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Gulangyu: Drei Wächter und ihre Inselheimat

2023-12-18 17:28:00 Source:german.chinatoday.com.cn Author:Ma Li
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Auf Gulangyu, dem berühmten Eiland vor der Küste Xiamens, wogen allabendlich sanfte Geigenmelodien durch eine der kleinen Gässchen. Die Klänge kommen aus der Chuncao-Villa. Das historische Gemäuer anno 1933 ist einer der bekanntesten Altbauten der Insel. Ihr Besitzer, Xu Duokang, spielt seit vielen Jahren Geige. „Geigen- und Klavierklänge sind hier von der Insel kaum mehr wegzudenken“, sagt er. Viele der Bewohner spielten mittlerweile ein Instrument. 

  

Gulangyu hat aber nicht nur etwas fürs Ohr zu bieten, sondern auch für den Gaumen. In der Ahpia Lim, einer chinesischen Patisserie, bespricht Lin Conghai, Gründer der kleinen Bäckereistube, gerade mit seinen Konditoren die neuesten Backkreationen. Lin kombiniert in seinen Köchen typische lokale Geschmacksnoten mit zeitgenössischen kulinarischen Elementen. Er möchte einerseits die Älteren auf der Insel geschmacklich in Kindertage zurückversetzen, andererseits auch den Geschmack der Jugend treffen. Und das Rezept geht auf. Lin liebt das Leben hier auf dem landschaftlich herrlichen Eiland. Schon seit er zwölf ist, lebt er hier, weggezogen hat es ihn nie. 

  

Die Chuncao-Villa ist natürlich längst nicht die einzige architektonische Perle, die Gulangyu zu bieten hat. Haus Nummer 24 in der Guxin-Straße beispielsweise ist ebenfalls eine beliebte Adresse für Freunde historischer Bauten. In der zweiten Etage ist hier ein Kinderzeichenatelier angesiedelt, in dem Kunstlehrer An Jujin den Nachwuchs an die Malerei heranführt. 2010 schloss An sein Studium an der Akademie für Kunst und Design von Gulangyu ab. Aufgrund seiner tiefen Verbundenheit zu der Insel, entschloss er sich nach jahrelanger Arbeit außerhalb, zurückzukommen und eine Bildungseinrichtung zu gründen. An Jujin ist damit einer der vielen, die zurückkehren auf das malerische Eiland. 

  

Alteingesessene, Neuankömmlinge und Rückkehrer verbindet ein gemeinsames Ziel: Gulangyus Weltkulturerbe bewahren und weiterführen. Das erklärt uns Liao Xiaodong, stellvertretender Leiter des Verwaltungskomitees der Insel. Die historische internationale Siedlung auf Gulangyu sei das Herz des Eilandes und das Zuhause der Inselbewohner. Um es zu schützen, bedürfe es der gemeinsamen Anstrengungen der gesamten Gesellschaft, sagt Liao. Nur so könnten letztlich alle vom historischen Erbe der Insel profitieren, heute wie in Zukunft. 

  

Altes schützen und Neues schaffen 

 

  


Schutz und Weiterführung: Xu Duokang und seine Chuncao-Villa 

  

Am 8. Juli 2017 wurde die internationale Siedlung von Gulangyu offiziell in die Liste des UNESCO-Weltkulturerbes aufgenommen. Auf der Insel finden sich mehr als 1600 historische Altbauten. Sie sind in Stein gegossene Zeugen der Vergangenheit des Eilandes und tragen das historische Erbe weiter. Noch immer leben 8000 Alteingesessene hier, die auf der Insel geboren und aufgewachsen sind. Sie atmen die gleiche Luft wie die alten Gebäude und erhalten sie nach Kräften. Xu und seine Familie zählen zu diesen Altinselbewohnern. Sie gehen beim Schutz der Insel und ihrer Gebäude mit gutem Beispiel voran. 

  

Die Chuncao-Villa wurde einst von Xu Chuncao, Xus Großvater, entworfen und gebaut. Laut dem Enkel des Baumeisters ist der Grundriss an typische traditionelle Wohnhäuser des alten Chinas angelehnt. So verfüge die Villa etwa über einen zentralen vorderen und hinteren Saal sowie Wohnräume zu beiden Seiten hin. Die Außenoptik sei jedoch im westlichen Stil gehalten, sagt er, das sei das Besondere. Im Zentrum der Anlage befindet sich ein sichelförmiger Vorbau, der von hübschen Säulengängen flankiert wird. Die symmetrisch angelegte Fassade sei sowohl zweckdienlich als auch ästhetisch ansprechend, sagt Xu. Es sei seinem Großvater gelungen, westliche und chinesische Elemente gekonnt zu vereinen. Der Großvater habe ihm stets gesagt, diese Melange aus Ost und West werde dem Charakter der Insel einfach am besten gerecht, erinnert sich Xu. 

 

  


Unter Denkmalschutz: Die 1933 erbaute Chuncao-Villa steht als Schwerpunktobjekt unter besonderem Schutz. 

 

Xu verrät uns, dass sein Opa aufgrund finanzieller Schwierigkeiten niemals eine Schule habe besuchen können. Als der Großvater noch jung gewesen sei, habe er auf dem Bau geschuftet, um die Familie zu ernähren. Ganz nebenbei habe er dort gelernt, Baupläne zu zeichnen. Im Laufe der Zeit mauserte sich der engagierte Mann so vom einfachen Bauarbeiter zum Architekten und gründete schließlich sein eigenes Bauunternehmen. Im Laufe seiner Karriere habe Xus Großvater mehr als 70 Häuser auf Gulangyu gebaut, erzählt Xu stolz, einschließlich der berühmten ehemaligen Residenz von Xu Feiping und der Dreifaltigkeitskirche. 

  

Der heute 63-jährige Xu wuchs in der von seinem Großvater entworfenen Villa auf und hat daher eine tiefe Verbindung zu dem alten Anwesen. Die historische Villa setze nicht nur die Familiengeschichte fort, sondern sei heute auch ein wichtiger Bestandteil der internationalen Siedlung der Insel und damit auch des UNESCO-Weltkulturerbes. Nachwuchsarchitekt Xu verbrachte mehr als zwei Jahre damit, die alte Villa von Grund auf zu sanieren. Ohne das ursprüngliche Design zu verändern, erneuerte er die Struktur des Hauses und erhielt so weitgehend das ursprüngliche Antlitz des Anwesens. Dadurch wurde die Villa zu einem Vorzeigeprojekt für den Schutz historischer Gebäude auf der Insel. Seit 2016 steht die Chuncao-Villa unter städtischem Denkmalschutz, seit 2018 ist sie auch Teil der Denkmalschutzliste der Provinz Fujian. 

  

Xu trat also in die Fußstapfen seines Großvaters und ist heute ebenfalls als Architekt tätig. Während seiner langjährigen Tätigkeit im Bauamt von Gulangyu setzte sich der Baumeister stets für den Schutz historischer Gebäude auf der Insel ein. Selbst im Ruhestand setzt er sein Engagement fort. Besonders am Herzen lag ihm dabei auch die einst von seinem Opa erbaute Dreifaltigkeitskirche von 1934. Sie verfiel immer mehr. 2000 gestaltete Xu Teile des Gotteshauses um. 2018 beteiligte er sich an der erneuten Restaurierung der Kirche und verstärkte das Hauptgebäude. 

  

Zu Ehren seines Großvaters hat Xu neben der Familienvilla eine neue Villa mit einem Panoramaaufzug errichtet. Seither strahlen die Werke zweier Generationen, des Großvaters und des Enkels, im Hier und Jetzt um die Wette und sind zu einer faszinierenden Sehenswürdigkeit auf der Insel geworden. 

  

Noch heute klingen in Xu die Worte seines Großvaters nach: „Selbst das schönste architektonische Design dient letztendlich dem Leben und muss komfortabel sein. Darum geht es in der Beziehung zwischen Architektur und Mensch, darin liegt der Wert unserer Arbeit.“ In Zukunft will der pensionierte Architekt gemeinsam mit anderen Alteingesessenen die Altbauten der Insel weiter erhalten und dabei sicherstellen, dass es sich nicht nur gut darin leben lässt, sondern dass auch die historischen Traditionen des Eilandes bestmöglich weitergeführt werden. 

  

Schutz der gemeinsamen Heimat 

 

In diesen Tagen ist Lin, der Rückkehrer, nicht nur damit beschäftigt, die neuen Produkte seiner Confiserie zu verkosten, sondern möchte auch dem Interieur seines im vergangenen Jahr eröffneten Teehauses den letzten Schliff geben, ein Siheyuan-Komplex („Vierseithof“) im traditionellen Stil. Das Teehaus ist ein gutes Beispiel dafür, wie sich den alten Gebäuden mit pfiffigen Geschäftsideen neues Leben einhauchen lässt.  

  

Der besagte Vierseithof ist das älteste und am besten erhaltene Hokkien-Rotziegelhaus auf der Insel. Er wurde zwischen 1796 und 1820 erbaut, hat also bereits über 200 Jahre auf dem Buckel. Xiamen sei einst eine der ersten internationalen Hafenstädte Chinas gewesen, erklärt uns Lin. Gulangyu sei damit zu einem Vorreiter bei der Verschmelzung unterschiedlicher Kulturen geworden. Früher brachten die alten Händler verschiedenste Hokkien-Tees auf die Insel und verschifften sie von hier aus in alle Welt. Die Familien von Huang Xuzhai, Erbauer des alten Siheyuan, und Chen Yulu, waren bekannte Handelssippen vor Ort, die den Tee-Export deutlich vorantrieben. 

 

  


Zweihundertjähriges Gebäude: Der üppig bewachsene Vierseithof, in dem sich heute ein Teehaus befindet. 

 

Im Jahr 2020 mietete Lin diesen über 200 Jahre alten Komplex an. Nach sorgfältiger Restaurierung und Einrichtung, die 438 Tage in Anspruch nahm, öffnete der Komplex am 18. Januar 2022 offiziell seine Pforten für den Publikumsverkehr. Lin hofft durch sein Projekt die Geschichte der beiden großen Teefamilien des Ortes fortzusetzen und das alte Haus mit neuem Leben zu füllen. Um ein authentisches Erlebnis zu kreieren, reisten er und sein Team kreuz und quer durch die Teeanbaugebiete der Provinz Fujian, um sich mit den Ursprüngen des örtlichen Tees vertraut zu machen. Ihr Ziel war es, die alten Traditionen authentisch weiterzuführen. 

 

  


Hingucker mit Backsteinfassade: Das Lee House 

 

Neben seiner Patisserie Ahpia Lim und seinem Teehaus ist das Familienhotel Lee House das beliebteste Werk von Lin. Die Villa, die im frühen zwanzigsten Jahrhundert im europäischen Stil errichtet wurde, war eines der ersten Familienhotels auf Gulangyu. Sie gehörte einst dem berühmten „Holzkönig“ Li Qingquan. Nachdem es seine Nachkommen ins Ausland gezogen hatte, war das Haus lange verwaist. Schließlich mietete Lin es an und verwandelte es in ein Familienhotel. 15 Jahre später ist das Lee House zu einem Vorbild der Gasthäuser von Xiamen geworden. 

 

  


Tea time! Lin genießt einen duftenden Aufguss in seinem Teehaus. 

 

Aufgrund seines blühenden Gasthaus-Geschäfts hat Lin heute noch eine weitere Rolle inne – er ist der Präsident des Familienhotelverbandes von Gulangyu. Es seien heute bereits 500 historische Gebäude in Herbergen umgewandelt worden, erklärt uns der Tausendsassa. Die Restaurierungsmaßnahmen trügen dazu bei, eine Verbindung zu Außenstehenden herzustellen. Die Familienhotels trügen die Geschichte und die Mentalität der Menschen auf der Insel in die Neuzeit, verbänden Vergangenheit und Gegenwart, schwärmt der Hotelier aus Leidenschaft. Die zahlreichen kleinen Pensionen böten den Besuchern nicht nur gute Unterkünfte, sondern erzählten in gewisser Weise auch die Geschichte der Insel weiter. Das versetze die Gäste in die Lage, den Charme der Insel in all seinen Facetten in authentischer Weise vor Ort zu erleben. 

  

Die Saat der Vergangenheit in die Zukunft tragen  

 

Jedes Wochenende ist An Jujin einer der geschäftigsten Menschen auf der kleinen Insel. Dann nämlich führt er die jungen Teilnehmer seiner Malkurse zu verschiedenen historischen Gebäuden und zeigt ihnen dort, wie man die alten Häuser am besten zu Papier bringt. 

 

„Ich bringe den Kindern nicht einfach nur das Malen bei. Während des Malprozesses nehme ich mir Zeit, um ihnen die Geschichte hinter jedem alten Haus zu erzählen. Mir ist es wichtig, dass sich den Kindern die Kultur und Geschichte unserer Insel ins Gedächtnis prägt“, sagt er. 

 

  


Mehr als ein Mallehrer: An Junin bringt den Kindern nicht nur das Zeichnen bei, sondern gibt auch faszinierende Einblicke in die örtliche Geschichte. 

 

2010 verließ der Lehrer nach seinem Abschluss an der örtlichen Akademie für Kunst und Design die Insel zunächst, um anderswo sein Glück zu versuchen. „Aber in den zehn Jahren fern der Heimat kam ich nie irgendwo richtig an“, gesteht er. Seine vier Jahre als Student auf Gulangyu seien die schönste Zeit seines Lebens gewesen. So entschied er sich am Schluss, zurückzukehren und „mit Kunst wieder etwas für Gulangyu zu tun“. 

  

„Ich unterrichte Kinder im Zeichnen, wobei die Themen stets in engem Zusammenhang mit der Geschichte und Kultur dieser Insel stehen. Ich ermutige die Kleinen, die Schönheit der Insel aus ihrer eigenen Perspektive zu entdecken“, erklärt er. „Während des Wahrnehmens, Entdeckens und Zeichnens pflanzen die Kinder gewissermaßen einen Samen in ihrem Herzen. Wer heute die Schönheit von Gulangyu mit Pinselstrichen festhält, wird morgen zum Beschützer der Inselkultur“, ist der Lehrer überzeugt. 

  

Seit mehr als einem Jahrhundert nun schon ist die kleine Insel ein Schmelztiegel der Kulturen. Hier treffen sich die Traditionen von Chinesen, Überseechinesen und westlichen Reisenden und verbinden sich zu einer magischen Mischung. Daraus ist eine blühende internationale Gemeinschaft erwachsen. Bis heute stehen auf der Insel tausende Gebäude unterschiedlichster Baustile nebeneinander, Kunst, Literatur und Bildung erlebten hier eine Blütezeit. „Wenn ich über die Geschichte, Kultur und zivilisatorische Entwicklung unserer Insel nachsinne, wird für mich eines klar: Wir müssen nicht nur unser gemeinsames Weltkulturerbe erhalten, sondern auch einen gemeinsamen geistigen Raum für neue Ideen schaffen“, sagt der junge Kunstlehrer. 

 

  


Bringt die Schönheit der Insel auf die Leinwand: Maler und Kunstlehrer An Junin. 

 

Die ehemalige UNESCO-Generaldirektorin Irina Bokova habe den Geist von Gulangyu bei einem Besuch einmal wie folgt auf den Punkt gebracht: „Obwohl diese Insel klein an Fläche ist, ist sie ein Träger großer geistiger Werte. Ihre Geschichte kann Menschen auf der ganzen Welt helfen, Werte wie Respekt, Toleranz und gegenseitiges Verständnis zu verstehen und zu praktizieren. Sie lehrt uns, die Vielfalt der Kulturen zu schätzen. Somit ist sie ein wichtiges Klassenzimmer für die Völkerverständigung weltweit.“ Dem sei, so findet An, eigentlich nichts mehr hinzuzufügen. 

 

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