Was fällt Ihnen als erstes ein, wenn Sie an die Xinjianger Küche denken? Frische Früchte und Milchtee? Naan, Kebab oder Nudeln? Alles richtig. Aber wären Ihnen jemals auch aquatische Produkte in den Sinn gekommen? Nein? Dann wird es Zeit, alte Klischees über Bord zu werfen. Denn immer mehr Lachs, Tintenfisch, Krabben und Hummer, der auf den Tellern der Chinesen im ganzen Land landet, stammt nicht etwa aus Fluss- oder Meergewässern, sondern aus Zuchtbecken in Xinjiang! Und mehr noch: Auch im Ausland erfreuen sich die Aquaprodukte bereits großer Beliebtheit, werden etwa nach Russland oder Singapur geliefert. Stellt sich die Frage: Wie hat Xinjiang, eine Binnenregion weitab des Meeres, all das geschafft?
Reisfeld-Gemälde: Die Krabbenzuchtbasis der Firma Ili Yueran Ecological Agriculture aus der Vogelperspektive.
Aquakulturen an Land
Tatsächlich ist Wassermangel ein reales Problem in Xinjiang. Doch er wiegt längst nicht so schwer, wie viele meinen. De facto findet sich hier nämlich mit dem Tarim der größte Binnenfluss Chinas. Hinzu kommt der Irtysch, der einzige Fluss Chinas, der in den Arktischen Ozean mündet. Xinjiang hat also eine Wasserfläche von insgesamt über 7600 Quadratkilometern. Das Schmelzwasser hier ist von bester Qualität. Und dank seiner niedrigen Temperatur ist es bestens für die Kaltwasserfischzucht geeignet. Die mehr als 500 Arten von Kleinstorganismen in den Gewässern liefern den Fischen ausreichend Nahrung.
Untersuchungen haben gezeigt, dass einige Seen Xinjiangs einen höheren Salzanteil als Meerwasser haben. Unter Ergänzung des Mineralienanteils des Meerwassers gelang es, in diesen Gewässern die ökologische Umgebung von Meerwasser nachzubilden, etwa durch Prozesse wie die Zugabe von Mikroorganismen und die Kultivierung von Algen und Bakterien. So wurden große Flächen salzhaltigen Landes in Aquakulturteiche umgewandelt. Das Ergebnis war das Modell der „Meeresfrüchtezucht an Land“, das sich als Erfolgsmodell erweisen sollte.
„2023 haben wir hier auf rund 70 Hektar Reis-Krabben-Feldern über 20 Tonnen Krabben gezüchtet und auf den Markt gebracht. Hochwertige Flusskrebse verkaufen sich für rund 350 Yuan pro Kilogramm“, sagt Guan Xiaoping, Geschäftsführer von Ili Yueran Ecological Agriculture. Seine Firma liegt im Autonomen Kreis Qapqal der Xibe, ein autonomer Kreis im Autonomen Bezirk Ili der Kasachen. Dank geeigneter Klima- und Zuchtbedingungen sowie vielfältiger Unterstützung aus der Provinz Jiangsu, nicht nur finanziell, sondern auch durch Setzlinge und Technologie, ist es dem Betrieb gelungen, ein groß angelegtes Aquakultur-Projekt auf die Beine zu stellen, das erste seiner Art in Xinjiang. Die Bemühungen zahlten sich aus: Die Überlebensrate der Krabbenbrut konnte von anfänglich unter 30 Prozent auf heute über 70 Prozent gesteigert werden, was die Zuchtkosten erheblich gesenkt hat.
Bis dato finden sich in Qapqal mehr als 113 Hektar Reisfelder, auf denen Krebse und Krabben gezüchtet werden. In 33 Hektar an Teichen tummeln sich Krabben, südamerikanische weiße Garnelen und Rochester Garnelen. Anfang 2024 wurden elf Tonnen Krabbeneier in die Zuchtanlagen gesetzt, die hauptsächlich in Teichkulturen und im integrierten Reisanbau gezüchtet werden. Bis Ende des Jahres wird eine Produktion von 110 Tonnen erwartet, wobei sich der jährliche wirtschaftliche Nutzen voraussichtlich auf mehr als 15 Millionen Yuan belaufen wird.
Prachtexemplare: Die Krebse der Aquakulturbasis im Bezirk Qapqal landen als saftige Delikatesse auf Tellern im ganzen Land.
Stetiger Ausbau der Industriekette
„Unsere Meeresprodukte verkaufen wir in mehrere Provinzen und die Geschäfte laufen gut. Insbesondere vor dem Frühlingsfest häufen sich die Bestellungen“, sagt Unternehmer Guan Xiaoping. Um den Lebendtransport zu gewährleisten und so die Ware frisch zu halten, sei für Meeresfrüchte der Luftweg die erste Wahl. Die rasante Entwicklung der Logistik ermögliche es heute, Garnelen und Krabben aus Xinjiang problemlos ins ganze Land zu transportieren. Mit den vergrößerten Zuchtflächen schafft die Industrie heute eine Einnahmequelle für mehr als 100 Landwirte, bei Monatsgehältern über 4500 Yuan.
Guan Xiaoping visiert schon die nächsten Schritte an, um sein Geschäft auszubauen. In Zukunft will er über E-Commerce-Plattformen und Verkäufe per Livestream neue Marktsegmente erschließen. Und mehr noch: Gestützt auf die hervorragende Umgebung der Zuchtbasis und mit Investitionen in Höhe von vier Millionen Yuan plant er, einen ländlichen Freizeit- und Unterhaltungskomplex aufzubauen, rund um die Themen Fischzucht, Fischerei und Outdoor-Erlebnisse.
Im Kaltwasserfischpark des Landkreises Wenquan in der Nähe des Sayram-Sees tummeln sich schon heute jede Menge Zierfische. Dazu zählen beispielsweise Gold- und Regenbogenforellen, Buntlachse, japanische Weißfleckenlachse und amerikanische Rotfleckenlachse. Hier können Touristen Fische nicht nur probieren, sondern sie erfahren in den Ausstellungshallen auch mehr über das Leben und die Aufzucht der Tiere.
Im Kaltwasserfischpark hat sich mittlerweile eine clevere Industriekette für Wasserprodukte herausgebildet, die Saatgutzucht, Bio-Fischzucht, Handelslogistik, Gastronomie und Kulturtourismus miteinander verquickt. Offiziellen Angaben zufolge wurden im vergangenen Jahr 13 Millionen Weißfische im Sayram-See ausgesetzt. Davon verspricht man sich hier eine Jahresproduktion von 450 Tonnen Fisch und Gewinne von bis zu zehn Millionen Yuan.
Ein See im Kreis Qapqal: Hier im Westen Chinas versteht man sich darauf, die Landwirtschaft auch geschickt mit modernem Tourismus zu verbinden.
Sicherer Genuss
Die Beliebtheit der Binnen-Meeresfrüchte aus Xinjiang kommt nicht von ungefähr. Nach der Einleitung nuklear belasteten Kühlwassers durch Japan hat China die Einfuhr japanischer Meeresfrüchte vollständig ausgesetzt. Letztlich machte man aus der Not eine Tugend: Xinjiang hat nun die Chance, seine Wasserprodukte weltweit zu vermarkten.
Ein wichtiger Faktor ist auch: Mit dem gestiegenen verfügbaren Pro-Kopf-Einkommen der Chinesen haben sich auch die Konsumgewohnheiten verändert. Die Menschen sind heute bereit, für Meeresprodukte tiefer in die Tasche zu greifen. Ein Untersuchungsreport prophezeit der chinesischen Meeresfrüchte-Catering-Industrie eine Wachstumsrate zwischen zehn und 30 Prozent. Auch in Zukunft dürfte der Markt Analysten zufolge weiter wachsen. Der China Seafood and Aquaculture Industry Development Status Research and Investment Strategy Analysis Report für die Jahre 2023 bis 2029 schätzt, dass der chinesische Markt für Meeresfrüchte-Catering 2026 ein Volumen von einer Billion Yuan erreichen wird. Laut Statistiken von Xinjiangs Amt für Landwirtschaft und ländliche Angelegenheiten wird die Fischerei-Industriekette in dem autonomen Gebiet schon 2025 einen Produktionswert von etwa 20 Milliarden Yuan erreichen. Das Potenzial ist also noch längst nicht ausgeschöpft.
(Alle Bilder in diesem Artikel wurden mit freundlicher Genehmigung vom Multimediazentrum des Kreises Qapqal zur Verfügung gestellt.)