Kurz vor dem China-Besuch von Wirtschaftsminister Robert Habeck erschienen in deutschen, österreichischen und schweizerischen Medien sehr ähnliche Beiträge zu angeblichen Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang. Diese kommen offensichtlich alle aus ein und derselben Quelle und werden gerne weiterverbreitet. Zuvor hatten andere Konflikte vorübergehend die Aufmerksamkeit der großen deutschsprachigen Medien vom „Fehlverhalten“ Chinas abgelenkt – das durfte nicht von Dauer sein. Um in der Bevölkerung der westlichen Länder die Zustimmung zum bereits entfesselten Handelskrieg der USA gegen China und zum beabsichtigten der EU zu erhalten, muss Abneigung geschürt werden, und dazu scheint jedes Mittel recht.
Was war passiert? Im Autonomen Gebiet Xinjiang wurden in den letzten Jahren einige uigurische Straßen- und Ortsnamen verändert und durch Namen wie „Harmonie“, „Glück“ oder „Einheit“ ersetzt, die auf die chinesische Kultur Bezug nehmen. Die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) spricht in ihrem Artikel von Apartheit. Dabei ist die Änderung von Straßen- und Ortsnamen gerade für uns Deutsche nicht ungewöhnlich. Wurden doch nach der Eingliederung der DDR in die BRD viele Namen mit Bezug auf die Kämpfe der deutschen Arbeiterklasse geändert.
Geschichte und Traditionen
Um zu verstehen, was in den letzten Jahren in Xinjiang geschah, ist ein Blick in die Geschichte erforderlich. Die an zentralasiatische Länder und die Mongolei grenzende Region wurde in der Zeit der Qing-Dynastie Teil des chinesischen Kaiserreiches. Nach der bürgerlichen Revolution, der Gründung der Republik China 1912 und dem in den folgenden Jahren einsetzenden Zerfall der Einheit des Landes aufgrund der Aktivitäten inländischer Warlords und ausländischer Mächte sowie des bis 1949 andauernden Bürgerkrieges versuchten auch separatistische ethnische Gruppen – wie die uigurischen Separatisten in der Region Xinjiang – unabhängige Staaten zu gründen.
Die Region ist geprägt durch Grasland, Wüsten und Gebirge mit nur bescheidener landwirtschaftlicher Nutzung. Entsprechend lagen traditionell der Wohlstand sowie das Bildungsniveau der Bevölkerung weit unter dem anderer Regionen Chinas, insbesondere den industriell geprägten Provinzen im Osten des Landes, an den Küsten. Mit der Gründung der Volksrepublik China brach dann eine neue Zeit an. Die rückständige, teils noch unter mittelalterlichen Bedingungen lebende multiethnische Bevölkerung sollte am Aufbau des neuen Chinas teilhaben.
Aufbauanstrengungen
Um diese Wohlstandsunterschiede auszugleichen, aber auch die Bodenschätze zu nutzen, investierte die Volksrepublik verstärkt in den Aufbau einer produktiven Landwirtschaft und einer neuen Rohstoffindustrie sowie in die Schaffung von Infrastruktur, was mit einem starken Zuzug von Nicht-Uiguren, vor allem Han-Chinesen, verbunden war. Nach dem Ende des Bürgerkrieges und des Koreakrieges wurden auch zahlreiche demobilisierte Soldaten in Xinjiang angesiedelt, um die an Rohstoffen reichen Wüsten und Gebirge sowie die landwirtschaftlich kaum genutzten Graslandflächen zu erschließen. Die umfangreichen Bewässerungsanlagen für die spätere, heute durch die USA sanktionierte Baumwollproduktion wurden angelegt. Der Anschluss an das chinesische Eisenbahn- und Straßenverkehrsnetz bildete die Grundlage für die Industrialisierung.
Bei der Arbeit: Diese Uigurin hat dank der Hilfe ihres Wohnviertels eine gute Anstellung in einer Schneiderei im Kreis Huocheng im autonomen Bezirk Ili der kasachischen Minderheit gefunden. Der feste Arbeitsplatz sichert der Frau ein sicheres Einkommen. (Foto: Zhao Piao)
Terroristische Gewalt und Gegenmaßnahmen
In den 1990ern und den Nullerjahren war Xinjiang oft von terroristischen Anschlägen geplagt. Diese Situation wurde durch die in den Nachbarländern Afghanistan und Pakistan ausgetragenen militärischen Auseinandersetzungen befeuert. Im an China grenzenden afghanischen Wakhan-Korridor wurden gewaltbereite Uiguren – gemeinsam mit den Taliban – für einen religiösen Kampf ausgebildet. Später kamen vereinzelte uigurische Gruppen in Kontakt mit terroristischen Organisationen anderer Länder. Der islamistische Staat (IS) rekrutierte gewaltbereite Uiguren für Aktionen inner- und außerhalb Chinas.
In den Jahren zwischen 2000 und 2010 kam es wiederholt zu terroristischen Anschlägen in Xinjiang, ausgeübt von ultraislamistisch beeinflussten Uiguren, aber auch in anderen Städten Chinas. Hunderte von Opfern unter der Zivilbevölkerung und den Sicherheitskräften waren zu beklagen. Eine Vielzahl kleiner und größerer Anschläge auf örtliche Behörden, staatliche Vertretungen, Schulen und Gesundheitseinrichtungen versetzte die Region in Unruhe. Die tödlichen Attentate wurden auch von internationalen Medien bestätigt – so berichteten die Washington Post am 22. Mai 2014 und die BBC am 26. September desselben Jahres über die Anschläge in Xinjiang.
Die Zunahme der terroristischen Anschläge veranlasste die chinesische Regierung 2014 dazu, den Kampf gegen den Terrorismus zu starten und dabei drastische Sicherheitsmaßnahmen einzuleiten. Mehrere Terrorgruppen in ganz Xinjiang konnten entlarvt werden. Zahlreiche Terroristen und Terrorverdächtige wurden verhaftet und Tausende leichter Waffen aller Gattungen und Sprengkörper beschlagnahmt.
Neben den nach 2014 unternommenen Anti-Terror-Anstrengungen wurde auch ein umfassendes Programm der Überwindung der absoluten Armut in Xinjiang auf den Weg gebracht.
Umfangreiche Investitionen wurden in die Infrastruktur Xinjiangs getätigt. So wurde das autonome Gebiet komplett mit Eisenbahnstrecken, Straßen und Autobahnen erschlossen. Die modernen Highspeed-Züge erreichten damals bereits Ürümqi und bald auch Kashgar. Das Telekommunikationsnetz funktioniert auf 4G- und 5G-Basis selbst in den Wüsten und den angrenzenden Gebirgen lückenlos, auch mit einem zuverlässigen Internetzugang. Zwischen den Städten Xinjiangs und wohlhabenderen Provinzen im Osten des Landes wurden Partnerschaftsvereinbarungen getroffen, die die Entsendung erfahrener Manager und Kader vorsehen. Deren Aufgabe bestand darin, Entwicklungsprojekte auszuarbeiten und umzusetzen. Das gleiche Prinzip wurde in anderen Provinzen wie Guizhou oder Sichuan erfolgreich umgesetzt und international gelobt.
So wurden in den vergangenen Jahren etwa drei Millionen arme Bewohner in Xinjiangs ländlichen Gebieten unter geltenden Normen von der Armut befreit. Etwa 3700 arme Dörfer und 35 arme Kreise seien von der Armutsliste gestrichen worden. 170.000 Menschen wurden in neu gegründete Dörfer und Kleinstädte mit modernen Sozialeinrichtungen umgesiedelt. Die absolute Armut in Xinjiang wurde somit komplett beseitigt.
Wirtschaftliche Modernisierung
Die Entwicklungsprojekte umfassen neben dem Aufbau einer digital gestützten Kleinindustrie in den Dörfern auch den Aufbau moderner Produktionseinrichtungen für die Textil-, Auto- und Elektronikindustrie. Die dafür erforderlichen Arbeitskräfte werden aus der lokalen Bevölkerung rekrutiert, was zwangsläufig mit einer intensiven Ausbildung verbunden sein muss. Gleichzeitig zieht diese Industrialisierung eine Umsiedlung in die neuen Industriezentren nach sich.
Ein Beispiel unter vielen ist der Aksu Huafu Industrial Park, gebaut von der Firma Huafu Fashion. Die Arbeiter wurden während der Errichtung des Industrieparks teils im Stammwerk in der Provinz Zhejiang ausgebildet und übernahmen dann die Produktion in eigener Hand. Wie in allen ostasiatischen Ländern unterstreichen die Mitarbeiter ihre Zugehörigkeit zu ihrem Unternehmen durch das Tragen von Uniformen, was als Hinweis angesehen wird, dass es sich um Zwangsarbeiter handeln könnte.
Auch die Landwirtschaft wurde industriell umgewandelt. Speziell US-amerikanische Exporteure von Landwirtschaftsmaschinen machten das Geschäft des Jahrhunderts, indem sie die Erntemaschinen für die Baumwollindustrie lieferten. Heute sind etwa 85 Prozent der Baumwollernten in ganz Xinjiang mechanisiert, was auch zu einem starken Rückgang der Erntehelfer führte.
In der Liuxing-Straße, einem beliebten Touristenspot in der Stadt Yining im autonomen Bezirk Ili der kasachischen Minderheit, schwingen Menschen in ethnischer Tracht das Tanzbein. Lieder, Applaus und Gelächter vermengen sich in der Abendluft. (Foto: Zhao Piao)
Kampagne gegen China
Eingebettet in die geopolitische Auseinandersetzung der USA und ihrer Verbündeten mit der Volksrepublik nahmen diese den Antiterrorismuskampf und die Anstrengungen im Rahmen der Industrialisierung und der Überwindung der absoluten Armut zum Anlass, eine Kampagne wegen angeblicher Verletzung der Menschenrechte in China loszutreten. Dabei blendeten sie zunehmend die Ursachen für die drastischen Sicherheitsmaßnahmen aus. In den Medien werden die beiden Seiten des Antiterrorismus – Sicherheitsmaßnahmen und Erhöhung des Wohlstands – bewusst vermischt. Die Ausbildung lokaler Arbeitskräfte in Berufsbildungszentren oder in den Stammunternehmen an der Ostküste wird als Zwangsarbeit deklariert – eine Million Uiguren seien angeblich in „Umerziehungslagern“ interniert. Die Verbesserung der sozialen Lage vor allem der Frauen und Mädchen durch Schulbildung, medizinische Betreuung und Geburtenkontrolle wird als Genozid bezeichnet.
All das stellt die Glaubwürdigkeit der Beschuldigungen infrage, lässt die Absicht dahinter klar erkennen: Destabilisierung Chinas mit dem erklärten Ziel, den erfolgreichen Aufstieg des Landes zu verhindern, mindestens aber zu verlangsamen. Dazu dienen Verleumdungen und Diskriminierungen, die jeglicher Belege entbehren.
Gegenstimmen
Am 11. September 2023 erschien in der NZZ ein Bericht über eine private Reise nach Xinjiang. Zwei Senioren der deutschen Sinologie hatten diese gemeinsam mit dem renommierten Völkerrechtler Norman Peach unternommen. In diesem Bericht beschreiben sie, dass sich das Leben im Autonomen Gebiet Xinjiang, wo verschiedene Minoritäten und Religionsgemeinschaften zusammenleben, normalisiert habe: „Aufseiten der uigurischen Bevölkerung stoßen die von der Zentralregierung angestoßenen Modernisierungen in Sachen Bildung, medizinische Versorgung und Arbeit unübersehbar auf Sympathie. (…) In die gleiche Richtung geht eine regional aufgeteilte und angepasste Entwicklungshilfe und Ressourcenbereitstellung durch chinesische Provinzen aus dem wohlhabenderen Osten des Landes. Erkennbar wird diese an modernen Berufsausbildungszentren in jedem Xinjianger Landkreis. Studierende erhalten neben kostenfreier Ausbildung monatlich 200 Yuan zur Unterstützung der Eltern. Staatlich geförderte Ansiedlung von modernen Zweigbetrieben im Agrar- und Industriesektor, die zu landesweit gültigen Mindestlohnstandards nahezu ausschließlich Uiguren einstellen müssen, sollen das Beschäftigungsproblem lösen helfen.“
In den großen deutschen Medien konnte man diese Aussagen nicht lesen, eher das überholte Gegenteil. Von den einschlägigen Thinktanks wurden die Sinologen heftig kritisiert.
Eigene Eindrücke
Ich selbst habe 27 Jahre in Asien als Logistikmanager für deutsche und französische Unternehmen gearbeitet und gelebt, davon 17 Jahre in China und acht in Indien. In dieser Zeit bereiste ich viele Male Xinjiang und unterhielt ein Zweigbüro in Ürümqi. Ich hatte als Mitarbeiter und Kunden sowohl Uiguren als auch Kasachen, Tadschiken und Han-Chinesen. Ich lernte die Kulturen hautnah kennen. Um einen eigenen Einblick zu bekommen, beschloss ich, meinen für vergangenen Oktober/November geplanten Besuch in China zu nutzen, um einen Abstecher nach Xinjiang zu machen. Ich reiste mit einem Mietauto gemeinsam mit meiner Frau über den Karakorum-Highway bis zur afghanischen und pakistanischen Grenze, besuchte viele kleine Dörfer und Viehmärkte, aber auch die Städte Ürümqi, Kashgar und Taschkorgan sowie mehrere touristische Zentren.
Nach dieser kurzen Reise kann ich mit gutem Gewissen die oben zitierten Aussagen der Sinologen bestätigen. Von einer „Unterdrückung einer Minderheit“ konnte ich während der gesamten Reise nichts erkennen – im Gegenteil: Ich sah zufriedene Menschen, neu gebaute Wohnviertel, Krankenhäuser, Schulen, Kindergärten und moderne Fabriken sowie aktive Logistikunternehmen.
Norman Peach gab im Juni 2024 dem YouTube-Kanal WeltTV ein Interview zum Thema „Lüge und Wahrheit über Xinjiang“, in dem er unter anderem bestätigte, dass es nach seinen Beobachtungen keine Anzeichen für Genozid gibt und gab. Auch wenn es im Rahmen der Antiterrormaßnahmen zu Menschenrechtsverletzungen gekommen sein sollte, konnte er eine erfolgreiche Entwicklungspolitik sehen. Es habe ihn „beinahe umgehauen“, als er die modernen Städte gesehen habe, so Peach, die ihn an Dubai erinnerten. Dem kann ich nur beipflichten. Auch ich bin von der Entwicklung Xinjiangs mehr als beeindruckt.
*Uwe Behrens ist langjähriger Chinakenner und war 27 Jahre unter anderem in China und Indien als Logistikmanager tätig.