Von Ma Li
2018 ist ein wichtiges Jubiläumsjahr für China, denn in diesem Jahr jährt sich die Einführung der Reform- und Öffnungspolitik zum 40. Mal. Gleichzeitig wird 2018 auch der 28. Jahrestag der Gründung des neuen Bezirks Pudong in Shanghai gefeiert. Als Fenster der Öffnung nach außen und wichtiges Versuchsgebiet für Chinas Reformen hat sich Pudong in den vergangenen fast drei Jahrzehnten von einem Gebiet mit einfachem Farmland zu einem der modernsten städtischen Bezirke Chinas entwickelt. Kaum ein anderer Stadtbezirk spiegelt die rasante Modernisierung der Volksrepublik und der Stadt Shanghai besser als Pudong.
Seit 1990, dem Gründungsjahr Pudongs, kletterte das BIP des Stadtbezirks von sechs auf 965,1 Milliarden Yuan (Stand 2017) und liegt damit heute 160-mal höher als damals. Die Gesamtfinanzeinnahmen stiegen von 1,1 Milliarde Yuan um das 394-Fache auf 393,8 Milliarden Yuan.
Durch die Etablierung einer Pilotfreihandelszone und die Umsetzung einer Reihe von Maßnahmen zur Anpassung an internationale Regeln wurden in Pudong ein günstiges Entwicklungsumfeld geschaffen und Lösungen für viele hartnäckige Probleme gefunden, die sich im Zuge der Reform und Öffnung stellten.
„Die Tür der Öffnung Chinas wird nicht geschlossen, sondern immer weiter geöffnet“, betonte Chinas Staatspräsident Xi Jinping an verschiedener Stelle. Wie werden sich die Erfahrungen Pudongs hinsichtlich Entwicklung und Reform in Zukunft auf China und die ganze Welt auswirken? Was lässt sich bis heute lernen von der Erfolgsgeschichte Pudongs, nun da sich der Bezirk anschickt, neue Durchbrüche zu erzielen? In diesem und weiteren Schwerpunktberichten sucht „China heute“ Antworten auf diese Fragen.
Den Anfang macht eine Brücke
Vielen Shanghaiern ist der 10. Dezember 1987 noch in schmerzlicher Erinnerung. Damals brach eine Massenpanik auf der Lujiazui-Fähre aus. An jenem Dezembermorgen musste der Fährbetrieb auf dem Huangpu-Fluss, der Shanghai in die Bezirke Pudong (wörtlich „östlich des Pu“) und Puxi („westlich des Pu“) teilt, zunächst stundenlang wegen dichten Nebels ausgesetzt werden. Als die Schiffe endlich wieder ihren Betrieb aufnahmen, drängten Zehntausende Werktätige auf die Fähre, um von Pudong zu ihren Arbeitsstellen in Puxi überzusetzen. Der große Andrang führte zu einer Massenpanik, bei der Dutzende Menschen ums Leben kamen, viele weitere wurden verletzt.
Angesichts des tödlichen Unglücks beschloss die Shanghaier Stadtregierung, eine Brücke über den Huangpu zu bauen, um Pendlern in Zukunft eine Alternative zur Überquerung des Flusses zu bieten. 1988 begannen die Bauarbeiten.
Es war das Jahr, in dem Wei Gensheng, der als Kranführer in Puxi arbeitete, an das andere Flussufer in Pudong umzog, da das Puxi‘er Haus, in dem seine Wohnung lag, aufgrund der neuen Stadtplanung abgerissen werden musste. Damals frotzelte man unter den Einheimischen noch: besser ein Bett in Puxi besitzen als ein ganzes Haus in Pudong.
Doch die Geschichte sollte alle Skeptiker eines Besseren belehren. Denn schnell übertraf die rasante Entwicklung des ehemaligen Vorstadtgebiets alle Erwartungen, nachdem die chinesische Regierung am 18. April 1990 beschlossen hatte, Pudong zu erschließen und nach außen zu öffnen.
In den darauf folgenden Jahren sollten mehr als 20 Brücken über den Huangpu gebaut werden, die die Stadtbezirke Pudong und Puxi bis heute verbinden.
Insgesamt verbesserte sich die Infrastruktur im neuen Stadtbezirk Pudong erheblich. Der Arbeiter Wei wurde Zeuge dieser großen Veränderungen und noch heute hält er manchmal inne, wenn er am Shanghai Tower oder dem Jinmao Tower sowie dem World Financial Center vorbeikommt, die neuen Wahrzeichen seiner Heimatstadt. „Ich war selbst am Aufbau mancher dieser Wolkenkratzer beteiligt“, erzählt er dann stolz. „Für mich ist Pudong wie ein Kind, das vor meinen Augen erwachsen geworden ist.“
Eine folgenreiche, strategische Entscheidung
Wie der Name schon sagt, liegt Pudong am östlichen Ufer des Huangpu. Der Bezirk misst heute eine Gesamtfläche von rund 1200 Quadratkilometern, was einem Fünftel der Gesamtfläche Shanghais entspricht. 5,52 Millionen Menschen und damit ein Viertel der gesamten Stadtbevölkerung leben heute hier.
Vor der Erschließung und Öffnung war Pudong ein verschlafenes Agrargebiet mit nur wenigen Industriebranchen, die zudem in Sachen wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Entwicklung weit hinter Puxi im Westen zurücklagen.
Die Entscheidung, Pudong zu erschließen und für den Markt zu öffnen, markierte letztlich eine wichtige Zäsur in Chinas Reform-, Öffnungs- und Modernisierungsprozess. Sie war von großer strategischer Bedeutung, und zwar vor allem hinsichtlich folgender vier Gesichtspunkte:
Bannerwirkung: In den frühen 1990er Jahren sahen sich Reform und Öffnung mit vielen Herausforderungen konfrontiert. Vor diesem Hintergrund trafen das Zentralkomitee der KP Chinas und der Staatsrat aus strategischer Warte heraus gemeinsam die wichtige Entscheidung zur Erschließung und Öffnung Pudongs, was ein Banner für die Erweiterung der chinesischen Reform und Öffnung gesetzt hat. Diese Entscheidung unterstrich Chinas Entschlossenheit zur Förderung der Reform und Öffnung und das Vertrauen von Partei und Regierung in deren Erfolg.
Wichtige Trumpfkarte: Schon Deng Xiaoping, der Chefarchitekt der Reform und Öffnung, wies einst darauf hin, dass es von grundlegender Bedeutung sei, Shanghai zu entwickeln. „Shanghai ist eine Trumpfkarte. Durch die Entwicklung Shanghais werden wir den kürzesten Weg nehmen“, betonte er. Durch die Erschließung und Öffnung Pudongs ist es China gelungen, das Potential dieser Trumpfkarte voll zu entfalten und eine wichtige Plattform zu schaffen, über die China die großen Chancen wahrnehmen konnte, die sich aus der Umgestaltung der globalen Industriestruktur und Arbeitsteilung ergaben, um sich stärker in die wirtschaftliche Globalisierung zu integrieren.
Führungsrolle: Durch die gezielte Entwicklung Pudongs beschleunigte Shanghai seinen Übergang von einer alten Industrie- und Handelsstadt zu einem modernen Wirtschaftszentrum, was zudem die integrierte Entwicklung der Regionen entlang dem Jangtse stark förderte. Dadurch wurden der Entwicklungsspielraum Shanghais erweitert, die Verteilung der Industriebranchen optimiert und die Stadtfunktionen verbessert. Die Folge war, dass sich Shanghai völlig aus seiner schwierigen Lage der 1980er Jahre befreien konnte.
Demonstrationsgebiet: Staatspräsident Xi Jinping wies während einer Inspektionsreise nach Pudong im Jahr 2010 darauf hin, dass die Bedeutung der Erschließung und Öffnung Pudongs letztlich darin liege, dass das Gebiet als ein Fenster, ein Vorbild, ein Pionier und ein Demonstrationsgebiet fungiere. Seit dem XVIII. Parteitag hat Chinas Staatspräsident eine Reihe neuer Anweisungen zur Entwicklung der südostchinesischen Metropole erteilt. Dabei unterstrich er, dass die Pilotfreihandelszone Shanghai ihre Rolle als Testfeld für die umfassende Vertiefung der Reform und Öffnung im ganzen Land voll und ganz zur Entfaltung bringen sollte. Xis Anweisungen folgend führten die Verantwortlichen in Pudong eine Reihe mutiger Reformen durch und realisierten eine Reihe institutioneller Neuerungen, die sich auch auf andere Teile Chinas übertragen lassen. Dadurch hat Pudong neue Wege für die weitere Reform und Öffnung geebnet und zudem reichlich nützliche Erfahrungen dafür gesammelt.
Drei Entwicklungsphasen in knapp drei Jahrzehnten
Durch die Reform und Öffnung hat Pudong neue Lebenskraft gewonnen. Heute gilt der Vorzeigebezirk als Symbol der chinesischen Reform und Öffnung sowie als Inbegriff der Modernisierung Shanghais.
In 28 Entwicklungsjahren hat Pudong bemerkenswerte Erfolge in der Entwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft erzielt. Die Gesamtwirtschaftsleistung der Stadt stieg zwischen 1990 und 2017 im Durchschnitt jährlich um 15,1 Prozent. Das durchschnittliche verfügbare Pro-Kopf-Einkommen der Stadtbewohner knackte im vergangenen Jahr die 60.000-Yuan-Marke, noch einmal ein Anstieg um das 3,1-Fache im Vergleich zu 2003. Die Gesamtinvestitionen in Anlagevermögen beliefen sich auf 2,3 Billionen Yuan. All dies sind Zahlen, die für sich sprechen. Die Entwicklung Pudongs ist damit ein wichtiges Zeugnis für die Erfolge von Chinas Reform und Öffnung.
Die 28 Jahre, die seit der Gründung des Bezirks vergangen sind, lassen sich in drei Phasen unterteilen: Die erste Phase dauerte von 1990 bis 2000. Während dieses ersten Jahrzehnts spielte Pudong eine führende Rolle bei der Öffnung und erlebte Jahr für Jahr große Veränderungen. Vor allem machte der Bezirk mit einem starken Wirtschaftswachstum auf sich aufmerksam. Pudong war der erste Bezirk Chinas, der eine Finanz- und Handelszone, eine Exportverarbeitungszone und eine Zollfreizone errichtete. Darüber hinaus war Pudong das erste Gebiet Chinas, in dem sich ausländische Banken und mit ausländischem Kapital finanzierte Versicherungsgesellschaften ansiedelten. Solche Bemühungen dienten als wichtige Vorbereitungen sowie Stresstest für den bevorstehenden WTO-Beitritt Chinas.
Die zweite Phase verlief von 2000 bis 2012, bis zur Tagung des XVIII. Parteitages also. In diese Zeit fiel Chinas WTO-Beitritt und das Land war Gastgeber der Shanghai World Expo. Pudong ergriff beherzt die Chancen, die diese wichtigen Großereignisse boten, um die Öffnung weiter zu beschleunigen, was wiederum die Reform und die lokale Entwicklung vorantrieb.
Pudong war das erste Gebiet Chinas, das die umfassende und integrierte Reform einführte. Darüber hinaus bemühte sich der Bezirk darum, den Aufbau von „vier wichtigen Funktionsbereichen“ der Stadt Shanghai zu fördern, um so grundlegende Dienstleistungen für die Shanghai World Expo bereitzustellen.
In diesen zwölf Jahren spielte Pudong eine wichtige Vorreiterrolle bei der Reform des sozialistischen Marktwirtschaftssystems, der Umwandlung der Regierungsfunktionen und der koordinierten Entwicklung von Stadt und Land. Diese Fortschritte haben stark dazu beigetragen, dass Shanghai zu einem internationalen Wirtschafts-, Finanz- und Handelszentrum aufgestiegen ist. Im Jahr 2009 genehmigte der Staatsrat, den benachbarten Bezirk Nanhui in den neuen Bezirk Pudong einzugliedern, um Pudong noch größeren Entwicklungsspielraum zu geben.
Die dritte Phase begann mit der Einberufung des XVIII. Parteitags im Jahr 2012 und dauert bis heute an. In dieser neuen Phase wurde die umfassende Reform und Öffnung weiter vertieft und die innovationsgetragene Entwicklung gefördert. 2013 wurde in Pudong Chinas landesweit erste Pilotfreihandelszone etabliert. Darüber hinaus wurden in den Bereichen Investition, Handel, Finanzwesen und Aufsicht grundlegende institutionelle Innovationen entfaltet. Große Anstrengungen wurden zudem unternommen, um Shanghai zu einem Zentrum für Wissenschaft und technologische Innovationen von Weltklasse aufzubauen. Die Fähigkeit der Metropole zur selbstständigen Innovation wurde ständig erhöht und Qualität und Effizienz der Entwicklung wurden stetig verbessert. So konnten die Fähigkeiten der Stadt als Vertreter Chinas bei der Beteiligung an der internationalen Zusammenarbeit und am internationalen Wettbewerb in Wissenschaft und Technologie stark verbessert werden.
Der neue Bezirk Pudong, der ein Fünftel der Gesamtfläche Shanghais ausmacht und in dem derzeit ein Viertel ihrer Bevölkerung lebt, erwirtschaftet heute ein Drittel des BIP der Metropole. Es gab viele Premieren auf diesen ehemals unfruchtbaren Ackerflächen, wo heute moderne Hochhaustürme in die Lüfte ragen: Hier entstand Chinas erste Finanz- und Handelszone Lujiazui, Chinas höchstes Gebäude (Shanghai Tower), Chinas erstes Zollfreigebiet Waigaoqiao, die erste Börse Chinas (Shanghai Stock Exchange), das erste von China produzierte Passagierflugzeug (C919), das erste umfassende nationale Wissenschaftszentrum Zhangjiang, der größte Tiefwasserhafen der Welt (Yangshan) und Chinas erste Behörde für Übersee-Talente.
Als ein neuer Stadtbezirk, der aus der Reform und Öffnung geboren und mit ihr erwachsen geworden ist, wird Pudong alles daran setzen, auch in Zukunft eindrucksvolle Erfolge zu erzielen und noch größere Beiträge für die weltweite Entwicklung zu leisten.