Von Dang Xiaofei
Produkte „Made in China“ finden sich heute fast überall auf der Welt in den Verkaufsregalen. Pharmazeutika und medizinische Produkte aus dem Reich der Mitte aber werden noch immer kaum ins Ausland exportiert. Vor allem in den USA wird man nach ihnen vergeblich suchen. Die wenigen chinesischen Unternehmen, die bisher Zugang zum amerikanischen Markt haben, lassen sich bisher an zwei Händen abzählen.
Aber langsam scheint sich das Blatt zu wenden. Vor kurzem haben wir der Stadt Lianyungang, die in der südostchinesischen Provinz Jiangsu liegt, einen Besuch abgestattet. Als „Pharmaceutical Valley“, das „Silicon Valley“ der Pharmabranche also, hat sich der Ort in China landesweit einen Namen gemacht. Denn in der chinesischen Kleinstadt haben sich zahlreiche pharmazeutische Unternehmen angesiedelt. Durch ihre Innovationsleistung hat sich die Stadt zum größten Forschungs- und Produktionszentrum für Anti-Tumor-Medikamente, Medikamente für chirurgische Eingriffe und Kontrastmittel entwickelt. Auch wurde hier Chinas erste Produktionslinie für die intelligente Extraktion und Raffination traditioneller chinesischer Arzneimittel aufgebaut. Zeitgleich haben die hier angesiedelten Unternehmen große Durchbrüche bei der Übertragung ihrer innovativen biopharmazeutischen Technologien auf den US-Markt erzielt.
Traditionelle chinesische Arzneien für den modernen Markt
2015 erhielt die chinesische Pharmakologin Tu Youyou für ihre Arbeiten in den 1970er Jahren, als sie die Wirksamkeit des Einjährigen Beifuß bei der Behandlung von Malaria untersuchte, den Nobelpreis für Medizin. Die Traditionelle Chinesische Medizin, kurz TCM, hat der Welt mit dem Wirkstoff ein wertvolles Geschenk beschert. Dennoch ist nicht zu leugnen, dass es für traditionelle chinesische Arzneimittel auf dem Weg zur Internationalisierung noch zahlreiche Hürden zu nehmen gilt. Da ihre Wirkstoffe bisher nicht so einfach wie bei westlichen Arzneien dosiert werden können, unterliegen die Präparate vielen Einschränkungen. Die standardisierte Produktion von TCM-Arzneimitteln sieht sich von daher noch immer mit vielen Herausforderungen konfrontiert.
Ein Unternehmen, dem es gelungen ist, schwierige technische Fragen durch eigene Innovation zu lösen und damit eine standardisierte Produktion von TCM-Arzneimitteln zu ermöglichen, ist die Firma Kanion Pharmaceutical. Dem Großproduzenten traditioneller chinesischer Arzneimittel ist es gelungen, Forschung und Entwicklung sowie Produktion und Marketing erfolgreich zu integrieren. Bereits Ende der 1980er Jahren investierte das Unternehmen in die Erforschung und Entwicklung der Guizhi Fuling Kapseln zur Behandlung von Blutstauungen in der Gynäkologie. Das Präparat wurde für das Unternehmen zu einem großen wirtschaftlichen Erfolg. „Innovation ist die entscheidende Triebkraft für jede Form der Unternehmensentwicklung und letztlich der einzige Entwicklungsweg für jedes Pharma-Unternehmen“, sagt Xiao Wei, Vorstandsvorsitzender von Kanion Pharmaceutical. Ermutigt durch diesen ersten Erfolg investierten Xiao und sein Unternehmen weiterhin kräftig in den Bereich Innovation, um neue Produkte zu entwickeln.
2015 investierte Kanion Pharmaceutical 480 Millionen Yuan, umgerechnet rund 60,8 Millionen Euro also, in den Bau einer modernen Fabrikanlage zur digitalen Extraktion und Raffination traditioneller chinesischer Arzneimittel. Die Firma schuf damit die erste Anlage dieser Art in China. Durch seine intensive Forschung und Entwicklung gelang es der Firma, Kernprobleme der Produktion wie die Erfassung der Komplexität der Wirkstoffe und der Parameter sowie die Steuerungstechnik des komplexen Produktionssystems in den Griff zu bekommen. Die großen Anstrengungen sollten Früchte tragen. Dank seiner Bemühungen konnte die Firma schließlich ein eigenes System zur Qualitätskontrolle für TCM-Arzneimittel während des Produktionsprozesses entwickeln. Damit ist es heute möglich, eine standardisierte und intelligente Produktion von TCM-Arzneimitteln zu realisieren.
In einer der Werkstätten der Firma, die mehr als 700 Produktionsanlagen zählt, arbeiten heute nur rund 50 Arbeiter. Von ihren Computerarbeitsplätzen aus steuern die Techniker den gesamten Produktionsprozess mit wenigen einfachen Mausklicks.
An der Anlage zur Produktion der „ReDuNing Injection“, einer patentierten traditionellen chinesischen Arznei, erklärt mir Vize-Chefingenieur Bao Lewei das Prinzip der intelligenten und standardisierten Produktion des Unternehmens. „Die Injektion, die wir hier produzieren, hat eine entzündungshemmende Wirkung und kann zudem auch Viren beseitigen. Sie kann beispielsweise zur Behandlung der Influenza A, der Vogelgrippe H7N9, der Hand-Fuß-Mund-Krankheit, des Dengue-Fiebers sowie anderer Krankheiten eingesetzt werden. Die Rohstoffe dieses Arzneimittels sind Einjähriger Beifuß, das Wohlriechende Geißblatt und Jasminähnliche Gardenie“, sagt Bao. „Zunächst war es nötig, die Zusammensetzung des Arzneimittels genau zu analysieren. Auf Grundlage unserer Forschungsergebnisse haben wir hierfür 32 Wirkstoffe aus den insgesamt 84 chemischen Verbindungen ausgewählt“, erklärt Bao.
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Der Firma Kanion Pharmaceutical, einem Großproduzenten traditioneller chinesischer Arzneimittel, ist es gelungen, Forschung und Entwicklung sowie Produktion und Marketing erfolgreich zu integrieren. Unser Bild zeigt das Forschungszentrum der Firma, in dem viele präparierte Heilkräuter zu finden sind. |
Heute sind mehr als 75 Prozent der Zusammensetzung der „ReDuNing Injection“ bekannt. 80 Prozent der Wirkstoffe sind messbar, 90 Prozent können effektiv durch so genannte pharmakologische Fingerabdrücke kontrolliert werden. Das Produkt ist die erste Injektionslösung, die mit der goldenen Patentmedaille des Landes ausgezeichnet wurde.
Erwähnenswert ist zudem, dass das Präparat heute auch erfolgreich zur Behandlung akuter Krankheiten eingesetzt wird. Eine Tatsache, die mit dem Vorurteil, traditionelle chinesische Arzneimittel dienten nur zur Behandlung chronischer Krankheiten, aufräumt. „Zurzeit konzentrieren wir uns auf die Produktion der Injektion. Für die Zukunft haben wir aber auch vor, diese fortschrittliche Technologie bei der Herstellung oraler Präparate zum Einsatz zu bringen“, erklärt uns Bao.
Bis heute ist es Kanion Pharmaceutical gelungen, 47 neue Arzneimittel erfolgreich auf den Markt zu bringen. Weitere 50 Präparate befinden sich noch in der Entwicklungsphase, darunter zehn der ersten nationalen Kategorie. Insgesamt konnte das Unternehmen dank seiner innovativen Vorstöße bisher einen Umsatz von 58 Milliarden Yuan (rund 7,3 Milliarden Euro) erwirtschaften. Zehn Jahre hintereinander machten die Ausgaben für Forschung und Entwicklung des Unternehmens mehr als sieben Prozent des Umsatzes aus. In den letzten fünf Jahren lag der Anteil sogar bei über zehn Prozent. Im Durchschnitt investieren chinesische Pharmaunternehmen bisher nur rund drei Prozent ihres Umsatzes in Research und Development.
Innovation westlicher Medikamente
Auf dem Weg zum Innovationsvorreiter wollen auch Unternehmen, die westliche Medikamente herstellen, natürlich nicht hinterherhinken. Als Chinas Innovationsführer in diesem Bereich gilt das Unternehmen Jiangsu Hengrui Medicine. Jedes Jahr stellt die Firma neue Medikamente zur Verfügung, die in klinischen Studien erfolgreich geprüft wurden. Alle zwei bis drei Jahre bringt das Unternehmen neu entwickelte Medikamente auf den Markt. Zurzeit betreibt Hengrui Chinas größtes Forschungs- und Produktionszentrum für Anti-Tumor-Medikamente, Medikamente für chirurgische Eingriffe und Kontrastmittel.
Die Traditionsfirma kann auf eine Geschichte von 47 Jahren zurückblicken. 1992 war sie noch eine kleine Fabrik, die nur wenige veraltete Produkte herstellte. Sie sah sich bei der Entwicklung mit zahlreichen Herausforderungen konfrontiert. Der damalige Fabrikdirektor Sun Piaoyang kaufte mit einem Bankdarlehen von 1,2 Millionen Yuan (rund 180.000 Euro) die neue Rezeptur „Ifosfamid“ vom Beijing Institute of Materia Medica. Nur sechs Monate später hatten die Hengrui-Techniker einen Prozess entwickelt, um das Arzneimittel standardisiert zu produzieren. Noch im selben Jahr gelang es der Firma, einen Umsatz in Höhe von acht Millionen Yuan (eine Millionen Euro) zu erzielen. Durch Innovation hat sich die kleine Fabrik im Norden der Provinz Jiangsu heute zu einem landesweit bekannten internationalen Pharmaunternehmen entwickelt.
Chen Wei, ein Verantwortlicher des Medienzentrums der Firma, gibt uns einen Einblick, wie langwierig Forschung und Entwicklung manchmal sein können. Er sagt: „Wir haben allein 14 Jahre gebraucht, um das Krebspräparat Imrecoxib zu entwickeln. Es ist das erste von China selbstständig entwickelte Medikament zur Bekämpfung von Krebserkrankungen. Darüber hinaus konnten wir im Jahr 2014 auch das neue Medikament Apatinib erfolgreich auf den Markt bringen. In die Entwicklung dieses weltweit ersten Arzneimittels, das gezielt zur Behandlung von Magenkrebs im fortgeschrittenen Stadium eingesetzt wird, haben wir mehr als zehn Jahre harte Forschungs- und Entwicklungsarbeit investiert und auch viel Geld ausgegeben“, sagt er.
Im Jahr 2000 wurde Hengrui an der Börse notiert. Als ersten und wichtigsten Schritt nach dem Börsengang investierte das Unternehmen 400 Millionen Yuan, umgerechnet rund 50,7 Millionen Euro, in die Errichtung eines neuen Forschungs- und Entwicklungszentrums in Shanghai. Darüber hinaus rekrutierte die Firma zahlreiche hochqualifizierte Fachkräfte aus dem Ausland. In den letzten Jahren steckte Hengrui jedes Jahr ungefähr zehn Prozent seines Umsatzes in Forschung und Entwicklung. Heute betreibt die Firma nicht nur in China, sondern auch in den USA und Japan eigene Niederlassungen, teils mit eigener Forschung und Entwicklung. 2100 wissenschaftliche Mitarbeiter, darunter 1300 mit Doktor- oder Master-Titel sowie mehr als 100 Personen ausländischer Staatsangehörigkeit, arbeiten heute für Hengrui.
In Bezug auf die Erfahrungen des Unternehmens im Bereich Innovation sagt Chen Wei: „Hengrui hat seine Zusammenarbeit mit ausländischen Forschungs- und Entwicklungszentren und Pharmaunternehmen verstärkt, was die Erforschung und Entwicklung neuer Medikamente maßgeblich beschleunigt hat.“ Darüber hinaus habe auch die Verbesserung des allgemeinen Innovationsumfeldes in China die firmeneigene Innovation in den letzten Jahren gefördert. „Seit 2006 hat die Regierung zahlreiche Großprojekte gestartet, um Innovationen gezielt zu fördern. Darüber hinaus wurde die Genehmigung neuer Medikamente der Innovation merklich vereinfacht. Anträge in dieser Hinsicht werden heute vorrangig behandelt“, sagt Chen.
Bisher hat Hengrui 27 nationale Großprojekte zur Innovation und Entwicklung neuer Medikamente durchgeführt und verfügt derzeit über mehr als 200 Patente, darunter mehr als 100 internationale Patente (PCT-Patente). Mit Imrecoxib und Apatinib wurden bereits zwei neue Medikamente erfolgreich auf den Markt gebracht, über zehn weitere Präparate werden derzeit in klinischen Studien verschiedener Phasen getestet.
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Das Unternehmen Jiangsu Hengrui Medicine betreibt Chinas größtes Forschungs- und Produktionszentrum für antineoplastische Mittel, Medikamente für chirurgische Eingriffe und Kontrastmittel. Unser Bild zeigt Wissenschaftler und Techniker des Unternehmens bei der Arbeit. |
Chinesische Pharmafirmen gehen ins Ausland
Der chinesische Markt für Pharmazeutika ist mittlerweile der zweitgrößte weltweit. Einige Tausende Hersteller produzieren hier Präparate, von denen allerdings mehr als 95 Prozent Nachahmerpräparate sind. Da chinesische Pharmaunternehmen seit einigen Jahren immer größeren Wert auf die Erforschung und Entwicklung neuer Medikamente legen, schlägt Chinas Innovation in Bezug auf neue Arzneien zunehmend den Weg der Internationalisierung ein.
2015 übertrug Hengrui seine Auslandsrechte für den monoklonalen Antikörper FD-1, der unter anderem in der Krebsimmuntherapie zum Einsatz kommt, der amerikanischen Firma Incyte. Da Hengrui die geistigen Eigentumsrechte an diesem Produkt besitzt, erhielt das Unternehmen 795 Millionen US-Dollar für dessen Nutzung im Ausland. Dieser Schritt markierte einen wichtigen Durchbruch bei der Übertragung chinesischer Technologien zur Produktion biologischer Arzneimittel auf den amerikanischen Markt. „Der Deal spiegelt die großen Fortschritte, die Hengrui dank seiner Innovationen im Bereich der Internationalisierung gemacht hat“, sagt Chen Wei. „Im ersten Quartal dieses Jahres wurden bereits drei weitere Produkte Hengruis von der FDA und der Europäischen Union für den Verkauf auf dem amerikanischen bzw. europäischen Markt zugelassen“, so Chen weiter.
Die nachhaltigen Anstrengungen, mehr Innovationen zu leisten, und die ersten Erfolge auf diesem Gebiet haben die Zuversicht chinesischer Unternehmen in den Gang ins Ausland gestärkt. Laut Xiao Wei werde sich sein Unternehmen Kanion Pharmaceutical nicht nur um eine weitere Expansion auf dem heimischen Markt bemühen, sondern man wolle auch die Internationalisierung weiter beschleunigen. So hätten die Guizhi Fuling Kapseln des Unternehmens die klinischen Studien der Phase II in den USA bereits erfolgreich durchlaufen. Damit hat das Produkt gute Chancen, das erste chinesische Präparat zu werden, das Zugang zum amerikanischen Markt erhält. „Dies würde den Internationalisierungsprozess chinesischer Arzneimittel insgesamt weiter beschleunigen“, zeigt sich Xiao optimistisch.