Die China-Reise von Macron und von der Leyen verstärkte die ohnehin bereits sehr guten chinesisch-europäischen Beziehungen weiter, nachdem zuvor bereits Bundeskanzler Olaf Scholz, EU-Ratspräsident Charles Michel und der spanische Premierminister Pedro Sánchez nach China gereist waren. In diesem Jahr wird der 20. Jahrestag der Einrichtung einer „umfassenden strategischen Partnerschaft“ zwischen China und der EU begangen. Die Sprecherin des chinesischen Außenministeriums, Mao Ning, sagte, der jüngste herzliche Austausch zwischen China und Europa zeige, dass trotz einiger Unterschiede zwischen den beiden Seiten weiterhin ein starker Wunsch nach Kommunikation und Austausch bestehe und umfassende und tiefe gemeinsame Interessen vorhanden seien.
Macron und von der Leyen werden allerdings als Vertreter zweier unterschiedlicher Ansätze in der China-Politik der europäischen Staats- und Regierungschefs angesehen. Während Macron die harte Linie der Biden-Regierung gegenüber China deutlich kritisiert, wirbt von der Leyen für das Konzept des sogenannten europäischen „De-Risking“ gegenüber China. Diese Risikominderung gilt als eine gemäßigtere Version der „Abkopplung“ (De-Coupling) der USA. Der gleichzeitige China-Besuch der beiden europäischen Spitzenpolitiker spiegelt einerseits den Willen der EU wider, dass die EU in ihrer China-Politik mit einer einheitlichen Stimme spricht. Andererseits deutet er auch darauf hin, dass Frankreich sich dafür einsetzt, innerhalb der EU eine führende Rolle einzunehmen.
Entwicklung der chinesisch-europäischen Beziehungen verläuft ohne Einmischung anderer
Xi betonte in den Gesprächen, dass die chinesisch-europäischen Beziehungen nicht auf Dritte ausgerichtet, von ihnen abhängig oder ihnen unterworfen seien. China habe seine Beziehungen mit der EU stets aus einer strategischen und langfristigen Perspektive heraus betrachtet und seine Politik gegenüber Europa auf Stabilität und Kontinuität ausgerichtet.
Die europäischen Vertreter betonten ihrerseits erneut die Unabhängigkeit der EU bei der Entscheidung über ihre China-Politik und die gegenseitige Betrachtung als wichtige Handelspartner. Ferner sprachen sie sich eindeutig gegen jegliche Abkopplungsgedanken oder ein Aufbrechen der globalen Lieferketten aus.
Während des Besuchs sprachen sich beide Seiten gemeinsam für die Fortsetzung und sogar eine Vertiefung der Dialogmechanismen in den Bereichen Handel und Wirtschaft, Menschenrechte und Klima aus und bekundeten damit ihre Bereitschaft, ihre Politik in verschiedenen Bereichen noch besser aufeinander abzustimmen und das gegenseitige Verständnis und die Zusammenarbeit somit zu fördern.
In einem Artikel von Reuters vom 6. April hieß es, dass die jüngste Reihe von Gesprächen zwischen der chinesischen und der europäischen politischen Führung einen neuen Weg zur Wiederbelebung der europäisch-chinesischen Beziehungen eröffnen könnte.
Der Mangel an strategischer Kommunikation zwischen China und Europa in den letzten drei Pandemiejahren hatte die bestehenden Differenzen in vielen Fragen vergrößert und das Missverständnis Europas gegenüber China vertieft. Dies hat in der Folge zu einer Art „Entgleisung“ der chinesisch-europäischen Beziehungen geführt, was jedoch auch eng mit der US-Politik gegenüber China zusammenhängt. Denn Chinas Aufstieg in den letzten Jahren hat auch dazu geführt, dass die USA, die seit jeher an einer Nullsummenspiel-Mentalität festhalten, China als Feind betrachten. Insbesondere seit dem Ausbruch der Pandemie haben die Vereinigten Staaten große Anstrengungen unternommen, um Chinas Entwicklung einzudämmen. Diese signifikante Verschlechterung der chinesisch-amerikanischen Beziehungen hat sich nicht nur auf beide Länder ausgewirkt, sondern auch auf die Haltung Europas gegenüber China.
Nachdem die EU im Jahr 2019 ihre Beziehungen zu China erstmals mit den drei Begriffen „Partner, Wettbewerber und Rivale“ beschrieben hatte, wurden auch in Europa vermehrt irrationale Stimmen laut, die eine „Abkopplung“ von China forderten. Seit der Ukraine-Krise im Februar 2022 haben sich die Krisen, vor denen Europa steht, jedoch abermals verschärft. Auch innerhalb Europas werden die Rufe nach Unabhängigkeit (vor allem von den USA) nun immer lauter. Frankreichs Präsident Macron war schon immer ein starker Befürworter der europäischen Unabhängigkeit. Denn für die EU bringt eine unabhängige China-Politik auch die Chance mit sich, sich vom zu starken Einfluss der USA zu befreien.
Am Nachmittag des 5. Aprils traf Macron mit einer Wirtschaftsdelegation von mehr als 60 Personen in Beijing ein, um seinen Staatsbesuch in China zu beginnen. Reuters berichtete, dass Macron in seiner Rede in Chinas Hauptstadt versucht habe, Behauptungen über eine „unvermeidliche Spirale“ der Spannungen zwischen China und dem Westen zu widerlegen. Europa müsse sich gegen Worte und Handlungen wehren, die den Handel und die diplomatischen Beziehungen mit China beeinträchtigen, so Frankreichs Staatschef. Angesichts der guten chinesisch-russischen Beziehungen sei es überdies unerlässlich, den Dialog mit China aufrechtzuerhalten.
Am 7. April gab Macron auf dem Rückweg von seiner China-Reise Politico und zwei französischen Journalisten ein Interview. Laut einem Bericht von Politico vom 9. April mit dem Titel „Macron sagt, Europa muss dem Druck widerstehen, ein‚Gefolgsmann der Vereinigten Staaten‘zu werden“ (Originaltitel: „Europe must resist pressure to become ‘America’s followers,’ says Macron“) betonte Macron in dem Interview die Wichtigkeit einer europäischen „strategischen Autonomie“. Er argumentierte demnach, dass Frankreich die Umsetzung dieser Theorie anführen und so zur „dritten Supermacht“ werden könnte. Europa müsse seine Abhängigkeit von den USA verringern und vermeiden, in eine Konfrontation zwischen den USA und China über die Insel Taiwan verwickelt zu werden. Ganz ähnlich hatte sich Macron auch auf einem Flug von Beijing nach Guangzhou geäußert. Seiner Meinung nach besteht für Europa die große Gefahr, in die Krise eines anderen Landes verwickelt zu werden, was wiederum die Entwicklung der eigenen strategischen Autonomie beeinträchtigen würde.
Die französische Zeitung Le Figaro erklärte am 6. April, dass Frankreich, Deutschland, die EU und andere europäische Länder weiterhin einen Dialog mit China führen würden, womit sie sich deutlich von dem konfrontativen Ansatz unterscheiden würden, den die USA in den letzten Jahren gegenüber China verfolgt hätten. Auch in einem Artikel von La Croix hieß es, dass Macrons Besuch in China eine Rückkehr zum Modell der „strategischen Autonomie“ der Diplomatie darstelle.
Ukraine-Krise wird die chinesisch-europäischen Beziehungen nicht beeinträchtigen
Die beiden Staatschefs und die EU-Kommissionschefin tauschten in ihren Gesprächen auch ihre Ansichten über die Krise in der Ukraine aus.
Xi betonte, dass China seinen Standpunkt stets unabhängig und auf der Grundlage der Sachlage selbst festgelegt habe. Chinas Herangehensweise an die Ukraine-Frage sei, alle Seiten an den Verhandlungstisch zu bringen. China fordere deshalb alle Parteien auf, ruhig und vernünftig zusammenzuarbeiten, um die Voraussetzungen für Friedensgespräche zu schaffen. Die dringendste Aufgabe bestehe darin, einen Waffenstillstand zu fördern und den Krieg zu beenden und nicht noch weiteres Öl ins Feuer zu gießen.
Bei der Krise in der Ukraine handele es sich jedoch um keine Angelegenheit zwischen China und Europa, stellte Xi gleichzeitig klar. China werde weiterhin eine aktive Rolle dabei spielen, auf Frieden zu drängen und Gespräche zu fördern, und die europäische Seite dabei unterstützen, auf Grundlage ihrer eigenen grundlegenden und langfristigen Interessen Ideen und Vorschläge für eine politische Lösung der Ukraine-Krise zu unterbreiten. Auch unterstütze China den Aufbau eines ausgewogenen, effektiven und nachhaltigen europäischen Sicherheitsrahmens.
Von der Leyen und Macron vertraten den Standpunkt der europäischen Seite, dass China nicht der Verursacher der Ukraine-Krise sei. Die europäische Seite schätze die Bemühungen Chinas, eine politische Lösung der Ukraine-Krise zu fördern, und erwarte, dass China zukünftig eine noch wichtigere Rolle spielen werde. China und Europa seien beide Verfechter des Multilateralismus und befürworteten gemeinsame Antworten auf globale Herausforderungen. Dies stelle auch die globale Bedeutung dar, die für die weitere Entwicklung der chinesisch-europäischen Beziehungen bestehen.
China hat sich stets für einen echten Multilateralismus und das Konzept der „Global Governance“ eingesetzt, und ist bereit, die Koordinierung und Zusammenarbeit mit Europa in multilateralen Angelegenheiten zu verstärken. China und die EU verfügen über ein breites Spektrum an Möglichkeiten zur Vertiefung der Zusammenarbeit in Bereichen wie Klimawandel, biologische Vielfalt, Nichtverbreitung von Kernwaffen, globale Gesundheit und Stabilität im weltweiten Finanzsektor und sollten ihre zukünftigen Bemühungen auf der derzeitigen fruchtbaren Zusammenarbeit aufbauen. Gemeinsam sollten beide eine führende Rolle bei der Wahrung des Multilateralismus, der Stärkung der Global Governance und der Bewältigung globaler Herausforderungen spielen und somit gemeinsam den Weltfrieden und die globale Entwicklung fördern.