Der autonome Bezirk Yili der kasachischen Minderheit liegt im Uigurischen Autonomen Gebiet Xinjiang. Er grenzt im Süden an das Tianshan-Gebirge, war einst eine wichtige Station an der alten Seidenstraße und ist seit der Antike ein multiethnisches Siedlungsgebiet. Wir reisen mit unserem Reporterteam von der Bezirkshauptstadt Yining aus gen Süden, wollen uns vor Ort selbst ein Bild machen, wie das Zusammenleben in der multiethnischen Region funktioniert. Sind die Menschen dort einander tatsächlich so eng verbunden wie die sprichwörtlichen Kerne eines Granatapfels, wie es Staatspräsident Xi Jinping an verschiedener Stelle formulierte. Lassen sie eine Symphonie des Austauschs in verschiedenen Bereichen wie Landwirtschaft, Kultur und Gesellschaft erklingen?
Vom Fremden zum Familienmitglied
Im Juli werden auf den Feldern von Xiapanjin bereits Auberginen und Blumenkohl geerntet. Das Dorf zählt zur Gemeinde Panjin in der Stadt Yining. Als wir ankommen, zeigt der 68-jährige Peng Changjin, ein hagerer Mann mit grauem Haar, gerade anderen Dorfbewohnern Tricks und Kniffe beim Gemüseanbau. „Ich kam einst im Alter von 16 Jahren aus der Provinz Sichuan hierher“, erzählt er uns. „Damals verstand ich den örtlichen Dialekt nicht und war völlig mittellos. Eine alte Uigurin hat mich zu jener Zeit aufgenommen.“ Seitdem stand für Peng fest: Wenn er einmal die Chance bekommen sollte, dann wollte er den Menschen hier etwas zurückgeben, etwas Sinnvolles auf die Beine stellen.
Früher baute er, wie andere Dorfbewohner, nur Kartoffeln, Kohl und Karotten an. Das brachte allerdings nur ein mageres Einkommen. Später nahm Peng dann an verschiedenen Schulungen über Gemüseanbautechniken teil und lernte fleißig. Nachdem er sich profunde Kenntnisse und Fertigkeiten angeeignet hatte, erzielte er eine Rekordernte bei Gemüsesorten wie Weißkohl, Brokkoli und Rotkohl und verdoppelte so sein Einkommen.
„Für eine Wohltat, so groß wie ein Wassertropfen, gib zum Dank eine sprudelnde Quelle zurück“, heißt es im chinesischen Volksmund. 2014 ermunterte Peng die Dorfbewohner zur Gründung einer professionellen Gemüseanbaugenossenschaft. Er brachte ihnen nicht nur Anbautechniken bei, sondern stellte den Dorfbewohnern verschiedener ethnischer Gruppen auch die von ihm kultivierten Setzlinge kostenlos zur Verfügung, um ihnen dabei zu helfen, die einst wenig ergiebigen Böden in Felder der Hoffnung zu verwandeln. Seit zehn Jahren spendet er bereits Gemüsesetzlinge. Bis zu 2,1 Millionen Stück im Gesamtwert von über einer Million Yuan habe er bereits zur Verfügung gestellt, schätzt er.
Feldstudien: Peng Changjin (links) und Ablikmu Matiniyazi überprüfen das Wachstum der Auberginen. (Foto: Yang Shuangshuang)
„Peng ist ein guter Mann, der uns hilft, die Armut zu überwinden und zu Wohlstand zu gelangen“, sagt Ablikmu Maitiniyazi. Der 50-Jährige muss es wissen. Lange gehörte der Uigure zu den einkommensschwachen Haushalten hier im Dorf. Seine Familie bewirtschaftete nur 0,2 Hektar Land, die mit traditionellen Feldfrüchten wie Mais und Weizen bepflanzt waren. Als Peng erfuhr, dass Maitiniyazi in schwierigen Verhältnissen lebte, ergriff er die Initiative, vermittelte ihm moderne Anbaukenntnisse und schenkte ihm Gemüsesetzlinge und Düngemittel. Mittlerweile hat die Familie Maitiniyazi einen halben Hektar Land für den Gemüseanbau gepachtet, erzielt ein jährliches Einkommen von über 100.000 Yuan und konnte sich so ein neues geräumiges Haus bauen.
Wie vielen Menschen Peng Changjin so insgesamt geholfen habe, wollen wir wissen. Er hat selbst den Überblick verloren. Fest steht: In der Gegend ist der Senior bekannt wie ein bunter Hund. Einst war er hier fremd, heute gilt er als Mitglied der Familie. Er ebnete unzähligen Familien den Weg zu einem besseren Auskommen und pflanzte letztlich mehr als nur Gemüsesämlinge, ließ einen Samen der Solidarität zwischen den verschiedenen Nationalitäten in den Herzen der Menschen sprießen.
Ein neuer Look für eine charmante alte Straße
Um 12 Uhr mittags scheint die Sonne durch die Weinreben im Familienhof von Mayila, wo sie bereits Früchte und Gebäck vorbereitet hat und auf die Ankunft der Gäste wartet. Bei ihr können Besucher nicht nur besichtigen und fotografieren, sondern auch selbst mit anpacken, indem sie süßen Backteig, eine Xinjianger Spezialität, herstellen.
Tanzbeine vor blauem Himmel: Am Eingang der Kazanqi-Tourismuszone werden Besucher mit einer ortstypischen Tanzaufführung begrüßt. (Foto: Yu Jie)
Der Hof von Mayila befindet sich in der Kazanqi-Volkstourismuszone von Yining. Bei einem Spaziergang durch die verwinkelten Gässchen mit ihren historischen Bauten sieht man farbenfrohe Fassaden, an denen das sogenannte Ili-Blau dominiert. Immer wieder traben die Zugpferde der Hadik-Kutschen bimmelnd vorbei. An verschiedenen Ecken gibt es leidenschaftliche Gesangs- und Tanzdarbietungen. Alles in allem erwartet die Besucher hier ein atmosphärischer Mix verschiedenster ethnischer Einflüsse.
Kazanqi ist Uigurisch für „Topfmacher“. Es war einst ein Ort, an dem traditionelle Handwerker und alteingesessene ethnische Gruppen zusammenlebten. Heute findet man hier Angehörige von 13 ethnischen Gruppen, darunter Han, Uiguren, Kasachen, Hui, Tataren und Usbeken. Um den Touristen die Möglichkeit zu geben, authentische Volksbräuche und Rituale der Gastfreundschaft kennenzulernen und lokale Spezialitäten der ethnischen Minderheiten zu verkosten, öffnen über 100 Bewohner ihre privaten Familienhöfe, wo sie Besucher aus aller Welt bewirten.
Neben Mayila ist auch die 63-jährige Hanikezi eine davon. Ihr Zuhause ist liebevoll dekoriert, blitzblank und ordentlich. Hier erwarten die Besucher selbstgemachtes Eis und Hausmacher-Brötchen mit Himbeer- und Walnussfüllung. Während man sich die Xinjianger Spezialitäten auf der Zunge zergehen lässt, kann man den Innenhof im lokalen Baustil bewundern.
Derzeit sind fast 20.000 Einwohner in der Kazanqi-Volkstourismuszone direkt oder indirekt im Tourismus tätig. Die Ortsansässigen locken Reisende an, indem sie ihre Familienhöfe renovieren und personalisierte Events anbieten. In der Hochsaison kann jedes Haus täglich bis zu tausend Besucher empfangen, was den Familien ein Einkommen zwischen 20.000 und 30.000 Yuan pro Monat beschert.
Der „Ata“ von 176 Kindern
Wir fahren weiter nach Süden, in den Kreis Tekes, dessen Hauptstadt für ihre den Acht Trigrammen nachempfundene Stadtstruktur bekannt ist. Bei Sonnenuntergang glänzt die kleine Grenzstadt ruhig und magisch im Abendrot.
In einem kleinen Hof im Süden des Kreises spielen junge Menschen in traditioneller Volkskleidung die Dombra zu melodischer Musik und fröhlichem Gesang. Sie stammen aus verschiedenen ethnischen Gruppen, verschiedenen Orten, haben aber alle denselben „Ata“ – nämlich Shen Jianjia.
„Ata“ bedeutet auf Uigurisch und Kasachisch „Vater“. Der 68-jährige Shen Jianjia ist ein pensionierter Angestellter im Kreis Tekes. Natürlich ist er nicht wirklich Vielfachvater. Doch hier ist er als Ata von 176 Kindern aller ethnischen Gruppen bekannt.
Jugendliche in traditionellen Kostümen versammeln sich im Haus von „Ata“ Shen Jianjia. (Foto: Yu Jie)
„Shens Haus ist mein zweites Zuhause“, sagt Balinur Dawuletihazi, ein 17-jähriger kasachischer Junge. Er stammt aus einem Viehzuchtgebiet und besucht momentan die Mittelschule im Kreis Tekes. Seine größte Sorge war einst der lange Schulweg. „Als Ata von meiner Situation erfuhr, zögerte er nicht lange und bot mir an, in seinem Haus unterzukommen. Er kümmerte sich um mein Essen und meine Kleidung und mein tägliches Leben. Seit ich nicht mehr so lange Strecken zu Fuß zurücklegen muss, haben sich auch meine schulischen Leistungen verbessert“, erzählt der Jugendliche stolz.
Balinur ist nur eines der vielen Kinder, denen Shen Jianjia über die Jahre geholfen hat. Seit 1982 nimmt Shen arme Kinder aus Gebieten, die von Land- und Viehwirtschaft geprägt sind, zu sich auf und ermöglicht es ihnen, zwei bis drei Jahre oder sogar sieben bis acht Jahre in seinem Haus zu leben, bis sie ihre Ausbildung abgeschlossen haben. In den letzten vier Jahrzehnten hat er auf diese Weise insgesamt 176 Kinder aus 13 ethnischen Gruppen gefördert, darunter Kasachen, Kirgisen, Uiguren, Mongolen und Hui.
Shen Jianjia weiß selbst, wie es ist, arm zu sein. Auch seine Familie litt lange Not. In Kindertagen war er auf Almosen aus der Nachbarschaft angewiesen. Schon in jungen Jahren keimte daher die Saat der Dankbarkeit in seinem Herzen. „Liebe ist ein Staffellauf“, sagt er heute. „Die meisten Kinder, denen ich geholfen habe, engagierten sich nach ihrem Abschluss selbst für wohltätige Zwecke.“ Er nennt etwa das Beispiel von Ahenur Urmuzak, der nach seinem Abschluss Grundschullehrer wurde und damit begann, arme Schüler beim Kauf von Büchern und Schreibwaren zu unterstützen. Oder von Rehemu Sawurjan, der in der Immobilienbranche tätig ist und jeden Monat 1000 Yuan zur Seite legt, um Schüler aus armen Familien zu unterstützen.
Ohne die Hilfe von Ata hätten diese jungen Menschen nicht das glückliche Leben, das sie heute führen. Unter Shens Einfluss wurden Freiwilligenteams wie das Team der „Loving Mums“ oder der „Helping Brothers“ gegründet. Sie geben den Staffelstab der Liebe, den sie einst von Shen erhalten haben, nun an die nächste Generation weiter.