Emmanuel Daniels Verbindung zu China ist unbestreitbar stark und lang. Seine Bande mit dem Land reichen sogar bis in die Antarktis, wie sich jüngst zeigte. Als der Finanzexperte beschloss, das neue Jahr mit einer Reise unterhalb des Polarkreises einzuläuten, waren unter den gut 100 Passagieren auf dem Kreuzfahrtschiff auch acht Chinesen. So konnte Daniel sein Chinesisch sogar auf dem siebten Kontinent anwenden.
Emmanuel Daniel, Gründer von „The Asian Banker“
Wenn er nicht gerade um die Welt reist – in den letzten 25 Jahren hat er 110 Länder besucht – arbeitet Daniel als Experte für Finanzdienstleistungen in Beijing, ist Blue-Ocean-Unternehmer und hat gerade sein erstes Buch veröffentlicht. Der Singapurer mit malaysischen Wurzeln rief 1996 eine Publikation namens „The Asian Banker“ ins Leben. Daraus ist über die Jahre ein Forschungs- und Consultingunternehmen für die Banken- und Finanzdienstleistungsbranche gewachsen.
Da China seine Quarantänebestimmungen für ausländische Besucher aufgehoben hat, sieht der Unternehmer eine „unglaubliche Nachfrage“ nach China-Reisen, und zwar vor allem bei zwei Zielgruppen: „Zum einen Menschen, die bereits historisch gewachsene Beziehungen zu China haben und ins Land zurückkehren möchten, um wieder persönlich mit den Menschen vor Ort in Kontakt zu treten, zum anderen Erstreisende, die ihr Interesse an China neu für sich entdeckt haben“, sagt er.
Eine Luftaufnahme vom 22. Juli 2022 zeigt den Yangpu-Hafen in der Wirtschaftsentwicklungszone Yangpu in Danzhou in der südchinesischen Inselprovinz Hainan. (Foto: Xinhua/Guo Cheng)
Angesichts der Wachstumsprognosen für die chinesische Wirtschaft für 2023 ist das große Interesse nur verständlich. Die Weltbank geht davon aus, dass Chinas Wirtschaft in diesem Jahr unter allen großen Volkswirtschaften am schnellsten wachsen wird. Chinas BIP dürfte demnach um 4,3 Prozent zulegen, wie aus dem Bericht der Weltbank über die globalen Wirtschaftsaussichten hervorgeht. In den USA wird derweil nur ein mageres Plus von 0,5 Prozent erwartet, in der Eurozone überhaupt kein Wachstum.
Das ASEAN+3 Macroeconomic Research Office (AMRO) in Singapur schätzt, dass die ASEAN+3-Region bei der Wirtschaftsleistung um 4,3 Prozent zulegen dürfte. Auch hier fungiert die erwartete Erholung der chinesischen Wirtschaft als Zugpferd. Denn sie ist dank der angepassten Corona-Strategie wieder in Gang gekommen. „In den Vereinigten Staaten und Europa droht derweil noch immer eine Rezession. Chinas stärkere wirtschaftliche Öffnung dank der neuen Coronapolitik könnte für die ASEAN+3-Region zu keinem besseren Zeitpunkt kommen“, erklärte kürzlich AMRO-Chefökonom Hoe Ee Khor. „Chinas ökonomischer Aufschwung dürfte die regionale Wirtschaftstätigkeit kräftig unterstützen. Und die erneute Öffnung der Grenzen kurbelt den Tourismus in der Region an“, so der AMRO-Chefökonom weiter.
Dank seines Büros in Beijing hat „The Asian Banker“ die Entwicklungen in der Region direkt im Blick. Ihre Wurzeln hat die Finanzplattform zwar in Singapur, schon im Jahr 2000 aber eröffneten Daniel und sein Team eine Außenstelle in Shanghai. 2001 hatte der Finanzexperte dann eine einschneidende Begegnung, die sein Unternehmen in eine neue Richtung lenken sollte. Er traf Jiang Jianqing, den damaligen Präsidenten der ICBC, der nach Vermögenswerten größten Bank der Welt. Daniel erzählt: „Jiang hat damals zu mir gesagt: ,Komm nach Beijing, die Zeit ist reif.‘ In Beijing sei man näher an den Bankenaufsichtsbehörden. Jiang, selbst aus Shanghai, riet mir deshalb: Wer im Bankgeschäft in China erfolgreich sein will, muss in die Hauptstadt.“
Daniel befolgte den Rat und verlegte seine China-Repräsentanz nach Beijing. In der Hauptstadt konnte er die umwälzenden wirtschaftlichen Fortschritte, die China seit dem WTO-Beitritt im Dezember 2001 erzielen konnte, dann aus erster Hand miterleben. Außerdem bekam er vor Ort die Chance, sich ein Bild davon zu machen, wie das chinesische Bankensystem auf die sich vollziehenden Veränderungen reagierte.
Auch die Arbeit seines eigenen Unternehmens habe sich über die Jahre stark verändert, wie er berichtet. „In den Anfangsjahren haben uns die chinesischen Banken gebeten, Experten aus anderen Ländern mitzubringen, um ihnen Know-how in Sachen Strategien und Infrastruktur beizubringen, das sie auf China übertragen konnten. Heute hingegen haben die chinesischen Banken ein Niveau erreicht, das weltweit seinesgleichen sucht. Das Blatt hat sich gewendet. Jetzt organisieren wir Studienreisen für ausländische Banker, damit sie China kennen lernen und verstehen können. Wir zeigen der westlichen Welt, dass die Erfolge in China real sind und erklären, wo man sich etwas abgucken kann.“
Daniel kehrte bereits fünf Tage, nachdem China die Quarantänepflicht für Einreisende am 8. Januar aufgehoben hatte, aus der Antarktis nach Beijing zurück. Die Abwicklung der Reise sei entspannt und locker gewesen, sagt er. Nur ein einziger COVID-19-Test 24 Stunden vor Abflug in Singapur sei nötig gewesen.
In der postpandemischen Zeit sieht Daniel das Welthandelsszenario im Umbruch. „Das globale Handelsökosystem, in das China heute wieder eintritt, unterscheidet sich stark von dem vor Corona. Vor der Pandemie dominierte China den Welthandel und war der kostengünstigste Hersteller fast aller Waren und Dienstleistungen. Während der Pandemie erkannten viele Länder die Bedeutsamkeit eigener Produktionskapazitäten. Außerdem begannen globale Hersteller damit, ihre Produktions- und Logistikbeschaffung zu diversifizieren, um übermäßige Abhängigkeiten von einzelnen Ländern zu reduzieren. Wir stehen also vor einer viel stärker zersplitterten Produktions- und Beschaffungskette, in der China um seine Vorherrschaft kämpfen muss.“
„Vielleicht ist nun auch die Zeit für chinesische Unternehmen gekommen, in dezentralisierte Produktions- und Beschaffungsanlagen in verschiedenen Teilen der Welt zu investieren und sie wieder an eine auf China ausgerichtete Lieferkette zu binden“, so Daniels Einschätzung. „Dieses neue Handelsökosystem steckt noch in den Kinderschuhen, und wie chinesische Investoren diese sich global verändernden Trends nutzen, muss sorgfältig beobachtet werden.“
„The Asian Banker“ steht eine arbeitsintensive Zeit bevor, wie Daniel erklärt: „Unsere ausländischen Kunden sind an der Stärke und Qualität der Bilanzen derjenigen führenden Banken Chinas interessiert, die ausländische Geschäftspartner haben. Auch wollen sie wissen, ob sie sich an Chinas Finanztechnologiebranche (Fintech) beteiligen können. Unsere chinesischen Kunden, darunter mehrere Fintechs, suchen nach Möglichkeiten, ihr Geschäft in Südostasien und Europa auszubauen.“
Im Juni wird „The Asian Banker“ einen China-Pavillon auf der Fintech Week London organisieren, gefolgt von einem weiteren in New York im Oktober. Außerdem sind Studienreisen in Planung, bei denen ausländische Investoren und Banker mit Innovatoren und ihren Unternehmen in China zusammentreffen werden.
Am 23. Februar jährt sich der Ausbruch der Ukraine-Krise zum ersten Mal. Welche Auswirkungen hat sie auf das globale Bank- und Finanzwesen, insbesondere auf das chinesische? Daniel ist der Ansicht, dass die Krise die Grenzen der globalen Banken- und Finanzinfrastruktur aufgezeigt und das Aufkommen von Alternativen, wie dem chinesischen Renminbi als internationale Währung, beschleunigt hat.
„Sowohl Russland als auch die Ukraine sind globale Lieferanten von Weizen und Edelmetallen, die für viele Verbraucher relevant sind bzw. die für eine Reihe digitaler Spitzentechnologien benötigt werden. Dem Wunsch der Vereinigten Staaten, im globalen Finanzsystem den Ton anzugeben, wurde mit mehreren alternativen Allianzen im Zahlungsverkehr und auf den Kapitalmärkten begegnet. China bietet mit dem Renminbi nun eine Zahlungsalternative zum Dollar. Die aktuelle Sachlage wird zu einer ganz anderen globalen Finanzordnung führen, die Alternativen zu der uns bekannten US-dominierten Version aufzeigen wird. Diese haben nichts mit der Moral der Krise selbst zu tun, sondern einfach damit, wie verschiedene Länder auf die durch den Konflikt verursachte Wirtschaftskrise reagieren. Je länger der Konflikt andauert, desto mehr Zeit wird er den Alternativen im globalen Finanzsystem geben, sich zu funktionierenden Systemen für die Zukunft zu entwickeln.“
Außerdem hätten die USA selbst die Spielregeln geändert, indem sie die Zinssätze erhöht und den Dollar weltweit verteuert hätten, so Daniel. Dies habe einen Trend zur Suche nach alternativen Kapitalquellen befeuert. „Es ist also nicht nur die Krise zwischen Russland und der Ukraine, sondern es sind mehrere Faktoren, die zusammenwirken und das Gesicht der Finanzwelt verändern. Eine der positiven Auswirkungen des Konflikts wird hoffentlich darin bestehen, das überschüssige billige Kapital zu absorbieren, das um die Welt gewirbelt wurde. Aber hierfür wird wiederum entscheidend sein, dass die Zentralbanken nicht gutes Geld nach schlechtem drucken.“
Daniel hat auf seinen Reisen durch die Welt auch positive Auswirkungen der Pandemie festgestellt. „Viele Regierungen haben sich zunehmend besser organisiert, selbst in weniger entwickelten Ländern, zum Beispiel in Afrika. Ich war beeindruckt von der Nachverfolgung und Eindämmung von COVID-19 in Ländern wie Uganda, Ruanda und sogar in sehr armen Staaten wie Burundi“, sagt er. „Ich glaube, dass die Pandemie viele Regierungen gelehrt hat, dass sie in der Lage sind, ihrer Bevölkerung eine bessere Infrastruktur zur Verfügung zu stellen. Und ich bin gespannt, wie sich die Regierungen selbst im Vergleich zum Privatsektor beim Aufbau einer besseren Infrastruktur in anderen Bereichen ihrer Wirtschaft entwickeln werden.“ Auch „kleine, aber hoch entwickelte Länder wie Singapur oder die Vereinigten Arabischen Emirate“ hätten eine Vorreiterrolle bei der Öffnung und dem Umgang mit dem Virus gespielt, so Daniel, da ihre Wirtschaft davon abhänge, für den Rest der Welt zugänglich zu sein.
Auch wenn die Welt endlich aus dem Schatten der Pandemie herauszutreten scheint, warnt der Finanzexperte jedoch vor der Gefahr einer neuen globalen Wirtschaftskrise, die zunehmend auf immateriellen digitalen Vermögenswerten beruhe. Die Bankenkrise in den USA 2008 sei durch Derivate ausgelöst worden, nicht durch materielle Vermögenswerte wie Hypotheken oder den Goldpreis. Dieser Trend werde sich seiner Meinung nach mit der zunehmenden Digitalisierung der Wirtschaft fortsetzen. „Das bedeutet auch, dass das BIP einer stark finanzabhängigen Wirtschaft viel größer sein wird als das BIP von Volkswirtschaften mit einer starken Realwirtschaft wie verarbeitendes Gewerbe oder Landwirtschaft. Das BIP eines hoch verschuldeten Landes kann auch größer erscheinen als das von schuldenfreien Ländern, wenn ihre Schulden als Vermögenswerte auf den globalen Finanzmärkten gehandelt werden. Wie diese hochverschuldeten Volkswirtschaften verwaltet werden und wie sie sich in der Weltwirtschaft verhalten, wird Anlass zu vielen potenziellen Konflikten geben, für die es noch keine Lösungsmodelle gibt“, warnt der Experte.
Es gibt noch einen weiteren Trend, den Daniel vorhersagt. 2022 debütierte er als Autor mit seinem Buch „The Great Transition: The Personalization of Finance is Here“, in dem er voraussagt, dass das Finanzwesen zunehmend „personalisiert“ werde und der Einzelne immer mehr Kontrolle darüber haben werde, wie und mit wem er Geschäfte mache. „Dies wird die traditionellen Banken und Finanzinstitute unter erheblichen Druck setzen, um in einer sich verändernden Welt relevant zu bleiben.“
Das Buch skizziert auch die Entwicklungen im chinesischen Bankensektor, insbesondere in den letzten 15 Jahren, sowie die Rolle der Fintech-Akteure im Land und analysiert, wie sich diese in die Entwicklung der Branche weltweit einfügen. „Alle Länder werden weiterhin von technologischen Neuerungen beeinflusst werden, und die chinesischen Regulierungsbehörden müssen berücksichtigen, wohin dieser Trend führt.“
*Sudeshna Sarkar lebt als Journalistin und Redakteurin in Beijing. Als ehemalige Kommentatorin für das Regionalhörfunkprogramm der Deutschen Welle verfolgt sie Chinas Entwicklung, Kultur und internationale Beziehungen.