guten Songs sei es, ob er den Dorfbewohnern gefalle und ob sie bereit seien, ihn auch in Zukunft zu trällern.

 

„Das Texten eigener Lieder inspiriert die Menschen. Viele nutzen die gemeinsam kreierten Songs, um die Kultur ihrer Heimat zu verbreiten. Einige kombinieren das Singen sogar mit dem Verkauf von Produkten, andere integrieren die Songs in ländliche Kultur- und Tourismusprogramme“, sagt Sun.

 

Dörfer als Songstudio also. Das Texten und Singen stärkt nicht nur das Gemeinschaftsgefühl, sondern sensibilisiert die Menschen vor Ort auch allgemein für Kunst und Kultur. Vom Leben auf dem Land können sie schließlich ein Lied singen, und das erklingt so nun auch über die eigene Heimat hinaus.



 

Jedes Dorf bekommt seinen eigenen Song: An Fest- und Feiertagen ist der eigene Soundtrack in den Dörfern der Region nicht mehr wegzudenken. (Foto zur Verfügung gestellt von Sun Heng)

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