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Chinesische Krankenschwestern in Deutschland – Teil 1: Stimmen von der Pflegefront

2025-09-17 17:38:00 Source:cdd-online.com.cn Author:Nils Bergemann*
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Deutschland wird immer älter und das Pflegesystem stößt an seine Grenzen. Schon heute fehlen mehr als hunderttausend Pflegekräfte. Und die Situation dürfte sich weiter zuspitzen: Denn in den nächsten zehn Jahren gehen bei fortschreitender Überalterung mehr als ein Drittel der Beschäftigten in Rente. Gleichzeitig rücken zu wenige junge Leute nach. Der Krankenstand im buchstäblich lebenswichtigen Gesundheitsbereich ist stark angestiegen und liegt nunmehr mit 32 Tagen mehr als doppelt so hoch wie der Durchschnittswert von 15 Tagen für alle Berufsgruppen. Auch die Auswirkungen der Coronazeit sind dafür verantwortlich. Viele Pflegekräfte sind überfordert, gestresst und unzufrieden. Der Lohn ist zwar inzwischen gestiegen, aber die Arbeitsbedingungen bleiben hart: häufig wechselnde Arbeitszeiten, Überstunden, mangelnde Weiterbildung und chronische Unterbesetzung.  

 

Deutschland hofft daher auf Rettung aus dem Ausland: Rund ein Fünftel des Pflegepersonals kommt heute schon von dort. Chinesen sind bisher eher die Ausnahme – nicht, weil es an Bewerbern mangeln würde, sondern weil Verfahren lange dauern, Anwerbungsprogramme fehlen und Zuständigkeiten manchmal unübersichtlich sind. Wer es dennoch schafft, geht zwar in die Statistik ein, bleibt aber medial meist unsichtbar. Aber natürlich schätzen die Patienten und Kollegen die kompetente und freundliche Hilfe aus dem Ausland sehr.  

 

Chinesische Fachkräfte nehmen enorme Belastungen auf sich, um nach Deutschland zu kommen: Ein Jahr oder länger büffeln sie täglich etliche Stunden Deutsch und medizinische Fachbegriffe, oft neben familiären Verpflichtungen und einem Vollzeitjob im Krankenhaus. Bevor sie nach Deutschland kommen, halten sie also eine Zeit der Entbehrungen, Prüfungen und des Wartens aus. 

 

Lindas Erfahrungen: „Ein echtes Dilemma“ 

Die in einer süddeutschen Klinik arbeitende Chinesin Linda, die ihren echten Namen und ihr Foto ungern in den Medien sehen will, gibt eine kritische Bestandsaufnahme der Pflegesituation: Es gebe viele strukturelle Probleme. Chronische Unterbesetzung zwinge zu Improvisation, Sprachbarrieren verlangsamten die Abläufe. „Ein Patient musste einen ganzen Tag auf einen Arzt warten – nur für eine sehr kleine Routinebehandlung.“ Aufgrund der Unterbesetzung und Sprachbarrieren entsprächen viele Behandlungen nicht den Standards und die Qualität leide, sagt sie mit einer spürbaren Ernüchterung in der Stimme. „Das medizinische Risiko steigt und die Sicherheit der Patienten wird zu einem großen Problem. Gleichzeitig aber ist Deutschland dringend auf ausländische Pflegekräfte und Ärzte angewiesen – das ist ein echtes Dilemma.“ 

 

Sams zweite Karriere: „Ich wollte etwas Sinnvolles tun“ 

Die 27-jährige Sam aus dem chinesischen Autonomen Gebiet Xinjiang lebt seit Mitte 2023 in Schiltach in Baden-Württemberg. Sie verfügt bereits über einen Bachelor in Finanzmanagement und lernt nun seit April 2024 in Deutschland etwas vollkommen Neues. „Ich wollte in einem sozialen und sinnvollen Beruf arbeiten“, beschreibt Sam ihre Motivation. „Deutschland bietet gute Möglichkeiten für Pflegekräfte und eine gute Ausbildung.“ Deutsche würden den Pflegeberuf sehr respektieren. 

 

Vor dem Auswandern lernte Sam rund zehn Monate online Deutsch, bis sie B2-Niveau erreichte. „Da ich keinen Pflegeabschluss hatte, musste ich auch keine Anerkennung beantragen. Ich bin direkt mit einem Visum für die Pflegeausbildung gekommen.“ Eine Agentur habe ihr bei der Vorbereitung geholfen. 

 

„Die erste Zeit war nicht einfach – neue Sprache, neue Kultur, viel Papierkram. Aber ich habe mich Schritt für Schritt eingelebt“, sagt die junge Frau, die heute im Schichtdienst arbeitet und in der Freizeit weiter ihr Deutsch verbessert. „Die Arbeit macht mir Spaß, vor allem der Kontakt mit den Bewohnern.“ Schwieriger finde sie die Dokumentation und die Fachsprache. Wie Sam werden derzeit in Deutschland rund 52.000 Pflegekräfte ausgebildet – ein Höchststand. Der Bedarf kann dennoch nicht gedeckt werden. 

 

 

 

Pflegelehrling Sam: „Ich vermisse meine Familie und chinesisches Essen, aber ich koche oft selbst. Ich habe schnell gelernt, mit dem Alltag in Deutschland umzugehen.“ (Foto: Privat) 

 

Die Kollegen seien freundlich und hilfsbereit, sagt Sam. Sie fühle sich respektiert. „Nach der Ausbildung möchte ich gern weiterlernen, zum Beispiel in der Intensivpflege.“ Sie habe auch neue Hobbys gefunden: Kochen, Wandern, Filme schauen. „Ich habe einige chinesische und deutsche Freunde.“ Sie telefoniere fast täglich mit ihrer Familie, die eine seelische Stütze für sie darstelle. 

 

Chengxiu will Mann und Kinder nachholen 

Chengxiu, eine ausgebildete Pflegefachkraft aus Zibo in der chinesischen Provinz Shandong, steht kurz vor einem großen Schritt: ihrem Neuanfang in Deutschland. Die 35-Jährige ist verheiratet und hat zwei Kinder. Interesse für die deutsche Kultur und der Wunsch nach mehr Urlaubstagen seien für sie ein entscheidender Anreiz fürs Auswandern gewesen, erzählt sie. Innerhalb von zehn Monaten schaffte sie ein B1-Zertifikat. „Deutschlernen ist für mich sehr schwierig“, sagt sie dennoch. Um sich ganz darauf konzentrieren zu können, lernte sie in Vollzeit zuhause. 

 

 

 

Hat den beruflichen Sprung nach Deutschland gewagt: Chengxiu mit ihrer Familie (Foto: Interviewpartner) 

 

Die Familienorganisation ist ebenso durchdacht: „Ich werde zunächst alleine nach Deutschland reisen, um mich an die Arbeit und das Leben zu gewöhnen. In einem halben Jahr werde ich dann die Kinder und meinen Mann zu mir holen, damit wir zusammenleben können.“ 

 

Eine Jobzusage von einem deutschen Arbeitgeber hat sie schon. Dieser finanziert ihr sowohl einen B2-Sprachkurs als auch das Flugticket nach Deutschland. Der Visumsantrag ist in Bearbeitung. Chengxiu spricht Deutsch und ihre Zeugnisse wurden bereits anerkannt. Viele andere Ausländer wissen zwar, wie man pflegt, können das aber mangels Sprachkenntnissen schwer umsetzen. Oft werden ausländische Zertifikate nicht anerkannt, sodass die Arbeit dann nur auf Pflegehilfskräfte-Niveau entlohnt wird. 

 

Das deutsche Gesundheitssystem braucht mehr solcher Menschen 

Es gibt in Deutschland heute bereits mehr als fünf Millionen Pflegebedürftige, aber viel zu wenige Pflegekräfte. Die Lage dürfte sich in Zukunft noch weiter zuspitzen, wenn sich die Bedingungen in den Einrichtungen nicht verbessern und weiterhin Krankenhäuser schließen. Der Pflegeberuf muss also noch attraktiver werden.  

 

Dafür braucht Deutschland pragmatische, unbürokratische und durchdachte Lösungen. Mit einigen Ländern unterhält die Bundesrepublik bereits erfolgreiche bilaterale Kooperationen, etwa das Programm „Triple Win“ mit Vietnam. Mit China wäre sogar ein Austausch im noch viel größeren Maßstab denkbar. China hat einen extrem hohen Digitalisierungsgrad im Gesundheitswesen, eine hocheffiziente Verwaltung und viele Innovationen. Deutsche Medizintechnik und deutsche Erfahrungen sind auf der anderen Seite auch sehr gefragt. 

 

Die Geschichten der drei Chinesinnen verdeutlichen, wie sorgfältige Planung, Eigeninitiative und berufliche Ambitionen zusammenwirken können, sodass ein neuer Anfang in einem fremden Land gelingt. Es gibt derzeit schätzungsweise 1500 bis 2000 chinesische Pflegekräfte in der Bundesrepublik – viel zu wenige, aber dennoch genug, um zu zeigen, wie gut vorbereitet die Fachkräfte aus China kommen, wie schnell sie sich integrieren und was für hervorragende Arbeit sie leisten.  

 

Schritte in die richtige Richtung 

In Bayern gibt es ein beschleunigtes Arbeitsgenehmigungsverfahren, bei dem alles über eine einzige staatliche Stelle koordiniert wird. In anderen Bundesländern bekommen die Vermittler der Arbeitskräfte die Papiere dagegen noch immer erst nach einem Ämter-Marathon.  

 

Je reibungsloser die Integration ausländischer Fachkräfte abläuft, desto größer der Pullfaktor. Umgekehrt gilt dies genauso: Je schwieriger und langwieriger der Prozess ist, desto mehr schreckt das neue Retter aus dem Ausland ab. Und natürlich hat Linda recht mit ihrer Kritik, dass unter zu geringen Sprachkenntnissen ausländischer Fachkräfte Personal und Patienten leiden. Aber in einer Übergangszeit müssen wir diese Probleme aushalten, denn Deutschland braucht die Unterstützung von außen dringend.  

 

Das Gesundheitssystem braucht Steuersenkungen für alle medizinischen Fachkräfte, gut besetzte Schichten, genügend Zeit für Übergaben sowie Deutschkurse während der Arbeitszeit, damit fehlerfrei gearbeitet und dokumentiert werden kann. Das Dilemma, das Linda beschrieben hat, muss als Auftrag verstanden werden: Für hohe Standards braucht es Investitionen. Durch die Neuverschuldung stehen nun Hunderte Milliarden Euro für Infrastruktur bereit. Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen sind ein essentieller Bestandteil dieser Infrastruktur.  

 

Menschen müssen würdevoll altern und in der Gewissheit leben können, dass ihnen im Krankheitsfall schnell, ortsnah und in einem entspannten Umfeld geholfen wird. Wer die Pflege stabilisieren will, findet in den Wegen der drei porträtierten chinesischen Frauen eine Blaupause. Wir brauchen definitiv mehr Menschen wie Sam, Chengxiu und Linda, die täglich Verantwortung übernehmen und Tag für Tag genau das tun, worum es geht: pflegen. Sam gibt zum Schluss den Einwanderern von morgen noch einen Ratschlag mit auf den Weg: „Lernt gut Deutsch, habt Geduld und bleibt offen für Neues.“ 

 

*Nils Bergemann ist studierter Journalist mit langer Erfahrung als Redakteur und Kommunikationsexperte bei Verlagen und anderen Unternehmen. Zuletzt arbeitete er fünf Jahre für die China Media Group. Weiterhin in Beijing lebend unterrichtet er seit 2023 Deutsch, Sprachwissenschaften und Wirtschaft an der University of International Business and Economics. 

Die Meinung des Autors spiegelt nicht unbeding die Position unserer Website wider. 

 

 

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