In traditionelle chinesische Gewänder gehüllt und mit farbenfrohen Fächern und Seidentüchern in der Hand formieren sich mehrheitlich ältere Damen zu einer sehr anspruchsvollen Choreografie in der Abenddämmerung von Beijing. Die Musik aus Lautsprechern, die an ein Handy angeschlossen sind, beginnt zu spielen und den Zuschauern bietet sich ein atemberaubendes Schauspiel von Anmut und Grazie. Die Damen tanzen zu traditionellen Klängen, jeder ihrer Schritte erzählt die Geschichte der reichen chinesischen Kultur. Ihre Bewegungen sind so fließend und erscheinen so mühelos, als hätten die Tänzerinnen mit Einschalten der Musik ihre jugendliche Vitalität zurückgewonnen. Aber keine Magie, sondern Freude und regelmäßiges Training sind die Erklärung für Leichtigkeit und Perfektion. Solche Tänze kann man überall in China sehen.
Manchmal tanzen in den Gruppen auch Männer mit. Ein früherer indischer Kollege von mir beobachte eine Tanzgruppe regelmäßig mit sichtbarer Faszination. Er wurde dann von der Gruppenleiterin aus Spaß zum Mitmachen aufgefordert. Er tat das aber wirklich und beherrschte bald die Bewegungen so perfekt wie seine weiblichen Mitstreiter. Während eines Heimaturlaubs brachte er sogar indischen Kindern die chinesischen Tänze bei.
Ich sah in Beijing auch Paare tanzen, ebenfalls schick gekleidet und viel professioneller als ich das erwartet hätte. Ich lernte bald, dass Chinesen bei ihrem Freizeitsport viel Spaß haben und gleichzeitig ehrgeizige Ziele verfolgen.
Im Takt ihrer Handy-Musik drehen Jogger ihre Runden in den Parks oder laufen entlang der Flussufer. Zahlreiche öffentliche Sportgeräte sind Schauplatz von zirkusreifer Akrobatik und enormen Kraftakten. Als ich einmal einen nicht mehr ganz jungen Herrn mit freiem, sehr muskulösem Oberkörper am Reck eine Felge rückwärts machen sah, fragte ich ihn nach seinem Alter. Er war 75 Jahre alt! Später maß er sich mit einem jungen Mann und gewann mit 28 Klimmzügen.
Gruppen-Selfie: Mit ihrem 3:0-Sieg gegen Japan sicherte sich das chinesische Frauenvolleyball-Team am 6. August Gold bei den 31. FISU-Sommer-Welthochschulspielen in Chengdu. (Foto: Cao Yiming / Xinhua)
Die sportlichsten Studenten der Welt messen sich derzeit in Chengdu, der pulsierenden Hauptstadt der südwestchinesischen Provinz Sichuan, in den 269 Wettkämpfen der 31. Sommer-Welthochschulspiele des Internationalen Hochschulsportverbandes. China beteiligt sich mit 411 Athleten von mehr als 100 Universitäten. Staatspräsident Xi Jinping hatte die unter dem Motto „Excellence in Mind and Body“ stehende „Studenten-Olympiade“ am 28. Juli eröffnet. Sie endet am 8. August. Das Athletendorf befindet sich diesmal übrigens erstmals in der Geschichte der Welthochschulspiele auf einem Hochschulcampus, nämlich auf dem Gelände der Universität Chengdu. Die Athleten können dort nicht nur von einem natürlichen Kühlungssystem mittels Windverstärkung profitieren, sondern auch von modernster Technik, wie etwa automatischen Echtzeit-Übersetzungen in mehr als 80 Sprachen und Barista-Robotern, die frisch Kaffee mahlen und brühen.
Chengdu ist nach Beijing im Jahr 2001 und Shenzhen im Jahr 2011 die dritte Stadt auf dem chinesischen Festland, welche diese alle zwei Jahre stattfindenden „FISU Summer World University Games“ ausrichtet. Entsprechend ihrem Motto beinhaltet die Sportveranstaltung auch pädagogische und kulturelle Aspekte. Studentische Athleten aus aller Welt werden ermutigt, sportliche Höchstleistungen mit ihren intellektuellen Ambitionen zu verbinden. Das zwölftägige Wettkampfprogramm umfasst 15 Pflichtsportarten. Um an der Spitze der sportlichen Entwicklung und Innovation zu bleiben, können die Organisatoren auch bis zu drei optionalen Sportarten aus einer Liste in ihre Veranstaltung aufnehmen, was die ambitionierten Chinesen natürlich taten. Anlässlich der Austragung der Sportspiele setzt Chengdu verstärkt auf den Aufbau von Fitnessräumen für die Bevölkerung, damit mehr Menschen den Zauber des Sports selbst erleben können.
Wer Chinas Megastädte besucht, merkt schnell, dass Metropolen niemals schlafen. In Beijing sind in manchen Nächten mehr Menschen auf den Straßen, als in Berlin am Tag. Und schon in den frühen Morgenstunden, wenn die ersten Sonnenstrahlen über den Baumwipfeln tanzen, sind Freizeitsportler aktiv, die einen Park als Bühne gewählt haben, um den Zuschauern einen Querschnitt durch Chinas populärste und traditionelle Sportarten zu bieten. Dazu gehört auch die uralte chinesische Kampfkunst Taichi. Dessen Philosophie passt sehr gut zum Volkssportgedanken in China. Es geht den Chinesen nicht nur um körperliche Aktivität, sondern auch um geistige und spirituelle Ausgeglichenheit. Man lernt seine Energie zu kanalisieren und mit sich und der Umwelt im Einklang zu sein. Auch Touristen können sich einer Taichi-Gruppe anschließen.
Die chinesische Regierung hat das Potenzial von Taichi als bedeutende kulturelle und gesundheitliche Ressource erkannt und fördert aktiv die Praxis dieser alten Kampfkunst. Taichi-Kurse werden in Schulen, Universitäten und Gemeindezentren angeboten.
An einem anderen Ort in Beijing treffen sich Jugendliche auf ihren Skateboards und zeigen ihre neuesten Kunststücke an Rampen und Hindernissen. Ein Junge übt stundenlang einen Flip, bei dem sich das Board um die eigene Achse dutzende Male unter seinen Beinen drehen soll, bis er ihn schafft.
Währenddessen ist die Stimmung im Stadion in Chengdu schon euphorisch. Die Ränge sind mit enthusiastischen Fans aus aller Welt gefüllt, die ihre Teams anfeuern. Leonz Eder, amtierender FISU-Präsident, hält die Veranstaltung nicht nur für eine Bühne für junge Sportler, sondern auch für eine Verbindung, um den Austausch zu fördern und die Welt zu vereinen. Laut Eder ist das Konzept „Fitness für alle“ in China zu einer nationalen Strategie geworden. Das Fitnessprogramm auf nationaler Ebene befürworte ein gesundes Leben und aktive Bewegung. Eder lobt den chinesischen Weg: Denn man brauche Menschen, die körperlich stark und geistig gesund seien, um sich auf die Zukunft zu konzentrieren und die Herausforderungen zu meistern, vor denen alle Länder stünden.
Neues Erlebnis: Nikita Simonov aus Aserbaidschan lernt am 3. August mit Hilfe von Chen Feng, einer Repräsentantin des immateriellen Kulturerbes „Pengzhou Aoping Drachen“, im Athleten-Dorf der Welthochschulspiele, wie die traditionellen Drachen gefertigt werden. (Foto: Shen Bohan / Xinhua)
Xi Jinping setzt sich seit vielen Jahren für den koordinierten Fortschritt von kulturellem Lernen und körperlicher Betätigung junger Menschen ein. Xi zufolge ist Sport ein wichtiges Symbol für gesellschaftliche und menschliche Weiterentwicklung. Der Erfolg von Chinas Schulsportprogrammen und Chinas speziellen Sportschulen ist eng mit seiner visionären Führung verbunden. Xis starkes Engagement für die Schulsportförderung hat dazu beigetragen, eine neue Generation junger Athleten zu inspirieren und zu formen. Sport gilt als integraler Bestandteil des Lehrplans. Schüler werden ermutigt, nicht nur ihre körperliche Gesundheit zu verbessern, sondern auch Werte wie Teamgeist, Disziplin und Fairplay zu lernen.
China hat sich 2008 und 2022 als sympathischer und sehr erfolgreicher Gastgeber der Olympischen Spiele in Beijing gezeigt und jetzt bei den FISU Summer World University Games auch wieder neue, sehr hohe Standards gesetzt, Sportsgeist und Liebe zum Sport, Traditionen und moderne Technik mit Gastfreundlichkeit und Herzlichkeit verbunden. Die Welthochschulspiele in Chengdu sind genauso wie der Volkssport in Tausenden von chinesischen Dörfern und Städten eine Feier des Lebens, der Kultur und der Menschlichkeit, die uns daran erinnert, dass wir alle Teil einer großen Schicksalsgemeinschaft sind, die auch durch Bewegung und Begeisterung vereint ist und von freundschaftlichem Wettkampf profitiert.
Wir dürfen gespannt sein, was Deutschland, dem nächsten Gastgeber der Welthochschulspiele im Jahr 2025, einfällt.
*Nils Bergemann ist studierter Journalist mit langer Erfahrung als Redakteur und Kommunikationsexperte bei Verlagen und anderen Unternehmen. Zuletzt arbeitete er fünf Jahre für die China Media Group. Weiterhin in Beijing lebend unterrichtet er seit 2023 Deutsch, Sprachwissenschaften und Wirtschaft an der University of International Business and Economics.