Wer in das Autonome Gebiet Xizang reisen will – im Westen weitläufig als Tibet bekannt – muss den Tanggula-Pass durchqueren, einen der gefährlichsten Pässe auf dem Qinghai-Xizang-Highway. Die durchschnittliche Höhenlage dieser Strecke liegt bei über 5000 Metern. Es ist damit der höchste Streckenabschnitt des gesamten Highways. Die Straße wird das ganze Jahr über von Wind und Schnee heimgesucht, die Durchschnittstemperaturen liegen bei frostigen minus 10 Grad und die Luft enthält kaum Sauerstoff.
Trotz dieser widrigen Bedingungen muss die Straße natürlich instandgehalten werden. Und das macht Team der Straßenwacht 109. Sie gelten als Chinas Höhenengel unter den Straßenhelfern. Die Highway-Wächter kennen die Strecke wie ihre eigene Westentasche und nehmen ihre Arbeit sehr ernst. Ihr Engagement und ihre Gewissenhaftigkeit inspirieren andere „gelbe Engel“ im ganzen Land.
Nicht wirklich gelbe, sondern orangefarbene Arbeitsmontur: Degar leitet die berühmte chinesische Straßenwacht 109.
Bewachung der Lebensader auf dem Hochland
1954 wurden die Sichuan-Xizang- und die Qinghai-Xizang-Autobahn offiziell dem Verkehr übergeben. Gemeinsam haben sie eine Länge von 4360 Kilometern. Besagtes Jahr war auch die Geburtsstunde von Chinas Straßenwacht-System. Das Highway-Team 109 ist eine davon und im ganzen Land bekannt. Es ist für die Instandhaltung des rund 60 Kilometer langen Abschnitts des Tanggula-Passes zuständig sowie für die Verkehrssicherheit auf dieser Strecke.
„Das Plateau erschwert unsere Arbeit natürlich“, sagt Degar, der Leiter der Straßencrew. Er erklärt, dass der Straßenabschnitt, für den sein Team zuständig sei, ausgerechnet durch ein Permafrostgebiet verlaufe. Jedes Jahr werde die Strecke daher von Dutzenden von Muren, Lawinen und anderen Naturereignissen heimgesucht. Besonders im Frühjahr und im Winter sei der Straßenabschnitt gefährlich. Sobald es schneie, friere die Straße in kürzester Zeit ein, was zu langen Staus führe. Für die Mitarbeiter der Straßenwacht seien Schnee und Wind ein Signal zum Einsatz. Bei Unwetter gelte es, rasch vor Ort zu sein und so schnell wie möglich mit den Räumungsarbeiten zu beginnen, um die Sicherheit der Straße und einen reibungslosen Verkehrsfluss zu gewährleisten.
In der Hochsaison rollten täglich über zehntausend Fahrzeuge über die Strecke, sagt Degar, die meisten davon Lastkraftwagen. Dies führe zu mehr als 10.000 Schlaglöchern pro Jahr, die von den Arbeitern ausgebessert werden müssten. Aufgrund der Höhenlage und der niedrigen Temperaturen seien die Instandsetzungsarbeiten stark jahreszeitabhängig. Mai bis November seien die besten Monate, um die Straße in Schuss zu halten. Dann müsse es schnell gehen. Man nehme gründliche Inspektionen vor und nehme die nötigen Reparaturarbeiten vor. „In der übrigen Zeit müssen wir wachsam und stets einsatzbereit bleiben, um auf Notfälle aller Art zu reagieren“, so der Leiter der Straßenwacht.
Degar hat die „Himmelsstraße“ längst ins Herz geschlossen. Früher war er Soldat, führte Transporte auf der Qinghai-Xizang-Autobahn durch. Nach dem Ausscheiden aus dem Militärdienst entschied er sich, der Straßenwacht des Qinghai-Xizang-Highways beizutreten. Somit sollte die vertraute Route auch weiterhin ein Teil seines Lebens bleiben. Er sei sehr stolz darauf, wie sich die Straße in den letzten Jahren verändert habe, sagt er. „Als ich noch Soldat war, war die Strecke längst nicht so gut in Schuss wie heute. Mittlerweile haben sich die Straßenverhältnisse deutlich verbessert und auch die Maschinen für die Reparatur sind wesentlich moderner geworden.“
Denkmal für die „Gelben Engel“ von Xizang: Dieser Gedenkstein ehrt den großen Einsatz der Straßenwacht 109.
Generationsübergreifende Mission
Auch Paltso arbeitet hier im Tanggula-Gebirge für die Straßenwacht 109. Die 37-Jährige sagt: „Die Berge hier sind so hoch, dass sich selbst Adler nicht bis hierhin aufschwingen können.“ Paltso stammt aus einer waschechten Straßenwacht-Familie. Schon ihre Mutter arbeitete hier und auch Paltsos drei Schwestern sind wie sie in die Fußstapfen der Mutter getreten.
„Hier herrscht das ganze Jahr klirrende Kälte. Die dünne Luft verschlägt mir oft fast den Atem“, beschreibt die Straßenhüterin die alltäglichen Herausforderungen. Doch die 37-Jährige lässt sich nicht unterkriegen. Dank ihrer Willensstärke hat sie sich zu einem unentbehrlichen Teil des Teams gemausert.
Im Winter herrscht bei der Straßenwacht 109 noch mehr Betriebsamkeit als sonst. Denn dann bedeckt Schnee die Straßen und verursacht jede Menge Staus. In der kalten Jahreszeit müssen die Arbeiter viele Tage auf der Strecke schuften, manchmal sogar dort übernachten. Paltso sagt uns: „Ich erinnere mich noch gut an einen schlimmen Stau. Wegen des hohen Schneeaufkommens war die Straße damals ganze drei Tage gesperrt. Wir lebten von Instantnudeln und Tsampa. Nachts blieben wir meist im Auto oder ruhten uns kurz am Straßenrand aus. Das war schon eine echte Herausforderung, die ich so schnell nicht wieder vergessen werde.“
Mehr als 300 Tage im Jahr muss die engagierte Straßenschützerin auf ihrem Posten bleiben. 300 Tage, in den sie ihre Familie nicht sieht. Auf die Frage, ob ihr das schwerfalle, antwortet sie: „Ja, es ist schon ein harter Job. Aber durch meine Arbeit kann ich die Sicherheit der Autofahrer gewährleisten. Von daher lohnt es sich!“
Wie Paltso ist auch Kalzang Pamo eine Straßenwächterin, die die Familientradition fortsetzt. „Schon meine Großeltern und auch meine Eltern arbeiteten hier bei der Straßenwacht. Deshalb verspüre ich eine tiefe Verbundenheit“, sagt sie im Interview.
Im Laufe der Zeit hat sich die Straße merklich verändert. Die Instandhaltungsmethoden haben sich weiterentwickelt. Einst eine Steinstraße ist die Qinghai-Xizang-Autobahn heute vollständig asphaltiert. Auch der Verkehrsfluss ist heute dichter. Die Straßenarbeiter übergeben ihren Staffelstab von Generation zu Generation. Aber der Geist des Teams ist noch immer derselbe. Die neue Generation führt durch ihr Engagement den Spirit ihrer Vorgänger weiter. Team 109 ist Sinnbild des selbstlosen Einsatzes tausender anderer Straßenarbeiter an der Basis in China.
Gedicht aus der Feder eines Touristen: Ein Reisender hat diese Verse als Respektsbekundung für die Straßenwacht 109 zu Papier gebracht.
Wärme in einer vereisten Welt
Manche sagen, die Straßenwacht 109 blicke auf so viele berührende Geschichten zurück, wie es Schneeflocken im Tanggula-Gebirge gebe. Die Straßenarbeiter gewährleisten nämlich nicht nur den reibungslosen Betrieb auf der Strecke, sondern spenden auch menschliche Wärme.
Angesichts der extremen natürlichen Umgebung müssen die Straßenwächter auch immer wieder zu Rettungseinsätzen ausrücken. Angesichts der ungünstigen Witterung, Fällen von Höhenkrankheit sowie der schweren Einschätzbarkeit der Straßenverhältnisse kommt es immer wieder zu Unfällen. Dabei werden die Mitarbeiter der Straßenwacht 109 zu Rettern in der Not. Um besser helfen zu können, richten die Teammitglieder zunächst eine provisorische Hilfsstation ein, an der sie kostenloses heißes Wasser, Sauerstoffflaschen, Lebensmittel und vorübergehenden Unterschlupf bereitstellen.
Paltso war bereits an zwölf solcher Rettungsaktionen beteiligt. Im vergangenen Mai zum Beispiel saßen 17 Touristen aus der Provinz Guangdong auf der Straße fest, weil ihr Fahrzeug eine Panne hatte. Paltso und ihre Kollegen waren sofort vor Ort und brachten die fröstelnden Touristen zur Hilfsstation, versorgten sie mit Lebensmitteln, Medikamenten gegen Höhenkrankheit und boten ihnen eine Gelegenheit, sich aufzuwärmen. Später schenkten die Touristen dem Team als Zeichen der Dankbarkeit einen Freundschaftswimpel. Jedes Jahr rette ihr Team so mehr als 300 Menschen, erzählt uns Paltso. „Die schlechten Dinge bringen uns also ironischerweise gute Begegnungen und machen uns für kurze Zeit zu einer Familie.“
Seit Inbetriebnahme der Strecke 1954 sind mittlerweile 70 Jahre vergangen. 5231 Meter ist nicht nur die Höhe der höchsten Erhebung der Strecke, sondern auch eine Höhe des Lebens. Die Mitarbeiter der Straßenwacht 109 haben über den Wolken dafür gesorgt, dass der Qinghai-Xizang-Highway, diese wichtige Verkehrsader, reibungslos funktioniert. Sie haben mit ihrer Arbeitsmoral ein Zeichen gesetzt und tragen diesen Spirit mit großem Elan ins 21. Jahrhundert.