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Selfmade-Unternehmer, Brummifahrerin, Berufsakkrobat: Chinas Aufstieg durch die Linse eines britischen Starregisseurs

2021-09-26 13:17:00 Source: Author:
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Von Zhou Lin

 

Der vierteilige Dokumentarfilmreihe „A Long-Cherished Dream“ des britischen Starregisseurs Malcolm Clarke (in China auch bekannt unter seinem chinesischen Namen Ke Wensi), ist seit Mitte Juli auf verschiedenen Medienplattformen im In- und Ausland zu sehen. Der zweifache Oscar-Preisträger Clarke zeichnet mit seiner Dokureihe sein ganz eigenes Bild von Chinas Weg zu bescheidenem Wohlstand, indem er den Alltag der einfachen Leute im Land mit der Kamera festhält.



 

Sehnsucht nach einem besseren Leben

 

Als erstes nimmt Clarke uns Zuschauer mit in das kleine Dorf Xiaoganxi in Yunnan. Es liegt im Hinterland des Wumeng-Gebirges im Grenzgebiet zwischen Yunnan, Guizhou und Sichuan. Hier findet sich eine der ärmsten Gegenden Chinas. Chang Kaiyong, der Parteisekretär des Dorfes, ist mit der Armutsbekämpfung hier im Ort betraut. Er fühlt sich den Menschen verbunden, verpflichtet. Obwohl Changs Einkommen nicht hoch ist, gibt er alles, leistet vollen Einsatz. Mehr als 200 Familien im Dorf müssen zur erfolgreichen Armutsüberwindung umgesiedelt werden, über 100 baufällige Häuser gilt es zu renovieren. Für den Kader bedeutet das jede Menge Arbeit. 2000 Yuan bekommt er jeden Monat als Parteisekretär des Dorfs. Fast die Hälfte davon gebe er für Sprit aus, um zwischen den Bauernhaushalten zu pendeln, sagt er. Die schlammigen Gebirgswege kenne er mittlerweile wie seine Westentasche. Einmal versperrte ihm eine Schlammlawine den Rückfahrtweg, sodass er mehrere Tage im Auto ausharren musste.

 

Cao Jiayan, Changs Frau, unterstützt ihren Mann, wo sie nur kann. Auch sie hat mit Haushalt und Alltag alle Hände voll zu tun. Beklagen will sie sich trotzdem nicht. Nur manchmal entwischt ihr ein leises Seufzen. „Wie schön wäre es doch, Teil einer der armen Familien zu sein, um die du dich so aufopferungsvoll kümmerst!“, scherzt sie dann manchmal, um ihren Mann zu necken.

 

Während Chang in den tiefen Bergen Südwestchinas dem Publikum die Armutsbekämpfungs- und Umsiedlungspolitik, bei der er von Tür zu Tür geht, erklärt, ist die 24-jährige LKW-Fahrerin Zhang Lin gerade zwischen den Provinzen Zhejiang und Fujian an Chinas Südostküste unterwegs. Sie misst nur etwas über einen Meter fünfzig. Freunde rufen sie bei ihrem Spitznamen Linbao – Schätzchen Lin. Am Steuer ihres 9,6 Meter langen Lastwagens ist die kleine Linbao aber eine ganz Große, die ihr tonnenschweres Gefährt geschickt manövriert. Sie ist eine von schätzungsweise 1,26 Millionen Lastwagenfahrern und -fahrerinnen im Reich der Mitte, die aus Chinas boomender Wirtschaft nicht wegzudenken sind.

 

„Normalerweise fahre ich um 23 Uhr von Wenzhou in Zhejiang los und verbringe dann acht Stunden auf der Strecke, bis ich Quanzhou in Fujian erreiche. Danach erhole ich mich bis etwa ein Uhr nachts, bevor es wieder zurückgeht.“ Nachts auf der Strecke zu sein, sei keine große Sache für sie. Angst habe sie keine. Sie ist tough, keine Frage, auch ihre Worte schwingen kraftvoll, voller Begeisterung. „Frauen müssen finanziell unabhängig sein. Nur so kann man gut für sich selbst und die Familie sorgen“, sagt sie. Dann lässt sie den donnernden Motor wieder an.

 

In den Jahren 2012 bis 2020 strömten jährlich Millionen von Chinesen aus den ländlichen Gebieten in die Städte. Auch Wang Huaifu, Akrobat des Shanghaier Akrobatikensembles, ist einer davon. 1994 schrieb er sich in der Puyang Acrobatic Art School ein, 2004, nach seinem Abschluss, fand er in Shanghai eine Anstellung im Akrobatikensemble der Stadt. „Es war schon eine sehr schwere Zeit mit dem Studium. Dafür musste ich 15.000 Yuan hinblättern, und das, obwohl mein Vater gerade einmal einen Yuan pro Tag verdiente. Er musste fast sein gesamtes Hab und Gut verkaufen, um mir mein Studium zu finanzieren“, erinnert sich Wang zurück.

 

Heute ist Wang 36, und sein Körper ist von den zahlreichen größeren und kleineren Verletzungen, die sein Job mit sich bringt, gebeutelt. Längst will der Körper nicht mehr so mitmachen wie früher. Doch gerade konnte er eine der Hauptrollen in einem Akrobatikdrama ergattern. Das hat Wang wieder angespornt, hart zu trainieren. Es sei noch einmal eine Art Neuanfang. „In Zukunft möchte ich ein echter Künstler in meinem Metier werden“, beschreibt er seine Ambitionen.

 

In der Metropole Shanghai scheint Wang Huaifu angekommen. Er hat es in die städtische Mittelschicht geschafft. Sein fünfjähriger Sohn könne fast 60 Tang-Gedichte rezitieren, erzählt er stolz, und etwas Englisch spreche er auch schon. „Wir leben wirklich in einer guten Zeit“, sagt er. Wang weiß, dass es finanziell nicht immer so rosig aussah. Und er schärft auch seinem Sohn ein, das momentane Glück nicht für selbstverständlich zu halten.

 

Es geht von Shanghai aus weiter gen Süden, 200 Kilometer bis in den Zhejianger Kreis Tonglu. Nachdem sich die Bergketten lichten, tauchen vor uns einige Villen mit roten Dächern auf. Wir sind auf dem Weg zu Deng Degeng, dessen Heimat in Zixu liegt, einem kleinen malerischen Dorf hier im Kreis. Deng ist Vorstandsvorsitzender von STO Express in der Stadt Yiwu, die Chinakennern wegen ihres riesigen Marktes für Gebrauchsartikel ein Begriff sein dürfte. Zum Expressliefergeschäft kam der Mann vom Dorf rein durch Zufall. „Eines Tages hörte ich bei der Feldarbeit eine Radiosendung namens ,Felder der Hoffnung‘. Darin hieß es, dass Expresslieferungen in den Städten stark im Aufwind seien. Ich beschloss, ins Geschäft einzusteigen.“

 

Mit schlappen 50 Yuan in der Tasche, gerade genug, um eine Busfahrkarte für die einfache Strecke zu lösen, machte sich Deng auf nach Hangzhou, um dort sein Glück zu versuchen. „Damals hatte ich nur ein Fahrrad und einen Piepser, um die Pakete auszuliefern. Man musste jeden Tag 30 bis 40 Kilometer radeln. Ich scheuerte mir Oberschenkel und Hintern derart wund, dass ich teils mehrere Tage nicht sitzen konnte. Ich legte die Radstrecken also im Stehen zurück. Am Ende hatte ich sogar Schwielen auf den Innenseiten der Oberschenkel“, erinnert sich Deng an die harte Anfangszeit als Kurierbote.

 

Auch Chen Dejun, Chen Deliang und Luo Weijuan, die alle aus demselben Dorf stammen wie Deng, haben die Gelegenheit damals beim Schopfe gepackt und sind so reich geworden. Früher als Bauern waren sie noch kaum über die Runden gekommen, heute sind sie alle Privatunternehmer. Mit Köpfchen, Geschick und dem überlegten Einsatz der ihnen zur Verfügung stehenden Ressourcen haben sie eine verblüffende Karriere hingelegt. Später teilten sie die Früchte ihres Erfolges auch mit anderen Dorfbewohnern.

 

Augenblicke, die nahegehen

 

„Ich möchte nicht nur erzählen, wie es den Chinesen gelungen ist, eine Gesellschaft mit bescheidenem Wohlstand aufzubauen, sondern auch die dahinterstehenden Geschichten. Meine Protagonisten durchleben die gleichen Gefühle wie das ausländische Publikum. Sie träumen und streben, sie nehmen Strapazen auf sich, um sich ein besseres Leben aufzubauen. Aus all diesen Einzelgeschichten setzt sich letztlich das gegenwärtige China als Ganzes zusammen“, sagt Regisseur Malcolm Clarke am Rande der Uraufführung seiner Dokumentarfilmreihe im China Foreign Languages Publishing Administration am 13. Juli.

 

Vor den Dreharbeiten seien chinesische Schlagworte des Aufstiegs wie „xiaokang“ (bescheidener Wohlstand), „dagong“ (sich als Arbeiter verdingen) und „fupin“ (Armutsbekämpfung) Fremdwörter für ihn gewesen, gesteht der Brite. Außerdem habe seine Absicht nicht darin bestanden, Chinas Politik zu fördern oder den Zuschauern zu erklären, wie man Chinas Entwicklung zu sehen habe. Ziel sei schlicht gewesen, das wahre Leben der einfachen Leute in China zu dokumentieren. „Stücke von Shakespeare erfreuen sich deshalb bis heute so großen Zuspruchs, weil die Geschichten dahinter das Publikum emotional tief berühren. Auch ich will Geschichten einfangen, die zu Herzen gehen“, sagt der Filmemacher.

 

„Was zu Herzen geht, ist nie die Interpretation der Politik und es sind auch nicht irgendwelche Wirtschaftsdaten, sondern echte Gefühle. Egal in welchem Kulturkontext wir uns bewegen, erkennen wir aufrichtig erzählte und berührende Geschichten als solche, fühlen mit den Protagonisten, teilen ihr Lachen und ihre Tränen, hören aufmerksam zu, wie sie im Entwicklungs- und Migrationsprozess der Heimat und ihren Familien gedenken. Solche Emotionen sind einzigartig und authentisch, und sie finden ihr Publikum – weltweit“, ist Clarke überzeugt.

 

Bei der Auswahl seiner Protagonisten war Clarke darauf bedacht, Menschen zu finden, die bereit waren, sich zu öffnen, ihre Geschichte zu erzählen. Authentisch sollten sie sein, trotz Kamera. Er suchte Bilder jenseits jeder Attitüde, nah dran am echten Leben, mit echten Emotionen. „Interessante Charaktere zu finden, ist für uns Dokumentarfilmer das A und O. Wir brauchen Menschen, die uns in ihren Bann ziehen, die faszinieren, und die Ecken und Kanten haben.“ An Linbao etwa habe ihn der starke Kontrast zwischen ihrem zierlichen Äußeren und dem tonnenschweren Lastwagen, den sie bewegt, fasziniert, sowie der Aspekt, dass sie sich als Frau erfolgreich in einer Männerdomäne behauptet. Dabei seien Frauen unweigerlich mit Vorurteilen und Diskriminierung konfrontiert. Dies habe die Dramatik der Geschichte erhöht und die Hartnäckigkeit und unbeugsame Kraft der Protagonistin noch unterstrichen.

 

Zudem müsse es auch im Dokumentar-Genre Konflikte geben, so der Brite. Ohne sie, wäre ein Film nicht ehrlich. Friede, Freude, eitel Sonnenschein und überall lächelnde Gesichter? Das wäre banal, sagt er. „Viele chinesische Frauen sprechen ungern offen über sich selbst. Doch Linbao nahm kein Blatt vor den Mund. Ganz direkt sprach sie mit uns über ihre Schwierigkeiten und Herausforderungen, das Unglück ihrer Herkunftsfamilie, das teils verkorkste Eheleben und die Schuldgefühle gegenüber ihren Kindern – all das hat ihr freundliches, optimistisches Naturell und ihren Ehrgeiz nicht gebrochen.“

 

„Vor den Veränderungen, die in China stattgefunden haben und stattfinden, ziehe ich wirklich den Hut. Die chinesische Regierung kann zu Recht stolz darauf sein“, sagt Clarke. Als Künstler wolle er aber natürlich auch einige Details und Herausforderungen zeigen, um die Geschichten realer und plastischer zu machen. Der Umzug vieler Menschen vom Land in die Städte habe deren Leben verbessert, aber auch die Beziehungen zwischen den Menschen verändert. Nun gelte es, den Blick darauf zu richten, wie diese Menschen ihr Leben in der Stadt meisterten. Der Übergangsprozess sei schwierig und erfordere sowohl systematische Unterstützungsmaßnahmen zur Armutsbekämpfung als auch einen gewissen Anpassungswille seitens der umgesiedelten Familien. „Die Menschen müssen sich ein soziales Netz aufbauen und ihre traditionelle Kultur und zwischenmenschlichen Kontakte bewahren. Sie müssen ein Ohr für einander haben und einander unterstützen, sobald Probleme auftreten.“ Dies habe große Bedeutung im Transformationsprozess des Landes, findet der Brite.

 

Im Zuge der chinesischen Urbanisierung – eine der größten Verstädterungsbewegungen der Menschheitsgeschichte – seien Zehntausende chinesische Bauern quasi über Nacht zu Großstädtern geworden. Mit ihrem Fleiß und ihrer Beharrlichkeit habe jeder von ihnen seine ganz eigene Geschichte des Weges hin zu einer Gesellschaft bescheidenen Wohlstandes geschrieben, sagt Clarke. „Wer einen Blick in die Zukunft werfen möchte, sollte nach China kommen. Alle hier arbeiten hart und geben alles dafür, ein schöneres Morgen zu schaffen.“

 

Worin liegt Chinas Charme?

 

Clarkes Kurzfilmreihe beginnt in den Bergen Südwestchinas und führt bis an die Ostküste des Landes. Wir treffen auf Chinesen mit unterschiedlichen Hintergründen. Gemeinsam ist ihnen der gelungene Sprung aus der Armut. Sie führen dem Publikum eindringlich vor Augen, wie der Weg zu bescheidenem Wohlstand ihr Leben verändert hat. Bei Chinas Schlagwort „xiaokang“ gehe es nicht nur darum, die Armut zu beseitigen, sondern auch darum, jedem Chinesen zu ermöglichen, sein Potenzial voll auszuschöpfen und die eigenen Träume zu verwirklichen, so Clarke. „In diesem Sinne geht es bei ,xiaokang‘ um das Streben nach der Verwirklichung des Chinesischen Traums. Jeder Chinese wird davon profitieren und man kann derzeit beobachten, wie China Stück für Stück gerechter und lebenswerter wird“, resümiert der Brite.

 

Bei der Pressekonferenz war auch Vikram Channa Narayan (auch Wei Keran genannt) anwesend, der Vizepräsident der Discovery Media Group. Der Discovery Channel ist bekanntlich einer der meistgesehenen Fernsehsender der Welt. Er zählt weltweit mehr als 300 Millionen Zuschauer in mehr als 220 Ländern und Regionen. Vikram, bereits seit 1995 für die Discovery Media Group tätig, ist eine der Schlüsselfiguren bei der inhaltlichen Programmplanung. Clarkes Standpunkt könne er nur zustimmen, sagt er. Es gebe in der Welt viele unsinnige Vorurteile. Einer der Gründe für die zunehmende Polarisierung im 21. Jahrhundert, seien soziale Netzwerke, sagt er. „Daher ist es notwendig, Dokumentarfilme zu drehen, um das wahre China zu zeigen.“

 

Vikram geht bei der Pressekonferenz auch auf drei weitere Dokumentarfilmreihen des Senders ein, die das heutige China ebenfalls gut spiegelten. „First Man Out: China“, „China, Master Class“ und „The Day I Ran China“. Alle drei Produktionen seien ein gutes Beispiel für die gelungene, intensive Zusammenarbeit seines Senders mit einem chinesischen Kreativteam. Es sei wie mit Kaffee und Kaffeebohnen, sagt er. „Das Kreativteam hat uns hochwertige Kaffeebohnen geliefert und als Barista haben wir die Rohstoffe zu duftendem Kaffee für das Publikum verarbeitet“, erklärt Vikram mit einem Schmunzeln.

 

Die Erstausstrahlung von „First Man Out: China“ fand auf der chinesischen Videoplattform bilibili.com statt, die besonders beim jungen chinesischen Publikum beliebt ist. „Sie war ein großer Erfolg“, sagt Vikram. „China: Master Class“ sei eine Gemeinschaftsproduktion des Discovery Channel und der Videosparte von Tencent. Die Serie versuche aus einer zeitgenössischen künstlerischen Perspektive, die traditionelle Kultur neu kennenzulernen und sie auf diesem Wege den jungen Leuten wieder näherzubringen. „The Day I Ran China“ vereine Elemente sowohl des Discovery Channel als auch von Mango TV, weshalb die Serie auch in Übersee gut ankomme. „Um es klipp und klar zu sagen: Ohne die lokalen Partner in China hätten wir diese herausragenden Dokumentarfilme nicht erschaffen können“, betont Vikram. Durch derartige filmische Kollaborationen hoffe er, dem globalen Publikum ein reales Bild des schnell wachsenden und lebendigen Landes im Osten der Weltkugel zu zeigen.

 

Zum Schluss teilt Vikram noch seine persönliche Beobachtung aus seiner Zeit als Dozent an der Beijing Normal University. Er habe Chinas junge Generation als Generation im Aufwind erlebt, sagt er, die sowohl tief im Kulturerbe und den Werten der Heimat verwurzelt sei, als auch eine offene und tolerante Mentalität besitze. „Chinas Jugend ist bereit für die Welt. Diese Menschen werden heute und in Zukunft wichtige Akteur auf der Weltbühne sein, und sie werden unsere Erwartungen nicht enttäuschen.“

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