Der private Verbrauch ist eine bedeutende Quelle von Treibhausgas-Emissionen. Studien belegen, dass die konsumbedingten Emissionen privater Haushalte 65 Prozent der weltweiten Gesamttreibhausgasemissionen ausmachen, wenn nicht sogar mehr. Der Verbrauch chinesischer Haushalte verursacht Erhebungen zufolge dabei bis zu 53 Prozent der Gesamtemissionen in China. Deshalb ist es sinnvoll, beim Umweltschutz die Förderung eines kohlenstoffarmen Verbrauchs stärker in den Fokus zu rücken.
In diesem Zusammenhang wurde im Dezember vergangenen Jahres ein Untersuchungsbericht über den kohlenstoffarmen Konsum in chinesischen Städten 2022 herausgegeben. Durchgeführt wurde das Projekt von einem Team des Instituts für Soziologie der Chinesischen Akademie der Sozialwissenschaften, und zwar im Rahmen des vom Nationalen Fonds für Sozialwissenschaften 2022 geförderten Schlüsselprojekts „Erforschung eines umweltfreundlichen und kohlenstoffarmen Lebensstils in den Städten“.
Grüne Fortbewegung: Touristen beim Tandemradeln am Yanqi-See im Beijinger Bezirk Huairou.
Die Erhebung nahm insgesamt 40 chinesische Städte näher in den Blick. Dabei wurden gut 4100 gültige Stichproben gesammelt. Anhand der Analyse der aktuellen Situation, der bestehenden Probleme und der Wirkzusammenhänge beim Thema städtischer kohlenstoffarmer Konsum wurden letztlich ein Handlungsrahmen und gezielte Gegenmaßnahmen entworfen. Diese zielen darauf ab, einen Wandel hin zu mehr grünem Konsum zu bewirken und die Herausbildung eines kohlenstoffarmen Lebensstils zu forcieren.
Kreislaufwirtschaft für die Wiederverwendung von Ressourcen
Zhu Di, Teamleiter sowie stellvertretender Direktor und Forscher des Forschungsbüros für Konsum- und Kultursoziologie am Institut für Soziologie der Chinesischen Akademie der Sozialwissenschaften, erläutert, dass Secondhand-Konsum als Schlüsselbereich des kohlenstoffarmen Verbrauchs gelte. Denn dieser ermögliche es den Verbrauchern, über spezielle Konsumkanäle Gebrauchtwaren zu erwerben und diese weiterzuverwenden, was im Wesentlichen ein Recycling von Ressourcen darstelle.
ATRenew ist eine führende technologiegestützte Plattform für Transaktionen und Dienstleistungen im Bereich gebrauchter Unterhaltungselektronik in China. Laut Tian Mu, dem Markenmanager des Unternehmens, war insbesondere das Handyrecycling bei der Gründung der Firma im Jahr 2011 noch mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden. „Fehlende Recycling-Kanäle, undurchsichtige Preise und Standards sowie die Angst vor Informationsverlust bereiteten den Verbrauchern damals die größten Kopfschmerzen“, erinnert er sich. Doch dank der Anwendung von Big Data und modernen Algorithmen konnte sich ATRenew innerhalb von zehn Jahren zum Branchenführer aufschwingen. Dabei punktet das Unternehmen vor allem durch ihre transparente Preisgestaltung und eine akribische Qualitätskontrolle. Überdies ist es der Firma als einzigem Unternehmen der Branche gelungen, einen geschlossenen Kreislauf der gesamten Industriekette aufzubauen, mit Dienstleistungen, die den gesamten Prozess vom Ankauf bis zum Verkauf abdecken.
Nachhaltige Energiequellen: Die Wanhua Chemical Group hat eine Photovoltaikanlage auf dem Dach ihrer Firmenzentrale in Yantai, Provinz Shandong, installiert. So will das Unternehmen nicht nur den Energieverbrauch seiner Büroräume durch Ökostrom decken, sondern ganz generell auch ein Beispiel für grüne und kohlenstoffarme Entwicklung geben.
2021 belief sich der Beitrag zur Verringerung der Kohlenstoffemissionen durch die plattformübergreifend genutzten Mobiltelefone von ATRenew auf etwa 463.700 Tonnen, was der jährlichen Kohlenstoffsenkenwirkung von gut 153.000 Hektar Wald entspricht. Inzwischen erstreckt sich AHS Device, das internationale Geschäft von ATRenew, auch auf Hongkong und ganz Südostasien, ja sogar bis nach Lateinamerika und Afrika streckt die Firma ihre Fühler aus.
Tian Mu hat den Boom der Branche in den letzten Jahren hautnah miterlebt. Er zitiert einige Zahlen, die die rasante Entwicklung veranschaulichen. „2016 hatte der chinesische Markt für den Handel mit gebrauchten elektronischen Konsumgütern und Dienstleistungen noch ein Volumen von nur rund 79 Milliarden Yuan, etwa 10,8 Milliarden Euro also. Bis 2021 ist es auf 309,5 Milliarden Yuan, also gut 42 Milliarden Euro, angewachsen.“
China hat sich das ehrgeizige Ziel gesetzt, bis 2030 den Höhepunkt seiner CO2-Emissionen zu erreichen und bis 2060 Kohlenstoffneutralität zu erlangen. Damit dies gelingt, hat das Land verschiedene Anreizmaßnahmen angestoßen, die einen umweltfreundlichen Konsum fördern und den damit verbundenen Markt herausbilden. Im Januar 2022 veröffentlichte die chinesische Regierung ihren Umsetzungsplan zur Förderung des grünen Konsums. Darin wird für die Herausbildung eines einfachen und moderaten, grünen und kohlenstoffarmen, zivilisierten und gesunden Lebens- und Konsumstils plädiert. Auch legt das Papier die wichtigsten Etappenziele zur Förderung eines grünen Konsums bis 2025 bzw. 2030 fest.
Nachhaltiger Konsum im Alltag
Der eingangs erwähnte Untersuchungsbericht hat gezeigt, dass unter Chinas Verbrauchern im Allgemeinen bereits ein ausgeprägtes Umweltbewusstsein herrscht und der kohlenstoffarme Lebensstil auf große Anerkennung stößt. Zhu Di ist allerdings der Überzeugung, dass die Initiative letztlich nicht allein in der Hand der Verbraucher liegt. „Das Konsumverhalten der Menschen wird letztlich doch sehr stark durch das Angebot beeinflusst, zum Beispiel durch die Vielfalt grüner Produkte auf dem Markt und ihr Preis-Leistungs-Verhältnis“, gibt er zu bedenken.
Zudem zeigten sich Chinas Konsumenten zwar von umweltfreundlichen und kohlenstoffarmen Produkten begeistert, doch die tägliche Nutzung und auch die Entsorgung solcher Produkte gestalten sich vielerorts noch immer schwierig. Um dieses Problem zu lösen, müssten Produkte und Dienstleitungen besser an die Bedürfnisse und Lebensgewohnheiten der chinesischen Verbraucher angepasst werden, so Zhu. Es gelte, die Integration grüner Konzepte und nachhaltiger Konsummodelle in den Alltag der Menschen zu fördern, sagt der Forscher.
Zahllose Studien belegen, dass Mobilität eine wichtige Emissionsquelle darstellt. Der Boom der E-Mobilität im Reich der Mitte hat eine wichtige Rolle bei der Förderung umweltfreundlicher Mobilität gespielt. Bei einer Umfrage im Jahr 2015 zeigten sich Chinas Verbraucher vor allem noch skeptisch, was die Ladedauer und die Verfügbarkeit von Ladestationen für NEVs, also New Energy Vehicles anging. „Damals waren Ladestationen rar und nur an bestimmten Orten angelegt. Mittlerweile ist die Technik aber schon wesentlich weiter, sodass es sogar Ladevorrichtungen für den privaten Gebrauch gibt. Sie lassen sich in Wohnungsnähe oder am Arbeitsplatz installieren”, sagt Zhu. „Dies ist ein erfolgreiches Beispiel für ein innovatives Angebotssystem, das die Anpassung von Produkten und Dienstleistungen an die Verbrauchergewohnheiten ermöglicht.“
Aus Alt mach Neu: Ausrangierte Dosen und Eimer bekommen in der ostchinesischen Provinz Zhejiang einen neuen Anstrich und erhalten so ein “zweites Leben” als Blumentöpfe.
Trotzdem ermahnt Zhu die Unternehmen, sich nicht nur auf den Bedarf der Konsumenten einzustellen. Vielmehr sei es nötig, diese anzuleiten. „Allein kurzfristige Profite bringen keine Nachhaltigkeit. Es geht vielmehr darum, bestimmte Werte zu nähren und im öffentlichen Interesse zu handeln”, sagt er.
Interdisziplinäre Forschung
Kohlenstoffarmer Konsum stellt ein noch direkteres und messbares Konsummodell dar, das anhand von Kohlenstoffemissionen bewertet wird. In diesem Sinne sind exakte Emissionserhebungen unerlässlich dafür, den aktuellen Stand dieses Konsumtyps zu erforschen und ihn weiterzuentwickeln. Laut Zhu stützten sich frühere Forschungen zum Thema Kohlenstoff vor allem auf Makrodaten. Die Forschungsprojekte seines Teams haben diese Lücke nun zumindest teilweise geschlossen.
In seiner jüngsten Studie hat das Forschungsteam eine große Menge von maßgeblichen Daten und Indikatoren aus dem In- und Ausland herangezogen, um die Kohlenstoffemissionen von drei Arten von Privatfahrzeugen zu messen: nämlich von Benzinern, Hybridfahrzeugen und E-Autos. Bezogen auf verschiedene Städte liegen die Gesamtkohlenstoffemissionen von privaten PKWs in Chinas Megastädten etwas höher als anderswo. Zudem seien die Emissionen von Haushalten mit einem Monatseinkommen von weniger als 10.000 Yuan (1362 Euro) und mehr als 30.000 (4105 Euro) Yuan besonders hoch, während die von Familien mit einem monatlichen Einkommen zwischen 15.000 (2052 Euro) und 20.000 (2736 Euro) Yuan am niedrigsten seien.
Zudem zeigten die Forschungsergebnisse von Zhu und seinem Team, dass die Gruppe mit mittlerem Einkommen die Haupttriebkraft für den kohlenstoffarmen Konsum bildet. „Die derzeit hohen Preise vieler grüner und kohlenstoffarmer Produkte erfordern von den Verbrauchern nicht nur einen gewissen Bildungshintergrund, sondern auch ein starkes Finanzpolster. Vor diesem Hintergrund sollten wir bei der Förderung eines nachhaltigen Konsums den Schwerpunkt auf Menschen mit mittlerem Einkommen und junge Leute legen. Wir müssen ihre Rolle bei der Veränderung sozialer und kultureller Gewohnheiten und bei der Entwicklung neuer Trends besser entfalten.“