Was heute noch wie Zukunftsmusik klingt, dürfte in China bald Realität sein: der Einsatz von Pflegerobotern. Denn Chinas Bevölkerung altert. Und das stellt das Land vor zahlreiche Herausforderungen. Das Dilemma: Es gibt mehr pflegebedürftige Senioren, aber gleichzeitig weniger Ressourcen für Gesundheits- und Pflegedienste. Hinzu kommt, dass die traditionelle Altenpflege, nämlich die Betreuung durch Familienangehörige, in einer schnelllebigen Gesellschaft zunehmend an ihre Grenzen stößt. Das alte Modell wird den wachsenden Bedürfnissen der heutigen Senioren einfach nicht mehr gerecht.
In Teilen Chinas kommen daher schon heute Pflegeroboter zum Einsatz. „Intelligente Pflege“ heißt das Schlagwort. Sprich: Mithilfe moderner Technologien sollen Pflegekräfte und Angehörige entlastet und den Betroffenen gleichzeitig ein würdiger und lebenswerter Lebensabend zu Hause ermöglicht werden.
Technischer Helfer: In diesem Seniorenzentrum im Hangzhouer Westsee-Bezirk übernimmt ein Pflegeroboter die Blutdruckmessung. (Foto: 12. März 2025)
Hightech statt Rollator
Wenn Frau Wang wandern geht, wird sie meist zu einer kleinen Attraktion. Die rüstige 60-Jährige ist im berühmten Taishan-Gebirge unterwegs. Und zwar mit ihrer smarten Gehhilfe, was für jede Menge neugierige Blicke sorgt. Denn mit ihrem futuristischen Gerät mutet die Rentnerin fast wie ein Cyborg aus einem Science-Fiction-Streifen an. Bei der Gehhilfe, mit der die Seniorin unterwegs ist, handelt es sich um einen sogenannten Exoskelett-Roboter, ein technologisches Hilfsmittel für Patienten mit eingeschränkter Mobilität.
„Diese Hightech-Ausrüstung hilft älteren Menschen wie mir, die Schwierigkeiten beim Stehen und Gehen haben, sich sicher zu bewegen“, schwärmt die Seniorin. „Das System ist wirklich clever! Über eine App kann man die Unterstützungsstufe des Roboters kinderleicht anpassen“, erklärt Wang, während sie ruckzuck einige Parameter auf ihrem Handy einstellt. „Ich hätte nie gedacht, dass die Bedienung so intuitiv und einfach sein würde, wie ein exklusiver Bergsteiger-Assistent, der bei jedem Schritt genau die richtige Unterstützung bietet“, zeigt sich die Rentnerin begeistert.
Entwickelt hat das Exoskelett die Firma Kenqing Technology aus Shenzhen. Die Hightech-Gehilfe erleichtert Senioren das Wandern und Spazierengehen. „Für das Taishan- Gebirge haben wir bereits 500 solcher Bergsteiger-Assistenten vorbereitet. Und die Besucher nehmen das Angebot begeistert an“, berichtet Yu Yunbo, der Geschäftsführer der Firma. „Exoskelett-Roboter werden mit Schlüsseltechnologien wie ergonomischem Design, Bewegungserkennung und selbstlernender KI ausgerüstet, die die Bewegungsmuster in Echtzeit verfeinert“, erklärt er.
Auch in der Altenpflege wird den Robotern in Zukunft eine wichtige Rolle zukommen, prophezeien Experten. Erst kürzlich hat die Technische Universität Hebei einen neuen humanoiden Pflegeroboter vorgestellt. Unter Anleitung eines Ingenieurs ist der technische Helfer in der Lage, mit seinen extralangen Armen eine pflegebedürftige Person vom Bett aus in einen Rollstuhl umzusetzen.
Lösungen für die Pflege von morgen? Aussteller zeigen auf der Welt-KI-Konferenz 2025 in Shanghai ihre neuesten Begleitroboter. (Foto: 27. Juli 2025)
Liu Jixiao, Professor an der Fakultät für Maschinenbau der Universität, erklärt, die beiden Greifarme des Roboters könnten eine Gesamtlast von 90 Kilogramm stemmen. „Damit ist dieser technische Altenpfleger in der Lage, die meisten Senioren stabil und sicher zu heben“, sagt er. Parallel dazu verfüge jedes Gelenk des Roboters über zwei Freiheitsgrade und könne sich flexibel beugen und drehen, ähnlich wie beim Menschen. „Dadurch ist es uns gelungen, die Beweglichkeit der mechanischen Arme deutlich zu verbessern, ohne die Tragfähigkeit einzuschränken“, erzählt Liu stolz.
Neben intelligenten Pflegerobotern kommen in vielen chinesischen Altenheimen inzwischen auch sogenannte Begleitroboter zur Anwendung. Mit ihren vielfältigen interaktiven Funktionen werden sie zur wandelnden Jukebox, zum Spiele-Buddy und sogar Gesprächspartner. Sie sind in der Lage, mit älteren Menschen zu plaudern, klassische chinesische Opern oder alte Volkslieder abzuspielen und Brettspiele zu spielen, was den Lebensabend der Senioren erfüllter macht und ihnen ein Stück weit die Einsamkeit nimmt.
Nach jüngsten Daten des chinesischen Statistikamtes lag die Zahl der über 60-Jährigen in China Ende vergangenen Jahres bei 310 Millionen – das sind rund 22 Prozent der Gesamtbevölkerung des Landes. Branchenkenner sehen in der zunehmenden Alterung der Bevölkerung letztlich große Geschäftschancen. „Derzeit erleben wir einen echten Boom bei Pflegerobotern, was für unsere Branche natürlich äußerst positiv ist“, sagt Bi Yalei, Generalsekretär des Roboterverbands der Stadt Shenzhen. „Es gibt aktuell einen dringenden Bedarf an Robotern zur Unterstützung beim Baden, Essen und Gehen. In naher Zukunft haben daher Lösungen, die genau diese Schwachstellen in der Altenpflege adressieren, große Marktchancen“, sagt er.
China initiiert internationale Norm für Pflegeroboter
Für eine bessere Integration der Pflegeroboter in den Alltag ist eine standardisierte Herstellung und Anwendung notwendig. Im Februar 2025 hat die Internationale Elektrotechnische Kommission (IEC) daher die von China federführend ausgearbeitete internationale Norm für Altenpflegeroboter veröffentlicht. Die Norm bietet Maßstäbe für die Produktentwicklung, Herstellung, Prüfung und Zertifizierung verschiedener Pflegerobotertypen und soll das nachhaltige Wachstum der globalen Altenpflege-Robotikindustrie unterstützen.
Mehr Mobilität dank Exoskelett: Dieser Besucher des Shenzhener Wildtierparks freut sich über einen größeren Bewegungsradius. (Foto: 17. März 2025)
Die funktionalen Leistungskriterien für Pflegeroboter konzentrieren sich auf die Alltags- und Gesundheitsbedürfnisse älterer Menschen. Neben allgemeinen Anforderungen wie Benutzerfreundlichkeit, Zuverlässigkeit, Zugänglichkeit, Energieverbrauch und Geräuschpegel legt die Norm auch technische Anforderungen für verschiedene Dienste fest.
Zu diesen Diensten gehören etwa die Überwachung des Gesundheitszustands und die Erkennung von Notfällen, aber auch die Erleichterung der Kommunikation mit Familienangehörigen und medizinischem Fachpersonal. Auch bieten die Roboter Unterstützung bei Hausarbeit und alltäglichen Aufgaben, sorgen für Unterhaltung, übernehmen Pflegetätigkeiten und unterstützen die Mobilität bei Aktivitäten im Freien. Informations- und Datenmanagement gehören ebenfalls zur Servicepalette.
„Mit seiner großen älteren Bevölkerung ist China nun einer der größten Pflegemärkte der Welt. In diesem Zusammenhang kann China viele wertvolle Praxisszenarien für die Entwicklung, Prüfung und Anwendung von Altenpflegerobotern bieten“, sagt Ma Dejun, Hauptautor der besagten internationalen Standards. „Dank der hiesigen starken politischen Unterstützung hat China in Schlüsseltechnologien wie Robotik, KI und Internet der Dinge bemerkenswerte Fortschritte erzielt und verfügt heute über leistungsfähige technologische Grundlagen und eine entsprechende industrielle Infrastruktur“, lobt er. Dass die genannte internationale Norm unter chinesischer Leitung entwickelt worden sei, bilde eine Chance dafür, dass Chinas Pflegerobotik international an Boden gewinne, so der Branchenkenner.
Die Norm kann entscheidend dazu beitragen, dass Hersteller bei der Konzeption und Entwicklung ihrer Produkte noch besser auf die physiologischen und psychologischen Bedürfnisse älterer Menschen eingehen, was am Ende für höherwertige Produkte sorgen dürfte. Außerdem wird erwartet, dass die neuen Standards die soziale Integration älterer Menschen fördern und Vorteile für die alternde Bevölkerung weltweit bringen.
Am 6. November 2024 testen Besucher auf der 7. China International Import Expo in Shanghai Exoskelett-Roboterausrüstung.
Wann kommt der Masseneinsatz?
Obwohl Pflegeroboter mit unterschiedlichen Funktionen schrittweise ihren Dienst antreten, stecken sie im Bereich der häuslichen Altenpflege bislang noch in den Kinderschuhen. Ein Hauptgrund dafür ist der hohe Preis, der viele Senioren und ihre Angehörigen abschreckt. In Bezug auf die Kosten zeigt sich: Ein intelligenter Roboter mit Funktionen wie Sprachinteraktion und medizinischer Beratung kostet heute beispielsweise noch über 140.000 Yuan. Für einen Baderoboter muss man im Schnitt zwischen 30.000 und 50.000 Yuan hinblättern. Und je nach Modell liegt der Preis für ein Exoskelett zwischen mehreren zehntausend und einigen hunderttausend Yuan.
Die entscheidende Frage lautet daher: Wie lassen sich Pflegeroboter so erschwinglich machen, dass sie nicht nur eine Hightech-Vision bleiben, sondern ihren Weg in den Lebensalltag finden? Experten bringen hier etwa ein Mietmodell ins Gespräch. Es könnte dazu beitragen, die Hürde für den breiten Einsatz der technischen Helfer zu senken. Entsprechend schickt ein Shanghaier Unternehmen schon heute ein innovatives Mietmodell ins Rennen: Für eine monatliche Gebühr von rund 1000 Yuan können Familien KI-gestützte Pflegedienste in Anspruch nehmen.
Zudem fordern Experten, die staatlichen Zuschüsse für Pflegeroboter zu erhöhen. „Mit staatlicher Förderung und Rabatten seitens der Unternehmen lässt sich der Preis von mit DeepSeek ausgestatteten Begleitrobotern, wie sie derzeit etwa in Xi’an erhältlich sind, auf 15.000 Yuan senken“, erklärt Kong Dehu, Geschäftsführer eines Technologieunternehmens aus Shaanxi.
Bei einigen Schlüsseltechnologien aber lassen Durchbrüche noch auf sich warten. Laut Ni Chidan, dem Präsidenten der Shenzhener Gesellschaft zur Förderung der Altenpflegedienste, bedürfe es für eine bessere Anpassung an die Pflegebedürfnisse einer stärkeren Spezialisierung der Roboter. „Darüber hinaus gilt es, die Servicequalität durch sogenanntes ,emotional computing‘ menschlicher zu gestalten, um das Interaktionserlebnis zu verbessern“, sagt Ni.
Auch während der diesjährigen „Zwei Tagungen“ in Beijing stand die Verbesserung der Pflegequalität im Fokus – sowohl realer Pflegekräfte als auch pflegender Roboter. Zur aktiven Reaktion auf die Bevölkerungsalterung hat Chinas Regierung angekündigt, die Politik und Mechanismen zur Entwicklung von Altenpflegeprogrammen und Pflegeindustrie weiter zu optimieren. Ziel sei es, die Seniorenwirtschaft mit Nachdruck zu entwickeln, heißt es im Tätigkeitsbericht der Regierung für das Jahr 2025.
„In China werden etwa 90 Prozent der älteren Menschen zu Hause gepflegt. Deshalb sollte die Entwicklung von Heimrobotern einen Schwerpunkt der politischen Maßnahmen bilden“, rät Zhang Yunquan, politischer Berater sowie Forscher am Institut für Computertechnologie der Chinesischen Akademie der Wissenschaften. Zhang hofft, dass die Entwicklung solcher Roboter in den 15. Fünfjahresplan aufgenommen wird, sodass bis 2030 in China Cluster für die Pflegeroboterindustrie sowie Hightech-Innovationszentren mit weltweitem Einfluss entstehen. Erste Weichen hierfür wurden jedenfalls bereits gestellt.