Von Uwe Behrens*
In der vergangenen Woche trug Chinas Premierminister Li Keqiang seinen Bericht über die Tätigkeit der Regierung im Jahr 2021 vor und gab einen Ausblick für das Jahr 2022. Während die gesamte westliche Welt über verlangsamtes wirtschaftliches Wachstum, steigende Inflation, Lieferkettenprobleme, ja sogar über sinkenden Lebensstandard klagt, vermag es der chinesische Premierminister, trotz weltweiter Pandemie eine Erfolgsbilanz vorzulegen. Das Bruttoinlandprodukt ist entgegen allen internationalen Voraussagen um ganze 8,1 Prozent gestiegen. Der internationale Handel wuchs trotz US-amerikanischer Sanktionen und Embargomaßnahmen um 21,4 Prozent. Die Finanzwirtschaft ist stabil. Der chinesische Markt wurde für ausländische Unternehmen weiter geöffnet. Chinesische Unternehmen und vor allem Startups wurden ermutigt, zu investieren und neue innovative Produkte zu entwickeln. Der Markt befindet sich in einer Transformation hin zu einem Plattformmarkt zur Förderung einer digitalen Wirtschaft. Entsprechende Marktregulierungen zur Eindämmung von Monopolen und Wettbewerbsverzerrungen wurden getestet und - wenn erfolgreich - eingeführt. Zur Bewältigung der durch die Pandemie entstandenen Belastungen für kleine und mittelständische Unternehmen, ja für die gesamte Bevölkerung wurden umfangreiche Steuererleichterungen und soziale Verbesserungen eingeführt.
Was aber noch deutlicher die erfolgreiche Wirtschaftspolitik spiegelt, sind die weitere Erhöhung des Wohlstandes der gesamten Bevölkerung, die Fortsetzung des Kampfes gegen die Armut auf höherer Stufe und die Reduzierung der Unterschiede in der Verteilung des Wohlstandes. Der gesamte Bericht und der Ausblick für das kommende Jahr sind geprägt durch das Bestreben der Sicherung des Menschenrechtes auf ein glückliches Leben.
Was mich als ehemals in China und Indien tätigen Logistikmanager am meisten beeindruckt, ist die konsequente Fortsetzung der Seidenstraßeninitiative. Im Landverkehr zwischen China und Westeuropa konnten die Bahntransporte 2021 einen kaum zu erwartenden Umfang von zirka 1 Million 20-Fuß-Containern erreichen. Neue Bahnverbindungen zwischen China und westasiatischen Ländern wie dem Iran oder der Türkei konnten erfolgreich aufgebaut werden und stellen damit eine weitere Alternative zum Seeverkehr dar, aber vor allem auch eine Basis für die Industrialisierung des zentralasiatischen Raumes, was die Voraussetzung für eine Anhebung des Wohlstandes in diesen Ländern schafft. Die Eisenbahnstrecke nach Laos, als Teil der künftigen Landverbindung bis nach Singapur, konnte im Dezember in Betrieb genommen werden. Auch hier entwickelt sich entlang des Transportkorridors eine lokale Industrie, die der Bevölkerung Reis und Brot garantiert.
Uwe Behrens (links) bei seiner Reise in Xinjiang im Jahr 2019
In Afrika konnten trotz der Pandemie die Infrastrukturprojekte weiterverfolgt werden. Die neuen und modernen Eisenbahnverbindungen nach Nairobi und Addis Abeba arbeiten zur vollen Zufriedenheit der Länder. Industriebetriebe zum Beispiel in Nigeria, Ägypten oder Kenia konnten die Produktion aufnehmen und schaffen Arbeitsplätze und mehr Unabhängigkeit von den früheren Kolonialmächten, vom globalen Westen. Der chinesische Markt für afrikanische Produkte, seien es Agrargüter oder Produkte der entstehenden Fertigungsindustrie, wurde weiter geöffnet. Die Importzölle und Handelsrestriktionen konnten weitestgehend aufgehoben werden, so dass auf den chinesischen lokalen Märkten mehr und mehr afrikanische Produkte angeboten werden können.
Infrastruktur bedeutet im digitalen Zeitalter nicht nur das Netz von Straßen, Schienen, Häfen oder Kraftwerken, sondern auch Kommunikationsverbindungen. Im Rahmen der Seidenstraßeninitiative wurden im Jahr 2021 in Afrika weiter Kommunikationsnetze aufgebaut, der Bevölkerung erschwingliche Mobiltelefone angeboten und in ersten Metropolen wurde die 5G-Technik eingeführt. Für den Aufbau des Kommunikationsnetzwerkes wurden über 200.000 Kilometer Glasfaserkabel verlegt und damit mehr als 900 Millionen Afrikanern Zugang zum Internet ermöglicht. Die Verlegung der Glasfaserkabel bildet auch die Grundlage für 1500 Unternehmen in 17 afrikanischen Städten in 15 Ländern, gemeinsam mit chinesischen Partnern eine digitale Transformation vorzunehmen. Chinesische 5G-Technik von Huawei findet ohne Einschränkungen Anwendung. Afrika wird geholfen, eine Phase der industriellen Entwicklung zu überspringen, sich aus der Abhängigkeit von den Industrieländern und einer rückständigen Landwirtschaft zu befreien und sich in eine digitale Gesellschaft zu verwandeln.
Zeremonie zur Inbetriebnahme des Eisenbahnprojekts Addis Abeba - Djibouti
Auch im Jahr 2022 soll in China die im vergangenen Jahr erfolgreiche Wirtschafts- und Sozialpolitik weitergeführt werden. Das Wachstum des BIP wird mit 5,5 Prozent angesetzt, wobei hier ein „nur“ im Vergleich zum Wachstum früherer Jahre falsch angesetzt wäre. Es kommt nicht auf ein Wachstum um jeden Preis, ein Wachstum der Quantitäten an, sondern auf ein qualitatives Wachstum. Die chinesische Wirtschaft soll nicht auf eine profitorientierte Konsumgesellschaft, sondern auf umfassenden Wohlstand für alle ausgerichtet werden.
Die weltwirtschaftliche und geopolitische Situation wird im Jahr 2022 nicht einfacher, im Gegenteil. Die Corona-Pandemie ist nach wie vor präsent. Die hegemonialen Bestrebungen der USA, die sich in einem verstärkten Handelswettbewerb oder auch Handelskrieg, aber auch in einer Eindämmungspolitik äußern, werden nicht weniger. Die Vereinigten Staaten sind bemüht, die Länder der EU und asiatische Verbündete in ihre Politik einzubinden. Diesen Herausforderungen muss die chinesische Gesellschaft widerstehen und gleichzeitig unbeirrt am Ziel des Aufbaus eines großen modernen sozialistischen Landes, das reich, stark, demokratisch, kultiviert, harmonisch und schön sein soll, festhalten.
Chinas Premierminister hat dazu die Richtung vorgezeichnet. Er spricht von der Sechsfachen Stabilisierung (Stabilisierung der Beschäftigung, des Finanzwesens, des Außenhandels, der auswärtigen Investitionen, der eigenen Investitionen und der Erwartungen) und der Sechsfachen Gewährleistung (Gewährleistung der Beschäftigung, der grundlegenden Lebenshaltung der Bevölkerung, der Unterstützung der Marktteilnehmer, der Ernährungs- und Energiesicherheit, der Stabilität von Produktions- und Versorgungsketten sowie des Verwaltungsablaufs auf der Basisebene), um die Lebenshaltung der Bevölkerung kontinuierlich zu verbessern.
Aus meinen wirtschaftspolitischen Erfahrung als Transportmanager in der früheren DDR erscheint mir die Vorgabe des Premierministers, die Wahrheit in den Tatsachen zu suchen, auf den grundlegenden Verhältnissen des Landes im Anfangsstadium des Sozialismus zu fußen, die eigenen Hausaufgaben mit konzentrierten Kräften gut zu erledigen und den Gesetzmäßigkeiten der Entwicklung, den realen Verhältnissen und den Bedürfnissen der Bevölkerung Rechnung zu tragen, von außerordentlicher Bedeutung. Dieses Prinzip zieht sich, meiner Beobachtung nach, seit Beginn der Reformen, eingeleitet durch die Führung der KP Chinas um Deng Xiaoping, kontinuierlich durch die Regierungsarbeit und ist ein wesentlicher Grund für den erfolgreichen Weg der Volksrepublik. Im Gegensatz dazu war die Wirtschaftspolitik der Sowjetunion und der sozialistischen Länder, wie der DDR, nicht erfolgreich.
Die erfolgreiche chinesische Politik spiegelt sich auch wider in der stabilen Finanzpolitik - mit einer für das Jahr 2022 geplanten reduzierten Defizitrate und der Finanzierung der Realwirtschaft. Im Gegensatz zu den westlichen Ländern setzt China nicht auf eine aufgeblähte Finanzwirtschaft. Einen zentralen Platz nehmen die Aufgaben in den Bereichen Wissenschaft und Forschung sowie Innovation ein.
Den Herausforderungen des globalen Wettbewerbs kann nur mittels einer modernisierten und digitalisierten Wirtschaft, einer innovativen Fertigungsindustrie und einer digitalisierten Gesellschaft landesweit begegnet werden. Eingebettet in die Transformation der Wirtschaft von konventioneller zu innovativ getriebener Produktion wird das Einkommensverteilungssystem weiterentwickelt, damit das wachsende Einkommen einerseits bei der gesamten Bevölkerung ankommt und den inländischen Konsum antreibt und andererseits den Konsum von umweltfreundlichen und intelligenten Konsumgütern, auch in ländlichen Regionen durch einen entwickelten Offline-Handel, fördert.
Diese geplante, staatlich gelenkte Politik erscheint mir gegenüber der nur vom Markt getriebenen Politik in den neoliberalen kapitalistischen Ländern von wesentlichem Vorteil, da die Entwicklung auch den weniger entwickelten Regionen zugutekommt, was speziell in China erforderlich ist, um die Regionen im Landesinneren zu fördern.
Und da wären wir wieder bei der Seidenstraßeninitiative, die mit hoher Qualität gemeinsam umgesetzt werden soll. Besonderes Augenmerk ist hier auf das Wort „gemeinsam“ zu richten. Anders als die Kritiker der neuen Seidenstraße behaupten, ist die Belt-and-Road-Initiative ein langfristiges globales Projekt, welches von den bereits 180 teilnehmenden Ländern und internationalen Organisationen gemeinsam realisiert wird und auch weiter gemeinsam realisiert werden soll. Nicht China entscheidet, welche Projekte in welchem Land in Angriff genommen werden, sondern die teilnehmenden Länder und Organisationen entscheiden nach gemeinsamen Konsultationen im Sinne des gemeinsamen Aufbaus und der gemeinsamen Teilhabe. Für multilateralen Handel, multilaterale kulturelle und friedliche Beziehungen werden infrastrukturelle Vernetzungen geschaffen. Der im 14. Fünfjahresplan vorgesehene wachsende weltweite Handel Chinas stimuliert nicht nur die eigene Wirtschaft, sondern auch die der Handelspartner, der Länder der Seidenstraßeninitiative.
Schon seit 2009 ist China Afrikas größter Handelspartner. Durch die Öffnung des chinesischen Marktes für afrikanische Produkte und die gemeinsam mit China geschaffene innerafrikanische Freihandelszone wird der Handel zum gegenseitigen Vorteil weiter steigen. Aus den vergangenen Jahren lernend werden die Investitionen in den Partnerländern geordnet und mit kalkulierbarem Risiko für China und die jeweiligen Partner weiterentwickelt. Für Afrika wurden bereits während der letzten Tagung des Chinesisch-Afrikanischen Kooperationsforums (FOCAC) weniger Investitionen in finanziell riskante Mammutprojekte vereinbart. Es werden stattdessen mehr Projekte in der verarbeitenden Industrie, die eine unmittelbare Verbesserung der Lebenssituation mit sich bringen, gefördert.
China Railway Engineering Group Limited hilft der äthiopischen Regierung beim Transport von Hilfsgütern.
Gleichzeitig werden Projekte der digitalen Seidenstraße und der Seidenstraße der Gesundheit priorisiert. Auf der genannten Tagung des FOCAC wurde ebenfalls vereinbart, dass China Länder in Afrika dabei unterstützen wird, lokale Produktionen für Impfstoffe aufzubauen, so zum Beispiel in Ägypten, in Marokko und Algerien. Damit die afrikanische Bevölkerung bis Ende des Jahres 2022 zu 60 Prozent vollständig geimpft werden kann, übergibt China 600 Millionen Impfdosen an Afrika als Geschenk und bietet weitere 400 Millionen zum Kauf an.
Die weitere Bekämpfung der Armut nimmt auch in den Vorgaben für das Jahr 2022 einen zentralen Platz ein und ist ebenfalls im Rahmen der Seidenstraßeninitiative von herausragender Bedeutung. Die Länder Afrikas lernen vom Beispiel Chinas.
Nach der offiziellen Verkündung der Seidenstraßeninitiative im Jahr 2013 nahmen die westlichen Länder dieses Programm zunächst nicht erst. Sie glaubten, China übernehme sich, wolle nur eigene Interessen durchsetzen und auf die Länder Asiens, Afrikas, Lateinamerikas oder Osteuropas Einfluss gewinnen. Sie mussten aber lernen, dass China ein erfolgreiches Projekt initiierte, das nicht nur die Länder des globalen Südens begrüßten und unterstützten. Mit ihren hegemonialen Ansprüchen glaubten die USA und die EU, China wolle sie verdrängen und sich gegen sie als Weltmacht etablieren. Aus dieser Sicht heraus verkündete US-Präsident Joe Biden im Jahr 2021, das Programm „Build Back Better World“ (B3W). Und die Präsidentin der EU-Kommission Ursula von der Leyen gab die Initiative Global Gateway bekannt. Bislang sind noch keine Details der in den Programmen enthaltenen Projekte bekannt, aber die Länder des globalen Südens haben sehr wohl verstanden, dass diese Programme sich nicht an Afrika, Zentralasien oder Lateinamerika richten, sondern gegen China.
Die richtige Reaktion Chinas darauf ist, den USA und der EU eine Zusammenarbeit bei der Entwicklung von Infrastrukturen anzubieten. Frankreich und China diskutieren seit Jahren über eine Zusammenarbeit bei Entwicklungsprojekten in Drittländern, konnten aber bislang noch zu keinem Abschluss gelangen. Unter dem Druck der erfolgreichen Belt-and-Road-Initiative Chinas plant Frankreich allerdings nun, sieben Infrastrukturprojekte im Wert von über 1,9 Milliarden US-Dollar in Afrika, Südostasien und Osteuropa gemeinsam mit China zu realisieren, was Frankreich zum ersten Land macht, das einen zwischenstaatlichen Kooperationsmechanismus für Drittparteien mit China einrichtet.
Der chinesische Außenminister Wang Yi kündigte auf einer Zeremonie zum Gedenken an den 50. Jahrestag des Shanghaier Kommuniqués - des Abkommens aus der Nixon-Ära, das die Beziehungen zwischen den USA und China normalisierte - Chinas Bereitschaft an, sich bei der von den Vereinigten Staaten angeführten B3W-Initiative abzustimmen.
Die Bevölkerung Chinas kann stolz darauf sein, das eigene Land innerhalb von zwei Generationen von einem unterentwickelten Agrarland zu einem modernen Staat mit (noch) bescheidenem Wohlstand für alle aufgebaut zu haben und für die Welt ein leuchtendes Beispiel zu sein.
*Uwe Behrens ist langjähriger Chinakenner und war 27 Jahre unter anderem in China und Indien als Logistikmanager tätig.