Von Ning Di*
Es ist ein kleines Restaurant mit gerade einmal drei Tischen, mit dem Herr Li seit zehn Jahren seinen Lebensunterhalt bestreitet. 2008 verließ er seine Heimat in der nordwestchinesischen Provinz Gansu und schlug sich zunächst mit Gelegenheitsjobs in verschiedenen Landesteilen durch, bis er 2011 das zehn Quadratmeter große Restaurant in Beijing eröffnete.
Jeden Morgen gegen vier Uhr steht Li auf, um den Teig für seine Nudeln vorzubereiten. Wenn er fertig ist, kommen meist auch schon die ersten Kunden ins Restaurant. Normalerweise bedient er seine Gäste bis 20 Uhr oder noch später. Manchmal beneidet er deshalb all diejenigen, die früher Feierabend haben. Und er gibt auch zu, dass es nicht einfach ist, ein kleines Restaurant zu betreiben. „Der größte Vorteil für mich ist aber, dass ich flexibler bin in meiner Zeiteinteilung. Wenn dringende familiäre Angelegenheiten zu erledigen sind, kann ich den Laden auch einfach schließen“, sagt er.
Li ist einer der 200 Millionen Chinesen, die mehr als 80 Millionen kleine Geschäfte im ganzen Land betreiben. Diese kleinen Läden vermitteln jungen Menschen Ehrgeiz für die Existenzgründung, sichern vielen Familien ein stabiles Einkommen und beleben obendrein die Wirtschaft zahlreicher chinesischer Städte.
In einer Zeit schneller Veränderungen
2019 eröffnete Herr Du sein 80 Quadratmeter großes Lebensmittelgeschäft im belebten Stadtbezirk Chaoyang im Osten Beijings. Die Jahresmiete für die Räumlichkeiten, in denen der Laden untergebracht ist, beläuft sich auf stolze 400.000 Yuan. Darüber hinaus hat der Kleinunternehmer noch 200.000 Yuan in Umbauarbeiten und das Auffüllen des Warenlagers investiert. Doch angesichts der Corona-Pandemie konnte er die Kosten noch nicht wieder einspielen.
Herr Du verdingt sich schon seit 30 Jahren als Ladenbesitzer in Beijing. Sein letztes Geschäft war in der Nähe der Busstation Dongzhimen angesiedelt. Es gab viel Laufkundschaft, die ihm gute Einnahmen bescherte. Wegen städtebaulicher Veränderungsmaßnahmen im Viertel musste er jedoch letztlich umziehen.
Sein neues Geschäft liegt nun in einem Wohnviertel. Der Kundenstamm setzt sich vor allem aus Anwohnern des Viertels zusammen, die nach der Arbeit zum Einkaufen kommen. Beim Bezahlen wechseln sie oft ein paar Worte mit Du. Er genießt diese kurzen Momente des zwischenmenschlichen Austausches.
Im Umkreis von einem Kilometer gibt es noch zwei weitere Minimärkte. Die Konkurrenz ist also groß. Um Kunden, insbesondere junge Menschen anzuziehen, ist Du immer auf der Suche nach neuen Ideen. Als ein Brathähnchenladen nebenan eröffnete, stellte er beispielsweise zwei Fässer Bier in seinem Laden auf. „Ich dachte mir einfach, dass die jungen Leute gerne Bier zu ihrem Hähnchen trinken“, sagt der findige Geschäftsmann.
Herr Du hat auch vor, seine Räumlichkeiten neu zu gestalten. „Die Einrichtung ist einfach zu konservativ“, sagt er, während er auf die überfüllten Regale blickt. Einmal überlegte er auch, einem Franchise-Unternehmen beizutreten, um frischen Wind ins Geschäft zu bringen. „Aber ich ließ die Idee schnell wieder fallen, als ich erfuhr, dass der Mitgliedsbeitrag mehr als 800.000 Yuan beträgt.“
„In meinem Alter bin ich nicht so kreativ wie die jungen Leute“, sagt er. Für ihn ist deshalb klar, dass er eigentlich ein professionelles Team einstellen müsste, um Interieur und Management zu modernisieren. „Aber die Kosten sind mir einfach zu hoch, die kann ich kaum tragen“, sagt er. Auch die Eröffnung weiterer Geschäfte hat Du schon erwogen, er zögerte jedoch aus Sorge um die Mietunsicherheit angesichts zahlreicher Umbauprojekte in der Hauptstadt.
Laut Pan Helin, geschäftsführender Direktor des Forschungsinstituts für Digitalwirtschaft der Zhongnan University of Economics and Law und Autor des Buches „Neue Infrastruktur“, bedienten Minimärkte hauptsächlich Bewohner in den benachbarten Wohnvierteln als Kunden. „Daher müssen sie die Bedürfnisse ihrer Zielkunden gründlich untersuchen und eigene Merkmale herausbilden“, erklärt er. „Deckt sich ihr Warenangebot weitgehend mit der Konkurrenz, müssen sie größeren Wert auf Dekoration, Tradition oder kulturelles Ambiente legen, um eigene Charakteristika zu schaffen“, so der Experte.
Fu Yifu, Forscher am Suning Institute of Finance, ist der Ansicht, dass kleine Geschäfte gerade auf dem Weg zur Digitalisierung seien. „Für Besitzer stationärer Geschäfte bedeutet dies, dass sie nicht nur eine entsprechende digitale Infrastruktur aufbauen, sondern auch Know-how im digitalen Betrieb sammeln müssen“, sagt Fu.
Geschäftspartner zweier Generationen mit unterschiedlichen Ansichten
Viele Onlinegeschäfte werden heute von jungen Menschen betrieben. Sie haben die Macht des Internets erkannt und wissen seine Möglichkeiten gut zu nutzen.
Auch A Yan hat das Internet genutzt, allerdings um sein Offline-Restaurant zum Erfolg zu führen. A Yan wurde in den 1990er Jahren geboren und war früher in der IT-Branche tätig. Ende 2018 eröffnete er eine kleine Grillstube, zunächst als Treffpunkt für seine Freunde. Er war in den ersten sechs Monaten auf Verluste vorbereitet, aber zu seiner Überraschung wurde die Bar vom ersten Monat an zum Kundenmagneten. „Der Grund war, dass ein bekannter Foodblogger auf mein kleines Restaurant aufmerksam wurde und es seinen Fans empfohlen hat“, sagt der junge Gründer. Die Grillstube sei zu einem Online-Promi-Laden avanciert und habe jede Menge Kundschaft angezogen. „Im vierten Monat hatte ich meine Investitionen in Höhe von 300.000 Yuan bereits wieder eingespielt. Und ich war so beschäftigt, dass ich oft nicht einmal die Zeit fand, mit meinen Freunden etwas zu trinken, bevor sie wieder heimgingen“, sagt er und lacht.
A Yan betreibt seinen kleinen Gastronomiebetrieb gemeinsam mit einem Geschäftspartner aus seiner Heimat in Nordostchina, den er Bruder Bao nennt. „Während ich mit meinem IT-Job beschäftigt war, kümmerte er sich um den Grill“, erklärt A Yan. Bruder Bao ist über 40 und besitzt nun insgesamt schon vier kleine Läden: Seine Frau betreibt einen Minimarkt und er kümmert sich um die anderen drei Läden – ein Blumen- und ein Souvenirgeschäft und besagte Grillstube. Er verbringt den größten Teil des Tages in seinem Blumenladen und bereitet nebenbei die Speisen für den Grill vor, wann immer er Zeit findet. Ab 16 Uhr schmückt er die Grillstube mit Blumenarrangements aus dem Laden. Sie verschönern nicht nur den Raum, sondern können auch von Kunden bestellt und gekauft werden. Wenn das Geschäft an regnerischen Tagen nicht gut läuft, verkauft er zusätzlich Kunsthandwerk. „Die Hände in den Schoß zu legen, liegt mir nicht. Ich will mit meinen Fertigkeiten mehr Wert schaffen“, sagt er.
Als Geschäftspartner zweier Generationen sind sich A Yan und Bruder Bao in geschäftlichen Fragen nicht immer einig. So ist Bruder Bao zum Beispiel der Ansicht, dass die Grillstube so viele Speisen wie möglich auf der Karte anbieten sollte, um mehr Kunden anzuziehen. A Yan hingegen besteht darauf, sich auf eine Auswahl der besten Speisen zu konzentrieren.
Unterschiedlich sind die beiden auch, was ihre Hingabe für das Geschäft angeht. Für A Yan ist es ein Nebenjob, für Bruder Bao die Hauptbeschäftigung. Mit seinem stabilen Einkommen aus dem IT-Job war A Yan früher nicht sonderlich besorgt, was die Einkünfte der Grillstube anging. Aus diesem Grund schloss A Yan die Grillstube im letzten Jahr kurzerhand drei volle Tage während der Nationalfeiertage, die als „goldene Woche“ für die Gastronomie in China gelten, um selbst in Urlaub zu fahren. Im Gegensatz zu A Yan versucht Bruder Bao stets, mehr Geld zu verdienen, um die Miete und die Löhne der Mitarbeiter zu decken und mehr Gewinn für sich selbst zu erzielen. Er mache sich einfach ständig Gedanken, wie es mit dem Geschäft weitergehe, sagt er. „Boomt der Laden, bin ich über die Nachhaltigkeit des Erfolgs besorgt, bleiben die Kunden aus, habe ich Angst vor einer Schließung.“
Im August vergangenen Jahres kündigte A Yan seinen IT-Job, um sich voll und ganz der Grillstube zu widmen. Er plane, ein neues Start-up zu eröffnen oder ein anderes Projekt aufzuziehen, sobald sich die Geschäfte des Gastro-Betriebs verbessern. „Neben dem Grill habe ich noch einiges an Energie übrig, um andere Projekte anzupacken“, sagt er.
Einzigartiges Geschäftsmodell
Für kleine Geschäfte ist es schwierig, sich im harten Wettbewerb ihre Einzigartigkeit zu bewahren. Vor der Eröffnung seiner Grillstube hatte A Yan verschiedene Geschäftsmodelle unter die Lupe genommen. Zuerst dachte er an ein Geschäftsmodell nach dem Vorbild kleiner Läden in der Nanluoguxiang, einer bei Touristen beliebten Hutonggasse im Beijinger Stadtzentrum. Im letzten Jahr stellte er fest, dass viele kleine Geschäfte in Beijing Durian-Kuchen anbieten. Letzten Endes aber entschied er sich, nicht blind irgendwelchen Trends zu folgen, sondern sich stattdessen auf seine Stammkunden und deren Bedürfnisse zu konzentrieren.
„Kommunikation von Angesicht zu Angesicht hat heute schon Seltenheitswert“, sagt A Yan. Er sieht sein kleines Grillrestaurant deshalb als Insel der zwischenmenschlichen Kommunikation. „Beim Essen wechseln die Leute ein paar Worte mit uns, man kennt sich mittlerweile und erkennt sich auf der Straße. Das ist schon ein schönes Gefühl“, sagt er. Ein Mann aus dem rund 200 Kilometer von Beijing entfernten Tianjin sei ein Stammgast, der das kleine Restaurant regelmäßig ansteuere. Andere Gäste kämen eigens per Taxi vom anderen Ende der Stadt, um den Grill zu besuchen. „Sie zahlen mehr für die Fahrt als für das Essen, nur um ein Gefühl der Zugehörigkeit zu haben“, sagt A Yan.
Nicht selten verkaufen Geschäfte in beliebten Tourismusgebieten und Geschäftsvierteln identische Waren, die häufig sogar von denselben Quellen bezogen werden, beispielsweise aus Yiwu, Chinas größtem Vertriebszentrum für Kleinwaren in der südostchinesischen Provinz Zhejiang. Um dies zu ändern, hat Pan Helin vorgeschlagen, ein integriertes Produktions- und Vermarktungssystem für Souvenirgeschenke zu errichten, die auf bestimmte Landschaftsgebiete ausgerichtet sind. „Es wäre zum Beispiel denkbar, eine digitale Plattform zu errichten, auf der Ladenbesitzer ihre Anforderungen an Wunschprodukte beschreiben. Nachdem diese Anforderungen von verschiedenen Einzelhändlern im selben Landschaftsgebiet sortiert wurden, werden die Informationen durch die Plattform an die Hersteller gesandt, um Souvenirgeschenke mit lokalen Merkmalen zu entwickeln und zu produzieren“, erklärt er seine Idee.
Zhou Shengkai aus Zhejiang eröffnete in der Nanluoguxiang einen T-Shirt-Laden, nachdem er festgestellt hatte, dass die meisten in Tourismusgebieten angebotenen T-Shirts von eher minderer Qualität sind und keine kulturellen Besonderheiten aufweisen. „Ich wollte ein Geschäft in einer internationalen Metropole eröffnen, um die chinesische Kultur unter den in- und ausländischen Touristen zu verbreiten“, sagt er.
In Großstädten, insbesondere in Geschäftsvierteln und in der Nähe von beliebten Tourismusgebieten, sind die Ladenmieten jedoch hoch. Nicht selten fahren Geschäfte nicht genug Gewinne ein, um die Mietausgaben wieder einzuspielen, was nicht wenige zur Aufgabe zwingt. In der Nanluoguxiang gibt es ein Geschäft, das innerhalb von elf Monaten 38 Mal seinen Besitzer wechselte. Zhou hofft daher, dass die Regierung kleinen Start-ups, die in Tourismusgebieten kreative kulturelle Produkte verkaufen, mehr politische Unterstützung gewährt. Auch er werde Ende des Jahres seine Pforten schließen müssen, wenn sein Geschäft bis dahin nicht genug Gewinne abwerfe.
„Langfristige und vorhersehbare politische Maßnahmen sind für kleine Ladenbesitzer sehr wichtig“, sagt Wang Jingyi vom Forschungsinstitut für digitale Finanzen der Universität Peking. „Neben Mieten und anderen Fixkosten bereiten ihnen besonders mögliche Änderungen der politischen Maßnahmen Sorge“, erklärt er.
Ladenbesitzer Du hofft, sein Geschäft möglich kostengünstig umzugestalten und dann mehr Kunden anzulocken. „Darüber hinaus hoffe ich, dass die Beijinger Stadtregierung Selbstständigen aus anderen Landesteilen die Einzahlung in die Sozialversicherung erleichtert“, sagt er.
Im Juli 2020 gab das chinesische Handelsministerium eigens eine Mitteilung bekannt, in der betont wurde, man wolle die Entwicklung kleiner Geschäfte gezielt fördern. Ziel sei es, bis zum Jahr 2025 1000 Stadtbezirke mit hoher Ladendichte zu errichten. Dies erhöht allerdings die Anforderungen an die politischen Entscheidungsträger in den Stadtverwaltungen, da Stadtbezirke mit großer Ladendichte häufig vor größeren Herausforderungen in Sachen Hygiene und Sicherheit stehen. „Doch solche Probleme lassen sich letztlich leicht durch koordinierte Zusammenarbeit der Aufsichtsbehörden lösen“, ist der Forscher zuversichtlich.
*Ning Di ist Reporter der „China Youth Daily“.