Roboter mit Feingefühl: Der flexible Greifer SRT füllt die Marktlücke für besonders geformte und zerbrechliche Gegenstände im Bereich der Sortierung und Verpackung.
Zwar bekommt das produzierende Gewerbe die Auswirkungen der Pandemie deutlich zu spüren, doch bergen Corona und seine Folgen in gewisser Weise auch Chancen für die Branche. Das gilt insbesondere für die intelligente Fertigung.
Der Stand von AUBO Robotics, einem Roboterhersteller mit Sitz in Beijing, erinnerte im vergangenen Jahr an Szenen aus einem Science-Fiction-Film. Auf der Apsara-Konferenz 2021, einer jährlichen Technologieveranstaltung im ostchinesischen Hightech-Mekka Hangzhou, wurden am Stand des Unternehmens zwei innovative Massageroboter vorgestellt. Eine Messebesucherin stellte sich als Testkandidatin zur Verfügung.
Der Roboterarm zieht das Hemd der Probandin behutsam nach oben, um ihren Bauch freizulegen, während sie es sich auf der Massageliege bequem gemacht hat. Statt eines menschlichen Masseurs legt am AUBO-Stand ein schneeweißer Roboter „Hand“ an, dessen langer, zylindrischer Arm sanft über die Mittelrippe der Probandin streicht.
„Es werden bei der Prozedur Radiowellen ausgestrahlt, um den Körper sanft zu erwärmen“, erklärt ein Mitarbeiter des Robotik-Herstellers. Man folge also dem TCM-Prinzip, dass Wärmeverlust zu Krankheit führt. Anschließend beginnt der Arm, geführt von der Kamera an seiner Spitze, einen Bogen auf dem Körper der Probandin zu ziehen und ihren Körper fachmännisch zu massieren. Das soll Entzündungen hemmen und arthritische Schmerzen lindern.
Medizinische Roboter wie dieser liegen im Trend und sind seit Corona noch stärker in den Fokus gerückt. Seit 2020 boomt der Markt für intelligente Produkte aus dem Bereich Infektionsschutz. Hier ist auch ein von einem chinesischen Forschungsinstitut neu entwickeltes KI-System zu nennen. Mit einer Genauigkeit von 96 Prozent kann das System CT-Scan-Bilder in 20 Sekunden analysieren. Schon heute kommt das innovative System in mehr als 600 Krankenhäusern in China zum Einsatz. Auch in einigen medizinischen Einrichtungen in Europa und Südamerika findet es bereits Anwendung.
Eine weitere nennenswerte Innovation ist der mobile Desinfektionsroboter von Standard Robots, der sowohl Innenräume als auch Geräte desinfizieren kann, gekoppelt mit einer verbesserten Sterilisation in einem komplizierten Arbeitsumfeld.
Während sich die globale Fertigungsindustrie mit Schwierigkeiten wie Arbeitskräftemangel und steigenden Kosten herumschlägt, versuchen alle Seiten, trotz allem das Beste aus der Krise zu machen und neue Entwicklungen anzustoßen – das gilt natürlich auch für chinesische Firmen. Eine Reihe intelligenter Fertigungsunternehmen aus dem Reich der Mitte leistet Pionierarbeit bei der Entwicklung intelligenter Produktionslinien in automatischen Werkstätten und Smart Factories. So konnte die Volksrepublik ihr bekanntes „China-Tempo“ auch während der Pandemie aufrechterhalten.
Allerdings hat die intelligente Fertigungsindustrie in China bei weitem noch nicht alle Potentiale ausgeschöpft. Es ist noch ein langer Weg von „Made in China“ zu „Intelligent Manufacturing in China“. Doch die Pandemie bietet neue Chancen.
Mit dem AUBO-Massageroboter lassen sich heute Massage, Diagnose, Dateneingabe und weitere Aufgaben bequem von nur einer Person bewerkstelligen – der Unterstützung der Maschine sei Dank.
Neue Geschäftschancen
Neben den neuen Anforderungen des Marktes für Produkte aus dem Feld des Infektionsschutzes veranlassen insbesondere Personalknappheit und Fabrikschließungen die Fertigungsindustrie dazu, die Automatisierung ihrer Produktionsprozesse zu beschleunigen. Daraus ergeben sich enorme Chancen für intelligente Fertigungsunternehmen.
Haier Smart Home, das smarte Heimprodukte wie intelligente Kühlschränke herstellt, welche die einzelnen Familienmitglieder mithilfe von Gesichts-, Sprach- und Bilderkennung identifizieren können, verfügt über eine intelligente Fabrik im südchinesischen Foshan. Der teils bestehende Arbeitskräftemangel hat die Firma nicht davon abgehalten, den Betrieb schon sehr früh wieder aufzunehmen. Dank der Einführung intelligenter Produktionslinien erreichte man sogar eine höhere Tagesproduktion als vor der Pandemie.
Ein anderes Unternehmen, AAC Technologies, das für die Herstellung intelligenter tragbarer Geräte bekannt ist, hat seine Investitionen erheblich aufgestockt, um über 70 automatisierte Produktionslinien in seiner Niederlassung im ostchinesischen Changzhou in Betrieb zu nehmen. Nur sechs Personen können jetzt 10.000 Lautsprecher pro Tag produzieren – ein Branchenrekord.
Das autonome Fahren greift derweil die Verteilung medizinischer Versorgungsgüter unter die Arme. Baidu Apollo startete autonome Fahr-Cloud-Dienste für den schnellen Versand von Desinfektions- und Lieferfahrzeugen.
Mobiler Roboter der Firma Standard Robots
Rekordhoch bei Patentanmeldungen
Laut der IncoPat Global Technology Analysis & Operation Platform, einem Anbieter von Datenbanken zur Patentregistrierung, ist die Zahl der Patentanmeldungen im Zusammenhang mit der Pandemie in die Höhe geschossen. Dabei wurden alleine 365 KI-bezogene Patente angemeldet, unter anderem für smarte Beratungsdienste, Coronatests und intelligente Überwachung während medizinischer Behandlungen. Im ersten Halbjahr 2022 belief sich allein die Patentzahl automatischer Temperaturmessgeräte auf 249, 50 davon wurden bereits zugelassen.
Laut Chen Weiran, Vizepräsident von IncoPat, sind vor allem Patentanmeldungen bei KI, Robotik, der medizinischen Online-Beratung und in verwandten Bereichen der intelligenten Fertigung im Aufwind. „Wir sind davon überzeugt, dass der intelligenten Fertigung nicht nur jetzt während der Pandemie eine Schlüsselrolle zukommt. Auch nach Corona dürfte sie zu einem der wichtigsten Motoren des Wirtschaftswachstums werden“, so Chen.
Unterstützt durch nationale Richtlinien und zunehmende Investitionen in die Digitalisierung wächst Chinas Markt für intelligente Fertigung stetig. Laut dem Research Report in Market Prospects wird das Marktvolumen im laufenden Jahr auf 3,3 Billionen Yuan (492 Milliarden US-Dollar) geschätzt. 2020 lag die Zahl noch bei 2,5 Billionen Yuan (373 Milliarden US-Dollar). Das entspräche also einem Wachstum von rund 30 Prozent innerhalb von nur zwei Jahren.
Der AUBO-Argon-Lichtbogenschweißroboter verfügt über einen leichten und flexiblen Arbeitstisch. Der umständliche Schweißmodus früherer Geräte gehört damit der Vergangenheit an. Der Roboter ist für Arbeitsumgebungen im Innen- und Außenbereich geeignet.
Zukünftige Herausforderungen
Trotz des schnellen Wachstums gibt es noch viele Hürden aus dem Weg zu räumen, bevor Chinas Fertigungsunternehmen zu den Weltmarktführern aufschließen können. Obwohl China über einen riesigen Markt und die vielfältigsten Nutzungsszenarien verfügt, mangelt es chinesischen Firmen noch immer an eigenen Schlüsseltechnologien. Bei einigen Schlüsselkomponenten wie Präzisionsmotoren und Industriekameras ist das Land stark importabhängig. Immer mehr Unternehmen setzen auf die Technologieanwendung anstatt auf die technologische Forschung, was zu einem geringeren Marktanteil im High-End-Segment führt. Überdies besteht für chinesische Firmen auf dem globalen Markt in Bezug auf Markenbekanntheit und umfassende Wettbewerbsfähigkeit noch großer Aufholbedarf.
Hinzu kommt, dass für die intelligente Transformation kontinuierliche Investitionen nötig sind. Doch Chinas Kapitalnutzungsrate bleibt bisher niedrig. Die Investitionen fließen hauptsächlich in Transaktionen und Umlauf, gelangen aber noch zu wenig in Technologie und Fertigung.
Investitionsdaten zeigen, dass Chinas intelligente Fertigungsindustrie noch längst nicht alle Potentiale ausschöpft. Eine robuste Kapitalversorgung wird Hightech-Unternehmen nicht nur eine Plattform zur Kapitalbeschaffung bieten, sondern dürfte auch eine Schlüsselrolle bei der Transformation, Optimierung und Umstrukturierung traditioneller Unternehmen spielen.
Nicht zuletzt machen sich zunehmend auch Lücken in Bezug auf qualifizierte Fachkräfte bemerkbar. Laut Eng Hwa Yap, Dekan der School of Intelligent Manufacturing Ecosystem und der School of Robotics an der Xi’an Jiaotong-Liverpool University in Taicang, wird die intelligente Fertigung in China bis 2025 neun Millionen Beschäftigte benötigen. Doch es wird geschätzt, dass nach bisherigem Stand auf dem Arbeitsmarkt nur etwa die Hälfte dieser Fachkräfte auch tatsächlich verfügbar sein wird. Um diese Lücke zu schließen, müssen gezielt Spezialisten im Bereich intelligente Fertigung ausgebildet werden, wobei sich das Augenmerk verstärkt auf Spezialisierung, Systematisierung und smarte Entwicklung in Dienstleistungsunternehmen richtet.
„Wir müssen uns für die Zeit nach der Pandemie schon heute auf die Förderung der bald benötigten Spezialisten fokussieren“, so Yap. Dies soll nicht nur Chinas Bedarf vor Ort decken, sondern auch Chinas Wettbewerbsfähigkeit in einer zunehmend vernetzten und komplexen Welt erhöhen.
Unternehmen und Einzelpersonen haben erkannt, dass die Pandemie die Welt nachhaltig verändert hat. Unter den Unternehmen besteht ein Konsens, dass intelligente Fertigung eine praktikable Lösung für die Skalierung der Produktion und die Aufrechterhaltung der Geschäftskontinuität ist. Der Trend geht also ganz eindeutig in Richtung smarte Entwicklung – in China wie auch weltweit.
*Lin Yi ist Gründer und CEO des Webportals ChinaIT.com