Atemberaubendes Panorama: Heute sind der Yundang-See und die angrenzenden Uferanlagen eine grüne Lunge für Xiamen. (Foto: Lu Changyi)
Bevor die Patricks beschlossen, nach Xiamen zu ziehen, sichteten Scott Patrick und seine Frau viele Fotos der Stadt, um „ihren“ Stadtteil zu finden. Der Amerikaner trat eine Stelle als Musiklehrer an der Xiamen International School an. Als sie den Yundang-See im Westen der Stadt erstmals auf Bildern sahen, war für das Paar schnell klar: das war ihr Traumspot in der Stadt.
„Wir haben uns gleich in den Anblick des Sees mit seinem üppigen Grün verliebt. Er war für uns definitiv die erste Wahl, quasi der Spot, den wir uns immer erträumt hatten“, erinnert sich Scott Patrick. Nachdem der Amerikaner dann erstmals Fuß in die Stadt gesetzt hatte, fühlte er sich in seiner Lebensentscheidung klar bestätigt.
Mittlerweile lebt das Paar seit über zwei Jahren in der Küstenmetropole an der chinesischen Ostküste. Spaziergänge am Seeufer und das Beobachten der Reiher, die über dem ruhigen, sauberen Wasser ihre Kreise ziehen, ist Teil ihrer täglichen Routine geworden.
Der Yundang-See, der einzige künstliche See der ostchinesischen Küstenmetropole, hat eine Wasserfläche von 1,6 Quadratkilometern. Sein Zufluss erstreckt sich quer durch die Stadt und verbindet das Gewässer mit dem Meer. Was Patrick und seine Frau lange nicht wussten: In der Vergangenheit sah es hier an ihrem „Traumspot“ noch alles andere als traumhaft aus. Wenn das Paar den Zustand des Sees vor drei Jahrzehnten gesehen hätte, wären die beiden sicher erschrocken.
Denn noch bis in die 1970er Jahre glich das Gewässer eher einer Kloake, war Sammelbecken der Abwässer von Hunderttausenden Haushalten und der örtlichen Industrie. Über dreihundert Produktionsbetriebe leiteten damals ihr Abwasser direkt in den See ein. Überall fand sich Müll und Morast, alles andere als eine Augenweide also.
Ab den achtziger Jahren aber setzte ein Umdenken ein und die Stadtregierung begann, der Verschmutzung Einhalt zu gebieten. Nach einem umfassenden Vierstufenplan, der sich über einen Zeitraum von 30 Jahren erstreckte, wurde der See schrittweise umgestaltet. Die riesige Wasserfläche ist heute ein Spiegel des gelungenen Umweltmanagements der Stadt.
Einst ein stinkendes Gewässer
Fu Xunyi, einer der Chefingenieure des Zentrums für den Schutz des Sees, ist selbst in der Nähe des Sees aufgewachsen. „Früher nannten wir ihn spöttisch stinkende Rinne“, erinnert er sich.
In der Vergangenheit war der See auch als Yundang-Hafen bekannt. Im Westen der Insel Xiamen gelegen, war er auch früher schon direkt mit dem Meer verbunden und diente daher als städtischer Hafen. In den 1970er Jahren baute man dann einen Deich von Fuyu nach Dongdu, um dem Meer Land abzuringen. In der Folge verwandelte sich der frühere Yundang-Hafen zu einer geschlossenen künstlichen Lagune, dem heutigen Yundang-See. Doch das Gewässer lag lange brach. Und mit dem Bau von Fabriken in der Umgebung gelangten große Mengen an Industrie- und Haushaltsabwässern in den See.
„Im Frühjahr und Sommer wucherten die Algen und überall wurde Müll abgeladen. Der See stank fürchterlich. Von Fischen, Krabben und Reihern sah man keine Spur. Die Anwohner litten sehr unter der Situation“, erinnert sich Ingenieur Fu zurück.
Um diesem Elend ein Ende zu setzen, beschloss die Stadtregierung Mitte der 1980er Jahre, einen gesetzlich verankerten Plan in Kraft zu setzen. Der sah vor, die illegale Einleitung von Abwässern einzudämmen, den See zu entschlammen, Dämme zu bauen, das Wasser wieder fließen zu lassen und die Umgebung zu verschönern. Es handelte sich um ein Langzeitvorhaben. Die örtlichen Behörden waren fest entschlossen, das Problem anzugehen, auch wenn sich dies über mehrere Legislaturperioden hinziehen sollte.
„Um dem starken Gestank Einhalt zu gebieten, mussten wir zunächst die Quelle der Verschmutzung unter Kontrolle bringen“, sagt Fu. Die Stadtregierung ordnete daher die Schließung von mehr als 100 verschmutzenden Fabriken sowie 14 weiteren Großverschmutzern in der Nähe des Gewässers an bzw. siedelte die betreffenden Betriebe um. Parallel dazu wurde der Bau von Kläranlagen in Angriff genommen. Flankiert wurde der Vorstoß zudem von Projekten, die die Einleitung von Schadstoffen in den See gezielt verhindern sollten.
Zur Entfernung hartnäckigerer Schadstoffe, die sich über die Jahre in der örtlichen Umwelt abgelagert hatten, führte die Regierung eine groß angelegte Entschlammungsaktion durch. Der aufbereitete Schlamm wurde für den Bau von Ufern und einer Insel in der Mitte des Sees verwendet. Auf diese Weise gelang es nicht nur, die Wasserqualität des Sees zu verbessern, sondern auch deutliche Fortschritte beim Hochwasserschutz zu bewirken.
Für das Ziel, das Wasser des Sees „zu neuem Leben zu erwecken“, nutzte die örtliche Regierung auf innovative Weise den Gezeitenunterschied und band den See an den Ozean an. Auf den Deichen errichtete man Schleusen, die bei Flut Wasser aufnehmen und es bei Ebbe ableiten, was den Hochwasserschutz und die Wasseraustauschkapazität des Seegebiets insgesamt verbesserte.
Was die Wiederherstellung der Ökosysteme angeht, so pflanzten die Verantwortlichen seit 1999 versuchsweise Mangroven an. Das Experiment sollte glücken. Heute ist der Yundang-See von üppiger Vegetation umgeben, die dem marinen Ökosystem neues Leben eingehaucht hat. Mittlerweile laben sich zahlreiche Wasservögel am See.
Daten des Schutzzentrums des Sees belegen, dass sich die Bemühungen zur Verbesserung der Wasserqualität voll ausgezahlt haben: So ging etwa die Konzentration von Ammoniak-Stickstoff zwischen 1987 und 2022 von 39,4 Milligramm pro Liter auf 0,076 Milligramm pro Liter zurück. Das schlägt sich heute in der Flora und Fauna des Sees nieder. Es wurden insgesamt 63 Nektonarten, 123 Phytoplanktonarten, 73 Zooplanktonarten und 14 Benthonarten im Seegebiet entdeckt. Hinzu kommt, dass sich insgesamt 95 Vogelarten hier niedergelassen haben. Jedes Jahr zieht der See Zugvögel wie Kormorane zum Überwintern an.
Mittlerweile hat sich die malerische Umgebung zu einem natürlichen Ruhepol der Metropole gemausert, was auch viele Besucher anzieht, die hier Zerstreuung und Entspannung suchen. Die Gegend rund um den See gilt heute als grüne Lunge der Stadt.
Beliebtes Fotomotiv: Besucher lassen sich gerne vor dem Panorama-Aussichtspunkt des Yundang-Sees ablichten. (Foto: Yu Jie)
Ein harter ökologischer Kampf
Die Mangrovenwälder am Seeufer ziehen heute Schwärme von Reihern an, die oft auf den Ästen hocken, spielen oder nach Nahrung suchen. Manchmal sieht man sie auch tänzerisch durch die Lüfte schweben. Was für ein schönes Bild des harmonischen Miteinanders von Mensch und Natur!
Mangroven sind holzige Pflanzen, die mit Vorliebe im Gezeitenbereich tropischer und subtropischer Küstengebiete wuchern. Sie haben die Fähigkeit, Schadstoffe im Wasser zu absorbieren, weshalb ihnen eine wichtige Rolle bei der Verbesserung des aquatischen Ökosystems des Seegebiets, der Speicherung von Kohlenstoff und der Erhaltung der Artenvielfalt zukommt. Sie werden daher auch gerne als „grüne Lunge des Ozeans“ und „Küstenwächter“ bezeichnet.
Mangroven sind dem Yundang-See in der Tat nicht fremd. Sie wurden einst rund um den See angepflanzt, verschwanden dann aber später aufgrund der Landgewinnung. Um das Ökosystem des Sees wiederherzustellen, nahmen 1999 das Verwaltungsbüro des Sees (der Vorgänger des Seeschutzzentrums) und das Team von Professor Lu Changyi von der Fakultät für Umwelt und Ökologie der Universität Xiamen einen neuen Anlauf, Mangroven entlang des Sees anzupflanzen.
„Mangroven gedeihen nur im Wattenmeer mit einer bestimmten Höhe. Zu Beginn war das Gebiet im Yundang-See, das für den Anbau der Mangroven ausgewählt worden war, allerdings zu niedrig, weshalb es mit Schlamm aufgefüllt werden musste“, erklärt uns Professor Lu. Die Menge an Seeschlamm in Dammnähe reichte jedoch nicht aus, so dass Schlamm von weiter her aus dem See geholt und dann mit einem Lastkahn zum Watt transportiert werden musste. Anschließend verteilten die Arbeiter den dicken Schlamm im knie- und hüfttiefen Wasser – ein aufwendiges Unterfangen.
2001 wurde die Restaurierung in Angriff genommen. Das Projekt läuft also nun schon über zwanzig Jahre. „Über 2000 Menschen waren an dem Mammutvorhaben beteiligt, insbesondere viele Mitarbeiter des Seeschutzzentrums. Ohne ihr Engagement und ihre Ausdauer wäre die Schaffung einer Pflanzfläche von 26.000 Quadratmetern unvorstellbar gewesen“, lobt Lu seine Mitstreiter. Derzeit beläuft sich die Gesamtfläche der Mangrovenpflanzung in Xiamen auf fünf Millionen Quadratmeter.
Gegenwärtig haben sich die Ökosysteme des Sees stark verbessert, insbesondere nach der Anpflanzung verschiedener Mangrovenarten wie Kandelia, Avicennia marina und Rhizophora stylosa. Das Ziel, den Damm zu befestigen und die Landschaft zu verbessern, wurde erreicht, wie die rege Vogelwelt beweist. „Seit sich die Zahl der Reiher derart vermehrt hat, haben wir die kleine Insel im Zentrum des Sees in Reiherinsel umbenannt“, verrät Lu.
Aus einem einst stinkenden Tümpel ist also in wenigen Jahrzehnten eine „städtische Empfangshalle“ geworden, ein Achtungserfolg. Die Verwandlung des Yundang-Sees gilt heute als Paradebeispiel für die ökologische Sanierung, in China und über dessen Grenzen hinaus. 1993 haben die Vereinten Nationen das Unterfangen als Demonstrationsprojekt ihres UN-Entwicklungsprogramms in Sachen Umweltschutz im ostasiatischen Seegebiet eingestuft.