Von Ma Li
Es war eine Reise der besonderen Art, die im März 2020 ihren Anfang nahm. Damals machte sich eine Herde von 15 Asiatischen Elefanten von ihrem angestammten Habitat im nationalen Naturschutzgebiet Xishuangbanna aus in Richtung Norden auf. Mehr als 1300 Kilometer legten die Wildtiere auf ihrem Streifzug zurück, bevor sie schließlich am 12. August 2021 wieder in ihre angestammte Heimat in der südwestchinesischen Provinz Yunnan zurückkehrten.
Die Dickhäuter auf Wanderschaft hielten auch die örtlichen Behörden der Provinz Yunnan gehörig auf Trab. Polizisten und Wildschützer waren im Dauereinsatz und begleiteten die Herde mit Lastwagen und Drohnen. Sie behielten die Tiere rund um die Uhr im Auge. Außerdem wurden rund 180 Tonnen Futter an die Schwergewichte verfüttert. Die umherstreifenden Wildtiere sorgten auf in- wie ausländischen Social-Media-Plattformen für einiges Aufsehen – und auch einige Verzückung.
Zhang Xiong war einer der Verantwortlichen, die die Wildtiere damals eine Zeit lang eng begleiteten. Der Leiter eines Drohnenteams der eigens von der Waldfeuerwehr Yunnan entsandten Suchmannschaft sagt, sein Team habe die Herde mehr als sieben Tage lang genau beobachtet. Ziel war es, Informationen aus erster Hand zu liefern, um Menschen und Tiere zu schützen.
Schwergewichtiger Besucher: Ein Elefant läuft durch das Dorf Zhushan in der Provinz Yunnan.
„Elefanten-Sitter“ im Dauereinsatz
Zhang war einer der ersten, die sich dem Elefanten-Suchtrupp anschlossen. Da die lokale Brandsaison in der Regel Ende Mai ausläuft, hatte er eigentlich für die Sommermonate 2020 schon eine Hochzeitsreise mit seiner Frau geplant. Doch dann erfuhr er von dem ungewöhnlichen Auftrag. „Ich bin schon seit meiner Kindheit ein echter Elefantenfan. Als ich dann hörte, dass unsere Feuerwehrbrigade ein Team zur Aufspürung und Beobachtung der streunenden Tiere einrichten wollte, war ich der erste, der sich meldete.“
Am 27. Mai 2020 ging es los: Zhang, der zum Leiter der Drohnenflotte zur Überwachung der Herde ernannt worden war, traf am ersten Überwachungsstandort in der Stadt Yuxi ein. Nachdem er sich vor Ort mit seinen Kollegen intensiv beraten und sich online Grundkenntnisse über Drohnensteuerung angeeignet hatte, fingen er und seine Kollegen erstmals Szenen der durch die Straßen streifenden Herde aus der Luft ein.
„Das Fliegen einer Drohne ist wirklich ein professioneller Job, der große Konzentration erfordert“, sagt er. „In den kritischsten Phasen schliefen wir teils nur vier Stunden pro Tag. Manchmal folgten wir der Herde über Dutzende Kilometer tief ins Gebirge.“
Vor seinem besonderen Einsatz wusste Zhang nur wenig über das Verhalten wildlebender Elefanten. Während seines Jobs lernte er die Lebensgewohnheiten der Tiere dann immer besser kennen und fand großen Spaß an seiner neuen Aufgabe. „Jeder Elefant in der Herde hat eine feste Rolle“, erklärt er. „Anführer der Gruppe ist stets eine ausgewachsene Elefantendame, während die Elefantenbullen als Beschützer fungieren. Es gab auch Jungtiere in der Herde, und die hatten es faustdick hinter den Ohren. Elefantenkälber balgen gerne hin und wieder. Es war wirklich niedlich, den Babyelefanten beim Spielen zuzusehen. Die Herde verschafft sich außerdem immer wieder einen Überblick über ihre Umgebung, bevor sie sich auf Nahrungssuche begibt. Alle Routen werden sorgfältig ausgewählt, um den Nachwuchs vor Gefahren zu schützen. Besiedelte Gebiete beispielsweise werden nach Möglichkeit gemieden.“
Laut Zhang beschränkte sich die Observationsarbeit aber längst nicht nur auf die Ortung der Tiere. Eine der Prioritäten seines Teams sei es gewesen, die Distanz zwischen der Herde und menschlichen Siedlungsräumen genau im Blick zu behalten, um ein Aufeinandertreffen zu vermeiden und so die Sicherheit von Mensch und Tier zu schützen. Darüber hinaus zeichneten er und sein Team alle Aktivitäten der Herde auf und sammelten auf diese Weise wichtige Daten für die wissenschaftliche Forschung. „Auf Grundlage unserer Überwachungsdaten war es den Experten in der Zentrale möglich, eine bessere Wanderroute für die Elefanten zu berechnen sowie im Voraus Futterstellen festzulegen“, sagt Zhang.
Zhang und sein Team folgten der Herde in die Berge und wechselten dabei mehr als 200 Mal ihren Überwachungsstandort. „Manchmal grüßten die Elefanten unsere Drohnen mit erhobenem Rüssel, und wir konnten die Jungtiere dabei beobachten, wie sie mit Hunden, Hühnern und Ziegen spielten, die sie unterwegs trafen“, erzählt Zhang. Aber die Wildtiere räuberten auch, „stahlen“ Bananen, Zuckerrohr, Mais und andere Feldfrüchte. „Wo immer die Rüsseltiere hinkamen, empfingen die Einheimischen sie trotzdem freundlich und versuchten, ihnen so viel zu essen zu geben, wie sie brauchten. Man kam insgesamt gut miteinander aus.“
„Elefanten-Sitter“ im Einsatz: Mitglieder des Tracking-Teams
überwachen per Drohne die Bewegungen der Elefanten.
Elefantenbrücke
Doch die „glückliche Reise“ der Elefanten verlief nicht immer völlig reibungslos. Auf dem Rückweg stießen die Tiere auf viele Hindernisse, die größte Hürde war dabei die Überquerung des Yuanjiang-Flusses.
Der Yuanjiang, einer der ältesten Flüsse Yunnans, formt eine natürliche Barriere im Lebensraum der Asiatischen Elefanten. Er war daher ein wichtiger geografischer Orientierungspunkt für die Herde auf ihrem Weg zurück in ihr ursprüngliches Habitat.
Auf der Hinreise hatte die Herde den Fluss im April 2020 zunächst erfolgreich während einer Niedrigwasserperiode überquert. Als sich die Rüsseltiere jedoch auf den Rückweg machten, war der Wasserstand gestiegen, so dass die Gruppe den Fluss trotz mehrfacher Anläufe nicht überqueren konnte. Um den Tieren eine sichere Rückkehr in den Süden zu ermöglichen, beschloss die von den örtlichen Behörden eingesetzte Arbeitsgruppe nach reiflicher Analyse, die Herde zur sicheren Überquerung des Stroms zu einer alten Brücke zu lotsen.
„Trotz seiner reichen Nahrungs- und Wasservorkommen ist das Einzugsgebiet des Yuanjiang-Flusses aufgrund seiner schlechten Bedingungen für den Schutz der Wildtiere langfristig letztlich kein geeigneter Aufenthaltsort für Asiatische Elefanten. Die Überquerung des Flusses ermöglichte den Tieren schließlich die Rückkehr in einen geeigneteren Lebensraum“, sagt Yang Yingyong, ein leitender Beamter der Stadt Yuxi. Die Herde wich zunächst mehrmals von der geplanten Route ab, doch nach dreizehn Tagen und zwölf Nächten gemeinsamer Anstrengungen gelang es den örtlichen Behörden, die Dickhäuter über die ausgesuchte Brücke ans andere Flussufer zu navigieren.
Einst lebten die Asiatischen Elefanten in China in einem großen Gebiet, das vom Einzugsgebiet des Gelben Flusses bis zum Yunnan-Guizhou-Plateau reichte, erklärt Shen Qingzhong, einer der leitenden Ingenieure des Naturschutzgebiets Xishuangbanna. Wanderungsbewegungen seien damals durchaus normal gewesen. „Wanderungen helfen den Wildelefanten, neue Lebensräume zu erschließen und den Genpool ihrer Herde mit dem anderer Herden zu verschmelzen“, sagt er. Elefantenherden verfügten über eine hohe Anpassungsfähigkeit, da sie ihre Erfahrungen, die sie bei der Überquerung von Bergen und Brücken oder bei der Nutzung menschgemachter Einrichtungen gemacht hätten, stets sammelten und weitergäben, so Shen.
Zum Schutz der wildlebenden Asiatischen Elefanten haben sich Chinas Nationale Forst- und Graslandverwaltung und die Provinzregierung Yunnan darauf verständigt, die Errichtung von Nationalparks zu fördern. Nach Ansicht von Shen ist es zum jetzigen Zeitpunkt von entscheidender Bedeutung, rasch ein umfassendes Überwachungs- und Kontrollsystem einzurichten und geeignete technische Mittel einzusetzen, um die Bewegungen der Wildelefanten in Zukunft wirksam zu steuern. „Es muss verhindert werden, dass Elefantenherden in großem Stil auf Wanderschaft gehen“, so der Experte.
Auf Futtersuche: Die Yunnaner Elefantenherde durchstreifte
bei ihrer Wanderschaft auch eine Teeplantage im Dorf Zhushan.
Ein Beispiel für gelungenen Artenschutz
Chen Fei, Direktor des Forschungszentrums für Asiatische Elefanten der Nationalen Forst- und Graslandverwaltung, sagt, es seien mehrere Experten und Ingenieure aus den Bereichen Naturschutz, IT und Kommunikationstechnik sowie aus anderen relevanten Bereichen an den Bemühungen beteiligt gewesen, die Sicherheit der Elefanten seit Beginn ihres Marsches zu gewährleisten. „Unser Ziel war es, einerseits den Elefanten zu helfen und andererseits Forschungsdaten zu sammeln. Wir konnten letztlich eine große Menge an Daten für die künftige Forschung sowie die Überwachung und Frühwarnung und auch für eventuelle Notfallmaßnahmen erfassen“, sagt Chen.
Die Reise der Rüsseltiere und Chinas Umgang damit vermittelten dem in- und ausländischen Publikum einen Eindruck von Chinas Anstrengungen im Bereich Wildtier- und Artenschutz in den letzten Jahrzehnten. Zwischen 1978 und 2021 ist die Zahl der wildlebenden Asiatischen Elefanten in Yunnan von rund 150 wieder auf über 300 Exemplare gestiegen. Und die Population wächst weiter.
Mitte der 1990er Jahre waren Wildelefanten in Yunnan nur in den nationalen Naturschutzgebieten Xishuangbanna und Nangunhe anzutreffen. Bis Ende 2020 hatte sich der Aktivitätsradius der Tiere bereits auf 55 Gemeinden in elf Landkreisen und drei Stadtbezirken in der gesamten Provinz ausgedehnt. Auch außerhalb der Naturschutzgebiete gab es also wieder wilde Elefanten. Für die Einheimischen ist die Anwesenheit der Tiere in ihren Dörfern nichts Ungewöhnliches mehr. Das Bewusstsein für den Wildtierschutz und das entsprechende Know-how wachsen stetig.
Bis heute wurden in China insgesamt elf Naturschutzgebiete zum Schutz der Lebensräume wildlebender Elefanten eingerichtet, auf einer Gesamtfläche von mehr als 500.000 Hektar. Um den Schutz und das Management der Schutzanstrengungen weiter zu verstärken, wurde im Dezember 2019 das erwähnte Forschungszentrum für Asiatische Elefanten der Nationalen Forst- und Graslandverwaltung in der Provinzhauptstadt Kunming gegründet.
Außerdem fördert China die internationale Zusammenarbeit zum Schutz der Asiatischen Elefanten. Das Nationale Naturreservat Xishuangbanna hat hierzu Kooperationsvereinbarungen mit drei Provinzen im Norden von Laos unterzeichnet und fünf gemeinsame Schutzgebiete mit einer Gesamtfläche von 133 Quadratkilometern eingerichtet. „Unsere gemeinsamen Schutzanstrengungen sollten sich in Zukunft noch präziser an den Bedürfnissen der Tiere orientieren“, sagt Chen Mingyong, Professor an der Fakultät für Ökologie und Umweltwissenschaften der Universität Yunnan. Er rät dazu, Lebensräume in Gebieten zu schaffen, in denen wilde Asiatische Elefanten traditionell vorkommen.
Der Schlüssel zur Wahrung des Gleichgewichts zwischen den Bedürfnissen der Wildtiere und dem Leben und der Entwicklung der lokalen Bevölkerung liegt letztlich in einem veränderten Entwicklungskonzept. Ein denkbarer Ansatz ist es, Einheimische vermehrt dazu zu ermutigen, anstelle von Landwirtschaft einen moderaten Ökotourismus zu betreiben. Mit weniger Reibungspunkten und weniger stark überlappenden Aktionsradien kann die harmonische Koexistenz von Mensch und Elefant gelingen.