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Was hinter der „China-Schuldenfalle“ steckt - welche Schulden und wessen Falle?

2022-09-06 15:55:00 Source:german.china.org.cn Author:Ole Döring
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Liest man den englischen Wikipedia-Eintrag zu „Schuldenfalle“ (debt trap), erfährt man, dieser Begriff sei 2017 von einem indischen Kolumnisten geprägt worden. Er sei speziell auf China gemünzt, um „räuberische Darlehen“ anzuprangern. Bemüht man das eigene Gedächtnis, so erweist sich diese Darstellung als Geschichtsklitterung.

 

In der Sache fällt der Vorwurf vor allem auf die USA und die Weltbank zurück. Das ist ausreichend dokumentiert. Schon 1988 wurde ein Buch mit dem bezeichnenden Titel „Die Schuldenfalle: Schuldenkrise und Dritte-Welt-Politik der USA“ veröffentlicht. Das war ein Jahr vor dem Fall des Ostblocks 1989. Mit diesem historischen Einschnitt fielen mögliche Rücksichten und Hemmnisse weg, die eine gerechte, transparente und ausgleichende globale Finanzpolitik gestärkt hätten. Trotz gelegentlicher „Schuldenerlasse“ blieb das Geschäftsmodell unangetastet. Die mit der Machtausübung des „großen Geldes“ verbundene Gewalt gegen Bedürftige ist nicht immer gleich sichtbar. Ihre Handlungen sind abstrakt, die Akteure treten im seriösen „weißen Kragen“ auf.

 

Chinas Aufschwung ist seit dem Beitritt zum WTO-System 2001 eng mit dessen Standards und Institutionen verknüpft. Chinas Neuaufbau rechtsstaatlicher Strukturen und einer modernen Verwaltung hat insgesamt dazu beigetragen, das Gewicht der international vereinbarten Normen zu stärken und ordentliche Abläufe unabhängig abzusichern.

 

Es ist legitime Praxis, wenn ein Land Kreditvergaben mit dem Status eines bevorrechtigten Gläubigers vertraglich absichert. Werden öffentliche Gelder verwandt, sind Rechtsstaaten dazu verpflichtet, um Schaden von ihrer Bevölkerung abzuwenden. Auch Deutschland muss jeden Cent Entwicklungshilfe oder Auslandsinvestitionen parlamentarisch rechtfertigen. China ist weder Urheber dieses Geschäftsmodells noch als Geldgeber moralisch fragwürdig. Ausschlaggebend ist, ob Darlehen dazu beitragen, die Volkswirtschaft aufzubauen und die Empfänger möglichst auf den Weg der Unabhängigkeit zu bringen. Das sind langfristige Entwicklungen. Jeder weiß, dass weder Fluch noch Segen der infrastrukturellen Großinvestitionen bewiesen werden können, solange keine starken Fakten oder Katastrophen vorliegen. Es geht also um die Zuweisung von Misstrauens-Kapital, einfach um üble Nachrede.

 

Wer sich in diesem Zusammenhang von der Kampagne gegen Chinas Seidenstraßen-Initiativebeeindrucken lässt, hat nicht verstanden, wie vielfältig und dynamisch dieses Globalisierungs-Projekt angelegt - und wie überfällig es war. Eine große Vision ist kein Kommandodiktat. Wer sich beteiligt, kann gestalten. Dabei hoffen alle mehr zu gewinnen als sie verlieren. Bei genauer Betrachtung entpuppen sich die angeprangerten Schulden als normale vertragliche Verbindlichkeiten und die Vorwürfe als heiße Luft. Wenn Unregelmäßigkeiten auftreten, sind die nationalen und internationalen Aufsichtsbehörden zuständig.

 

Manche deutsche und europäische Stimmen haben sich von Anfang an geweigert, Chinas Angebot zur Kooperation ernsthaft zu prüfen. Einzusehen, dass China nach zwei Jahrhunderten globalem Ausnahmezustand zu einem gleichrangigen Partner geworden ist, braucht Geistesbildung und Herzensgröße. Die Gruppe „Neubeginn“, um den ehemaligen Staatsminister Ludger Volmer, schrieb 2021: „Die Pax Americana ist blamiert und verhasst, und die meisten Länder reagieren genervt auf die Doppelmoral europäischer Tugendbolde.“

 

Es ist aber ganz leicht, Chinas Weg anzuerkennen. Das macht zum Beispiel die amerikanische Zeitschrift The Atlantic: „China und andere Länder werden immer geschickter darin, miteinander zu verhandeln. Und es wäre eine Schande, wenn die USA nicht bei diesem Lernen mitmachen würden“, heißt es dort 2021. Die „Schuldenfalle“ ist keine chinesische. Die am globalen Süden ausgerichtete Nachrichtenagentur IPS erklärt: „Dieses Schlagwort wurde populär gemacht, um China zu dämonisieren.“

 

In keiner Hinsicht lässt sich die eingangs zitierte Rede von Chinas Schuldenfalle mit der Geschichte, den Fakten und dem Verstand in Einklang bringen. Die alarmistische Redeweise bedient ein Narrativ, das ein schlechtes Gewissen beruhigen und alte Ängste aufwärmen soll. Was bis vor kurzer Zeit als Ausdruck enger Zusammenarbeit gefeiert wurde, wird nun zum Problem: unsere enge realwirtschaftliche Verflechtung. Das Institut der deutschen Wirtschaft hat gezeigt, dass Direktinvestitionen in China im laufenden Jahr auf einem Rekordhoch waren. Parallel vervierfachte sich Chinas Anteil an den Gesamtimporten innerhalb von zwei Jahren auf 12,4 Prozent. Wenn sich aus deutscher Sicht Abhängigkeiten „mit enormem Tempo in die falsche Richtung“ entwickeln, gibt es strukturelle Probleme. Diese lassen sich aber nicht lösen, indem man sich gegen China wendet. Eben kam das Ifo-Institut in Leipzig zu dem Schluss, das ein „Handelskrieg“ mit China die deutsche Wirtschaft sechsmal so viel kosten würde wie der Brexit. Es wird Zeit, die rhetorische Aufrüstung zu beenden, die nichts anderes als Teil einer psychologischen Kriegsführung ist, um Konflikte herbeizureden, die niemand wollen kann.

 

Auch in der Vergangenheit gab es statistische Ausschläge in die eine oder andere Richtung, ohne dass deswegen fundamentale Unstimmigkeiten bis hin zum „Handelskrieg“ beschworen wurden. Wenn die gesamte Weltwirtschaft aufgrund massiver staatlicher Eingriffe in die Ökonomie ins Wanken gerät, ist es unsinnig, Länder, die bislang relativ stabilisierend wirken, zu beschimpfen.

 

Die für solche Verirrungen verantwortlichen Meinungsmacher und Politiker haben nicht nur ihren Kompass verloren. Sie verstehen nicht einmal ihn zu lesen und wollen die Vernünftigen daran hindern, dies beim Namen zu nennen. Dabei ginge es heute mehr denn je darum, die ungeheure Wirkmacht und den Reichtum der menschlichen Zivilisation schadlos für unseren Planeten und zum Wohl der Menschheit fruchtbar zu machen.

 

Wenn wir nicht die Ehrlichkeit und den guten Willen mobilisieren, die wir einander als Menschen schulden, treiben uns Gier und Lüge immer tiefer in eine Falle, die wir schon lange sehen können.

 

Ole Döring ist habilitierter Philosoph und promovierter Sinologe. Er arbeitet zwischen Berlin und China an der Verständigung der Kulturen. Er hat eine Vollprofessur an der Hunan Normal University in Changsha inne, ist Privatdozent am Karlsruhe Institut für Technologie und Vorstand des Instituts für Globale Gesundheit Berlin. Die Meinung des Autors spiegelt die Position unserer Webseite nicht notwendigerweise wider. 

 

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