Die alljährlichen „Zwei Tagungen“ in Beijing haben gerade begonnen und eines der Schlagworte, das man ständig hört, ist „Produktivkräfte neuer Qualität“. Was genau dahinter steckt und warum sich auch Länder wie Deutschland über Chinas Streben nach einem qualitativ hochwertigen Wachstum freuen sollten, wird im Folgenden erläutert.
Die schlimme COVID-19-Pandemie in den Jahren 2020 bis 2023 ging an Chinas Wirtschaft nicht ohne Auswirkungen vorbei. Die Wachstumsraten litten spürbar an den direkten Folgen der Seuche, die sich in Produktionsstopps und Lieferkettenunterbrechungen niederschlugen. Anders als im Rest der Welt ist in China allerdings nur circa ein Jahr nach Ende der Pandemie mittlerweile wieder eine deutliche Erholung festzustellen. Im letzten Jahr wuchs Chinas Bruttoinlandsprodukt (BIP) wieder um 5,2 Prozent und für dieses Jahr hat Ministerpräsident Li Qiang am Montag bei der Eröffnung des Nationalen Volkskongresses (NVK) das Wachstumsziel von „ungefähr 5 Prozent“ verkündet. Wie schafft es China angesichts der immer noch schwächelnden Weltwirtschaft wieder auf Kurs zu kommen?
Produktionskräfte neuer Qualität
Wie immer bei solch komplexen makroökonomischen Entwicklungen sind die Gründe vielfältig: Neben dem immer noch riesigen Verbrauchermarkt, dem guten Ansehen bei internationalen Investoren (nicht zuletzt dank der kontinuierlichen Öffnung) oder der gut durchdachten politischen Unterstützung in Form von gezielten Konjunkturmaßnahmen rückt allerdings ein Faktor immer stärker in den Fokus: die Kultivierung von „Produktionskräften neuer Qualität“. Mit diesem Schlagwort wird eine Unterscheidung zwischen traditionellen Produktionsmitteln und solchen, die primär auf Innovation und modernen Technologien basieren, vorgenommen. Diese neuen Wachstumsmotoren zeichnen sich in der Folge durch High Tech, hohe Effizienz, hohe Qualität und im Endergebnis eine erhebliche Steigerung der totalen Faktorproduktivität (TFP) aus, womit sie ideal im Einklang mit Chinas Entwicklungsphilosophie des hochwertigen Wachstums stehen. Paradebeispiele für diese neuen Wachstumstreiber sind unter anderem die E-Mobilität oder Umwelttechnologien – beides unverzichtbar, um die „doppelten CO2-Ziele“ zu erreichen, mit denen China einen enormen Beitrag im globalen Kampf gegen den Klimawandel leisten wird. Hinzu kommen noch Sektoren wie Digitalisierung, künstliche Intelligenz (KI) oder autonomes Fahren.
Fokus auf Forschung und Bildung
China hat früh erkannt, dass ein zukunftsfähiges Wirtschaftsmodell nicht mehr primär auf traditionellen Sektoren wie Immobilien oder Benzin-Kraftfahrzeugen fußen kann. Stattdessen hat die politische Führung rechtzeitig die Priorität auf Forschung und Entwicklung (F&E) und die Kultivierung von modernen und nachhaltigen Technologien gelegt. Nach Angaben des Staatlichen Amts für Statistik sind Chinas Gesamtausgaben für F&E im Jahr 2023 um 8,1 Prozent auf über 3,33 Billionen Yuan (424 Milliarden Euro) gestiegen, wobei ein großer Fokus mittlerweile auf der Grundlagenforschung liegt. In Deutschland beträgt diese Zahl 148 Milliarden Euro. Dieser Fokus spiegelt sich mittlerweile auch direkt in der Forschung wider. So waren 2023 elf chinesische Universitäten in der Top 100-Liste des „Academic Ranking of World Universities“ vertreten, 16 der besten 25 Universitäten im „CWTS Leiden Ranking“ kamen 2023 aus China und auch das neueste Ranking des renommierten „Nature“-Fachmagazins wird von China dominiert: Die Chinese Academy of Sciences (CAS) steht mit 7.565 Publikationen auf Rang 1 – auf Platz 2 folgt Harvard mit weniger als der Hälfte (3.620). In den Top 10 sind u.a. außerdem noch die Nanjing- und die Peking-Universität.
Gut für China, gut für die Welt
Dass diese Erfolge nicht nur theoretischer Natur bleiben, sondern getreu der Vorgabe im Arbeitsbericht („den Kreislauf von Produktion, Bildung, Forschung intakt halten“) auch in praktischen Fortschritt umgemünzt werden, beweist wahrscheinlich der Bereich der E-Mobilität am besten. Bald können sich internationale Besucher davon auch wieder selbst ein Bild machen, wenn im April auf der Shanghaier Automesse in der ostchinesischen Metropole die neuesten Elektroautos aus chinesischer Produktion präsentiert werden. Im letzten Jahr wurden in China insgesamt 9,5 Millionen E-Autos verkauft, was einem Anstieg von 37,9 Prozent im Vergleich zu 2022 sowie einem Anteil von mehr als 31,6 Prozent an den gesamten Fahrzeugverkäufen in ganz China entspricht: Das heißt, jedes dritte verkaufte Auto in China war ein Elektroauto. Bundeskanzler Olaf Scholz, dessen Besuch für Mitte April erwartet wird, wird dieser Trend sicherlich nicht entgehen, wenn er über die Straßen von Beijing oder Shanghai chauffiert wird.
Nicht nur China selbst profitiert von dieser rapiden Entwicklung, denn mittlerweile werden auch zahlreiche E-Autos exportiert: 2023 wurden 4,91 Millionen Fahrzeuge aus chinesischer Produktion ins Ausland geliefert, davon rund 25 Prozent NEVs. Im ersten Quartal des letzten Jahres überholte China Japan als größten Autoexporteur der Welt. Kein Wunder, dass VW in Zukunft noch enger mit seinem chinesischen Partner XPeng zusammenarbeiten will und dafür eine Vereinbarung über die wechselseitige Nutzung von Fahrzeug- und Plattformteilen geschlossen hat. Dies spiegelt auch die Vereinbarung wider, die im vergangenen Juni bei den 7. Deutsch-Chinesischen Regierungskonsultationen getroffen wurde, als man sich auf eine intensivere Zusammenarbeit im Bereich der E-Mobilität verständigte. Es bleibt zu hoffen, dass durch Scholz‘ Besuch ein weiterer Schritt in diese Richtung gemacht wird.
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