Während Unternehmer, Händler, Investoren und Regierungen über wirtschaftliche Widerstandsfähigkeit, Wettbewerbsfähigkeit sowie reale und potenzielle geopolitische Krisen diskutieren, wird eines mehr und mehr klar: nämlich dass der Unternehmergeist Vorrang haben sollte, wenn es um den Umgang mit China geht. Mit der globalen Pandemie im Rücken sollte dieser den Weg weisen. Denn unternehmerischer Geist ist ein guter Gradmesser: er fußt auf der Realität, nicht auf Spekulationen.
Auch China, das bevölkerungsreichste Land der Erde, das in den letzten Jahren für ein Drittel des Weltwirtschaftswachstums gesorgt hat und aller Voraussicht nach auch in Zukunft als globaler Wirtschaftsmotor fungieren dürfte, macht Fortschritte in Sachen Unternehmertum - privat oder staatlich gefördert. China konzentriert sich zunehmend auf eine grüne Wirtschaft und trägt zur Bekämpfung des globalen Klimawandels bei.
„Heimat des chinesischen Olivenöls“: Im Oktober 2022 begann in der Stadt Longnan in Gansu die Olivenernte.
Engagement heute und morgen
In dem Forschungsbericht „The China imperative for multinational companies“ vom 15. Januar spricht die amerikanische Unternehmensberatung McKinsey über die Notwendigkeit einer Neuausrichtung für Unternehmen mit dem Ziel, sich an die Zeit nach der Pandemie anzupassen. Demnach ist das durchschnittliche Haushaltseinkommen in China von rund 750 US-Dollar im Jahr 1990 auf 13.000 US-Dollar im Jahr 2019 gestiegen. Diese Dynamik zog multinationale Unternehmen wie ein Magnet nach China. Und sie haben in den letzten Jahrzehnten eine für beide Seiten vorteilhafte Beziehung aufgebaut.
McKinsey warnt nun davor, die schiere Komplexität des chinesischen Marktes zu unterschätzen. „Die Vorstellungen der Möglichkeit einer völligen Entkopplung sind zu einfach gegriffen“, heißt es in dem jüngsten Bericht. Bezeichnenderweise betont die McKinsey-Analyse zudem, dass in China, dem größten Markt mit einem erwarteten BIP-Wachstum von mehr als fünf Prozent im Jahr 2023, die Chancen nach wie vor groß seien. In einer zunehmend multipolaren Welt ist Beijing zu einem wichtigen Pol geworden - das steht außer Frage.
Auch der Deutsche Jörg Wuttke, Präsident der EU-Handelskammer in China, warnte im Januar 2023 davor, „die Risiken zu überschätzen und die Vorteile des Engagements mit China zu unterschätzen“. Dies zeigt, welche Blindheit es bedeuten würde, die entstehenden Kosten völlig auszublenden, wenn Europa sich nicht umfassend mit dem Thema China befasst. Tatsächlich werden multinationale Unternehmen aus Europa nicht müde, zu erklären, dass ihnen ihr Engagement auf dem weltgrößten Markt, der zudem ständig wachse, dabei helfe, profitabel, innovativ und global wettbewerbsfähig zu bleiben.
Von Herausforderungen zu Chancen
Im Jahr 2023 ist China ein anerkannter Marktführer im Bereich Spitzentechnologie und Interkonnektivität. Man denke nur an das Konzept der Grünen Seidenstraße oder die Felder künstliche Intelligenz und Weltraumtechnologie. Chinas grüner Wandel ist ein gigantisches Gelegenheitsfenster für alle - vom alltäglichen nachhaltigen Konsum bis hin zum Bedarf an ökologischen Lebensmitteln und Kleidung. Und das gilt sowohl für kleine und mittlere Unternehmen als auch für multinationale Konzerne, unabhängig von ihrer Größe. Allein Chinas grüne Transformation wird Investitionen in Höhe von Billionen US-Dollar erfordern, was gigantische, lukrative Geschäftsmöglichkeiten in China und weltweit schafft. Es ist die Verkörperung einer Schicksalsgemeinschaft der Menschheit, die uns alle einschließt.
Ich gebe meinen Studenten an Universitäten und Wirtschaftshochschulen, insbesondere an der Privatuniversität ESADE in Barcelona, gerne folgenden Satz mit auf den Weg: „Wenn ihr nicht nach China geht, wird China zu euch kommen.“ Denn die Zusammenarbeit mit China ist in der Tat eine Zweibahnstraße, kontinuierlich und unaufhaltsam, auch in Pandemiezeiten. So flossen beispielsweise im Jahr 2021 chinesische Risikokapitalinvestitionen auf Rekordniveau in europäische Tech-Startups, und zwar in Höhe von 1,2 Milliarden Euro, mehr als doppelt so viel wie im Jahr 2020. Das geht aus dem Bericht „The Chinese FDI in Europe: 2021 Update“ der Rhodium Group in New York und dem Mercator Institute for China Studies in Berlin hervor. Der Studie zufolge konzentrierte sich der Zustrom auf die Bereiche Fintech, E-Commerce, KI und Robotik. 2021 stiegen die abgeschlossenen chinesischen Direktinvestitionen in Europa um 33 Prozent auf 10,6 Milliarden Euro, verglichen mit 7,9 Milliarden Euro im Jahr 2020.
Beim GSMA Mobile World Congress (MWC) 2022 in Barcelona: Besucher machen sich mit den Mobilgeräten von Huawei Technologies vertraut. Im vergangenen Jahr begrüßte der MWC Barcelona mehr als 1500 Unternehmen und über 60.000 Besucher.
Konkurrenz und Kooperation
Vor diesem Hintergrund, in dem Wettbewerb und Win-Win-Situationen oft Hand in Hand gehen, unterzeichneten der chinesische Technologiekonzern Huawei und das Hospital Clínic de Barcelona im November 2022 in Barcelona eine Absichtserklärung zur Förderung des Einsatzes von Technologie im Gesundheitswesen für zwei Jahre. Huawei wird in diesem Zusammenhang Telekommunikationsgeräte und technologische Lösungen mit KI und 5G-Konnektivität bereitstellen und so die Digitalisierung des spanischen Gesundheitssystems vorantreiben. Dies wird beispielsweise bei der Früherkennung von Krankheiten und der Verbesserung der medizinischen Versorgung, ja nicht zuletzt auch bei der Erforschung neuer Formen von Fernmedizin helfen, einschließlich Fernbehandlung und Krankheitsüberwachung. Dieser Schritt markiert einen Meilenstein in der Geschäftstätigkeit von Huawei in Europa, bringt im Sinne des Unternehmergeistes Win-Win-Lösungen für beide Seiten und kommt letztlich vor allem auch den Patienten zugute.
Da Krankenhäuser in einer kosmopolitischen Stadt wie Barcelona Patienten aller Nationalitäten aufnehmen und die Stadt eine lebendige chinesische Community quer durch alle Gesellschaftskreise hat, werden auch chinesische Patienten von der Kooperation profitieren.
Das wechselseitige Unternehmertum setzt sich also auch 2023 fort, zum Beispiel in der traditionellen Lebensmittelindustrie. Anfang Januar begann Spanien, der weltweit größte Olivenölproduzent und mit Abstand größter Exporteur dieses Lebensmittels nach China, mit dem Import von Olivenöl aus Longnan in der nordwestchinesischen Provinz Gansu. Dies bedeutet eine weitere Anerkennung dieser aufstrebenden Industrie in der chinesischen Stadt. Longnan exportiert sein Olivenöl bereits nach Südkorea und Italien und wurde für seine Produkte bei Olivenölwettbewerben in Spanien, Italien, Griechenland, Argentinien, Israel, Großbritannien und Japan bereits mehrfach prämiert, erhielt insgesamt knapp 40 internationale Spitzenauszeichnungen. Bedeutet dies, dass spanische Olivenölunternehmen jetzt verschwinden werden, weil sie im Wettbewerb um Qualität und Preise unterlegen sind? Fordern sie Entkoppelung oder Loslösung? Definitiv nicht.
China war im Zeitraum 2021/2022 mit einem Absatz von über 45.000 Tonnen Olivenöl im Wert von 177 Millionen Euro Spaniens zweitgrößter Exportmarkt für dieses Gut außerhalb Europas sowie der fünftgrößte Exportmarkt weltweit. Laut dem Branchenverband für spanisches Olivenöl steigerte sich das Marktvolumen um 10,25 Prozent gegenüber 2021. Langfristig könnte die spanische Olivenölindustrie je nach Innovationsfähigkeit und Allianzen sogar gemeinsam mit ihren Wettbewerbern gewinnen bzw. verlieren, höchstwahrscheinlich sitzt man also in einem Boot, was die Geschäfte angeht.
Themen wie diese werden derzeit in Wirtschaftshochschulen und -institutionen auf der ganzen Welt diskutiert, so auch an den China-Europe International Business Schools in Shanghai, Beijing, Shenzhen, Zürich und Accra, an den ESADE Business Schools in Barcelona und Madrid, am Tsinghua Arts and Design Institute in Mailand, am Lateinamerika-Zentrum der Tsinghua-Universität in Santiago in Chile und am Global Innovation Exchange Institute (GIX) in Seattle, das gemeinsam von der Tsinghua-Universität und der Universität Washington gegründet wurde.
Bedeutende Beratungsunternehmen und Denkfabriken, darunter Natixis in Hongkong und das Paulson Institute in Washington, sind der Ansicht, dass Chinas Unternehmertum auf privater und staatlicher Ebene in Anbetracht der jüngsten politischen Vorstöße Beijings wie der Initiativen für „gemeinsamen Wohlstand“ und „duale Zirkulation“ noch stärker mit der Außenwelt in Verbindung treten dürften. Es ist also klar absehbar, dass Chinas wirtschaftliches und technologisches Wachstum die Welt weiterhin beeinflussen wird - in diesem Jahr und auch darüber hinaus.
*Augusto Soto ist Direktor des Dialogue with China Project mit Sitz in Spanien.